vögeln. Daher schreckt sie auch jede schnell vorüber fliegende Taube und jeder andere große Vogel, den sie in der Ueberraschung für einen jener ansehen, weil sie wohl wissen, daß ihr schlechter Flug sie im Freien immer zur gewissen Beute derselben macht. Haben sie weit über freies Feld zu fliegen, so schwingen sie sich so hoch in die Luft, daß man sie kaum sehen kann; wohl aber hört man sie immer locken."
Diejenigen Blaumeisen, welche eine förmliche Wanderung unternehmen, streifen bis nach Süd- europa, namentlich bis nach Spanien, woselbst man ihnen während des Winters allüberall begegnet; sie kehren aber schon im März wieder in die nördlichen Gegenden zurück, leider freilich nicht so zahl- reich, als sie wegzogen. Viele streichen nur in beschränkteren Grenzen auf und nieder, und einzelne zeigen sich als förmliche Standvögel, d. h. verlassen ihren Wohnort nur so weit, "als ihre täglichen Streifereien nach Nahrung es erfordern, so daß man sie in diesem kleinen Bezirk alle Tage antrifft. Solche haben dann in ihrer Gesellschaft auch wohl Kleiber und einzelne Kohlmeisen, seltener andere Meisen, die mit ihnen herumschweifen und Freud und Leid mit einander theilen".
Jn ihrem Wesen und Betragen zeigt sich die Blaumeise als eine Finkmeise im Kleinen. Sie ist ebenso betriebsam, gewandt, geschickt, keck, fröhlich, munter, fast ebenso neugierig und ebenso bos- haft, zänkisch und jähzornig, wie diese. "Hätte sie die Kraft dazu", sagt Naumann, "sie würde manchem größeren Vogel Etwas auswischen; denn sie führt, wenn sie bös ist, gewaltige Schnabel- hiebe, beißt heftig auf ihren Gegner los und hat dann, weil sie das Gefieder struppig macht, ein recht bösartiges Aussehen." Jn Folge ihrer Furcht vor Raubvögeln ist sie außerordentlich wachsam und läßt bei Erscheinung irgend welches Feindes sofort ihre warnende Stimme vernehmen, gibt damit auch dem gesammten Kleingeflügel ein wohlverstandenes Zeichen zur Vorsicht. Jhre Unterhaltungsstimme, das zischende "Sitt" der Meisen überhaupt, läßt sie beständig, dazwischen oft "ziteretätäh und zititätätäh" vernehmen "ohne daß man recht versteht, was sie damit sagen will." Jn der Angst ruft sie "zisteretetet", während des Zuges lockt sie kläglich "tjätätäh"; die wahre Lockstimme aber, welche gebraucht wird, um andere herbeizurufen, klingt hellpfeifend wie "tgi tgi" oder hell klirrend oder kichernd "zizizir" oder "zihihihihi". Der Gesang ist ganz unbedeutend und besteht größtentheils aus jenen Tönen, von denen manche öfters wiederholt werden.
Die Nahrung ist dieselbe, welche andere Meisen zu sich nehmen. Sämereien liebt die Blau- meise nicht; Kerbthiereier bilden den Haupttheil ihrer Mahlzeiten.
Das Nest wird regelmäßig in einer Baumhöhle, selten in einem Mauerloche oder einem alten Elstern- und bezüglich Eichhornbaue angelegt, stets ziemlich hoch über dem Boden, es wird auch gewöhn- lich selbst ausgearbeitet. Um passende Löcher, welche andern Höhlenbrütern ebenfalls sehr genehm sind, kämpft die Blaumeise mit viel Ausdauer und großem Muthe, und deshalb erringt sie sich auch stets ein entsprechendes Wohnplätzchen. Das eigentliche Nest richtet sich nach der Weite der Höhlung; es besteht aber meist nur aus wenigen Federn und Haaren. Acht bis zehn kleine, zartschalige, auf reinweißem Grunde mit rostfarbenen Punkten bestreute Eier bilden das Gelege. Das Männchen wirbt im Anfange der Paarungszeit unter auffallenden Bewegungen und lautem Zwitschern und Pfeifen um die Gunst des Weibchens. "Emsig durch die Zweige hüpfend", sagt Naumann, "sich an den dünnsten Spitzen schaukelnd, kost es mit seinem Weibchen und schwebt endlich aus der Höhe einer Baumkrone auf einen andern, oft vierzig Schritt entfernten Baum, wobei es die ausgebrei- teten Flügel nicht rührt, das ganze Gefieder aber so aufbläht, daß es viel größer und dicker aussieht und dadurch ganz unkenntlich wird. Seine schwachen Flugwerkzeuge gestatten ihm aber nicht, in gerader, d. h. wagerechter Richtung hinüber zu schweben; daher senkt es sich jeder Zeit stark abwärts. Dieses Schweben ist unter den Meisen etwas Fremdartiges, deshalb um so merkwürdiger."
Männchen und Weibchen brüten abwechselnd und erziehen auch gemeinschaftlich die Jungen. Die erste Brut entfliegt Mitte Junis, die zweite Ende Julis oder Anfangs August.
Unter den vielen Feinden, welche die Blaumeise hat, ist der Mensch leider einer der schlimmsten; denn gerade diese Art wird sehr häufig auf den Meisenhütten und zwar für die Küche gefangen.
Blaumeiſe.
vögeln. Daher ſchreckt ſie auch jede ſchnell vorüber fliegende Taube und jeder andere große Vogel, den ſie in der Ueberraſchung für einen jener anſehen, weil ſie wohl wiſſen, daß ihr ſchlechter Flug ſie im Freien immer zur gewiſſen Beute derſelben macht. Haben ſie weit über freies Feld zu fliegen, ſo ſchwingen ſie ſich ſo hoch in die Luft, daß man ſie kaum ſehen kann; wohl aber hört man ſie immer locken.‟
Diejenigen Blaumeiſen, welche eine förmliche Wanderung unternehmen, ſtreifen bis nach Süd- europa, namentlich bis nach Spanien, woſelbſt man ihnen während des Winters allüberall begegnet; ſie kehren aber ſchon im März wieder in die nördlichen Gegenden zurück, leider freilich nicht ſo zahl- reich, als ſie wegzogen. Viele ſtreichen nur in beſchränkteren Grenzen auf und nieder, und einzelne zeigen ſich als förmliche Standvögel, d. h. verlaſſen ihren Wohnort nur ſo weit, „als ihre täglichen Streifereien nach Nahrung es erfordern, ſo daß man ſie in dieſem kleinen Bezirk alle Tage antrifft. Solche haben dann in ihrer Geſellſchaft auch wohl Kleiber und einzelne Kohlmeiſen, ſeltener andere Meiſen, die mit ihnen herumſchweifen und Freud und Leid mit einander theilen‟.
Jn ihrem Weſen und Betragen zeigt ſich die Blaumeiſe als eine Finkmeiſe im Kleinen. Sie iſt ebenſo betriebſam, gewandt, geſchickt, keck, fröhlich, munter, faſt ebenſo neugierig und ebenſo bos- haft, zänkiſch und jähzornig, wie dieſe. „Hätte ſie die Kraft dazu‟, ſagt Naumann, „ſie würde manchem größeren Vogel Etwas auswiſchen; denn ſie führt, wenn ſie bös iſt, gewaltige Schnabel- hiebe, beißt heftig auf ihren Gegner los und hat dann, weil ſie das Gefieder ſtruppig macht, ein recht bösartiges Ausſehen.‟ Jn Folge ihrer Furcht vor Raubvögeln iſt ſie außerordentlich wachſam und läßt bei Erſcheinung irgend welches Feindes ſofort ihre warnende Stimme vernehmen, gibt damit auch dem geſammten Kleingeflügel ein wohlverſtandenes Zeichen zur Vorſicht. Jhre Unterhaltungsſtimme, das ziſchende „Sitt‟ der Meiſen überhaupt, läßt ſie beſtändig, dazwiſchen oft „ziteretätäh und zititätätäh‟ vernehmen „ohne daß man recht verſteht, was ſie damit ſagen will.‟ Jn der Angſt ruft ſie „ziſteretetet‟, während des Zuges lockt ſie kläglich „tjätätäh‟; die wahre Lockſtimme aber, welche gebraucht wird, um andere herbeizurufen, klingt hellpfeifend wie „tgi tgi‟ oder hell klirrend oder kichernd „zizizir‟ oder „zihihihihi‟. Der Geſang iſt ganz unbedeutend und beſteht größtentheils aus jenen Tönen, von denen manche öfters wiederholt werden.
Die Nahrung iſt dieſelbe, welche andere Meiſen zu ſich nehmen. Sämereien liebt die Blau- meiſe nicht; Kerbthiereier bilden den Haupttheil ihrer Mahlzeiten.
Das Neſt wird regelmäßig in einer Baumhöhle, ſelten in einem Mauerloche oder einem alten Elſtern- und bezüglich Eichhornbaue angelegt, ſtets ziemlich hoch über dem Boden, es wird auch gewöhn- lich ſelbſt ausgearbeitet. Um paſſende Löcher, welche andern Höhlenbrütern ebenfalls ſehr genehm ſind, kämpft die Blaumeiſe mit viel Ausdauer und großem Muthe, und deshalb erringt ſie ſich auch ſtets ein entſprechendes Wohnplätzchen. Das eigentliche Neſt richtet ſich nach der Weite der Höhlung; es beſteht aber meiſt nur aus wenigen Federn und Haaren. Acht bis zehn kleine, zartſchalige, auf reinweißem Grunde mit roſtfarbenen Punkten beſtreute Eier bilden das Gelege. Das Männchen wirbt im Anfange der Paarungszeit unter auffallenden Bewegungen und lautem Zwitſchern und Pfeifen um die Gunſt des Weibchens. „Emſig durch die Zweige hüpfend‟, ſagt Naumann, „ſich an den dünnſten Spitzen ſchaukelnd, koſt es mit ſeinem Weibchen und ſchwebt endlich aus der Höhe einer Baumkrone auf einen andern, oft vierzig Schritt entfernten Baum, wobei es die ausgebrei- teten Flügel nicht rührt, das ganze Gefieder aber ſo aufbläht, daß es viel größer und dicker ausſieht und dadurch ganz unkenntlich wird. Seine ſchwachen Flugwerkzeuge geſtatten ihm aber nicht, in gerader, d. h. wagerechter Richtung hinüber zu ſchweben; daher ſenkt es ſich jeder Zeit ſtark abwärts. Dieſes Schweben iſt unter den Meiſen etwas Fremdartiges, deshalb um ſo merkwürdiger.‟
Männchen und Weibchen brüten abwechſelnd und erziehen auch gemeinſchaftlich die Jungen. Die erſte Brut entfliegt Mitte Junis, die zweite Ende Julis oder Anfangs Auguſt.
Unter den vielen Feinden, welche die Blaumeiſe hat, iſt der Menſch leider einer der ſchlimmſten; denn gerade dieſe Art wird ſehr häufig auf den Meiſenhütten und zwar für die Küche gefangen.
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[935/0985]
Blaumeiſe.
vögeln. Daher ſchreckt ſie auch jede ſchnell vorüber fliegende Taube und jeder andere große Vogel,
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im Freien immer zur gewiſſen Beute derſelben macht. Haben ſie weit über freies Feld zu fliegen,
ſo ſchwingen ſie ſich ſo hoch in die Luft, daß man ſie kaum ſehen kann; wohl aber hört man ſie
immer locken.‟
Diejenigen Blaumeiſen, welche eine förmliche Wanderung unternehmen, ſtreifen bis nach Süd-
europa, namentlich bis nach Spanien, woſelbſt man ihnen während des Winters allüberall begegnet;
ſie kehren aber ſchon im März wieder in die nördlichen Gegenden zurück, leider freilich nicht ſo zahl-
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zeigen ſich als förmliche Standvögel, d. h. verlaſſen ihren Wohnort nur ſo weit, „als ihre täglichen
Streifereien nach Nahrung es erfordern, ſo daß man ſie in dieſem kleinen Bezirk alle Tage antrifft.
Solche haben dann in ihrer Geſellſchaft auch wohl Kleiber und einzelne Kohlmeiſen, ſeltener andere
Meiſen, die mit ihnen herumſchweifen und Freud und Leid mit einander theilen‟.
Jn ihrem Weſen und Betragen zeigt ſich die Blaumeiſe als eine Finkmeiſe im Kleinen. Sie
iſt ebenſo betriebſam, gewandt, geſchickt, keck, fröhlich, munter, faſt ebenſo neugierig und ebenſo bos-
haft, zänkiſch und jähzornig, wie dieſe. „Hätte ſie die Kraft dazu‟, ſagt Naumann, „ſie würde
manchem größeren Vogel Etwas auswiſchen; denn ſie führt, wenn ſie bös iſt, gewaltige Schnabel-
hiebe, beißt heftig auf ihren Gegner los und hat dann, weil ſie das Gefieder ſtruppig macht, ein
recht bösartiges Ausſehen.‟ Jn Folge ihrer Furcht vor Raubvögeln iſt ſie außerordentlich
wachſam und läßt bei Erſcheinung irgend welches Feindes ſofort ihre warnende Stimme vernehmen,
gibt damit auch dem geſammten Kleingeflügel ein wohlverſtandenes Zeichen zur Vorſicht. Jhre
Unterhaltungsſtimme, das ziſchende „Sitt‟ der Meiſen überhaupt, läßt ſie beſtändig, dazwiſchen oft
„ziteretätäh und zititätätäh‟ vernehmen „ohne daß man recht verſteht, was ſie damit ſagen will.‟
Jn der Angſt ruft ſie „ziſteretetet‟, während des Zuges lockt ſie kläglich „tjätätäh‟; die wahre
Lockſtimme aber, welche gebraucht wird, um andere herbeizurufen, klingt hellpfeifend wie „tgi tgi‟
oder hell klirrend oder kichernd „zizizir‟ oder „zihihihihi‟. Der Geſang iſt ganz unbedeutend und
beſteht größtentheils aus jenen Tönen, von denen manche öfters wiederholt werden.
Die Nahrung iſt dieſelbe, welche andere Meiſen zu ſich nehmen. Sämereien liebt die Blau-
meiſe nicht; Kerbthiereier bilden den Haupttheil ihrer Mahlzeiten.
Das Neſt wird regelmäßig in einer Baumhöhle, ſelten in einem Mauerloche oder einem alten
Elſtern- und bezüglich Eichhornbaue angelegt, ſtets ziemlich hoch über dem Boden, es wird auch gewöhn-
lich ſelbſt ausgearbeitet. Um paſſende Löcher, welche andern Höhlenbrütern ebenfalls ſehr genehm ſind,
kämpft die Blaumeiſe mit viel Ausdauer und großem Muthe, und deshalb erringt ſie ſich auch ſtets
ein entſprechendes Wohnplätzchen. Das eigentliche Neſt richtet ſich nach der Weite der Höhlung; es
beſteht aber meiſt nur aus wenigen Federn und Haaren. Acht bis zehn kleine, zartſchalige, auf
reinweißem Grunde mit roſtfarbenen Punkten beſtreute Eier bilden das Gelege. Das Männchen
wirbt im Anfange der Paarungszeit unter auffallenden Bewegungen und lautem Zwitſchern und
Pfeifen um die Gunſt des Weibchens. „Emſig durch die Zweige hüpfend‟, ſagt Naumann, „ſich
an den dünnſten Spitzen ſchaukelnd, koſt es mit ſeinem Weibchen und ſchwebt endlich aus der Höhe
einer Baumkrone auf einen andern, oft vierzig Schritt entfernten Baum, wobei es die ausgebrei-
teten Flügel nicht rührt, das ganze Gefieder aber ſo aufbläht, daß es viel größer und dicker ausſieht
und dadurch ganz unkenntlich wird. Seine ſchwachen Flugwerkzeuge geſtatten ihm aber nicht, in
gerader, d. h. wagerechter Richtung hinüber zu ſchweben; daher ſenkt es ſich jeder Zeit ſtark abwärts.
Dieſes Schweben iſt unter den Meiſen etwas Fremdartiges, deshalb um ſo merkwürdiger.‟
Männchen und Weibchen brüten abwechſelnd und erziehen auch gemeinſchaftlich die Jungen.
Die erſte Brut entfliegt Mitte Junis, die zweite Ende Julis oder Anfangs Auguſt.
Unter den vielen Feinden, welche die Blaumeiſe hat, iſt der Menſch leider einer der ſchlimmſten;
denn gerade dieſe Art wird ſehr häufig auf den Meiſenhütten und zwar für die Küche gefangen.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 935. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/985>, abgerufen am 22.11.2024.
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