schwach und kurzzehig; die Flügel sind kurz, abgerundet, sehr gewölbt, in ihnen die vierte oder fünfte Schwinge die längste; der Schwanz ist sehr kurz, keilförmig oder wenigstens zugerundet. Die Grund- färbung des Gefieders ist ein röthliches Braun; die Zeichnung wird durch schwärzliche Querlinien und Bänder bewirkt.
Die Schlüpfer sind Weltbürger, vornehmlich aber in Europa, Asien und Amerika zu Hause. Sie bewohnen buschreiche Gegenden, am liebsten solche, welche auch reich an Wasser sind und welche ihnen möglichst viele Versteckplätze gewähren. Jm Gebirge steigen sie bis zur Baumgrenze empor, nach Norden hin treten sie noch innerhalb des kalten Gürtels auf. Eigentlich wählerisch sind sie durchaus nicht; denn sie finden, so zu sagen, allerorten ein Plätzchen, welches ihnen behagt. Deshalb trifft man sie inmitten des Waldes ebensowohl, wie in den Gärten der Dörfer und Städte oder an den Ufern der Gewässer, wie an den Wänden der Gebirge. Nur das freie, buschlose Feld meiden sie ängstlich, weil sie hier nicht im Stande sind, nach gewohnter Weise zu leben. Alle Arten sind muntere, regsame, bewegliche und überaus heitere Thiere. Sie fliegen schlecht und deshalb niemals weit, hüpfen aber außerordentlich rasch und sind im Durchkriechen von filzigem Gestrüpp oder Höhlungen geschickter als andere Sänger. Soviel bis jetzt bekannt, zeichnen sich alle Arten durch einen mehr oder minder vortrefflichen Gesang aus; einzelne gehören zu den besten Sängern ihrer Heimat: eine Art gilt sogar als der ausgezeichnetste aller Singvögel der Wendekreisländer Amerikas. Diese Begabungen werden durch das Wesen der Vögel noch besonders gehoben, falls man so sagen darf, in das rechte Licht gestellt. Die Schlüpfer scheuen sich nicht vor dem Menschen und verkehren ohne Furcht in seiner Nähe; sie dringen selbst in das Jnnere seines Hauses ein. Deshalb genießen sie denn auch allerorten die Liebe des Menschen und einzelne seinen ganz besondern Schutz. Zu Gunsten eines südamerikanischen Schlüpfers hängt man hier und da unter den Dächern der Häuser leere Flaschen aus, welche schnell vom Vogel in Besitz genommen werden. Er erkennt bald die Freundschaft des Menschen und wird so zahm, "daß er", wie Schomburgk sagt, "ungescheut durch die offenen Fenster in die Stube kommt und, auf dem Fensterbrett sitzend, den Bewohnern sein liebliches Liedchen vorsingt". Andern Schlüpfern kommt man zwar nicht mit ähnlichen Dienst- leistungen entgegen; aber auch sie werden von Jedermann gern gesehen und wenigstens nicht vernichtet. Man darf behaupten, daß das Wesen dieser liebenswürdigen Geschöpfe einen unwiderstehlichen Reiz auf uns ausübt; daraus erklären sich meiner Ansicht nach auch die vielen und anmuthigen Sagen, durch welche die Dichtung verschiedener Völker ihr Leben verherrlicht hat.
Unser Zaunkönig oder Zaunschlüpfer, der Schnee-, Winter-, Dorn-, Nessel-, Meisen- und Schlupfkönig, der Zaunsänger, Zaunschlüpfer, Zaunschnerz oder Thomas im Zaune (Troglodytes parvulus) ist 3 5/6 bis 4 Zoll lang und 51/2 bis 6 Zoll breit; sein Fittig mißt 13/4, sein Schwanz 11/4 bis 11/2 Zoll. Das Gefieder der Oberseite ist auf rostbraunem Grunde vom Oberrücken an durch schwärzliche Querbinden, das der Unterseite auf blaßrostbraunem oder rostgrauen Grunde mit dunkelbraunen Wellenlinien gezeichnet; ein brauner Zügelstreifen zieht sich durchs Auge, ein rostbräunlichweißer schmaler Streifen verläuft über denselben; die mittleren Flügeldeckfedern sind an der Spitze durch länglichrunde, weiße, hinterwärts schwarz begrenzte Punkte geziert; die Schwingen sind auf der Jnnenfahne dunkelbraungrau, auf der äußeren abwechselnd licht- rostgelblich und schwarz gebändert oder gefleckt; die Schwanzfedern sind röthlichbraun, seitlich lichter, mit deutlichen, wellenförmigen, dunkelbraunen Querstreifen durchzogen. Das Auge ist braun, der Schnabel und die Füße sind röthlichgrau. Das Weibchen ist etwas blässer als das Männchen; die Jungen sind auf der Oberseite weniger, auf der Unterseite mehr, aber schwächer als die Alten gefleckt.
Man hat den Zaunkönig in allen Ländern Europas gefunden, vom nördlichen Skandinavien oder von Rußland an bis zur Südspitze Spaniens und Griechenlands. Auf den Faroerinseln lebt eine wahrscheinlich verschiedene Art, welche sich durch bedeutendere Größe auszeichnet (Troglodytes borealis), und auch in Mitteldeutschland scheint noch eine Art vorzukommen, welche sich durch punktirte
Die Fänger. Singvögel. Schlüpfer.
ſchwach und kurzzehig; die Flügel ſind kurz, abgerundet, ſehr gewölbt, in ihnen die vierte oder fünfte Schwinge die längſte; der Schwanz iſt ſehr kurz, keilförmig oder wenigſtens zugerundet. Die Grund- färbung des Gefieders iſt ein röthliches Braun; die Zeichnung wird durch ſchwärzliche Querlinien und Bänder bewirkt.
Die Schlüpfer ſind Weltbürger, vornehmlich aber in Europa, Aſien und Amerika zu Hauſe. Sie bewohnen buſchreiche Gegenden, am liebſten ſolche, welche auch reich an Waſſer ſind und welche ihnen möglichſt viele Verſteckplätze gewähren. Jm Gebirge ſteigen ſie bis zur Baumgrenze empor, nach Norden hin treten ſie noch innerhalb des kalten Gürtels auf. Eigentlich wähleriſch ſind ſie durchaus nicht; denn ſie finden, ſo zu ſagen, allerorten ein Plätzchen, welches ihnen behagt. Deshalb trifft man ſie inmitten des Waldes ebenſowohl, wie in den Gärten der Dörfer und Städte oder an den Ufern der Gewäſſer, wie an den Wänden der Gebirge. Nur das freie, buſchloſe Feld meiden ſie ängſtlich, weil ſie hier nicht im Stande ſind, nach gewohnter Weiſe zu leben. Alle Arten ſind muntere, regſame, bewegliche und überaus heitere Thiere. Sie fliegen ſchlecht und deshalb niemals weit, hüpfen aber außerordentlich raſch und ſind im Durchkriechen von filzigem Geſtrüpp oder Höhlungen geſchickter als andere Sänger. Soviel bis jetzt bekannt, zeichnen ſich alle Arten durch einen mehr oder minder vortrefflichen Geſang aus; einzelne gehören zu den beſten Sängern ihrer Heimat: eine Art gilt ſogar als der ausgezeichnetſte aller Singvögel der Wendekreisländer Amerikas. Dieſe Begabungen werden durch das Weſen der Vögel noch beſonders gehoben, falls man ſo ſagen darf, in das rechte Licht geſtellt. Die Schlüpfer ſcheuen ſich nicht vor dem Menſchen und verkehren ohne Furcht in ſeiner Nähe; ſie dringen ſelbſt in das Jnnere ſeines Hauſes ein. Deshalb genießen ſie denn auch allerorten die Liebe des Menſchen und einzelne ſeinen ganz beſondern Schutz. Zu Gunſten eines ſüdamerikaniſchen Schlüpfers hängt man hier und da unter den Dächern der Häuſer leere Flaſchen aus, welche ſchnell vom Vogel in Beſitz genommen werden. Er erkennt bald die Freundſchaft des Menſchen und wird ſo zahm, „daß er‟, wie Schomburgk ſagt, „ungeſcheut durch die offenen Fenſter in die Stube kommt und, auf dem Fenſterbrett ſitzend, den Bewohnern ſein liebliches Liedchen vorſingt‟. Andern Schlüpfern kommt man zwar nicht mit ähnlichen Dienſt- leiſtungen entgegen; aber auch ſie werden von Jedermann gern geſehen und wenigſtens nicht vernichtet. Man darf behaupten, daß das Weſen dieſer liebenswürdigen Geſchöpfe einen unwiderſtehlichen Reiz auf uns ausübt; daraus erklären ſich meiner Anſicht nach auch die vielen und anmuthigen Sagen, durch welche die Dichtung verſchiedener Völker ihr Leben verherrlicht hat.
Unſer Zaunkönig oder Zaunſchlüpfer, der Schnee-, Winter-, Dorn-, Neſſel-, Meiſen- und Schlupfkönig, der Zaunſänger, Zaunſchlüpfer, Zaunſchnerz oder Thomas im Zaune (Troglodytes parvulus) iſt 3⅚ bis 4 Zoll lang und 5½ bis 6 Zoll breit; ſein Fittig mißt 1¾, ſein Schwanz 1¼ bis 1½ Zoll. Das Gefieder der Oberſeite iſt auf roſtbraunem Grunde vom Oberrücken an durch ſchwärzliche Querbinden, das der Unterſeite auf blaßroſtbraunem oder roſtgrauen Grunde mit dunkelbraunen Wellenlinien gezeichnet; ein brauner Zügelſtreifen zieht ſich durchs Auge, ein roſtbräunlichweißer ſchmaler Streifen verläuft über denſelben; die mittleren Flügeldeckfedern ſind an der Spitze durch länglichrunde, weiße, hinterwärts ſchwarz begrenzte Punkte geziert; die Schwingen ſind auf der Jnnenfahne dunkelbraungrau, auf der äußeren abwechſelnd licht- roſtgelblich und ſchwarz gebändert oder gefleckt; die Schwanzfedern ſind röthlichbraun, ſeitlich lichter, mit deutlichen, wellenförmigen, dunkelbraunen Querſtreifen durchzogen. Das Auge iſt braun, der Schnabel und die Füße ſind röthlichgrau. Das Weibchen iſt etwas bläſſer als das Männchen; die Jungen ſind auf der Oberſeite weniger, auf der Unterſeite mehr, aber ſchwächer als die Alten gefleckt.
Man hat den Zaunkönig in allen Ländern Europas gefunden, vom nördlichen Skandinavien oder von Rußland an bis zur Südſpitze Spaniens und Griechenlands. Auf den Faroerinſeln lebt eine wahrſcheinlich verſchiedene Art, welche ſich durch bedeutendere Größe auszeichnet (Troglodytes borealis), und auch in Mitteldeutſchland ſcheint noch eine Art vorzukommen, welche ſich durch punktirte
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[882/0930]
Die Fänger. Singvögel. Schlüpfer.
ſchwach und kurzzehig; die Flügel ſind kurz, abgerundet, ſehr gewölbt, in ihnen die vierte oder fünfte
Schwinge die längſte; der Schwanz iſt ſehr kurz, keilförmig oder wenigſtens zugerundet. Die Grund-
färbung des Gefieders iſt ein röthliches Braun; die Zeichnung wird durch ſchwärzliche Querlinien und
Bänder bewirkt.
Die Schlüpfer ſind Weltbürger, vornehmlich aber in Europa, Aſien und Amerika zu Hauſe.
Sie bewohnen buſchreiche Gegenden, am liebſten ſolche, welche auch reich an Waſſer ſind und welche
ihnen möglichſt viele Verſteckplätze gewähren. Jm Gebirge ſteigen ſie bis zur Baumgrenze empor,
nach Norden hin treten ſie noch innerhalb des kalten Gürtels auf. Eigentlich wähleriſch ſind ſie
durchaus nicht; denn ſie finden, ſo zu ſagen, allerorten ein Plätzchen, welches ihnen behagt. Deshalb
trifft man ſie inmitten des Waldes ebenſowohl, wie in den Gärten der Dörfer und Städte oder an
den Ufern der Gewäſſer, wie an den Wänden der Gebirge. Nur das freie, buſchloſe Feld meiden ſie
ängſtlich, weil ſie hier nicht im Stande ſind, nach gewohnter Weiſe zu leben. Alle Arten ſind
muntere, regſame, bewegliche und überaus heitere Thiere. Sie fliegen ſchlecht und deshalb niemals
weit, hüpfen aber außerordentlich raſch und ſind im Durchkriechen von filzigem Geſtrüpp oder
Höhlungen geſchickter als andere Sänger. Soviel bis jetzt bekannt, zeichnen ſich alle Arten
durch einen mehr oder minder vortrefflichen Geſang aus; einzelne gehören zu den beſten Sängern ihrer
Heimat: eine Art gilt ſogar als der ausgezeichnetſte aller Singvögel der Wendekreisländer Amerikas.
Dieſe Begabungen werden durch das Weſen der Vögel noch beſonders gehoben, falls man ſo ſagen
darf, in das rechte Licht geſtellt. Die Schlüpfer ſcheuen ſich nicht vor dem Menſchen und verkehren
ohne Furcht in ſeiner Nähe; ſie dringen ſelbſt in das Jnnere ſeines Hauſes ein. Deshalb genießen
ſie denn auch allerorten die Liebe des Menſchen und einzelne ſeinen ganz beſondern Schutz. Zu
Gunſten eines ſüdamerikaniſchen Schlüpfers hängt man hier und da unter den Dächern der Häuſer
leere Flaſchen aus, welche ſchnell vom Vogel in Beſitz genommen werden. Er erkennt bald die
Freundſchaft des Menſchen und wird ſo zahm, „daß er‟, wie Schomburgk ſagt, „ungeſcheut durch
die offenen Fenſter in die Stube kommt und, auf dem Fenſterbrett ſitzend, den Bewohnern ſein
liebliches Liedchen vorſingt‟. Andern Schlüpfern kommt man zwar nicht mit ähnlichen Dienſt-
leiſtungen entgegen; aber auch ſie werden von Jedermann gern geſehen und wenigſtens nicht vernichtet.
Man darf behaupten, daß das Weſen dieſer liebenswürdigen Geſchöpfe einen unwiderſtehlichen Reiz
auf uns ausübt; daraus erklären ſich meiner Anſicht nach auch die vielen und anmuthigen Sagen,
durch welche die Dichtung verſchiedener Völker ihr Leben verherrlicht hat.
Unſer Zaunkönig oder Zaunſchlüpfer, der Schnee-, Winter-, Dorn-, Neſſel-,
Meiſen- und Schlupfkönig, der Zaunſänger, Zaunſchlüpfer, Zaunſchnerz oder
Thomas im Zaune (Troglodytes parvulus) iſt 3⅚ bis 4 Zoll lang und 5½ bis 6 Zoll breit;
ſein Fittig mißt 1¾, ſein Schwanz 1¼ bis 1½ Zoll. Das Gefieder der Oberſeite iſt auf roſtbraunem
Grunde vom Oberrücken an durch ſchwärzliche Querbinden, das der Unterſeite auf blaßroſtbraunem
oder roſtgrauen Grunde mit dunkelbraunen Wellenlinien gezeichnet; ein brauner Zügelſtreifen zieht
ſich durchs Auge, ein roſtbräunlichweißer ſchmaler Streifen verläuft über denſelben; die mittleren
Flügeldeckfedern ſind an der Spitze durch länglichrunde, weiße, hinterwärts ſchwarz begrenzte Punkte
geziert; die Schwingen ſind auf der Jnnenfahne dunkelbraungrau, auf der äußeren abwechſelnd licht-
roſtgelblich und ſchwarz gebändert oder gefleckt; die Schwanzfedern ſind röthlichbraun, ſeitlich lichter,
mit deutlichen, wellenförmigen, dunkelbraunen Querſtreifen durchzogen. Das Auge iſt braun, der
Schnabel und die Füße ſind röthlichgrau. Das Weibchen iſt etwas bläſſer als das Männchen; die
Jungen ſind auf der Oberſeite weniger, auf der Unterſeite mehr, aber ſchwächer als die Alten gefleckt.
Man hat den Zaunkönig in allen Ländern Europas gefunden, vom nördlichen Skandinavien
oder von Rußland an bis zur Südſpitze Spaniens und Griechenlands. Auf den Faroerinſeln lebt
eine wahrſcheinlich verſchiedene Art, welche ſich durch bedeutendere Größe auszeichnet (Troglodytes
borealis), und auch in Mitteldeutſchland ſcheint noch eine Art vorzukommen, welche ſich durch punktirte
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 882. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/930>, abgerufen am 22.11.2024.
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