während des Winters in unmittelbarer Nähe der Wohnungen auf. Jhre Lieblingsplätze sind sandige Ebenen an Flußufern oder an der Küste des Meeres, welche mit niedern Bäumen oder Büschen einzeln bestanden sind. Jm tiefern Walde kommt sie selten, d. h. höchstens während ihrer Wanderung vor.
Jhre Bewegungen haben manches Eigenthümliche. Sie hüpft auf dem Boden nach Drossel- art umher, breitet aber dabei sehr häufig ihren Schwanz aus und legt ihn dann rasch wieder zusammen. Jhr Flug geschieht in kurzen Bogen, wenn sie von einem Busch zum andern fliegt, und auch dabei wird der Schwanz bald gebreitet, bald zusammengelegt. Auf ihren Wanderungen durchzieht sie größere Räume; doch streicht sie niemals nach Art unserer Drosseln dahin, sondern fliegt immer nur von einem Baume zum andern. Audubon versichert, daß der sonst so menschenfreundliche Vogel in
[Abbildung]
Die Spottdrossel (Mimus polyglottus).
der Fremde anfänglich sehr vorsichtig und scheu wäre und erst, wenn er wieder für längere Zeit Stand genommen habe, zutraulicher werde.
Der Gesang, welcher der Spottdrossel ursprünglich eigenthümlich ist, erinnert nach Gerhardt an das Lied unserer Singdrossel. Er ist es aber nicht, welcher dem Vogel seine Berühmtheit verschafft und die amerikanischen Forscher zu so begeisterten Beschreibungen veranlaßt hat. Wilson und Audubon stimmen in der Meinung überein, daß die Spottdrossel der König aller Singvögel genannt werden dürfe und behaupten, daß ihr kein anderer Sänger hinsichtlich der Ausdehnung und Manch- faltigkeit der Stimme gleichkomme. "Es ist nicht der sanfte Ton der Flöte oder irgend eines andern Tonwerkzeuges, welches man vernimmt", sagt Audubon, "es sind die schöneren Laute der Natur selbst. Die Tonfülle des Sanges, die verschiedene Betonung und Abstufung, die Ausdehnung der Stimme, das Glänzende des Vortrags sind unerreichbar. Es gibt wahrscheinlich keinen Vogel in der Welt, welcher soviel tonkünstlerische Befähigung besitzt, wie dieser von der Natur selbst geschulte
Die Fänger. Singvögel. Spottdroſſeln.
während des Winters in unmittelbarer Nähe der Wohnungen auf. Jhre Lieblingsplätze ſind ſandige Ebenen an Flußufern oder an der Küſte des Meeres, welche mit niedern Bäumen oder Büſchen einzeln beſtanden ſind. Jm tiefern Walde kommt ſie ſelten, d. h. höchſtens während ihrer Wanderung vor.
Jhre Bewegungen haben manches Eigenthümliche. Sie hüpft auf dem Boden nach Droſſel- art umher, breitet aber dabei ſehr häufig ihren Schwanz aus und legt ihn dann raſch wieder zuſammen. Jhr Flug geſchieht in kurzen Bogen, wenn ſie von einem Buſch zum andern fliegt, und auch dabei wird der Schwanz bald gebreitet, bald zuſammengelegt. Auf ihren Wanderungen durchzieht ſie größere Räume; doch ſtreicht ſie niemals nach Art unſerer Droſſeln dahin, ſondern fliegt immer nur von einem Baume zum andern. Audubon verſichert, daß der ſonſt ſo menſchenfreundliche Vogel in
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Die Spottdroſſel (Mimus polyglottus).
der Fremde anfänglich ſehr vorſichtig und ſcheu wäre und erſt, wenn er wieder für längere Zeit Stand genommen habe, zutraulicher werde.
Der Geſang, welcher der Spottdroſſel urſprünglich eigenthümlich iſt, erinnert nach Gerhardt an das Lied unſerer Singdroſſel. Er iſt es aber nicht, welcher dem Vogel ſeine Berühmtheit verſchafft und die amerikaniſchen Forſcher zu ſo begeiſterten Beſchreibungen veranlaßt hat. Wilſon und Audubon ſtimmen in der Meinung überein, daß die Spottdroſſel der König aller Singvögel genannt werden dürfe und behaupten, daß ihr kein anderer Sänger hinſichtlich der Ausdehnung und Manch- faltigkeit der Stimme gleichkomme. „Es iſt nicht der ſanfte Ton der Flöte oder irgend eines andern Tonwerkzeuges, welches man vernimmt‟, ſagt Audubon, „es ſind die ſchöneren Laute der Natur ſelbſt. Die Tonfülle des Sanges, die verſchiedene Betonung und Abſtufung, die Ausdehnung der Stimme, das Glänzende des Vortrags ſind unerreichbar. Es gibt wahrſcheinlich keinen Vogel in der Welt, welcher ſoviel tonkünſtleriſche Befähigung beſitzt, wie dieſer von der Natur ſelbſt geſchulte
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Die Fänger. Singvögel. Spottdroſſeln.
während des Winters in unmittelbarer Nähe der Wohnungen auf. Jhre Lieblingsplätze ſind ſandige
Ebenen an Flußufern oder an der Küſte des Meeres, welche mit niedern Bäumen oder Büſchen
einzeln beſtanden ſind. Jm tiefern Walde kommt ſie ſelten, d. h. höchſtens während ihrer
Wanderung vor.
Jhre Bewegungen haben manches Eigenthümliche. Sie hüpft auf dem Boden nach Droſſel-
art umher, breitet aber dabei ſehr häufig ihren Schwanz aus und legt ihn dann raſch wieder zuſammen.
Jhr Flug geſchieht in kurzen Bogen, wenn ſie von einem Buſch zum andern fliegt, und auch dabei
wird der Schwanz bald gebreitet, bald zuſammengelegt. Auf ihren Wanderungen durchzieht ſie
größere Räume; doch ſtreicht ſie niemals nach Art unſerer Droſſeln dahin, ſondern fliegt immer nur
von einem Baume zum andern. Audubon verſichert, daß der ſonſt ſo menſchenfreundliche Vogel in
[Abbildung Die Spottdroſſel (Mimus polyglottus).]
der Fremde anfänglich ſehr vorſichtig und ſcheu wäre und erſt, wenn er wieder für längere Zeit Stand
genommen habe, zutraulicher werde.
Der Geſang, welcher der Spottdroſſel urſprünglich eigenthümlich iſt, erinnert nach Gerhardt
an das Lied unſerer Singdroſſel. Er iſt es aber nicht, welcher dem Vogel ſeine Berühmtheit verſchafft
und die amerikaniſchen Forſcher zu ſo begeiſterten Beſchreibungen veranlaßt hat. Wilſon und
Audubon ſtimmen in der Meinung überein, daß die Spottdroſſel der König aller Singvögel genannt
werden dürfe und behaupten, daß ihr kein anderer Sänger hinſichtlich der Ausdehnung und Manch-
faltigkeit der Stimme gleichkomme. „Es iſt nicht der ſanfte Ton der Flöte oder irgend eines andern
Tonwerkzeuges, welches man vernimmt‟, ſagt Audubon, „es ſind die ſchöneren Laute der Natur
ſelbſt. Die Tonfülle des Sanges, die verſchiedene Betonung und Abſtufung, die Ausdehnung der
Stimme, das Glänzende des Vortrags ſind unerreichbar. Es gibt wahrſcheinlich keinen Vogel in der
Welt, welcher ſoviel tonkünſtleriſche Befähigung beſitzt, wie dieſer von der Natur ſelbſt geſchulte
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 808. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/854>, abgerufen am 25.11.2024.
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