beobachtet, welche höchst sonderbare Eigenthümlichkeiten darbietet und den Naturforschern viel- leicht noch unbekannt sein dürfte. Dieser Vogel hat die Größe einer Wachtel. Seine glänzenden, schwarzen Augen sind von einem himmelblauen Kreise, wie mit einem Heiligenschein umgeben; sein ganzer Körper ist aschgrau, schwarz gefleckt; die Beine sind unbefiedert; es bedeckt sie eine Art zottigen, groben Haares, dem des Moschusthieres nicht ganz unähnlich; die Zehen sind durchaus nicht wie die anderer Vögel gestaltet, sondern gleichen in Allem denen der grünen Eidechse: sie sind mit Schuppen bekleidet, deren Härte dem schärfsten Messer trotzt. So hat dieses seltsame Geschöpf zugleich Etwas vom Vogel, vom Säugethiere und vom Lurch. Die Chinesen nennen es Drachen- fuß(Loung-Kio). Diese Vögel langen gewöhnlich in großen Scharen von der Steppe her an, zumal, wenn viel Schnee gefallen ist. Sie fliegen mit staunenswerther Schnelligkeit und ver- ursachen durch ihren Flügelschlag ein lautes, aber unterbrochenes Geräusch, wie wenn der Hagel fällt. Als wir in der nördlichen Mongolei der kleinen Christengemeinde des Thales der schwarzen Wasser vorstanden, brachte uns einer von unsern Neubekehrten, der ein guter Jäger war, eines Tages zwei solcher Vögel lebendig. Sie waren außerordentlich wild. Sobald man sich ihnen näherte und sie mit der Hand berühren wollte, sträubten sie das Haar ihrer Beine; wagte man es, sie zu streicheln, so erhielt man augenblicklich derbe Schnabelhiebe. Es war unmöglich, diese Drachenfüße am Leben zu erhalten, so ungestüm geberdeten sie sich. Die Körner, welche wir ihnen vorstreuten, rührten sie nicht an. Da wir sahen, daß sie doch an Hunger sterben würden, entschlossen wir uns, sie zu verspeisen. Jhr Fleisch hat einen ziemlich angenehmen Wildgeschmack, ist aber über alle Begriffe hart."
Nach diesem Pröbchen urchristlicher Vogelkunde mag uns Radde des Besseren belehren. Jch bemerke jedoch, daß ich seine Schilderung nicht im strengsten Sinne dem Wortlaute nach gebe, viel- mehr das in zwei verschiedenen Werken von ihm Gesagte in der mir geeignet scheinenden Weise zusammenzustellen versucht und nicht Hierhergehöriges weggelassen habe.
"Zur Zeit, wenn Thermopsis und Cymbaria geblüht, und die ersten Knospen der schmal- blätterigen Lilie sich entfaltet haben, bietet auch das Thierleben in den Steppen wesentlich andere Erscheinungen, als im Frühjahre zur Blüthezeit der Jrideen. Es ist die Brutzeit der Vögel und die Zeit der Geburt der meisten wilden Steppenthiere. Wir wollen also, um jenen Unterschied kennen zu lernen, uns abermals zum Tarai-nor, und zwar heute in seine wüstesten Gegenden, nach der Grenze, versetzen, wo einige erhöhte Jnseln aus dem hier noch weichen Schlammboden auftauchen. Die Reise zu ihnen über die hohen Steppen zeigt uns ein wahres Sommerbild hiesiger Gegend. Die Hitze der Mittagssonne macht die Murmelthiere besonders lustig; in weitem Bogen hoch in der Luft kreisen die Schreiadler; geduldiger als sie sitzt der Bussard stundenlang auf einem Hügel; das angenehme Zwitschern der mongolischen Lerche läßt sich vernehmen; die Pfeifhasen beginnen ihre langwierigen Arbeiten; die zahlreichen Herden ziehen zu den sumpfigen Süßwasserpfützen des Tarai; das Lärmen der Kraniche, welches sich häufig im Frühjahre hören ließ, hat aufgehört; keine Gans, keine Ente ist sichtbar; nur selten zieht eine Möve hoch an uns vorüber, ihr folgt in weiten Fernen eine zweite und dritte. Die ausstrahlende Wärme umflimmert in breiten Wellen alle Umrisse; die Jnseln im Tarai schwimmen förmlich in einem beständigen, wellenden, luftigen Grunde. Kein Baum, kein Strauch bezeichnet die Ferne; nur hier und da scheinen plumpe thierische Körper- massen über dem Boden zu schweben, durch ihre scheinbare Größe täuschend. Aber der Salzboden ist nicht todt, nicht so todt als das Bereich der Luft. Jm Gegentheil, ein Vogel, der ebenso merk- würdig durch seinen Bau, als durch seine Lebensweise und Verbreitung ist, überrascht uns hier durch seine Häufigkeit: das Steppenhuhn."
"Zur Zeit, wenn der Schnee an den Hügeln der Hochsteppen noch liegt, Mitte März, zieht er aus Süden hieher und lebt dann in kleinen Gesellschaften, aber immer schon gepaart. Jn gelinden Wintern trifft man ihn am Nordostrande der hohen Gobi an; er erscheint aber auch nach strengen Wintern schon so zeitig, und brütet dann so früh, daß er auch in dieser Hinsicht "auffallend"
21 *
Steppenhuhn.
beobachtet, welche höchſt ſonderbare Eigenthümlichkeiten darbietet und den Naturforſchern viel- leicht noch unbekannt ſein dürfte. Dieſer Vogel hat die Größe einer Wachtel. Seine glänzenden, ſchwarzen Augen ſind von einem himmelblauen Kreiſe, wie mit einem Heiligenſchein umgeben; ſein ganzer Körper iſt aſchgrau, ſchwarz gefleckt; die Beine ſind unbefiedert; es bedeckt ſie eine Art zottigen, groben Haares, dem des Moſchusthieres nicht ganz unähnlich; die Zehen ſind durchaus nicht wie die anderer Vögel geſtaltet, ſondern gleichen in Allem denen der grünen Eidechſe: ſie ſind mit Schuppen bekleidet, deren Härte dem ſchärfſten Meſſer trotzt. So hat dieſes ſeltſame Geſchöpf zugleich Etwas vom Vogel, vom Säugethiere und vom Lurch. Die Chineſen nennen es Drachen- fuß(Loung-Kio). Dieſe Vögel langen gewöhnlich in großen Scharen von der Steppe her an, zumal, wenn viel Schnee gefallen iſt. Sie fliegen mit ſtaunenswerther Schnelligkeit und ver- urſachen durch ihren Flügelſchlag ein lautes, aber unterbrochenes Geräuſch, wie wenn der Hagel fällt. Als wir in der nördlichen Mongolei der kleinen Chriſtengemeinde des Thales der ſchwarzen Waſſer vorſtanden, brachte uns einer von unſern Neubekehrten, der ein guter Jäger war, eines Tages zwei ſolcher Vögel lebendig. Sie waren außerordentlich wild. Sobald man ſich ihnen näherte und ſie mit der Hand berühren wollte, ſträubten ſie das Haar ihrer Beine; wagte man es, ſie zu ſtreicheln, ſo erhielt man augenblicklich derbe Schnabelhiebe. Es war unmöglich, dieſe Drachenfüße am Leben zu erhalten, ſo ungeſtüm geberdeten ſie ſich. Die Körner, welche wir ihnen vorſtreuten, rührten ſie nicht an. Da wir ſahen, daß ſie doch an Hunger ſterben würden, entſchloſſen wir uns, ſie zu verſpeiſen. Jhr Fleiſch hat einen ziemlich angenehmen Wildgeſchmack, iſt aber über alle Begriffe hart.“
Nach dieſem Pröbchen urchriſtlicher Vogelkunde mag uns Radde des Beſſeren belehren. Jch bemerke jedoch, daß ich ſeine Schilderung nicht im ſtrengſten Sinne dem Wortlaute nach gebe, viel- mehr das in zwei verſchiedenen Werken von ihm Geſagte in der mir geeignet ſcheinenden Weiſe zuſammenzuſtellen verſucht und nicht Hierhergehöriges weggelaſſen habe.
„Zur Zeit, wenn Thermopſis und Cymbaria geblüht, und die erſten Knospen der ſchmal- blätterigen Lilie ſich entfaltet haben, bietet auch das Thierleben in den Steppen weſentlich andere Erſcheinungen, als im Frühjahre zur Blüthezeit der Jrideen. Es iſt die Brutzeit der Vögel und die Zeit der Geburt der meiſten wilden Steppenthiere. Wir wollen alſo, um jenen Unterſchied kennen zu lernen, uns abermals zum Tarai-nor, und zwar heute in ſeine wüſteſten Gegenden, nach der Grenze, verſetzen, wo einige erhöhte Jnſeln aus dem hier noch weichen Schlammboden auftauchen. Die Reiſe zu ihnen über die hohen Steppen zeigt uns ein wahres Sommerbild hieſiger Gegend. Die Hitze der Mittagsſonne macht die Murmelthiere beſonders luſtig; in weitem Bogen hoch in der Luft kreiſen die Schreiadler; geduldiger als ſie ſitzt der Buſſard ſtundenlang auf einem Hügel; das angenehme Zwitſchern der mongoliſchen Lerche läßt ſich vernehmen; die Pfeifhaſen beginnen ihre langwierigen Arbeiten; die zahlreichen Herden ziehen zu den ſumpfigen Süßwaſſerpfützen des Tarai; das Lärmen der Kraniche, welches ſich häufig im Frühjahre hören ließ, hat aufgehört; keine Gans, keine Ente iſt ſichtbar; nur ſelten zieht eine Möve hoch an uns vorüber, ihr folgt in weiten Fernen eine zweite und dritte. Die ausſtrahlende Wärme umflimmert in breiten Wellen alle Umriſſe; die Jnſeln im Tarai ſchwimmen förmlich in einem beſtändigen, wellenden, luftigen Grunde. Kein Baum, kein Strauch bezeichnet die Ferne; nur hier und da ſcheinen plumpe thieriſche Körper- maſſen über dem Boden zu ſchweben, durch ihre ſcheinbare Größe täuſchend. Aber der Salzboden iſt nicht todt, nicht ſo todt als das Bereich der Luft. Jm Gegentheil, ein Vogel, der ebenſo merk- würdig durch ſeinen Bau, als durch ſeine Lebensweiſe und Verbreitung iſt, überraſcht uns hier durch ſeine Häufigkeit: das Steppenhuhn.“
„Zur Zeit, wenn der Schnee an den Hügeln der Hochſteppen noch liegt, Mitte März, zieht er aus Süden hieher und lebt dann in kleinen Geſellſchaften, aber immer ſchon gepaart. Jn gelinden Wintern trifft man ihn am Nordoſtrande der hohen Gobi an; er erſcheint aber auch nach ſtrengen Wintern ſchon ſo zeitig, und brütet dann ſo früh, daß er auch in dieſer Hinſicht „auffallend“
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Steppenhuhn.
beobachtet, welche höchſt ſonderbare Eigenthümlichkeiten darbietet und den Naturforſchern viel-
leicht noch unbekannt ſein dürfte. Dieſer Vogel hat die Größe einer Wachtel. Seine glänzenden,
ſchwarzen Augen ſind von einem himmelblauen Kreiſe, wie mit einem Heiligenſchein umgeben; ſein
ganzer Körper iſt aſchgrau, ſchwarz gefleckt; die Beine ſind unbefiedert; es bedeckt ſie eine Art
zottigen, groben Haares, dem des Moſchusthieres nicht ganz unähnlich; die Zehen ſind durchaus
nicht wie die anderer Vögel geſtaltet, ſondern gleichen in Allem denen der grünen Eidechſe: ſie ſind
mit Schuppen bekleidet, deren Härte dem ſchärfſten Meſſer trotzt. So hat dieſes ſeltſame Geſchöpf
zugleich Etwas vom Vogel, vom Säugethiere und vom Lurch. Die Chineſen nennen es Drachen-
fuß (Loung-Kio). Dieſe Vögel langen gewöhnlich in großen Scharen von der Steppe her an,
zumal, wenn viel Schnee gefallen iſt. Sie fliegen mit ſtaunenswerther Schnelligkeit und ver-
urſachen durch ihren Flügelſchlag ein lautes, aber unterbrochenes Geräuſch, wie wenn der Hagel
fällt. Als wir in der nördlichen Mongolei der kleinen Chriſtengemeinde des Thales der ſchwarzen
Waſſer vorſtanden, brachte uns einer von unſern Neubekehrten, der ein guter Jäger war, eines
Tages zwei ſolcher Vögel lebendig. Sie waren außerordentlich wild. Sobald man ſich ihnen
näherte und ſie mit der Hand berühren wollte, ſträubten ſie das Haar ihrer Beine; wagte man es,
ſie zu ſtreicheln, ſo erhielt man augenblicklich derbe Schnabelhiebe. Es war unmöglich, dieſe
Drachenfüße am Leben zu erhalten, ſo ungeſtüm geberdeten ſie ſich. Die Körner, welche wir
ihnen vorſtreuten, rührten ſie nicht an. Da wir ſahen, daß ſie doch an Hunger ſterben würden,
entſchloſſen wir uns, ſie zu verſpeiſen. Jhr Fleiſch hat einen ziemlich angenehmen Wildgeſchmack,
iſt aber über alle Begriffe hart.“
Nach dieſem Pröbchen urchriſtlicher Vogelkunde mag uns Radde des Beſſeren belehren. Jch
bemerke jedoch, daß ich ſeine Schilderung nicht im ſtrengſten Sinne dem Wortlaute nach gebe, viel-
mehr das in zwei verſchiedenen Werken von ihm Geſagte in der mir geeignet ſcheinenden Weiſe
zuſammenzuſtellen verſucht und nicht Hierhergehöriges weggelaſſen habe.
„Zur Zeit, wenn Thermopſis und Cymbaria geblüht, und die erſten Knospen der ſchmal-
blätterigen Lilie ſich entfaltet haben, bietet auch das Thierleben in den Steppen weſentlich andere
Erſcheinungen, als im Frühjahre zur Blüthezeit der Jrideen. Es iſt die Brutzeit der Vögel und die
Zeit der Geburt der meiſten wilden Steppenthiere. Wir wollen alſo, um jenen Unterſchied kennen
zu lernen, uns abermals zum Tarai-nor, und zwar heute in ſeine wüſteſten Gegenden, nach der
Grenze, verſetzen, wo einige erhöhte Jnſeln aus dem hier noch weichen Schlammboden auftauchen.
Die Reiſe zu ihnen über die hohen Steppen zeigt uns ein wahres Sommerbild hieſiger Gegend.
Die Hitze der Mittagsſonne macht die Murmelthiere beſonders luſtig; in weitem Bogen hoch in der
Luft kreiſen die Schreiadler; geduldiger als ſie ſitzt der Buſſard ſtundenlang auf einem Hügel; das
angenehme Zwitſchern der mongoliſchen Lerche läßt ſich vernehmen; die Pfeifhaſen beginnen ihre
langwierigen Arbeiten; die zahlreichen Herden ziehen zu den ſumpfigen Süßwaſſerpfützen des
Tarai; das Lärmen der Kraniche, welches ſich häufig im Frühjahre hören ließ, hat aufgehört; keine
Gans, keine Ente iſt ſichtbar; nur ſelten zieht eine Möve hoch an uns vorüber, ihr folgt in weiten
Fernen eine zweite und dritte. Die ausſtrahlende Wärme umflimmert in breiten Wellen alle
Umriſſe; die Jnſeln im Tarai ſchwimmen förmlich in einem beſtändigen, wellenden, luftigen Grunde.
Kein Baum, kein Strauch bezeichnet die Ferne; nur hier und da ſcheinen plumpe thieriſche Körper-
maſſen über dem Boden zu ſchweben, durch ihre ſcheinbare Größe täuſchend. Aber der Salzboden
iſt nicht todt, nicht ſo todt als das Bereich der Luft. Jm Gegentheil, ein Vogel, der ebenſo merk-
würdig durch ſeinen Bau, als durch ſeine Lebensweiſe und Verbreitung iſt, überraſcht uns hier
durch ſeine Häufigkeit: das Steppenhuhn.“
„Zur Zeit, wenn der Schnee an den Hügeln der Hochſteppen noch liegt, Mitte März, zieht
er aus Süden hieher und lebt dann in kleinen Geſellſchaften, aber immer ſchon gepaart. Jn
gelinden Wintern trifft man ihn am Nordoſtrande der hohen Gobi an; er erſcheint aber auch nach
ſtrengen Wintern ſchon ſo zeitig, und brütet dann ſo früh, daß er auch in dieſer Hinſicht „auffallend“
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/349>, abgerufen am 16.07.2024.
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