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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Ein Blick auf das Leben der Gesammtheit.

"Der Vogel lebt eine kurze Kindheit, aber eine lange Jugendzeit, wenn auch nicht gerade im
Verhältniß zu dem Alter, welches er erreicht. Allerdings ist sein Wachsthum rasch beendet und er
schon wenige Wochen nach dem Eintritte in die Welt befähigt, deren Treiben und Drängen, Fordern
und Anstürmen die Brust zu bieten; aber eine lange Zeit muß vergangen sein, ehe er seinen Eltern
gleich da steht." Er entwickelt sich, wie wir Alle wissen, aus dem Eie, und zwar durch die Wärme,
welche die brütenden Eltern oder die brütende Mutter, gährende Pflanzenstoffe oder die Sonne diesem
spenden. Nach der Befruchtung tritt eines der Dotterkörperchen, welche am Eierstocke hängen, aus
der Mitte der übrigen heraus, nimmt aus dem Blute alle dem Dotter zukommende Stoffe auf, wird
dadurch selbst zum Dotter und wächst bis zu dessen Größe heran, trennt sich sodann und gelangt nun
in den Eileiter, welcher während der Legezeit eine erhöhte Thätigkeit bekundet, namentlich das Eiweiß
absondert. Beide, Dotter und Eiweiß, werden durch Zusammenziehungen des Eileiters vorwärts
bewegt, gelangen in die untere Erweiterung desselben oder in die sogenannte Gebärmutter, nehmen
hier die Eigestalt an und erhalten die Eischalenhaut und die Kalkschale. Letztere, welche anfangs
weichbreiig und kleberig ist, erhärtet rasch und vollendet den Aufbau des Eies. Durch Zusammen-
ziehung der Muskelfasern der Gebärmutter wird dieses, mit der Spitze voran, gegen die Mündung
der Scheide, in diese und die Kloake bewegt, hier wahrscheinlich gefärbt und sodann durch den After
ausgestoßen. Größe und Gestalt des Eies, welche wohl durch den Bau der Gebärmutter bedingt
werden, sind sehr verschieden. Erstere ist in der Regel dem Umfange des Körpers der Mutter
insofern angemessen, als das Ei einen gewissen Gewichtstheil des Körpers beträgt, schwankt aber
erheblich: denn es gibt Vögel, welche verhältnißmäßig sehr große, und andere, welche verhältnißmäßig
sehr kleine Eier legen; die Gestalt weicht von der des Hühnereies gewöhnlich nicht auffällig ab, geht
jedoch bei einzelnen mehr ins Kreisel- oder Birnenförmige, bei anderen mehr ins Walzige über.
Ueber die Färbung der Eier läßt sich im allgemeinen wenig, nur ungefähr soviel sagen, daß diejenigen
Eier, welche in Höhlungen gelegt werden, meist weiß oder doch einfarbig, die, welche in offene Nester
zu liegen kommen, getüpfelt sind. Die Anzahl der Eier, welche ein Vogel legt, schwankt von eins
bis vierundzwanzig; Gelege von vier bis sechs Eiern dürften am häufigsten vorkommen.

Sobald das Weibchen die gehörige Anzahl von Eiern gelegt hat, beginnt das Brüten. Die
Mutter bleibt auf dem Neste sitzen, angespornt durch einen gleichsam fieberhaften Zustand, und spendet
nun, entweder allein oder abwechselnd mit ihrem Gatten, dem im Eie eingebetteten Keime die Wärme
ihrer Brust, macht sich auch wohl zeitweilig die Sonnenstrahlen oder die durch Gährung faulender
Pflanzenstoffe sich erzeugende Wärme nutzbar. Je nach der Witterung werden die Eier früher oder
später gezeitigt; die Zeitschwankungen sind jedoch bei den einzelnen Arten nicht besonders erheblich.
Anders verhält es sich, wie zu erwarten, rücksichtlich der Brutdauer bei den verschiedenen Arten: ein
Strauß brütet selbstverständlich länger als ein Kolibri, jener fünfundfunfzig bis sechzig, dieser zehn
bis zwölf Tage. Achtzehn bis sechsundzwanzig Tage mögen als eine mittlere Zeit angesehen werden.

Zur Bildung und Entwicklung des Keimes im Eie ist eine Wärme von 30 bis 32 Grad R.
Bedingung. Sie braucht nicht von der Brust des mütterlichen Vogels auszustrahlen, sondern kann,
mit gewissen Beschränkungen, beliebig ersetzt werden. Plinius erzählt, daß die Julia Augusta,
des Tiberius Gemahlin, in ihrem Busen Eier ausgebrütet habe, und die alten Egypter wußten
bereits vor Tausenden von Jahren, daß man die brütende Henne durch künstlich erzeugte, gleichmäßig
unterhaltene Wärme ersetzen könne. Dreißig Grad Wärme einundzwanzig Tage lang gleichmäßig
unterhalten und in geeigneter Weise zur Einwirkung auf ein befruchtendes Hühnerei gebracht, liefert
fast unfehlbar ein Küchlein. Stoffwechsel, insbesondere Zutritt der Luft ist zur Ausbildung des
Keimes unerläßliche Bedingung: ein Ei, welches keinen Sauerstoff aufnehmen kann, geht stets
zu Grunde.

Die Einwirkung der Wärme ist schon nach wenigen Stunden ersichtlich. Zwölf Stunden nach
Beginn der Bebrütung eines Haushuhneies wird die Narbe oder der Hahnentritt länglicher; die ihn
umgebenden weißlichen Ringe vergrößern sich und nehmen an Anzahl zu. Am zweiten Tage macht

Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.

„Der Vogel lebt eine kurze Kindheit, aber eine lange Jugendzeit, wenn auch nicht gerade im
Verhältniß zu dem Alter, welches er erreicht. Allerdings iſt ſein Wachsthum raſch beendet und er
ſchon wenige Wochen nach dem Eintritte in die Welt befähigt, deren Treiben und Drängen, Fordern
und Anſtürmen die Bruſt zu bieten; aber eine lange Zeit muß vergangen ſein, ehe er ſeinen Eltern
gleich da ſteht.“ Er entwickelt ſich, wie wir Alle wiſſen, aus dem Eie, und zwar durch die Wärme,
welche die brütenden Eltern oder die brütende Mutter, gährende Pflanzenſtoffe oder die Sonne dieſem
ſpenden. Nach der Befruchtung tritt eines der Dotterkörperchen, welche am Eierſtocke hängen, aus
der Mitte der übrigen heraus, nimmt aus dem Blute alle dem Dotter zukommende Stoffe auf, wird
dadurch ſelbſt zum Dotter und wächſt bis zu deſſen Größe heran, trennt ſich ſodann und gelangt nun
in den Eileiter, welcher während der Legezeit eine erhöhte Thätigkeit bekundet, namentlich das Eiweiß
abſondert. Beide, Dotter und Eiweiß, werden durch Zuſammenziehungen des Eileiters vorwärts
bewegt, gelangen in die untere Erweiterung deſſelben oder in die ſogenannte Gebärmutter, nehmen
hier die Eigeſtalt an und erhalten die Eiſchalenhaut und die Kalkſchale. Letztere, welche anfangs
weichbreiig und kleberig iſt, erhärtet raſch und vollendet den Aufbau des Eies. Durch Zuſammen-
ziehung der Muskelfaſern der Gebärmutter wird dieſes, mit der Spitze voran, gegen die Mündung
der Scheide, in dieſe und die Kloake bewegt, hier wahrſcheinlich gefärbt und ſodann durch den After
ausgeſtoßen. Größe und Geſtalt des Eies, welche wohl durch den Bau der Gebärmutter bedingt
werden, ſind ſehr verſchieden. Erſtere iſt in der Regel dem Umfange des Körpers der Mutter
inſofern angemeſſen, als das Ei einen gewiſſen Gewichtstheil des Körpers beträgt, ſchwankt aber
erheblich: denn es gibt Vögel, welche verhältnißmäßig ſehr große, und andere, welche verhältnißmäßig
ſehr kleine Eier legen; die Geſtalt weicht von der des Hühnereies gewöhnlich nicht auffällig ab, geht
jedoch bei einzelnen mehr ins Kreiſel- oder Birnenförmige, bei anderen mehr ins Walzige über.
Ueber die Färbung der Eier läßt ſich im allgemeinen wenig, nur ungefähr ſoviel ſagen, daß diejenigen
Eier, welche in Höhlungen gelegt werden, meiſt weiß oder doch einfarbig, die, welche in offene Neſter
zu liegen kommen, getüpfelt ſind. Die Anzahl der Eier, welche ein Vogel legt, ſchwankt von eins
bis vierundzwanzig; Gelege von vier bis ſechs Eiern dürften am häufigſten vorkommen.

Sobald das Weibchen die gehörige Anzahl von Eiern gelegt hat, beginnt das Brüten. Die
Mutter bleibt auf dem Neſte ſitzen, angeſpornt durch einen gleichſam fieberhaften Zuſtand, und ſpendet
nun, entweder allein oder abwechſelnd mit ihrem Gatten, dem im Eie eingebetteten Keime die Wärme
ihrer Bruſt, macht ſich auch wohl zeitweilig die Sonnenſtrahlen oder die durch Gährung faulender
Pflanzenſtoffe ſich erzeugende Wärme nutzbar. Je nach der Witterung werden die Eier früher oder
ſpäter gezeitigt; die Zeitſchwankungen ſind jedoch bei den einzelnen Arten nicht beſonders erheblich.
Anders verhält es ſich, wie zu erwarten, rückſichtlich der Brutdauer bei den verſchiedenen Arten: ein
Strauß brütet ſelbſtverſtändlich länger als ein Kolibri, jener fünfundfunfzig bis ſechzig, dieſer zehn
bis zwölf Tage. Achtzehn bis ſechsundzwanzig Tage mögen als eine mittlere Zeit angeſehen werden.

Zur Bildung und Entwicklung des Keimes im Eie iſt eine Wärme von 30 bis 32 Grad R.
Bedingung. Sie braucht nicht von der Bruſt des mütterlichen Vogels auszuſtrahlen, ſondern kann,
mit gewiſſen Beſchränkungen, beliebig erſetzt werden. Plinius erzählt, daß die Julia Auguſta,
des Tiberius Gemahlin, in ihrem Buſen Eier ausgebrütet habe, und die alten Egypter wußten
bereits vor Tauſenden von Jahren, daß man die brütende Henne durch künſtlich erzeugte, gleichmäßig
unterhaltene Wärme erſetzen könne. Dreißig Grad Wärme einundzwanzig Tage lang gleichmäßig
unterhalten und in geeigneter Weiſe zur Einwirkung auf ein befruchtendes Hühnerei gebracht, liefert
faſt unfehlbar ein Küchlein. Stoffwechſel, insbeſondere Zutritt der Luft iſt zur Ausbildung des
Keimes unerläßliche Bedingung: ein Ei, welches keinen Sauerſtoff aufnehmen kann, geht ſtets
zu Grunde.

Die Einwirkung der Wärme iſt ſchon nach wenigen Stunden erſichtlich. Zwölf Stunden nach
Beginn der Bebrütung eines Haushuhneies wird die Narbe oder der Hahnentritt länglicher; die ihn
umgebenden weißlichen Ringe vergrößern ſich und nehmen an Anzahl zu. Am zweiten Tage macht

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[986/1040] Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit. „Der Vogel lebt eine kurze Kindheit, aber eine lange Jugendzeit, wenn auch nicht gerade im Verhältniß zu dem Alter, welches er erreicht. Allerdings iſt ſein Wachsthum raſch beendet und er ſchon wenige Wochen nach dem Eintritte in die Welt befähigt, deren Treiben und Drängen, Fordern und Anſtürmen die Bruſt zu bieten; aber eine lange Zeit muß vergangen ſein, ehe er ſeinen Eltern gleich da ſteht.“ Er entwickelt ſich, wie wir Alle wiſſen, aus dem Eie, und zwar durch die Wärme, welche die brütenden Eltern oder die brütende Mutter, gährende Pflanzenſtoffe oder die Sonne dieſem ſpenden. Nach der Befruchtung tritt eines der Dotterkörperchen, welche am Eierſtocke hängen, aus der Mitte der übrigen heraus, nimmt aus dem Blute alle dem Dotter zukommende Stoffe auf, wird dadurch ſelbſt zum Dotter und wächſt bis zu deſſen Größe heran, trennt ſich ſodann und gelangt nun in den Eileiter, welcher während der Legezeit eine erhöhte Thätigkeit bekundet, namentlich das Eiweiß abſondert. Beide, Dotter und Eiweiß, werden durch Zuſammenziehungen des Eileiters vorwärts bewegt, gelangen in die untere Erweiterung deſſelben oder in die ſogenannte Gebärmutter, nehmen hier die Eigeſtalt an und erhalten die Eiſchalenhaut und die Kalkſchale. Letztere, welche anfangs weichbreiig und kleberig iſt, erhärtet raſch und vollendet den Aufbau des Eies. Durch Zuſammen- ziehung der Muskelfaſern der Gebärmutter wird dieſes, mit der Spitze voran, gegen die Mündung der Scheide, in dieſe und die Kloake bewegt, hier wahrſcheinlich gefärbt und ſodann durch den After ausgeſtoßen. Größe und Geſtalt des Eies, welche wohl durch den Bau der Gebärmutter bedingt werden, ſind ſehr verſchieden. Erſtere iſt in der Regel dem Umfange des Körpers der Mutter inſofern angemeſſen, als das Ei einen gewiſſen Gewichtstheil des Körpers beträgt, ſchwankt aber erheblich: denn es gibt Vögel, welche verhältnißmäßig ſehr große, und andere, welche verhältnißmäßig ſehr kleine Eier legen; die Geſtalt weicht von der des Hühnereies gewöhnlich nicht auffällig ab, geht jedoch bei einzelnen mehr ins Kreiſel- oder Birnenförmige, bei anderen mehr ins Walzige über. Ueber die Färbung der Eier läßt ſich im allgemeinen wenig, nur ungefähr ſoviel ſagen, daß diejenigen Eier, welche in Höhlungen gelegt werden, meiſt weiß oder doch einfarbig, die, welche in offene Neſter zu liegen kommen, getüpfelt ſind. Die Anzahl der Eier, welche ein Vogel legt, ſchwankt von eins bis vierundzwanzig; Gelege von vier bis ſechs Eiern dürften am häufigſten vorkommen. Sobald das Weibchen die gehörige Anzahl von Eiern gelegt hat, beginnt das Brüten. Die Mutter bleibt auf dem Neſte ſitzen, angeſpornt durch einen gleichſam fieberhaften Zuſtand, und ſpendet nun, entweder allein oder abwechſelnd mit ihrem Gatten, dem im Eie eingebetteten Keime die Wärme ihrer Bruſt, macht ſich auch wohl zeitweilig die Sonnenſtrahlen oder die durch Gährung faulender Pflanzenſtoffe ſich erzeugende Wärme nutzbar. Je nach der Witterung werden die Eier früher oder ſpäter gezeitigt; die Zeitſchwankungen ſind jedoch bei den einzelnen Arten nicht beſonders erheblich. Anders verhält es ſich, wie zu erwarten, rückſichtlich der Brutdauer bei den verſchiedenen Arten: ein Strauß brütet ſelbſtverſtändlich länger als ein Kolibri, jener fünfundfunfzig bis ſechzig, dieſer zehn bis zwölf Tage. Achtzehn bis ſechsundzwanzig Tage mögen als eine mittlere Zeit angeſehen werden. Zur Bildung und Entwicklung des Keimes im Eie iſt eine Wärme von 30 bis 32 Grad R. Bedingung. Sie braucht nicht von der Bruſt des mütterlichen Vogels auszuſtrahlen, ſondern kann, mit gewiſſen Beſchränkungen, beliebig erſetzt werden. Plinius erzählt, daß die Julia Auguſta, des Tiberius Gemahlin, in ihrem Buſen Eier ausgebrütet habe, und die alten Egypter wußten bereits vor Tauſenden von Jahren, daß man die brütende Henne durch künſtlich erzeugte, gleichmäßig unterhaltene Wärme erſetzen könne. Dreißig Grad Wärme einundzwanzig Tage lang gleichmäßig unterhalten und in geeigneter Weiſe zur Einwirkung auf ein befruchtendes Hühnerei gebracht, liefert faſt unfehlbar ein Küchlein. Stoffwechſel, insbeſondere Zutritt der Luft iſt zur Ausbildung des Keimes unerläßliche Bedingung: ein Ei, welches keinen Sauerſtoff aufnehmen kann, geht ſtets zu Grunde. Die Einwirkung der Wärme iſt ſchon nach wenigen Stunden erſichtlich. Zwölf Stunden nach Beginn der Bebrütung eines Haushuhneies wird die Narbe oder der Hahnentritt länglicher; die ihn umgebenden weißlichen Ringe vergrößern ſich und nehmen an Anzahl zu. Am zweiten Tage macht

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 986. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/1040>, abgerufen am 23.11.2024.