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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Läufer. Stelzvögel. Sonnenreiher. Kraniche.
suchen, oder gefundene einzuweichen. Dies brachte Bartlett auf den Gedanken, ihnen Lehm und
Schlamm zu geben. Sie bemächtigten sich sofort dieser Stoffe, erwählten sich einen Baumstrunk von
ungefähr zehn Fuß Höhe über dem Boden, auf welchem ein altes, künstliches Strohnest befestigt war
und trugen nun den mit Stroh, Wurzeln und Gras vermischten Lehm dahin, pflasterten das Jnnere
des Nestes aus und erhöhten seine Seitenwände. Eines Morgens brachte der Wärter die Bruchstücke
eines Eies, welche er am Boden unter dem Neste gefunden hatte und dem Sonnenreiher zuschrieb.
Bartlett fand zu seiner Ueberraschung, daß sie den Eiern eines Teichhuhnes oder der Waldschnepfe
ähnlich waren und glaubte, weil ein Purpurhuhn mit jenem in demselben Käfige lebte, die Richtigkeit
der Aussage des Wärters bezweifeln zu können, nahm jedoch das Purpurhuhn weg und überließ die
Sonnenreiher sich selbst. Anfangs Juni lenkte der Wärter die Aufmerksamkeit seines Vorgesetzten
auf ein anderes Ei, welches im Neste lag. Bartlett besichtigte dasselbe und sah, daß es mit jenen
Splittern durchaus übereinstimmte. Beide Alten zeigten sich sehr besorgt um das Ei und brüteten
abwechselnd siebenundzwanzig Tage lang. Am 9. Juni schlüpfte das Junge aus; am folgenden
Tage wurde es besichtigt und eine Zeichnung von ihm genommen. Es blieb im Neste sitzen und
wurde abwechselnd von beiden Eltern mit Kerbthieren und kleinen lebenden Fischen geäzt, und zwar
ganz in derselben Weise, wie junge Jbisse. Am zweiten Tage seines Lebens war es soweit flügge,
daß es bis zum Boden herabflattern konnte, und nunmehr blieb es hier, ohne jemals ins Nest zurück-
zukehren. Sein Wachsthum geschah so schnell, daß es bereits nach zwei Monaten von den alten
nicht mehr unterschieden werden konnte. Jm August begannen die alten Vögel, das Nest wieder
herzurichten, indem sie eine frische Schicht von Schlamm und Lehm auftrugen; Ende Augusts legten
sie ein anderes Ei. Diesmal unterzog sich das Männchen dem Geschäft der Bebrütung mit größerer
Sorgfalt und größerem Eifer als seine Gattin, welche immer noch mit der Ernährung des ersten
Jungen zu thun hatte. Am 28. September entschlüpfte das zweite Junge. Doch schienen nunmehr
beide Alten dem ersten größere Sorgfalt zuzuwenden, als dem Nachgeborenen, sodaß der Wärter,
fürchtend, der kleine Bursche möge unter der Vernachlässigung leiden, zu Hilfe kommen mußte. Das
Nestjunge gewöhnte sich auch bald an den menschlichen Pflegevater, und es gelang, dasselbe ebenfalls
groß zu ziehen.

Aus diesen Beobachtungen geht hervor, daß der Sonnenreiher allerdings zu den Nesthockern
gehört, sich aber doch wesentlich von den Reihervögeln unterscheidet. Das Ei ähnelt wegen seiner
Fleckung denen der Rallen oder Schnepfen, und das Junge unterscheidet sich von denen der letzt-
genannten nur dadurch, daß die Dunen länger sind, während es in der Zeichnung des Kleides einer
jungen Schnepfe nicht unähnlich ist. Der Sonnenreiher steht also, soweit es die Entwicklung anlangt,
so recht eigentlich in der Mitte zwischen den Reiher-, Schnepfen- und Rallenvögeln. Aus der
von Bartlett gegebenen Abbildung ersieht man, daß das Dunenkleid auf der Oberseite braunrost-
farben und gelblichweiß längs und quer gestreift und gefleckt, auf der Unterseite hingegen, bis auf
wenige mondförmige Flecken von weißer und brauner Färbung, einfarbig ist.



Jn der letzten Zunft unserer Ordnung, welche die Sumpfhühner (Paludicolae) umfaßt, ver-
einigen wir so verschiedenartige Gestalten, daß gegen deren Zusammengehörigkeit Zweifel erhoben
werden können. Berücksichtigen wir jedoch alle Glieder der Gesammtheit, so erkennen wir, daß
unter ihnen viele sind, welche nach unserer Anschauung den Zusammenhang vermitteln, und daß
demnach die angenommene Begrenzung der Gruppe ihre Berechtigung hat. Die Vielgestaltigkeit
der Sumpfhühner macht eine Aufstellung der allgemeinen Merkmale schwer; man kann eben nur
sagen, daß sie sich kennzeichnen durch kräftigen Leib, mittellangen Hals, verhältnißmäßig kleinen
Kopf, geraden, rundlichen Schnabel, hohe vierzehige Beine, mittellange Flügel, kurzen Schwanz

Die Läufer. Stelzvögel. Sonnenreiher. Kraniche.
ſuchen, oder gefundene einzuweichen. Dies brachte Bartlett auf den Gedanken, ihnen Lehm und
Schlamm zu geben. Sie bemächtigten ſich ſofort dieſer Stoffe, erwählten ſich einen Baumſtrunk von
ungefähr zehn Fuß Höhe über dem Boden, auf welchem ein altes, künſtliches Strohneſt befeſtigt war
und trugen nun den mit Stroh, Wurzeln und Gras vermiſchten Lehm dahin, pflaſterten das Jnnere
des Neſtes aus und erhöhten ſeine Seitenwände. Eines Morgens brachte der Wärter die Bruchſtücke
eines Eies, welche er am Boden unter dem Neſte gefunden hatte und dem Sonnenreiher zuſchrieb.
Bartlett fand zu ſeiner Ueberraſchung, daß ſie den Eiern eines Teichhuhnes oder der Waldſchnepfe
ähnlich waren und glaubte, weil ein Purpurhuhn mit jenem in demſelben Käfige lebte, die Richtigkeit
der Ausſage des Wärters bezweifeln zu können, nahm jedoch das Purpurhuhn weg und überließ die
Sonnenreiher ſich ſelbſt. Anfangs Juni lenkte der Wärter die Aufmerkſamkeit ſeines Vorgeſetzten
auf ein anderes Ei, welches im Neſte lag. Bartlett beſichtigte daſſelbe und ſah, daß es mit jenen
Splittern durchaus übereinſtimmte. Beide Alten zeigten ſich ſehr beſorgt um das Ei und brüteten
abwechſelnd ſiebenundzwanzig Tage lang. Am 9. Juni ſchlüpfte das Junge aus; am folgenden
Tage wurde es beſichtigt und eine Zeichnung von ihm genommen. Es blieb im Neſte ſitzen und
wurde abwechſelnd von beiden Eltern mit Kerbthieren und kleinen lebenden Fiſchen geäzt, und zwar
ganz in derſelben Weiſe, wie junge Jbiſſe. Am zweiten Tage ſeines Lebens war es ſoweit flügge,
daß es bis zum Boden herabflattern konnte, und nunmehr blieb es hier, ohne jemals ins Neſt zurück-
zukehren. Sein Wachsthum geſchah ſo ſchnell, daß es bereits nach zwei Monaten von den alten
nicht mehr unterſchieden werden konnte. Jm Auguſt begannen die alten Vögel, das Neſt wieder
herzurichten, indem ſie eine friſche Schicht von Schlamm und Lehm auftrugen; Ende Auguſts legten
ſie ein anderes Ei. Diesmal unterzog ſich das Männchen dem Geſchäft der Bebrütung mit größerer
Sorgfalt und größerem Eifer als ſeine Gattin, welche immer noch mit der Ernährung des erſten
Jungen zu thun hatte. Am 28. September entſchlüpfte das zweite Junge. Doch ſchienen nunmehr
beide Alten dem erſten größere Sorgfalt zuzuwenden, als dem Nachgeborenen, ſodaß der Wärter,
fürchtend, der kleine Burſche möge unter der Vernachläſſigung leiden, zu Hilfe kommen mußte. Das
Neſtjunge gewöhnte ſich auch bald an den menſchlichen Pflegevater, und es gelang, daſſelbe ebenfalls
groß zu ziehen.

Aus dieſen Beobachtungen geht hervor, daß der Sonnenreiher allerdings zu den Neſthockern
gehört, ſich aber doch weſentlich von den Reihervögeln unterſcheidet. Das Ei ähnelt wegen ſeiner
Fleckung denen der Rallen oder Schnepfen, und das Junge unterſcheidet ſich von denen der letzt-
genannten nur dadurch, daß die Dunen länger ſind, während es in der Zeichnung des Kleides einer
jungen Schnepfe nicht unähnlich iſt. Der Sonnenreiher ſteht alſo, ſoweit es die Entwicklung anlangt,
ſo recht eigentlich in der Mitte zwiſchen den Reiher-, Schnepfen- und Rallenvögeln. Aus der
von Bartlett gegebenen Abbildung erſieht man, daß das Dunenkleid auf der Oberſeite braunroſt-
farben und gelblichweiß längs und quer geſtreift und gefleckt, auf der Unterſeite hingegen, bis auf
wenige mondförmige Flecken von weißer und brauner Färbung, einfarbig iſt.



Jn der letzten Zunft unſerer Ordnung, welche die Sumpfhühner (Paludicolae) umfaßt, ver-
einigen wir ſo verſchiedenartige Geſtalten, daß gegen deren Zuſammengehörigkeit Zweifel erhoben
werden können. Berückſichtigen wir jedoch alle Glieder der Geſammtheit, ſo erkennen wir, daß
unter ihnen viele ſind, welche nach unſerer Anſchauung den Zuſammenhang vermitteln, und daß
demnach die angenommene Begrenzung der Gruppe ihre Berechtigung hat. Die Vielgeſtaltigkeit
der Sumpfhühner macht eine Aufſtellung der allgemeinen Merkmale ſchwer; man kann eben nur
ſagen, daß ſie ſich kennzeichnen durch kräftigen Leib, mittellangen Hals, verhältnißmäßig kleinen
Kopf, geraden, rundlichen Schnabel, hohe vierzehige Beine, mittellange Flügel, kurzen Schwanz

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[720/0764] Die Läufer. Stelzvögel. Sonnenreiher. Kraniche. ſuchen, oder gefundene einzuweichen. Dies brachte Bartlett auf den Gedanken, ihnen Lehm und Schlamm zu geben. Sie bemächtigten ſich ſofort dieſer Stoffe, erwählten ſich einen Baumſtrunk von ungefähr zehn Fuß Höhe über dem Boden, auf welchem ein altes, künſtliches Strohneſt befeſtigt war und trugen nun den mit Stroh, Wurzeln und Gras vermiſchten Lehm dahin, pflaſterten das Jnnere des Neſtes aus und erhöhten ſeine Seitenwände. Eines Morgens brachte der Wärter die Bruchſtücke eines Eies, welche er am Boden unter dem Neſte gefunden hatte und dem Sonnenreiher zuſchrieb. Bartlett fand zu ſeiner Ueberraſchung, daß ſie den Eiern eines Teichhuhnes oder der Waldſchnepfe ähnlich waren und glaubte, weil ein Purpurhuhn mit jenem in demſelben Käfige lebte, die Richtigkeit der Ausſage des Wärters bezweifeln zu können, nahm jedoch das Purpurhuhn weg und überließ die Sonnenreiher ſich ſelbſt. Anfangs Juni lenkte der Wärter die Aufmerkſamkeit ſeines Vorgeſetzten auf ein anderes Ei, welches im Neſte lag. Bartlett beſichtigte daſſelbe und ſah, daß es mit jenen Splittern durchaus übereinſtimmte. Beide Alten zeigten ſich ſehr beſorgt um das Ei und brüteten abwechſelnd ſiebenundzwanzig Tage lang. Am 9. Juni ſchlüpfte das Junge aus; am folgenden Tage wurde es beſichtigt und eine Zeichnung von ihm genommen. Es blieb im Neſte ſitzen und wurde abwechſelnd von beiden Eltern mit Kerbthieren und kleinen lebenden Fiſchen geäzt, und zwar ganz in derſelben Weiſe, wie junge Jbiſſe. Am zweiten Tage ſeines Lebens war es ſoweit flügge, daß es bis zum Boden herabflattern konnte, und nunmehr blieb es hier, ohne jemals ins Neſt zurück- zukehren. Sein Wachsthum geſchah ſo ſchnell, daß es bereits nach zwei Monaten von den alten nicht mehr unterſchieden werden konnte. Jm Auguſt begannen die alten Vögel, das Neſt wieder herzurichten, indem ſie eine friſche Schicht von Schlamm und Lehm auftrugen; Ende Auguſts legten ſie ein anderes Ei. Diesmal unterzog ſich das Männchen dem Geſchäft der Bebrütung mit größerer Sorgfalt und größerem Eifer als ſeine Gattin, welche immer noch mit der Ernährung des erſten Jungen zu thun hatte. Am 28. September entſchlüpfte das zweite Junge. Doch ſchienen nunmehr beide Alten dem erſten größere Sorgfalt zuzuwenden, als dem Nachgeborenen, ſodaß der Wärter, fürchtend, der kleine Burſche möge unter der Vernachläſſigung leiden, zu Hilfe kommen mußte. Das Neſtjunge gewöhnte ſich auch bald an den menſchlichen Pflegevater, und es gelang, daſſelbe ebenfalls groß zu ziehen. Aus dieſen Beobachtungen geht hervor, daß der Sonnenreiher allerdings zu den Neſthockern gehört, ſich aber doch weſentlich von den Reihervögeln unterſcheidet. Das Ei ähnelt wegen ſeiner Fleckung denen der Rallen oder Schnepfen, und das Junge unterſcheidet ſich von denen der letzt- genannten nur dadurch, daß die Dunen länger ſind, während es in der Zeichnung des Kleides einer jungen Schnepfe nicht unähnlich iſt. Der Sonnenreiher ſteht alſo, ſoweit es die Entwicklung anlangt, ſo recht eigentlich in der Mitte zwiſchen den Reiher-, Schnepfen- und Rallenvögeln. Aus der von Bartlett gegebenen Abbildung erſieht man, daß das Dunenkleid auf der Oberſeite braunroſt- farben und gelblichweiß längs und quer geſtreift und gefleckt, auf der Unterſeite hingegen, bis auf wenige mondförmige Flecken von weißer und brauner Färbung, einfarbig iſt. Jn der letzten Zunft unſerer Ordnung, welche die Sumpfhühner (Paludicolae) umfaßt, ver- einigen wir ſo verſchiedenartige Geſtalten, daß gegen deren Zuſammengehörigkeit Zweifel erhoben werden können. Berückſichtigen wir jedoch alle Glieder der Geſammtheit, ſo erkennen wir, daß unter ihnen viele ſind, welche nach unſerer Anſchauung den Zuſammenhang vermitteln, und daß demnach die angenommene Begrenzung der Gruppe ihre Berechtigung hat. Die Vielgeſtaltigkeit der Sumpfhühner macht eine Aufſtellung der allgemeinen Merkmale ſchwer; man kann eben nur ſagen, daß ſie ſich kennzeichnen durch kräftigen Leib, mittellangen Hals, verhältnißmäßig kleinen Kopf, geraden, rundlichen Schnabel, hohe vierzehige Beine, mittellange Flügel, kurzen Schwanz

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 720. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/764>, abgerufen am 22.11.2024.