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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Die Späher. Klettervögel. Wendehälse.

Bei uns zu Lande euscheint der Wendehals erst, wenn der Frühling vollständig eingezogen ist,
und er verläßt uns bereits wieder, bevor noch der Sommer ganz vorübergegangen. Seine Reisen
werden des Nachts ausgeführt, und zwar sammeln sich im Herbst kleine Gesellschaften, welche den
weiten Weg gemeinschaftlich zurücklegen, während die rückkehrenden vereinzelt ziehen. Doch sieht man
auch im Frühlinge noch in Egypten oder Spanien an besonders günstigen Plätzen mehrere dieser sonst
ungeselligen Vögel beisammen. Zu seinem Wohngebiet bevorzugt der Wendehals Gegenden, welche
reich an Bäumen, aber doch nicht gänzlich bewaldet sind. Feldgehölze, zusammenhängende Gebüsche
oder Obstbaumpflanzungen sind seine liebsten Wohnsitze. Er scheut den Menschen nicht und siedelt
sich gern in unmittelbarer Nähe von Häusern, z. B. in Gärten an, falls hier nur einer der Bäume
eine geeignete Höhlung besitzt, welche ihm zur Brutstelle dienen kann. Jnnerhalb seines Gebiets

[Abbildung] Der Wendehals (Jynx torquilla). 1/2 der nat. Größe.
macht er sich wenigstens im Frühling leicht bemerklich; denn seine Stimme ist nicht zu verkennen, und
sie fällt umsomehr auf, als das Weibchen dem rufenden Männchen regelmäßig zu antworten pflegt.
Geht man dem oft zwanzigmal nach einander ausgestoßenen "Wii id wii id" nach, so wird man den
sonderbaren Vogel bald bemerken. Er sitzt entweder auf den Zweigen eines Baumes, auch wohl
angeklammert am Stamme desselben oder auf dem Boden, hier wie dort ziemlich ruhig, obgleich keines-
wegs bewegungslos; denn sobald er sich beobachtet sieht, bethätigt er zum Mindesten seinen Namen.
Man kann nicht sagen, daß er schwerfällig oder ungeschickt wäre: er ist aber träge und bewegt sich nur,
wenn Dies unumgänglich nöthig ist. Von der Rastlosigkeit und Hurtigkeit der Spechte oder anderer
Klettervögel bekundet er Nichts mehr. Seine Kletterfüße dienen ihm nur zum Anklammern; zum
Steigen scheinen sie unbrauchbar zu sein. Auf dem Boden hüpft er mit täppischen Sprüngen umher,

Die Späher. Klettervögel. Wendehälſe.

Bei uns zu Lande euſcheint der Wendehals erſt, wenn der Frühling vollſtändig eingezogen iſt,
und er verläßt uns bereits wieder, bevor noch der Sommer ganz vorübergegangen. Seine Reiſen
werden des Nachts ausgeführt, und zwar ſammeln ſich im Herbſt kleine Geſellſchaften, welche den
weiten Weg gemeinſchaftlich zurücklegen, während die rückkehrenden vereinzelt ziehen. Doch ſieht man
auch im Frühlinge noch in Egypten oder Spanien an beſonders günſtigen Plätzen mehrere dieſer ſonſt
ungeſelligen Vögel beiſammen. Zu ſeinem Wohngebiet bevorzugt der Wendehals Gegenden, welche
reich an Bäumen, aber doch nicht gänzlich bewaldet ſind. Feldgehölze, zuſammenhängende Gebüſche
oder Obſtbaumpflanzungen ſind ſeine liebſten Wohnſitze. Er ſcheut den Menſchen nicht und ſiedelt
ſich gern in unmittelbarer Nähe von Häuſern, z. B. in Gärten an, falls hier nur einer der Bäume
eine geeignete Höhlung beſitzt, welche ihm zur Brutſtelle dienen kann. Jnnerhalb ſeines Gebiets

[Abbildung] Der Wendehals (Jynx torquilla). ½ der nat. Größe.
macht er ſich wenigſtens im Frühling leicht bemerklich; denn ſeine Stimme iſt nicht zu verkennen, und
ſie fällt umſomehr auf, als das Weibchen dem rufenden Männchen regelmäßig zu antworten pflegt.
Geht man dem oft zwanzigmal nach einander ausgeſtoßenen „Wii id wii id“ nach, ſo wird man den
ſonderbaren Vogel bald bemerken. Er ſitzt entweder auf den Zweigen eines Baumes, auch wohl
angeklammert am Stamme deſſelben oder auf dem Boden, hier wie dort ziemlich ruhig, obgleich keines-
wegs bewegungslos; denn ſobald er ſich beobachtet ſieht, bethätigt er zum Mindeſten ſeinen Namen.
Man kann nicht ſagen, daß er ſchwerfällig oder ungeſchickt wäre: er iſt aber träge und bewegt ſich nur,
wenn Dies unumgänglich nöthig iſt. Von der Raſtloſigkeit und Hurtigkeit der Spechte oder anderer
Klettervögel bekundet er Nichts mehr. Seine Kletterfüße dienen ihm nur zum Anklammern; zum
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[90/0104] Die Späher. Klettervögel. Wendehälſe. Bei uns zu Lande euſcheint der Wendehals erſt, wenn der Frühling vollſtändig eingezogen iſt, und er verläßt uns bereits wieder, bevor noch der Sommer ganz vorübergegangen. Seine Reiſen werden des Nachts ausgeführt, und zwar ſammeln ſich im Herbſt kleine Geſellſchaften, welche den weiten Weg gemeinſchaftlich zurücklegen, während die rückkehrenden vereinzelt ziehen. Doch ſieht man auch im Frühlinge noch in Egypten oder Spanien an beſonders günſtigen Plätzen mehrere dieſer ſonſt ungeſelligen Vögel beiſammen. Zu ſeinem Wohngebiet bevorzugt der Wendehals Gegenden, welche reich an Bäumen, aber doch nicht gänzlich bewaldet ſind. Feldgehölze, zuſammenhängende Gebüſche oder Obſtbaumpflanzungen ſind ſeine liebſten Wohnſitze. Er ſcheut den Menſchen nicht und ſiedelt ſich gern in unmittelbarer Nähe von Häuſern, z. B. in Gärten an, falls hier nur einer der Bäume eine geeignete Höhlung beſitzt, welche ihm zur Brutſtelle dienen kann. Jnnerhalb ſeines Gebiets [Abbildung Der Wendehals (Jynx torquilla). ½ der nat. Größe.] macht er ſich wenigſtens im Frühling leicht bemerklich; denn ſeine Stimme iſt nicht zu verkennen, und ſie fällt umſomehr auf, als das Weibchen dem rufenden Männchen regelmäßig zu antworten pflegt. Geht man dem oft zwanzigmal nach einander ausgeſtoßenen „Wii id wii id“ nach, ſo wird man den ſonderbaren Vogel bald bemerken. Er ſitzt entweder auf den Zweigen eines Baumes, auch wohl angeklammert am Stamme deſſelben oder auf dem Boden, hier wie dort ziemlich ruhig, obgleich keines- wegs bewegungslos; denn ſobald er ſich beobachtet ſieht, bethätigt er zum Mindeſten ſeinen Namen. Man kann nicht ſagen, daß er ſchwerfällig oder ungeſchickt wäre: er iſt aber träge und bewegt ſich nur, wenn Dies unumgänglich nöthig iſt. Von der Raſtloſigkeit und Hurtigkeit der Spechte oder anderer Klettervögel bekundet er Nichts mehr. Seine Kletterfüße dienen ihm nur zum Anklammern; zum Steigen ſcheinen ſie unbrauchbar zu ſein. Auf dem Boden hüpft er mit täppiſchen Sprüngen umher,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/104>, abgerufen am 23.11.2024.