Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Läufer. Scharrvögel. Kammhühner.
nicht mittheilen; man hat mir jedoch von verschiedener Seite versichert, daß jung Aufgezogene wieder-
holt Eier gelegt haben." Jn Europa ist dieses Huhn meines Wissens bis jetzt noch nicht zur Fort-
pflanzung gebracht worden, obgleich man sich große Mühe gegeben hat, eine solche zu erzielen.

Es wird uns ewig räthselhaft bleiben, wie es der Mensch anfing, die freiheitliebenden Wildhühner
zu vollendeten Sklaven zu machen. Keine Geschichte, keine Sage gibt uns über die Zeit der ersten
Zähmung Kunde. Schon die ältesten Schriften erwähnen das Haushuhn als einen Niemand mehr
auffallenden Vogel. Von Jndien aus wurde es über alle Theile der östlichen Erde verbreitet. Die
ersten Seefahrer, welche die Jnseln des stillen Meeres besuchten, fanden es hier bereits vor; in
geschichtlicher Zeit wurde es nur in Amerika eingeführt. Besonders beachtungswerth scheint mir zu
sein, daß es nirgends verwilderte. Man hat Versuche gemacht, es in geeigneten Gegenden einzu-
bürgern, d. h. Waldungen mit ihm zu bevölkern, um in ihm ein Wild zu gewinnen: die Versuche sind
jedoch regelmäßig fehlgeschlagen. Jn den Steppendörfern Jnnerafrikas und selbst um die mitten
im Walde gelegenen Hütten lebt das Haushuhn massenhaft, fast ohne Pflege der Menschen. Es muß
sich sein Futter selbst suchen; es brütet unter einem ihm passend scheinenden Busche oft in einiger
Entfernung von der Hütte seines Besitzers; es schläft nachts im Walde auf Bäumen: aber nirgends
habe ich es verwildert gesehen; es kehrt immer und immer wieder zum Hause des Menschen zurück.
Die verschiedensten Umstände erträgt es mit einer bewunderungswürdigen Fügsamkeit. Unter einem
ihm eigentlich fremden Klima behält es sein Wesen bei, und nur in sehr hohen Gebirgen oder im
äußersten Norden soll es an Fruchtbarkeit verlieren; da aber, wo der Mensch sich seßhaft gemacht hat,
kommt es wenigstens fort: es ist eben zum vollständigen Hausthiere geworden.

Die kaum zu bestreitende Thatsache, daß die verschiedenen Arten der Wildhühner unter einander
sich vermischen, und die Leichtigkeit, mit welcher sich das Haushuhn verwandten Vögeln, z. B. Fasanen,
anpaart, deuten darauf hin, daß nicht alle sogenannten Rassen von einer einzigen Stammart herzu-
leiten, sondern als Abkömmlinge verschiedener Urarten zu betrachten sind. Jm Laufe der Zeit haben
die so entstandenen Rassen eine gewisse Selbständigkeit erhalten, und so ist die Manchfaltigkeit der
Formen entstanden, welche wir jetzt auf unsern Hühnerhöfen bewundern. Diese Annahme ist zum
mindesten wahrscheinlich, und mit ihr müssen wir uns wohl auch begnügen, wenn wir jene Manchfaltig-
keit erklären wollen, da uns die auf Beobachtung gestützte Sicherheit gänzlich fehlt. Jch möchte mich
gern den vielen Liebhabern unserer vortrefflichen Vögel verpflichten und ihnen wenigstens die aus-
gezeichnetsten Rassen der Haushühner beschreiben; damit aber würde ich die mir gesteckten Grenzen
weit überschreiten. Dagegen will ich wenigstens einigen meiner Leser eine kurze Schilderung des
Wesens der Haushühner nicht vorenthalten, und wenn ich mich dazu der Worte Anderer bediene, so
geschieht es einfach deshalb, weil ich jene Worte für ein unantastbares Eigenthum halte, welches ich
nicht umgestalten darf.

"Ein recht schöner, stolzer und kühner Hahn", sagt Lenz, "ist unter allen Vögeln der interessan-
teste. Hoch trägt er sein gekröntes Haupt, nach allen Seiten spähen seine feurigen Augen, unver-
muthet überrascht ihn keine Gefahr, und jeder möchte er Trotz bieten. Wehe jedem Nebenbuhler, der
es wagt, sich unter seine Hennen zu mischen, und wehe jedem Menschen, der es wagt, in seiner Gegen-
wart ihm eine seiner Geliebten zu rauben! Alle seine Gedanken weiß er durch verschiedene Töne und
verschiedene Stellungen des Körpers auszudrücken. Bald hört man ihn mit lauter Stimme seine
Lieben rufen, wenn er ein Körnchen gefunden hat; denn er theilt mit ihnen jeden Fund; bald sieht
man ihn in einem Eckchen kauern, wo er eifrig bemüht ist, ein Nestchen für die Henne zu bilden, die
er vor allen liebt. Jetzt zieht er an der Spitze seiner Schar, deren Beschützer und Führer er ist,
hinaus ins Freie; aber kaum hat er hundert Schritte gethan, so hört er vom Stalle her den freudigen
Ruf einer Henne, welche verkündet, daß sie ein Ei gelegt hat; spornstreichs kehrt er zurück, begrüßt sie
mit zärtlichen Blicken, stimmt in ihren Freudenruf ein, und eilt dann in vollem Laufe dem ausgezogenen
Heere nach, um sich wieder an dessen Spitze zu stellen. Die geringste Veränderung der Luft fühlt er

Die Läufer. Scharrvögel. Kammhühner.
nicht mittheilen; man hat mir jedoch von verſchiedener Seite verſichert, daß jung Aufgezogene wieder-
holt Eier gelegt haben.“ Jn Europa iſt dieſes Huhn meines Wiſſens bis jetzt noch nicht zur Fort-
pflanzung gebracht worden, obgleich man ſich große Mühe gegeben hat, eine ſolche zu erzielen.

Es wird uns ewig räthſelhaft bleiben, wie es der Menſch anfing, die freiheitliebenden Wildhühner
zu vollendeten Sklaven zu machen. Keine Geſchichte, keine Sage gibt uns über die Zeit der erſten
Zähmung Kunde. Schon die älteſten Schriften erwähnen das Haushuhn als einen Niemand mehr
auffallenden Vogel. Von Jndien aus wurde es über alle Theile der öſtlichen Erde verbreitet. Die
erſten Seefahrer, welche die Jnſeln des ſtillen Meeres beſuchten, fanden es hier bereits vor; in
geſchichtlicher Zeit wurde es nur in Amerika eingeführt. Beſonders beachtungswerth ſcheint mir zu
ſein, daß es nirgends verwilderte. Man hat Verſuche gemacht, es in geeigneten Gegenden einzu-
bürgern, d. h. Waldungen mit ihm zu bevölkern, um in ihm ein Wild zu gewinnen: die Verſuche ſind
jedoch regelmäßig fehlgeſchlagen. Jn den Steppendörfern Jnnerafrikas und ſelbſt um die mitten
im Walde gelegenen Hütten lebt das Haushuhn maſſenhaft, faſt ohne Pflege der Menſchen. Es muß
ſich ſein Futter ſelbſt ſuchen; es brütet unter einem ihm paſſend ſcheinenden Buſche oft in einiger
Entfernung von der Hütte ſeines Beſitzers; es ſchläft nachts im Walde auf Bäumen: aber nirgends
habe ich es verwildert geſehen; es kehrt immer und immer wieder zum Hauſe des Menſchen zurück.
Die verſchiedenſten Umſtände erträgt es mit einer bewunderungswürdigen Fügſamkeit. Unter einem
ihm eigentlich fremden Klima behält es ſein Weſen bei, und nur in ſehr hohen Gebirgen oder im
äußerſten Norden ſoll es an Fruchtbarkeit verlieren; da aber, wo der Menſch ſich ſeßhaft gemacht hat,
kommt es wenigſtens fort: es iſt eben zum vollſtändigen Hausthiere geworden.

Die kaum zu beſtreitende Thatſache, daß die verſchiedenen Arten der Wildhühner unter einander
ſich vermiſchen, und die Leichtigkeit, mit welcher ſich das Haushuhn verwandten Vögeln, z. B. Faſanen,
anpaart, deuten darauf hin, daß nicht alle ſogenannten Raſſen von einer einzigen Stammart herzu-
leiten, ſondern als Abkömmlinge verſchiedener Urarten zu betrachten ſind. Jm Laufe der Zeit haben
die ſo entſtandenen Raſſen eine gewiſſe Selbſtändigkeit erhalten, und ſo iſt die Manchfaltigkeit der
Formen entſtanden, welche wir jetzt auf unſern Hühnerhöfen bewundern. Dieſe Annahme iſt zum
mindeſten wahrſcheinlich, und mit ihr müſſen wir uns wohl auch begnügen, wenn wir jene Manchfaltig-
keit erklären wollen, da uns die auf Beobachtung geſtützte Sicherheit gänzlich fehlt. Jch möchte mich
gern den vielen Liebhabern unſerer vortrefflichen Vögel verpflichten und ihnen wenigſtens die aus-
gezeichnetſten Raſſen der Haushühner beſchreiben; damit aber würde ich die mir geſteckten Grenzen
weit überſchreiten. Dagegen will ich wenigſtens einigen meiner Leſer eine kurze Schilderung des
Weſens der Haushühner nicht vorenthalten, und wenn ich mich dazu der Worte Anderer bediene, ſo
geſchieht es einfach deshalb, weil ich jene Worte für ein unantaſtbares Eigenthum halte, welches ich
nicht umgeſtalten darf.

„Ein recht ſchöner, ſtolzer und kühner Hahn“, ſagt Lenz, „iſt unter allen Vögeln der intereſſan-
teſte. Hoch trägt er ſein gekröntes Haupt, nach allen Seiten ſpähen ſeine feurigen Augen, unver-
muthet überraſcht ihn keine Gefahr, und jeder möchte er Trotz bieten. Wehe jedem Nebenbuhler, der
es wagt, ſich unter ſeine Hennen zu miſchen, und wehe jedem Menſchen, der es wagt, in ſeiner Gegen-
wart ihm eine ſeiner Geliebten zu rauben! Alle ſeine Gedanken weiß er durch verſchiedene Töne und
verſchiedene Stellungen des Körpers auszudrücken. Bald hört man ihn mit lauter Stimme ſeine
Lieben rufen, wenn er ein Körnchen gefunden hat; denn er theilt mit ihnen jeden Fund; bald ſieht
man ihn in einem Eckchen kauern, wo er eifrig bemüht iſt, ein Neſtchen für die Henne zu bilden, die
er vor allen liebt. Jetzt zieht er an der Spitze ſeiner Schar, deren Beſchützer und Führer er iſt,
hinaus ins Freie; aber kaum hat er hundert Schritte gethan, ſo hört er vom Stalle her den freudigen
Ruf einer Henne, welche verkündet, daß ſie ein Ei gelegt hat; ſpornſtreichs kehrt er zurück, begrüßt ſie
mit zärtlichen Blicken, ſtimmt in ihren Freudenruf ein, und eilt dann in vollem Laufe dem ausgezogenen
Heere nach, um ſich wieder an deſſen Spitze zu ſtellen. Die geringſte Veränderung der Luft fühlt er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0474" n="446"/><fw place="top" type="header">Die Läufer. Scharrvögel. Kammhühner.</fw><lb/>
nicht mittheilen; man hat mir jedoch von ver&#x017F;chiedener Seite ver&#x017F;ichert, daß jung Aufgezogene wieder-<lb/>
holt Eier gelegt haben.&#x201C; Jn Europa i&#x017F;t die&#x017F;es Huhn meines Wi&#x017F;&#x017F;ens bis jetzt noch nicht zur Fort-<lb/>
pflanzung gebracht worden, obgleich man &#x017F;ich große Mühe gegeben hat, eine &#x017F;olche zu erzielen.</p><lb/>
          <p>Es wird uns ewig räth&#x017F;elhaft bleiben, wie es der Men&#x017F;ch anfing, die freiheitliebenden Wildhühner<lb/>
zu vollendeten Sklaven zu machen. Keine Ge&#x017F;chichte, keine Sage gibt uns über die Zeit der er&#x017F;ten<lb/>
Zähmung Kunde. Schon die älte&#x017F;ten Schriften erwähnen das Haushuhn als einen Niemand mehr<lb/>
auffallenden Vogel. Von Jndien aus wurde es über alle Theile der ö&#x017F;tlichen Erde verbreitet. Die<lb/>
er&#x017F;ten Seefahrer, welche die Jn&#x017F;eln des &#x017F;tillen Meeres be&#x017F;uchten, fanden es hier bereits vor; in<lb/>
ge&#x017F;chichtlicher Zeit wurde es nur in Amerika eingeführt. Be&#x017F;onders beachtungswerth &#x017F;cheint mir zu<lb/>
&#x017F;ein, daß es nirgends verwilderte. Man hat Ver&#x017F;uche gemacht, es in geeigneten Gegenden einzu-<lb/>
bürgern, d. h. Waldungen mit ihm zu bevölkern, um in ihm ein Wild zu gewinnen: die Ver&#x017F;uche &#x017F;ind<lb/>
jedoch regelmäßig fehlge&#x017F;chlagen. Jn den Steppendörfern Jnnerafrikas und &#x017F;elb&#x017F;t um die mitten<lb/>
im Walde gelegenen Hütten lebt das Haushuhn ma&#x017F;&#x017F;enhaft, fa&#x017F;t ohne Pflege der Men&#x017F;chen. Es muß<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;ein Futter &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;uchen; es brütet unter einem ihm pa&#x017F;&#x017F;end &#x017F;cheinenden Bu&#x017F;che oft in einiger<lb/>
Entfernung von der Hütte &#x017F;eines Be&#x017F;itzers; es &#x017F;chläft nachts im Walde auf Bäumen: aber nirgends<lb/>
habe ich es verwildert ge&#x017F;ehen; es kehrt immer und immer wieder zum Hau&#x017F;e des Men&#x017F;chen zurück.<lb/>
Die ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Um&#x017F;tände erträgt es mit einer bewunderungswürdigen Füg&#x017F;amkeit. Unter einem<lb/>
ihm eigentlich fremden Klima behält es &#x017F;ein We&#x017F;en bei, und nur in &#x017F;ehr hohen Gebirgen oder im<lb/>
äußer&#x017F;ten Norden &#x017F;oll es an Fruchtbarkeit verlieren; da aber, wo der Men&#x017F;ch &#x017F;ich &#x017F;eßhaft gemacht hat,<lb/>
kommt es wenig&#x017F;tens fort: es i&#x017F;t eben zum voll&#x017F;tändigen Hausthiere geworden.</p><lb/>
          <p>Die kaum zu be&#x017F;treitende That&#x017F;ache, daß die ver&#x017F;chiedenen Arten der Wildhühner unter einander<lb/>
&#x017F;ich vermi&#x017F;chen, und die Leichtigkeit, mit welcher &#x017F;ich das Haushuhn verwandten Vögeln, z. B. Fa&#x017F;anen,<lb/>
anpaart, deuten darauf hin, daß nicht alle &#x017F;ogenannten Ra&#x017F;&#x017F;en von einer einzigen Stammart herzu-<lb/>
leiten, &#x017F;ondern als Abkömmlinge ver&#x017F;chiedener Urarten zu betrachten &#x017F;ind. Jm Laufe der Zeit haben<lb/>
die &#x017F;o ent&#x017F;tandenen Ra&#x017F;&#x017F;en eine gewi&#x017F;&#x017F;e Selb&#x017F;tändigkeit erhalten, und &#x017F;o i&#x017F;t die Manchfaltigkeit der<lb/>
Formen ent&#x017F;tanden, welche wir jetzt auf un&#x017F;ern Hühnerhöfen bewundern. Die&#x017F;e Annahme i&#x017F;t zum<lb/>
minde&#x017F;ten wahr&#x017F;cheinlich, und mit ihr mü&#x017F;&#x017F;en wir uns wohl auch begnügen, wenn wir jene Manchfaltig-<lb/>
keit erklären wollen, da uns die auf Beobachtung ge&#x017F;tützte Sicherheit gänzlich fehlt. Jch möchte mich<lb/>
gern den vielen Liebhabern un&#x017F;erer vortrefflichen Vögel verpflichten und ihnen wenig&#x017F;tens die aus-<lb/>
gezeichnet&#x017F;ten Ra&#x017F;&#x017F;en der Haushühner be&#x017F;chreiben; damit aber würde ich die mir ge&#x017F;teckten Grenzen<lb/>
weit über&#x017F;chreiten. Dagegen will ich wenig&#x017F;tens einigen meiner Le&#x017F;er eine kurze Schilderung des<lb/>
We&#x017F;ens der Haushühner nicht vorenthalten, und wenn ich mich dazu der Worte Anderer bediene, &#x017F;o<lb/>
ge&#x017F;chieht es einfach deshalb, weil ich jene Worte für ein unanta&#x017F;tbares Eigenthum halte, welches ich<lb/>
nicht umge&#x017F;talten darf.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ein recht &#x017F;chöner, &#x017F;tolzer und kühner Hahn&#x201C;, &#x017F;agt <hi rendition="#g">Lenz,</hi> &#x201E;i&#x017F;t unter allen Vögeln der intere&#x017F;&#x017F;an-<lb/>
te&#x017F;te. Hoch trägt er &#x017F;ein gekröntes Haupt, nach allen Seiten &#x017F;pähen &#x017F;eine feurigen Augen, unver-<lb/>
muthet überra&#x017F;cht ihn keine Gefahr, und jeder möchte er Trotz bieten. Wehe jedem Nebenbuhler, der<lb/>
es wagt, &#x017F;ich unter &#x017F;eine Hennen zu mi&#x017F;chen, und wehe jedem Men&#x017F;chen, der es wagt, in &#x017F;einer Gegen-<lb/>
wart ihm eine &#x017F;einer Geliebten zu rauben! Alle &#x017F;eine Gedanken weiß er durch ver&#x017F;chiedene Töne und<lb/>
ver&#x017F;chiedene Stellungen des Körpers auszudrücken. Bald hört man ihn mit lauter Stimme &#x017F;eine<lb/>
Lieben rufen, wenn er ein Körnchen gefunden hat; denn er theilt mit ihnen jeden Fund; bald &#x017F;ieht<lb/>
man ihn in einem Eckchen kauern, wo er eifrig bemüht i&#x017F;t, ein Ne&#x017F;tchen für <hi rendition="#g">die</hi> Henne zu bilden, die<lb/>
er vor allen liebt. Jetzt zieht er an der Spitze &#x017F;einer Schar, deren Be&#x017F;chützer und Führer er i&#x017F;t,<lb/>
hinaus ins Freie; aber kaum hat er hundert Schritte gethan, &#x017F;o hört er vom Stalle her den freudigen<lb/>
Ruf einer Henne, welche verkündet, daß &#x017F;ie ein Ei gelegt hat; &#x017F;porn&#x017F;treichs kehrt er zurück, begrüßt &#x017F;ie<lb/>
mit zärtlichen Blicken, &#x017F;timmt in ihren Freudenruf ein, und eilt dann in vollem Laufe dem ausgezogenen<lb/>
Heere nach, um &#x017F;ich wieder an de&#x017F;&#x017F;en Spitze zu &#x017F;tellen. Die gering&#x017F;te Veränderung der Luft fühlt er<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[446/0474] Die Läufer. Scharrvögel. Kammhühner. nicht mittheilen; man hat mir jedoch von verſchiedener Seite verſichert, daß jung Aufgezogene wieder- holt Eier gelegt haben.“ Jn Europa iſt dieſes Huhn meines Wiſſens bis jetzt noch nicht zur Fort- pflanzung gebracht worden, obgleich man ſich große Mühe gegeben hat, eine ſolche zu erzielen. Es wird uns ewig räthſelhaft bleiben, wie es der Menſch anfing, die freiheitliebenden Wildhühner zu vollendeten Sklaven zu machen. Keine Geſchichte, keine Sage gibt uns über die Zeit der erſten Zähmung Kunde. Schon die älteſten Schriften erwähnen das Haushuhn als einen Niemand mehr auffallenden Vogel. Von Jndien aus wurde es über alle Theile der öſtlichen Erde verbreitet. Die erſten Seefahrer, welche die Jnſeln des ſtillen Meeres beſuchten, fanden es hier bereits vor; in geſchichtlicher Zeit wurde es nur in Amerika eingeführt. Beſonders beachtungswerth ſcheint mir zu ſein, daß es nirgends verwilderte. Man hat Verſuche gemacht, es in geeigneten Gegenden einzu- bürgern, d. h. Waldungen mit ihm zu bevölkern, um in ihm ein Wild zu gewinnen: die Verſuche ſind jedoch regelmäßig fehlgeſchlagen. Jn den Steppendörfern Jnnerafrikas und ſelbſt um die mitten im Walde gelegenen Hütten lebt das Haushuhn maſſenhaft, faſt ohne Pflege der Menſchen. Es muß ſich ſein Futter ſelbſt ſuchen; es brütet unter einem ihm paſſend ſcheinenden Buſche oft in einiger Entfernung von der Hütte ſeines Beſitzers; es ſchläft nachts im Walde auf Bäumen: aber nirgends habe ich es verwildert geſehen; es kehrt immer und immer wieder zum Hauſe des Menſchen zurück. Die verſchiedenſten Umſtände erträgt es mit einer bewunderungswürdigen Fügſamkeit. Unter einem ihm eigentlich fremden Klima behält es ſein Weſen bei, und nur in ſehr hohen Gebirgen oder im äußerſten Norden ſoll es an Fruchtbarkeit verlieren; da aber, wo der Menſch ſich ſeßhaft gemacht hat, kommt es wenigſtens fort: es iſt eben zum vollſtändigen Hausthiere geworden. Die kaum zu beſtreitende Thatſache, daß die verſchiedenen Arten der Wildhühner unter einander ſich vermiſchen, und die Leichtigkeit, mit welcher ſich das Haushuhn verwandten Vögeln, z. B. Faſanen, anpaart, deuten darauf hin, daß nicht alle ſogenannten Raſſen von einer einzigen Stammart herzu- leiten, ſondern als Abkömmlinge verſchiedener Urarten zu betrachten ſind. Jm Laufe der Zeit haben die ſo entſtandenen Raſſen eine gewiſſe Selbſtändigkeit erhalten, und ſo iſt die Manchfaltigkeit der Formen entſtanden, welche wir jetzt auf unſern Hühnerhöfen bewundern. Dieſe Annahme iſt zum mindeſten wahrſcheinlich, und mit ihr müſſen wir uns wohl auch begnügen, wenn wir jene Manchfaltig- keit erklären wollen, da uns die auf Beobachtung geſtützte Sicherheit gänzlich fehlt. Jch möchte mich gern den vielen Liebhabern unſerer vortrefflichen Vögel verpflichten und ihnen wenigſtens die aus- gezeichnetſten Raſſen der Haushühner beſchreiben; damit aber würde ich die mir geſteckten Grenzen weit überſchreiten. Dagegen will ich wenigſtens einigen meiner Leſer eine kurze Schilderung des Weſens der Haushühner nicht vorenthalten, und wenn ich mich dazu der Worte Anderer bediene, ſo geſchieht es einfach deshalb, weil ich jene Worte für ein unantaſtbares Eigenthum halte, welches ich nicht umgeſtalten darf. „Ein recht ſchöner, ſtolzer und kühner Hahn“, ſagt Lenz, „iſt unter allen Vögeln der intereſſan- teſte. Hoch trägt er ſein gekröntes Haupt, nach allen Seiten ſpähen ſeine feurigen Augen, unver- muthet überraſcht ihn keine Gefahr, und jeder möchte er Trotz bieten. Wehe jedem Nebenbuhler, der es wagt, ſich unter ſeine Hennen zu miſchen, und wehe jedem Menſchen, der es wagt, in ſeiner Gegen- wart ihm eine ſeiner Geliebten zu rauben! Alle ſeine Gedanken weiß er durch verſchiedene Töne und verſchiedene Stellungen des Körpers auszudrücken. Bald hört man ihn mit lauter Stimme ſeine Lieben rufen, wenn er ein Körnchen gefunden hat; denn er theilt mit ihnen jeden Fund; bald ſieht man ihn in einem Eckchen kauern, wo er eifrig bemüht iſt, ein Neſtchen für die Henne zu bilden, die er vor allen liebt. Jetzt zieht er an der Spitze ſeiner Schar, deren Beſchützer und Führer er iſt, hinaus ins Freie; aber kaum hat er hundert Schritte gethan, ſo hört er vom Stalle her den freudigen Ruf einer Henne, welche verkündet, daß ſie ein Ei gelegt hat; ſpornſtreichs kehrt er zurück, begrüßt ſie mit zärtlichen Blicken, ſtimmt in ihren Freudenruf ein, und eilt dann in vollem Laufe dem ausgezogenen Heere nach, um ſich wieder an deſſen Spitze zu ſtellen. Die geringſte Veränderung der Luft fühlt er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/474
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/474>, abgerufen am 28.12.2024.