Taubenscharen zu beobachten. Es war um 11/2 Uhr und ich saß von nun an mehr als eine Stunde, aber statt daß ich eine Verminderung des Zugs wahrnehmen konnte, schien er zu wachsen an Anzahl und zuzunehmen an Schnelligkeit, und ich mußte endlich, um Frankfurt noch zu erreichen, meinen Weg fortsetzen. Gegen vier Uhr nachmittags kreuzte ich den Kentuckyfluß bei der Stadt Frankfurt -- der lebendige Strom über meinem Haupte schien aber noch immer ebenso zahl- reich, noch ebenso breit zu sein, als je zuvor. Lange nachher gewahrte ich die Tauben noch in großen Abtheilungen, welche sechs oder acht Minnten brauchten, ehe sie vorüber waren, und diesen folgten wiederum andere Scharen, in derselben Richtung nach Südosten fliegend, bis nach sechs Uhr des Abends. Die größte Breite des Zuges ließ auf eine entsprechende Breite ihres Brutplatzes schließen."
"Jm Herbst 1813", berichtet Audubon, "verließ ich mein Haus zu Henderson am Ufer des Ohio auf der Straße nach Louisville. Als ich einige Meilen unter Hardensburgh über die dürren Ebenen ging, bemerkte ich einen Zug Wandertauben, welcher von Nordost nach Südwest flog. Da mir ihre Anzahl größer erschien, als ich sie jemals vorher gesehen hatte, kam mir die Lust an, die Züge, welche innerhalb einer Stunde im Bereich meines Auges vorüberflogen, zu zählen. Jch stieg deshalb ab, setzte mich auf eine Erhöhung und machte mit meinem Pinsel für jeden vorübergehenden Zug einen Tupfen auf's Papier. Jn kurzer Zeit fand ich, daß das Unternehmen nicht auszuführen war; denn die Vögel erschienen in unzählbarer Menge. Jch erhob mich also, zählte die Tupfen und fand, daß ich in 21 Minuten deren 163 gemacht hatte. Jch setzte meinen Weg fort, aber die Massen vermehrten sich immer stärker. Die Luft war buchstäblich mit Tauben erfüllt und die Nach- mittagssonne durch sie verdunkelt, wie bei einer Mondfinsterniß. Der Unrath fiel in Massen wie Schneeflocken herab, und das Geräusch der Flügelschläge übte eine einschläfernde Wirkung auf meine Sinne."
"Während ich in Young's Wirthschaft am Zusammenflusse des Saltriver mit dem Ohio auf mein Mittagsessen wartete, sah ich noch unermeßliche Legionen vorüberziehen, in einer Breite, welche sich vom Ohio bis zu den in der Ferne sichtbaren Waldungen erstreckte. Nicht eine einzige dieser Tauben ließ sich nieder; aber in der ganzen Umgegend gab es auch keine Nuß oder Eichel. Dem- gemäß flogen sie so hoch, daß verschiedene Versuche, sie mit meiner vortrefflichen Büchse zu erreichen, vergeblich waren -- die Schüsse störten sie nicht einmal."
"Unmöglich ist es, die Schönheit ihrer Luftschwenkungen zu beschreiben, wenn ein Fall versuchte, eine aus dem Haufen zu nehmen. Mit Einemmale stürzten sie sich dann unter Donner- geräusch, in eine feste Masse zusammengepackt, wie ein lebendiger Strom hernieder, drängten, dicht geschlossen, in welligen und scharfwinkeligen Linien vorwärts, fielen bis zum Boden herab und strichen über demselben in unvergleichlicher Schnelle dahin, stiegen dann senkrecht empor, einer mächtigen Säule vergleichbar, und entwickelten sich, nachdem sie die Höhe wieder erreicht, zu einer Linie, gleich den Gewinden einer ungeheuren, riesigen Schlange."
"Vor Sonnenuntergang erreichte ich Louisville, welches von Hardensburgh 55 Meilen entfernt ist. Die Tauben zogen noch immer in unverringerter Anzahl dahin, und so ging es drei Tage ununterbrochen fort."
"Das ganze Volk war in Wassen. An den Ufern des Ohio wimmelten Männer und Knaben durch einander und schossen ohne Unterlaß unter die fremden Gäste, welche hier, als sie den Fluß kreuzen wollten, niedriger flogen. Massen von ihnen wurden vernichtet, eine Woche und länger genoß die Bevölkerung Nichts als das Fleisch oder das Fett der Tauben, und es war von Nichts, als von Wildtauben die Rede. Die Luft war währenddem gesättigt von der eigenthümlichen Aus- dünstung, welche dieser Art eigen ist."
"Es ist höchst anziehend, zu sehen, daß ein Schwarm nach dem andern genau dieselben Schwen- kungen ausführt, wie der vorhergehende. Wenn z. B. ein Raubvogel an einer gewissen Stelle unter einen solchen Zug gestoßen hatte, beschrieb der folgende an derselben Stelle die gleichen Winkelzüge, Krümmungen und Wellenlinien, welche der angegriffene Zug, in seinem Bestreben, der gefürchteten
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Wandertaube.
Taubenſcharen zu beobachten. Es war um 1½ Uhr und ich ſaß von nun an mehr als eine Stunde, aber ſtatt daß ich eine Verminderung des Zugs wahrnehmen konnte, ſchien er zu wachſen an Anzahl und zuzunehmen an Schnelligkeit, und ich mußte endlich, um Frankfurt noch zu erreichen, meinen Weg fortſetzen. Gegen vier Uhr nachmittags kreuzte ich den Kentuckyfluß bei der Stadt Frankfurt — der lebendige Strom über meinem Haupte ſchien aber noch immer ebenſo zahl- reich, noch ebenſo breit zu ſein, als je zuvor. Lange nachher gewahrte ich die Tauben noch in großen Abtheilungen, welche ſechs oder acht Minnten brauchten, ehe ſie vorüber waren, und dieſen folgten wiederum andere Scharen, in derſelben Richtung nach Südoſten fliegend, bis nach ſechs Uhr des Abends. Die größte Breite des Zuges ließ auf eine entſprechende Breite ihres Brutplatzes ſchließen.“
„Jm Herbſt 1813“, berichtet Audubon, „verließ ich mein Haus zu Henderſon am Ufer des Ohio auf der Straße nach Louisville. Als ich einige Meilen unter Hardensburgh über die dürren Ebenen ging, bemerkte ich einen Zug Wandertauben, welcher von Nordoſt nach Südweſt flog. Da mir ihre Anzahl größer erſchien, als ich ſie jemals vorher geſehen hatte, kam mir die Luſt an, die Züge, welche innerhalb einer Stunde im Bereich meines Auges vorüberflogen, zu zählen. Jch ſtieg deshalb ab, ſetzte mich auf eine Erhöhung und machte mit meinem Pinſel für jeden vorübergehenden Zug einen Tupfen auf’s Papier. Jn kurzer Zeit fand ich, daß das Unternehmen nicht auszuführen war; denn die Vögel erſchienen in unzählbarer Menge. Jch erhob mich alſo, zählte die Tupfen und fand, daß ich in 21 Minuten deren 163 gemacht hatte. Jch ſetzte meinen Weg fort, aber die Maſſen vermehrten ſich immer ſtärker. Die Luft war buchſtäblich mit Tauben erfüllt und die Nach- mittagsſonne durch ſie verdunkelt, wie bei einer Mondfinſterniß. Der Unrath fiel in Maſſen wie Schneeflocken herab, und das Geräuſch der Flügelſchläge übte eine einſchläfernde Wirkung auf meine Sinne.“
„Während ich in Young’s Wirthſchaft am Zuſammenfluſſe des Saltriver mit dem Ohio auf mein Mittagseſſen wartete, ſah ich noch unermeßliche Legionen vorüberziehen, in einer Breite, welche ſich vom Ohio bis zu den in der Ferne ſichtbaren Waldungen erſtreckte. Nicht eine einzige dieſer Tauben ließ ſich nieder; aber in der ganzen Umgegend gab es auch keine Nuß oder Eichel. Dem- gemäß flogen ſie ſo hoch, daß verſchiedene Verſuche, ſie mit meiner vortrefflichen Büchſe zu erreichen, vergeblich waren — die Schüſſe ſtörten ſie nicht einmal.“
„Unmöglich iſt es, die Schönheit ihrer Luftſchwenkungen zu beſchreiben, wenn ein Fall verſuchte, eine aus dem Haufen zu nehmen. Mit Einemmale ſtürzten ſie ſich dann unter Donner- geräuſch, in eine feſte Maſſe zuſammengepackt, wie ein lebendiger Strom hernieder, drängten, dicht geſchloſſen, in welligen und ſcharfwinkeligen Linien vorwärts, fielen bis zum Boden herab und ſtrichen über demſelben in unvergleichlicher Schnelle dahin, ſtiegen dann ſenkrecht empor, einer mächtigen Säule vergleichbar, und entwickelten ſich, nachdem ſie die Höhe wieder erreicht, zu einer Linie, gleich den Gewinden einer ungeheuren, rieſigen Schlange.“
„Vor Sonnenuntergang erreichte ich Louisville, welches von Hardensburgh 55 Meilen entfernt iſt. Die Tauben zogen noch immer in unverringerter Anzahl dahin, und ſo ging es drei Tage ununterbrochen fort.“
„Das ganze Volk war in Waſſen. An den Ufern des Ohio wimmelten Männer und Knaben durch einander und ſchoſſen ohne Unterlaß unter die fremden Gäſte, welche hier, als ſie den Fluß kreuzen wollten, niedriger flogen. Maſſen von ihnen wurden vernichtet, eine Woche und länger genoß die Bevölkerung Nichts als das Fleiſch oder das Fett der Tauben, und es war von Nichts, als von Wildtauben die Rede. Die Luft war währenddem geſättigt von der eigenthümlichen Aus- dünſtung, welche dieſer Art eigen iſt.“
„Es iſt höchſt anziehend, zu ſehen, daß ein Schwarm nach dem andern genau dieſelben Schwen- kungen ausführt, wie der vorhergehende. Wenn z. B. ein Raubvogel an einer gewiſſen Stelle unter einen ſolchen Zug geſtoßen hatte, beſchrieb der folgende an derſelben Stelle die gleichen Winkelzüge, Krümmungen und Wellenlinien, welche der angegriffene Zug, in ſeinem Beſtreben, der gefürchteten
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Wandertaube.
Taubenſcharen zu beobachten. Es war um 1½ Uhr und ich ſaß von nun an mehr als eine
Stunde, aber ſtatt daß ich eine Verminderung des Zugs wahrnehmen konnte, ſchien er zu wachſen
an Anzahl und zuzunehmen an Schnelligkeit, und ich mußte endlich, um Frankfurt noch zu
erreichen, meinen Weg fortſetzen. Gegen vier Uhr nachmittags kreuzte ich den Kentuckyfluß bei der
Stadt Frankfurt — der lebendige Strom über meinem Haupte ſchien aber noch immer ebenſo zahl-
reich, noch ebenſo breit zu ſein, als je zuvor. Lange nachher gewahrte ich die Tauben noch in großen
Abtheilungen, welche ſechs oder acht Minnten brauchten, ehe ſie vorüber waren, und dieſen folgten
wiederum andere Scharen, in derſelben Richtung nach Südoſten fliegend, bis nach ſechs Uhr des
Abends. Die größte Breite des Zuges ließ auf eine entſprechende Breite ihres Brutplatzes ſchließen.“
„Jm Herbſt 1813“, berichtet Audubon, „verließ ich mein Haus zu Henderſon am Ufer des
Ohio auf der Straße nach Louisville. Als ich einige Meilen unter Hardensburgh über die dürren
Ebenen ging, bemerkte ich einen Zug Wandertauben, welcher von Nordoſt nach Südweſt flog. Da
mir ihre Anzahl größer erſchien, als ich ſie jemals vorher geſehen hatte, kam mir die Luſt an, die
Züge, welche innerhalb einer Stunde im Bereich meines Auges vorüberflogen, zu zählen. Jch ſtieg
deshalb ab, ſetzte mich auf eine Erhöhung und machte mit meinem Pinſel für jeden vorübergehenden
Zug einen Tupfen auf’s Papier. Jn kurzer Zeit fand ich, daß das Unternehmen nicht auszuführen
war; denn die Vögel erſchienen in unzählbarer Menge. Jch erhob mich alſo, zählte die Tupfen und
fand, daß ich in 21 Minuten deren 163 gemacht hatte. Jch ſetzte meinen Weg fort, aber die
Maſſen vermehrten ſich immer ſtärker. Die Luft war buchſtäblich mit Tauben erfüllt und die Nach-
mittagsſonne durch ſie verdunkelt, wie bei einer Mondfinſterniß. Der Unrath fiel in Maſſen wie
Schneeflocken herab, und das Geräuſch der Flügelſchläge übte eine einſchläfernde Wirkung auf meine
Sinne.“
„Während ich in Young’s Wirthſchaft am Zuſammenfluſſe des Saltriver mit dem Ohio auf
mein Mittagseſſen wartete, ſah ich noch unermeßliche Legionen vorüberziehen, in einer Breite, welche
ſich vom Ohio bis zu den in der Ferne ſichtbaren Waldungen erſtreckte. Nicht eine einzige dieſer
Tauben ließ ſich nieder; aber in der ganzen Umgegend gab es auch keine Nuß oder Eichel. Dem-
gemäß flogen ſie ſo hoch, daß verſchiedene Verſuche, ſie mit meiner vortrefflichen Büchſe zu erreichen,
vergeblich waren — die Schüſſe ſtörten ſie nicht einmal.“
„Unmöglich iſt es, die Schönheit ihrer Luftſchwenkungen zu beſchreiben, wenn ein Fall
verſuchte, eine aus dem Haufen zu nehmen. Mit Einemmale ſtürzten ſie ſich dann unter Donner-
geräuſch, in eine feſte Maſſe zuſammengepackt, wie ein lebendiger Strom hernieder, drängten, dicht
geſchloſſen, in welligen und ſcharfwinkeligen Linien vorwärts, fielen bis zum Boden herab und
ſtrichen über demſelben in unvergleichlicher Schnelle dahin, ſtiegen dann ſenkrecht empor, einer
mächtigen Säule vergleichbar, und entwickelten ſich, nachdem ſie die Höhe wieder erreicht, zu einer
Linie, gleich den Gewinden einer ungeheuren, rieſigen Schlange.“
„Vor Sonnenuntergang erreichte ich Louisville, welches von Hardensburgh 55 Meilen entfernt
iſt. Die Tauben zogen noch immer in unverringerter Anzahl dahin, und ſo ging es drei Tage
ununterbrochen fort.“
„Das ganze Volk war in Waſſen. An den Ufern des Ohio wimmelten Männer und Knaben
durch einander und ſchoſſen ohne Unterlaß unter die fremden Gäſte, welche hier, als ſie den Fluß
kreuzen wollten, niedriger flogen. Maſſen von ihnen wurden vernichtet, eine Woche und länger
genoß die Bevölkerung Nichts als das Fleiſch oder das Fett der Tauben, und es war von Nichts, als
von Wildtauben die Rede. Die Luft war währenddem geſättigt von der eigenthümlichen Aus-
dünſtung, welche dieſer Art eigen iſt.“
„Es iſt höchſt anziehend, zu ſehen, daß ein Schwarm nach dem andern genau dieſelben Schwen-
kungen ausführt, wie der vorhergehende. Wenn z. B. ein Raubvogel an einer gewiſſen Stelle unter
einen ſolchen Zug geſtoßen hatte, beſchrieb der folgende an derſelben Stelle die gleichen Winkelzüge,
Krümmungen und Wellenlinien, welche der angegriffene Zug, in ſeinem Beſtreben, der gefürchteten
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/297>, abgerufen am 28.11.2024.
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