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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Brachvogel.
Brutplatze, obgleich er hier sich ungleich weniger scheu zeigt, als irgend wo anders; an den südlichen
Seen wird er geradezu unerträglich, weil er für den Jäger ein noch schädlicherer Warner ist als jeder
Kiebitz, weil er die Flucht nicht erst dann ergreift, wenn die Gefahr ihm schon nah, sondern unter
allen Umständen, sowie sich ihm etwas Verdächtiges auch nur von weitem zeigt. Dabei unterscheidet
er sehr richtig zwischen gefährlichen und ungefährlichen Leuten, läßt einen Hirten oder einen Bauer
z. B. nah an sich herankommen, flieht aber jeden ihm einigermaßen auffallenden Menschen aus größter
Entfernung. Meinen schwarzen Dienern gelang es viel öfter als mir, Brachvögel zu erlegen, obgleich
ich mir die größte Mühe gab, die schlauen Geschöpfe zu überlisten.

Von dieser seinen Verstand ehrenden, dem Jäger ärgerlichen Vorsicht abgesehen, erscheint der
Brachvogel dem Beobachter als ein sehr anziehendes Geschöpf. Haltung, Gang, Flug und Stimme
zeichnen ihn vor sämmtlichen Schnepfenvögeln zu seinem Vortheile aus. Er geht mit großen Schritten,
aber leicht und zierlich, wie Naumann sagt, "anständig", verdoppelt, wenn er schnell weiter will, sie
nicht der Zahl, sondern der Weite nach und weiß sich so vortrefflich zu fördern; er geht auf dem Lande
ebensogut wie im Wasser, watet oft bis an den Leib in demselben umher und schwimmt ungezwungen,
scheinbar zu seinem Vergnügen. Dies hat Naumann sehr genau beobachtet, und meine Wahrnehmungen
stimmen damit überein. Der Flug ist zwar nicht besonders schnell, aber regelmäßig, gewandt und der
verschiedensten Wendungen fähig, scheint auch den Vogel nicht im geringsten zu ermüden. Vor dem
Niedersetzen pflegt er eine kurze Zeit lang zu schweben; wenn er sich aus bedeutenden Höhen herab-
stürzen will, zieht er die Flügel an und schießt wie ein fallender Stein sausend hernieder, hält sich aber
durch einige Flügelschläge und Ausbreiten der Schwingen noch rechtzeitig auf und betritt erst nach
einigen Schwenkungen den Boden. Seine Stimme besteht aus abgerundeten, vollen, klangreichen
Tönen, welche man ebensogut mit denen der Flöte wie mit denen der Orgel vergleichen und durch
die Silbe "Taü, taü" und "Tlaüid, tlaüid" ausdrücken kann. Sie hat, wie Naumann sagt, für
viele Menschen einen eigenthümlichen, für den jagenden Naturforscher aber einen hohen, unvergleich-
lichen Reiz und darf als die angenehmste gelten, welche irgend ein Sumpfvogel hervorzubringen vermag.
Der Laut, welchen der Brachvogel vernehmen läßt, wenn er sich vertraulich unterhält, klingt wie
"Twi, twi"; der Angstruf ist ein kreischendes "Kräh" oder "Krüh". Während der Paarungszeit
läßt auch er einen kurzen Gesang vernehmen; derselbe besteht jedoch auch nur aus dem gewöhnlichen
Lockrufe, welcher in eigenthümlicher, für mich unbeschreiblicher Weise verschmolzen wird.

Einzelne Gegenden Norddeutschlands werden vom Brachvogel bereits zum Nisten benutzt; eigent-
lich aber brütet er in nördlicheren Ländern und hier, wie bemerkt, hauptsächlich in der Tundra. Die
Brutvögel treffen auch in Lappland ungefähr um dieselbe Zeit ein wie bei uns und schreiten bald nach
ihrer Ankunft zur Fortpflanzung. Das Männchen läßt seinen Paarungsruf jetzt zu jeder Tageszeit,
am häufigsten aber in den stillen Mitternachtsstunden erschallen, und das Weibchen sucht inzwischen
nach einem passenden Hügelchen im Moore, welches das Nest tragen soll. Letzteres ist nichts Anderes
als eine Vertiefung im Mose oder Riedgrase, welche mir erschien, als ob sie eingedrückt und gerundet,
nicht aber durch Ausscharren entstanden sei. Jn einigen dieser Nester fand ich eine dürftige Unterlage
von herbeigetragenen Pflanzenstoffen; in anderen war das Mos selbst hierzu benutzt worden. Die
vier Eier sind größer als die einer Ente, birn- oder kreiselförmig, nicht gerade glattschalig, glanzlos
und auf schmuzig ölgrünem, mehr oder weniger ins Gelbe und Bräunliche spielenden Grunde mit
dunkelgrauen Unterflecken und Punkten, grünlich schwarzbraunen Oberflecken, Stricheln und Schnörkeln
gezeichnet. Beide Geschlechter scheinen abwechselnd zu brüten, bekunden mindestens eine außerordent-
liche Liebe zur Brut und setzen sich, angesichts des Feindes, wirklichen Gefahren aus. Die Jungen
werden baldmöglichst den Stellen zugeführt, welche mit höherem Grase bestanden sind.

Kerbthiere der verschiedensten Art in allen Lebenszuständen, Würmer, Muscheln, Krebsthiere,
auch Fischchen oder Lurche und endlich mancherlei Pflanzenstoffe, insbesondere Beeren, bilden die
Nahrung der erwachsenen Bracher; die Jungen fressen nur Kerfe und im hohen Norden ausschließlich
Mücken und deren Larven. Jn der Gefangenschaft gewöhnt er sich bald an das übliche Ersatzfutter,

Brachvogel.
Brutplatze, obgleich er hier ſich ungleich weniger ſcheu zeigt, als irgend wo anders; an den ſüdlichen
Seen wird er geradezu unerträglich, weil er für den Jäger ein noch ſchädlicherer Warner iſt als jeder
Kiebitz, weil er die Flucht nicht erſt dann ergreift, wenn die Gefahr ihm ſchon nah, ſondern unter
allen Umſtänden, ſowie ſich ihm etwas Verdächtiges auch nur von weitem zeigt. Dabei unterſcheidet
er ſehr richtig zwiſchen gefährlichen und ungefährlichen Leuten, läßt einen Hirten oder einen Bauer
z. B. nah an ſich herankommen, flieht aber jeden ihm einigermaßen auffallenden Menſchen aus größter
Entfernung. Meinen ſchwarzen Dienern gelang es viel öfter als mir, Brachvögel zu erlegen, obgleich
ich mir die größte Mühe gab, die ſchlauen Geſchöpfe zu überliſten.

Von dieſer ſeinen Verſtand ehrenden, dem Jäger ärgerlichen Vorſicht abgeſehen, erſcheint der
Brachvogel dem Beobachter als ein ſehr anziehendes Geſchöpf. Haltung, Gang, Flug und Stimme
zeichnen ihn vor ſämmtlichen Schnepfenvögeln zu ſeinem Vortheile aus. Er geht mit großen Schritten,
aber leicht und zierlich, wie Naumann ſagt, „anſtändig“, verdoppelt, wenn er ſchnell weiter will, ſie
nicht der Zahl, ſondern der Weite nach und weiß ſich ſo vortrefflich zu fördern; er geht auf dem Lande
ebenſogut wie im Waſſer, watet oft bis an den Leib in demſelben umher und ſchwimmt ungezwungen,
ſcheinbar zu ſeinem Vergnügen. Dies hat Naumann ſehr genau beobachtet, und meine Wahrnehmungen
ſtimmen damit überein. Der Flug iſt zwar nicht beſonders ſchnell, aber regelmäßig, gewandt und der
verſchiedenſten Wendungen fähig, ſcheint auch den Vogel nicht im geringſten zu ermüden. Vor dem
Niederſetzen pflegt er eine kurze Zeit lang zu ſchweben; wenn er ſich aus bedeutenden Höhen herab-
ſtürzen will, zieht er die Flügel an und ſchießt wie ein fallender Stein ſauſend hernieder, hält ſich aber
durch einige Flügelſchläge und Ausbreiten der Schwingen noch rechtzeitig auf und betritt erſt nach
einigen Schwenkungen den Boden. Seine Stimme beſteht aus abgerundeten, vollen, klangreichen
Tönen, welche man ebenſogut mit denen der Flöte wie mit denen der Orgel vergleichen und durch
die Silbe „Taü, taü“ und „Tlaüid, tlaüid“ ausdrücken kann. Sie hat, wie Naumann ſagt, für
viele Menſchen einen eigenthümlichen, für den jagenden Naturforſcher aber einen hohen, unvergleich-
lichen Reiz und darf als die angenehmſte gelten, welche irgend ein Sumpfvogel hervorzubringen vermag.
Der Laut, welchen der Brachvogel vernehmen läßt, wenn er ſich vertraulich unterhält, klingt wie
„Twi, twi“; der Angſtruf iſt ein kreiſchendes „Kräh“ oder „Krüh“. Während der Paarungszeit
läßt auch er einen kurzen Geſang vernehmen; derſelbe beſteht jedoch auch nur aus dem gewöhnlichen
Lockrufe, welcher in eigenthümlicher, für mich unbeſchreiblicher Weiſe verſchmolzen wird.

Einzelne Gegenden Norddeutſchlands werden vom Brachvogel bereits zum Niſten benutzt; eigent-
lich aber brütet er in nördlicheren Ländern und hier, wie bemerkt, hauptſächlich in der Tundra. Die
Brutvögel treffen auch in Lappland ungefähr um dieſelbe Zeit ein wie bei uns und ſchreiten bald nach
ihrer Ankunft zur Fortpflanzung. Das Männchen läßt ſeinen Paarungsruf jetzt zu jeder Tageszeit,
am häufigſten aber in den ſtillen Mitternachtsſtunden erſchallen, und das Weibchen ſucht inzwiſchen
nach einem paſſenden Hügelchen im Moore, welches das Neſt tragen ſoll. Letzteres iſt nichts Anderes
als eine Vertiefung im Moſe oder Riedgraſe, welche mir erſchien, als ob ſie eingedrückt und gerundet,
nicht aber durch Ausſcharren entſtanden ſei. Jn einigen dieſer Neſter fand ich eine dürftige Unterlage
von herbeigetragenen Pflanzenſtoffen; in anderen war das Mos ſelbſt hierzu benutzt worden. Die
vier Eier ſind größer als die einer Ente, birn- oder kreiſelförmig, nicht gerade glattſchalig, glanzlos
und auf ſchmuzig ölgrünem, mehr oder weniger ins Gelbe und Bräunliche ſpielenden Grunde mit
dunkelgrauen Unterflecken und Punkten, grünlich ſchwarzbraunen Oberflecken, Stricheln und Schnörkeln
gezeichnet. Beide Geſchlechter ſcheinen abwechſelnd zu brüten, bekunden mindeſtens eine außerordent-
liche Liebe zur Brut und ſetzen ſich, angeſichts des Feindes, wirklichen Gefahren aus. Die Jungen
werden baldmöglichſt den Stellen zugeführt, welche mit höherem Graſe beſtanden ſind.

Kerbthiere der verſchiedenſten Art in allen Lebenszuſtänden, Würmer, Muſcheln, Krebsthiere,
auch Fiſchchen oder Lurche und endlich mancherlei Pflanzenſtoffe, insbeſondere Beeren, bilden die
Nahrung der erwachſenen Bracher; die Jungen freſſen nur Kerfe und im hohen Norden ausſchließlich
Mücken und deren Larven. Jn der Gefangenſchaft gewöhnt er ſich bald an das übliche Erſatzfutter,

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[651/0691] Brachvogel. Brutplatze, obgleich er hier ſich ungleich weniger ſcheu zeigt, als irgend wo anders; an den ſüdlichen Seen wird er geradezu unerträglich, weil er für den Jäger ein noch ſchädlicherer Warner iſt als jeder Kiebitz, weil er die Flucht nicht erſt dann ergreift, wenn die Gefahr ihm ſchon nah, ſondern unter allen Umſtänden, ſowie ſich ihm etwas Verdächtiges auch nur von weitem zeigt. Dabei unterſcheidet er ſehr richtig zwiſchen gefährlichen und ungefährlichen Leuten, läßt einen Hirten oder einen Bauer z. B. nah an ſich herankommen, flieht aber jeden ihm einigermaßen auffallenden Menſchen aus größter Entfernung. Meinen ſchwarzen Dienern gelang es viel öfter als mir, Brachvögel zu erlegen, obgleich ich mir die größte Mühe gab, die ſchlauen Geſchöpfe zu überliſten. Von dieſer ſeinen Verſtand ehrenden, dem Jäger ärgerlichen Vorſicht abgeſehen, erſcheint der Brachvogel dem Beobachter als ein ſehr anziehendes Geſchöpf. Haltung, Gang, Flug und Stimme zeichnen ihn vor ſämmtlichen Schnepfenvögeln zu ſeinem Vortheile aus. Er geht mit großen Schritten, aber leicht und zierlich, wie Naumann ſagt, „anſtändig“, verdoppelt, wenn er ſchnell weiter will, ſie nicht der Zahl, ſondern der Weite nach und weiß ſich ſo vortrefflich zu fördern; er geht auf dem Lande ebenſogut wie im Waſſer, watet oft bis an den Leib in demſelben umher und ſchwimmt ungezwungen, ſcheinbar zu ſeinem Vergnügen. Dies hat Naumann ſehr genau beobachtet, und meine Wahrnehmungen ſtimmen damit überein. Der Flug iſt zwar nicht beſonders ſchnell, aber regelmäßig, gewandt und der verſchiedenſten Wendungen fähig, ſcheint auch den Vogel nicht im geringſten zu ermüden. Vor dem Niederſetzen pflegt er eine kurze Zeit lang zu ſchweben; wenn er ſich aus bedeutenden Höhen herab- ſtürzen will, zieht er die Flügel an und ſchießt wie ein fallender Stein ſauſend hernieder, hält ſich aber durch einige Flügelſchläge und Ausbreiten der Schwingen noch rechtzeitig auf und betritt erſt nach einigen Schwenkungen den Boden. Seine Stimme beſteht aus abgerundeten, vollen, klangreichen Tönen, welche man ebenſogut mit denen der Flöte wie mit denen der Orgel vergleichen und durch die Silbe „Taü, taü“ und „Tlaüid, tlaüid“ ausdrücken kann. Sie hat, wie Naumann ſagt, für viele Menſchen einen eigenthümlichen, für den jagenden Naturforſcher aber einen hohen, unvergleich- lichen Reiz und darf als die angenehmſte gelten, welche irgend ein Sumpfvogel hervorzubringen vermag. Der Laut, welchen der Brachvogel vernehmen läßt, wenn er ſich vertraulich unterhält, klingt wie „Twi, twi“; der Angſtruf iſt ein kreiſchendes „Kräh“ oder „Krüh“. Während der Paarungszeit läßt auch er einen kurzen Geſang vernehmen; derſelbe beſteht jedoch auch nur aus dem gewöhnlichen Lockrufe, welcher in eigenthümlicher, für mich unbeſchreiblicher Weiſe verſchmolzen wird. Einzelne Gegenden Norddeutſchlands werden vom Brachvogel bereits zum Niſten benutzt; eigent- lich aber brütet er in nördlicheren Ländern und hier, wie bemerkt, hauptſächlich in der Tundra. Die Brutvögel treffen auch in Lappland ungefähr um dieſelbe Zeit ein wie bei uns und ſchreiten bald nach ihrer Ankunft zur Fortpflanzung. Das Männchen läßt ſeinen Paarungsruf jetzt zu jeder Tageszeit, am häufigſten aber in den ſtillen Mitternachtsſtunden erſchallen, und das Weibchen ſucht inzwiſchen nach einem paſſenden Hügelchen im Moore, welches das Neſt tragen ſoll. Letzteres iſt nichts Anderes als eine Vertiefung im Moſe oder Riedgraſe, welche mir erſchien, als ob ſie eingedrückt und gerundet, nicht aber durch Ausſcharren entſtanden ſei. Jn einigen dieſer Neſter fand ich eine dürftige Unterlage von herbeigetragenen Pflanzenſtoffen; in anderen war das Mos ſelbſt hierzu benutzt worden. Die vier Eier ſind größer als die einer Ente, birn- oder kreiſelförmig, nicht gerade glattſchalig, glanzlos und auf ſchmuzig ölgrünem, mehr oder weniger ins Gelbe und Bräunliche ſpielenden Grunde mit dunkelgrauen Unterflecken und Punkten, grünlich ſchwarzbraunen Oberflecken, Stricheln und Schnörkeln gezeichnet. Beide Geſchlechter ſcheinen abwechſelnd zu brüten, bekunden mindeſtens eine außerordent- liche Liebe zur Brut und ſetzen ſich, angeſichts des Feindes, wirklichen Gefahren aus. Die Jungen werden baldmöglichſt den Stellen zugeführt, welche mit höherem Graſe beſtanden ſind. Kerbthiere der verſchiedenſten Art in allen Lebenszuſtänden, Würmer, Muſcheln, Krebsthiere, auch Fiſchchen oder Lurche und endlich mancherlei Pflanzenſtoffe, insbeſondere Beeren, bilden die Nahrung der erwachſenen Bracher; die Jungen freſſen nur Kerfe und im hohen Norden ausſchließlich Mücken und deren Larven. Jn der Gefangenſchaft gewöhnt er ſich bald an das übliche Erſatzfutter,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/691>, abgerufen am 22.11.2024.