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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Singvögel. Buschsänger.
welche untergeschoben werden und so gleichsam Federn bilden, gestellt. So gewähren die wankenden
Halme dem Neste hinlängliche Festigkeit und ausreichenden Widerstand gegen die heftigsten Stürme.

Bisher haben wir geglaubt, daß das Weibchen der eigentliche Baumeister wäre; durch Tristam's
Beobachtungen, welche von Jerdon bestätigt werden, erfahren wir aber, daß das Männchen den
Haupttheil der Arbeit übernimmt. Sobald der Grund gelegt oder der Boden des Nestes fertig ist,
beginnt das Weibchen zu legen und wenn das Gelege vollzählig ist, zu brüten. Während es nun
auf den Eiern sitzt, beschäftigt sich das Männchen noch tagelang damit, die Wandungen aufzurichten
und die Grasblätter zusammenzunähen. "Jch hatte", sagt Tristam, "das Glück, ein Nest zu ent-
decken, als es eben begonnen war, mußte an ihm täglich vorübergehen und konnte so einen Monat
lang die Vögel beobachten. Als das erste Ei im Neste lag, war der ganze Bau noch überall durch-
sichtig und seine filzigen Wandungen nicht über einen Zoll hoch. Während der ganzen Zeit der
Bebrütung aber setzte das Männchen seine Arbeit an dem Neste fort, sodaß dasselbe, als die Jungen
ausgeschlüpft waren, schon drei Zoll an Höhe erreicht und hinlängliche Festigkeit gewonnen hatte."

Die Eier scheinen außerordentlich abzuändern. Wir haben in Spanien ein Gelege von fünf Stück
gefunden, welche gleichförmig lichtblau waren; andere Forscher aber erhielten Eier, welche auf blau-
lichgrünem Grunde überall oder spärlich mit größeren oder kleineren braunen oder ziegelrothen,
schwarzbraunen und schwarzen Flecken und Punkten oder auf grünlichweißem Grunde mit schmuzig-
fleischfarbenen und braunrothen, theilweise verwaschenen oder auf reinweißem Grunde mit hellrothen
Flecken gezeichnet waren. Die Jungen werden von beiden Eltern zärtlich geliebt; das sonst vor-
sichtige Männchen scheut, wenn ein Mensch dem Neste sich nahet, keine Gefahr und umfliegt ihn
Viertelstunden lang in sehr engen Kreisen unter ängstlichem Geschrei. Wenn die Jungen glücklich
ausgeflogen sind, gewährt die Familie ein überaus anziehendes Schauspiel. Die ganze Gesellschaft
hüpft und kriecht, flattert und läuft um, auf und über dem Grase oder Getreide umher, und wenn
eins der Eltern ein Kerbthier bringt, stürzt die gesammte Kinderschar, das Schwänzchen hochgehoben,
in wahrhaft lächerlicher Weise auf den Nahrungsspender los, da jedes das erste und jedes bevorzugt
sein will. Naht sich Gefahr, so verschwindet die Mutter mit ihren Kindern, während das Männchen
sofort in die Luft sich erhebt und hier in gewohnter Weise umherfliegt. Aus Savi's Beobachtungen
geht hervor, daß der Cistensänger dreimal im Jahre brütet, das erstemal im April, das zweitemal im
Juni, das drittemal im August. Wir fanden Nester im Mai, Juni und Juli; dann trat die Mauser
und damit das Ende der Fortpflanzungszeit ein.

Wir haben uns viel Mühe gegeben, einen Cistensänger lebend zu fangen. Das Nachtigall-
gärnchen erwies sich als unbrauchbar; aber auch Schlingen, welche wir mit größter Sorgfalt um das
Eingangsloch des Nestes legten, hatten nicht das erwünschte Ergebniß. Die Cistensänger bewiesen
uns, daß sie mit Fäden umzugehen wußten: sie putzten jedesmal, bevor sie einschlüpften, die ver-
dächtigen Schlingen weg und vereitelten so unsere Nachstellungen.



Die eigentlichen Schneidervögel (Orthotomus) bilden eine sehr ausgezeichnete Gruppe der
Buschsänger. Sie sind gestreckt gebaut; in ihren kurzen, schwachen, sehr gerundeten Flügeln sind die
fünfte und sechste Schwinge die längsten; der schmalfedrige, meist kurze Schwanz ist stark abgerundet
oder abgestuft; der Fuß ist kräftig, hochläufig, aber kurzzehig; der Schnabel ist lang, schwach,
gerade, an der Wurzel breit nach vorn zugespitzt, -- ein wirklich vortreffliches Werkzeug zum Nähen.
Am Schnabelgrunde stehen einige schwache Borsten; das Gefieder liegt glatt an und ist ziemlich lebhaft
gefärbt, auf der Oberseite gewöhnlich grün, auf dem Scheitel meist rostfarben.

Der Schneidervogel (Orthotomus longicauda) ist auf dem Mantel gelblicholivengrün, auf
dem Scheitel röthlich, im Nacken grauröthlich, auf der Unterseite weiß, mit einem vertuschten schwarzen

Die Fänger. Singvögel. Buſchſänger.
welche untergeſchoben werden und ſo gleichſam Federn bilden, geſtellt. So gewähren die wankenden
Halme dem Neſte hinlängliche Feſtigkeit und ausreichenden Widerſtand gegen die heftigſten Stürme.

Bisher haben wir geglaubt, daß das Weibchen der eigentliche Baumeiſter wäre; durch Triſtam’s
Beobachtungen, welche von Jerdon beſtätigt werden, erfahren wir aber, daß das Männchen den
Haupttheil der Arbeit übernimmt. Sobald der Grund gelegt oder der Boden des Neſtes fertig iſt,
beginnt das Weibchen zu legen und wenn das Gelege vollzählig iſt, zu brüten. Während es nun
auf den Eiern ſitzt, beſchäftigt ſich das Männchen noch tagelang damit, die Wandungen aufzurichten
und die Grasblätter zuſammenzunähen. „Jch hatte‟, ſagt Triſtam, „das Glück, ein Neſt zu ent-
decken, als es eben begonnen war, mußte an ihm täglich vorübergehen und konnte ſo einen Monat
lang die Vögel beobachten. Als das erſte Ei im Neſte lag, war der ganze Bau noch überall durch-
ſichtig und ſeine filzigen Wandungen nicht über einen Zoll hoch. Während der ganzen Zeit der
Bebrütung aber ſetzte das Männchen ſeine Arbeit an dem Neſte fort, ſodaß daſſelbe, als die Jungen
ausgeſchlüpft waren, ſchon drei Zoll an Höhe erreicht und hinlängliche Feſtigkeit gewonnen hatte.‟

Die Eier ſcheinen außerordentlich abzuändern. Wir haben in Spanien ein Gelege von fünf Stück
gefunden, welche gleichförmig lichtblau waren; andere Forſcher aber erhielten Eier, welche auf blau-
lichgrünem Grunde überall oder ſpärlich mit größeren oder kleineren braunen oder ziegelrothen,
ſchwarzbraunen und ſchwarzen Flecken und Punkten oder auf grünlichweißem Grunde mit ſchmuzig-
fleiſchfarbenen und braunrothen, theilweiſe verwaſchenen oder auf reinweißem Grunde mit hellrothen
Flecken gezeichnet waren. Die Jungen werden von beiden Eltern zärtlich geliebt; das ſonſt vor-
ſichtige Männchen ſcheut, wenn ein Menſch dem Neſte ſich nahet, keine Gefahr und umfliegt ihn
Viertelſtunden lang in ſehr engen Kreiſen unter ängſtlichem Geſchrei. Wenn die Jungen glücklich
ausgeflogen ſind, gewährt die Familie ein überaus anziehendes Schauſpiel. Die ganze Geſellſchaft
hüpft und kriecht, flattert und läuft um, auf und über dem Graſe oder Getreide umher, und wenn
eins der Eltern ein Kerbthier bringt, ſtürzt die geſammte Kinderſchar, das Schwänzchen hochgehoben,
in wahrhaft lächerlicher Weiſe auf den Nahrungsſpender los, da jedes das erſte und jedes bevorzugt
ſein will. Naht ſich Gefahr, ſo verſchwindet die Mutter mit ihren Kindern, während das Männchen
ſofort in die Luft ſich erhebt und hier in gewohnter Weiſe umherfliegt. Aus Savi’s Beobachtungen
geht hervor, daß der Ciſtenſänger dreimal im Jahre brütet, das erſtemal im April, das zweitemal im
Juni, das drittemal im Auguſt. Wir fanden Neſter im Mai, Juni und Juli; dann trat die Mauſer
und damit das Ende der Fortpflanzungszeit ein.

Wir haben uns viel Mühe gegeben, einen Ciſtenſänger lebend zu fangen. Das Nachtigall-
gärnchen erwies ſich als unbrauchbar; aber auch Schlingen, welche wir mit größter Sorgfalt um das
Eingangsloch des Neſtes legten, hatten nicht das erwünſchte Ergebniß. Die Ciſtenſänger bewieſen
uns, daß ſie mit Fäden umzugehen wußten: ſie putzten jedesmal, bevor ſie einſchlüpften, die ver-
dächtigen Schlingen weg und vereitelten ſo unſere Nachſtellungen.



Die eigentlichen Schneidervögel (Orthotomus) bilden eine ſehr ausgezeichnete Gruppe der
Buſchſänger. Sie ſind geſtreckt gebaut; in ihren kurzen, ſchwachen, ſehr gerundeten Flügeln ſind die
fünfte und ſechste Schwinge die längſten; der ſchmalfedrige, meiſt kurze Schwanz iſt ſtark abgerundet
oder abgeſtuft; der Fuß iſt kräftig, hochläufig, aber kurzzehig; der Schnabel iſt lang, ſchwach,
gerade, an der Wurzel breit nach vorn zugeſpitzt, — ein wirklich vortreffliches Werkzeug zum Nähen.
Am Schnabelgrunde ſtehen einige ſchwache Borſten; das Gefieder liegt glatt an und iſt ziemlich lebhaft
gefärbt, auf der Oberſeite gewöhnlich grün, auf dem Scheitel meiſt roſtfarben.

Der Schneidervogel (Orthotomus longicauda) iſt auf dem Mantel gelblicholivengrün, auf
dem Scheitel röthlich, im Nacken grauröthlich, auf der Unterſeite weiß, mit einem vertuſchten ſchwarzen

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[878/0926] Die Fänger. Singvögel. Buſchſänger. welche untergeſchoben werden und ſo gleichſam Federn bilden, geſtellt. So gewähren die wankenden Halme dem Neſte hinlängliche Feſtigkeit und ausreichenden Widerſtand gegen die heftigſten Stürme. Bisher haben wir geglaubt, daß das Weibchen der eigentliche Baumeiſter wäre; durch Triſtam’s Beobachtungen, welche von Jerdon beſtätigt werden, erfahren wir aber, daß das Männchen den Haupttheil der Arbeit übernimmt. Sobald der Grund gelegt oder der Boden des Neſtes fertig iſt, beginnt das Weibchen zu legen und wenn das Gelege vollzählig iſt, zu brüten. Während es nun auf den Eiern ſitzt, beſchäftigt ſich das Männchen noch tagelang damit, die Wandungen aufzurichten und die Grasblätter zuſammenzunähen. „Jch hatte‟, ſagt Triſtam, „das Glück, ein Neſt zu ent- decken, als es eben begonnen war, mußte an ihm täglich vorübergehen und konnte ſo einen Monat lang die Vögel beobachten. Als das erſte Ei im Neſte lag, war der ganze Bau noch überall durch- ſichtig und ſeine filzigen Wandungen nicht über einen Zoll hoch. Während der ganzen Zeit der Bebrütung aber ſetzte das Männchen ſeine Arbeit an dem Neſte fort, ſodaß daſſelbe, als die Jungen ausgeſchlüpft waren, ſchon drei Zoll an Höhe erreicht und hinlängliche Feſtigkeit gewonnen hatte.‟ Die Eier ſcheinen außerordentlich abzuändern. Wir haben in Spanien ein Gelege von fünf Stück gefunden, welche gleichförmig lichtblau waren; andere Forſcher aber erhielten Eier, welche auf blau- lichgrünem Grunde überall oder ſpärlich mit größeren oder kleineren braunen oder ziegelrothen, ſchwarzbraunen und ſchwarzen Flecken und Punkten oder auf grünlichweißem Grunde mit ſchmuzig- fleiſchfarbenen und braunrothen, theilweiſe verwaſchenen oder auf reinweißem Grunde mit hellrothen Flecken gezeichnet waren. Die Jungen werden von beiden Eltern zärtlich geliebt; das ſonſt vor- ſichtige Männchen ſcheut, wenn ein Menſch dem Neſte ſich nahet, keine Gefahr und umfliegt ihn Viertelſtunden lang in ſehr engen Kreiſen unter ängſtlichem Geſchrei. Wenn die Jungen glücklich ausgeflogen ſind, gewährt die Familie ein überaus anziehendes Schauſpiel. Die ganze Geſellſchaft hüpft und kriecht, flattert und läuft um, auf und über dem Graſe oder Getreide umher, und wenn eins der Eltern ein Kerbthier bringt, ſtürzt die geſammte Kinderſchar, das Schwänzchen hochgehoben, in wahrhaft lächerlicher Weiſe auf den Nahrungsſpender los, da jedes das erſte und jedes bevorzugt ſein will. Naht ſich Gefahr, ſo verſchwindet die Mutter mit ihren Kindern, während das Männchen ſofort in die Luft ſich erhebt und hier in gewohnter Weiſe umherfliegt. Aus Savi’s Beobachtungen geht hervor, daß der Ciſtenſänger dreimal im Jahre brütet, das erſtemal im April, das zweitemal im Juni, das drittemal im Auguſt. Wir fanden Neſter im Mai, Juni und Juli; dann trat die Mauſer und damit das Ende der Fortpflanzungszeit ein. Wir haben uns viel Mühe gegeben, einen Ciſtenſänger lebend zu fangen. Das Nachtigall- gärnchen erwies ſich als unbrauchbar; aber auch Schlingen, welche wir mit größter Sorgfalt um das Eingangsloch des Neſtes legten, hatten nicht das erwünſchte Ergebniß. Die Ciſtenſänger bewieſen uns, daß ſie mit Fäden umzugehen wußten: ſie putzten jedesmal, bevor ſie einſchlüpften, die ver- dächtigen Schlingen weg und vereitelten ſo unſere Nachſtellungen. Die eigentlichen Schneidervögel (Orthotomus) bilden eine ſehr ausgezeichnete Gruppe der Buſchſänger. Sie ſind geſtreckt gebaut; in ihren kurzen, ſchwachen, ſehr gerundeten Flügeln ſind die fünfte und ſechste Schwinge die längſten; der ſchmalfedrige, meiſt kurze Schwanz iſt ſtark abgerundet oder abgeſtuft; der Fuß iſt kräftig, hochläufig, aber kurzzehig; der Schnabel iſt lang, ſchwach, gerade, an der Wurzel breit nach vorn zugeſpitzt, — ein wirklich vortreffliches Werkzeug zum Nähen. Am Schnabelgrunde ſtehen einige ſchwache Borſten; das Gefieder liegt glatt an und iſt ziemlich lebhaft gefärbt, auf der Oberſeite gewöhnlich grün, auf dem Scheitel meiſt roſtfarben. Der Schneidervogel (Orthotomus longicauda) iſt auf dem Mantel gelblicholivengrün, auf dem Scheitel röthlich, im Nacken grauröthlich, auf der Unterſeite weiß, mit einem vertuſchten ſchwarzen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 878. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/926>, abgerufen am 23.11.2024.