einem Gesimse. Die Wahl des Ortes war recht zweckmäßig: in diese Einöde des Gebirges kam wohl selten ein Mensch; nur hatte der kluge Vogel nicht bedacht, daß die Höhle sehr leicht erreicht werden konnte. Jch fand fünf, noch nackte Junge in dem Neste und konnte über sie nicht lange in Ungewiß- heit bleiben; denn ich war noch nicht mit der Untersuchung des Nestes zu Ende, als beide Eltern ankamen, um zu füttern. Noch niemals, selbst aus dem bestgewähltesten Versteck noch nicht, hatte ich den reizenden Vogel so nahe vor mir gesehen, wie es nun der Fall war. Beide, sonst so scheu, schienen alle Vorsicht vergessen zu haben. Auf der einen Seite saß das Weibchen kaum funfzehn Schritt entfernt vor mir, auf der andern etwa ebensoweit das Männchen. Ersteres flog ängstlich von einer Felsenspitze zur andern; das letztere blieb auf seinem Platze. Aber es sang, als wolle es mich damit bitten, sein Haus zu verlassen; es tanzte, trippelte hin und her, nickte und sang und tauzte wieder. Der Auftritt wurde wirklich ergreifend: hier die immer besorgter und dabei dreister werdende Mutter, dort der Vater, welcher in seiner Herzensangst nicht wußte, was er nur eigentlich beginnen sollte, um den gefährlichen Feind zu entfernen! Und so ein armes Thierchen hätte ich tödten sollen? Nein, nimmermehr! "Warte, ich will Dir Platz machen, damit Du wieder zu Deinen Kindern gelangen kannst; nach mir wird ja wohl Niemand mehr kommen, sie zu stören:" so dachte ich ungefähr und ging -- und ein recht frisches Danklied schien mir zu lohnen.
Und dann dachte ich wohl noch etwas weiter hinaus und sah beide Eltern den ersten Ausflug mit der glücklich erzogenen Brut machen. Vater und Mutter fliegen der munteren Gesellschaft voraus, von Stein zu Stein, von Felsen zu Felsen. Sie brauchen dieser das Gebiet kaum kennen zu lehren; denn die kleinen Kurzschwänze sind gleich von allem Anfange in ihm heimisch. Da braucht nur eins der Eltern einen Warnungsruf auszustoßen, und im Nu ist die ganze Schar in Steinritzen, zwischen und unter Felsblöcken verschwunden. Aber schon nach wenigen Minuten ist sie auf einen andern Ruf der Alten wieder auf den höchsten Spitzen und Kanten der Steine versammelt: der von den wachsamen Eltern bemerkte Feind ist vorübergezogen oder hat sich versteckt -- es scheint keine Gefahr mehr zu geben. Recht lustig geht es weiter. Hier wird ein Käferchen aufgenommen, dort ein Würmchen. Vater und Mutter fliegen sogar den hoch in der Luft hinsummenden Fliegen oder dahin gaukelnden Schmetterlingen nach und verfehlen selten die ins Auge gefaßte Beute. Aber das Kunststück ist von der ganzen Familie gesehen worden, und nun will jedes Glied derselben das erste sein, welches den Eltern das gefangene Kerbthier abbettelt. Das ist nun ein Laufen, Rennen, Piepen oder Bitten; selbst die stumpfen Flügel werden tüchtig benutzt: richtig, das schwarze Männchen, welches immer voran ist, war wieder der schnellste und hat es erwischt! Aber da taucht von neuem der Kopf des Feindes hinter einem Steine auf, für die spielende Familie ist es das Haupt der Medusa: -- ein einziger Ruf des Männchens, und keines der Kinder ist mehr zu erblicken!
So bleibt die kleine Schar unter der Eltern treuer Hut, bis die Mauser vorüber ist; dann zer- streut sie sich; denn jedes hat einen Gefährten gefunden. Der Juli, August und September sind die Zeiten des Federwechsels; Ende Oktobers, Anfang Novembers sieht man die einzelnen Pärchen bereits vereinigt und von der Familie getrennt, wenn sie auch gern noch in Gesellschaft mit andern Pärchen bleiben. Jm Januar wird schon rüstig gesungen; im Februar hört man das volle Lied: es ist dem der Blaumerle täuschend ähnlich, wenn auch nicht so laut, so schallend, und endet gewöhnlich mit einem eigenthümlichen Knarren, welches sehr an unsern lieben Hausrothschwanz erinnert.
Vorstehendes ist die Wiederholung einer Beschreibung, welche ich zuerst in Cabanis "Journal für Ornithologie" und später in meinem "Leben der Vögel" veröffentlicht habe. Jch mußte dieselben Worte, welche ich früher gebraucht, hier wieder verwenden, weil ich an ihnen Nichts ändern wollte, Beobachtungen Anderer aber mir nicht bekannt sind.
Die Fänger. Singvögel. Schmätzer.
einem Geſimſe. Die Wahl des Ortes war recht zweckmäßig: in dieſe Einöde des Gebirges kam wohl ſelten ein Menſch; nur hatte der kluge Vogel nicht bedacht, daß die Höhle ſehr leicht erreicht werden konnte. Jch fand fünf, noch nackte Junge in dem Neſte und konnte über ſie nicht lange in Ungewiß- heit bleiben; denn ich war noch nicht mit der Unterſuchung des Neſtes zu Ende, als beide Eltern ankamen, um zu füttern. Noch niemals, ſelbſt aus dem beſtgewählteſten Verſteck noch nicht, hatte ich den reizenden Vogel ſo nahe vor mir geſehen, wie es nun der Fall war. Beide, ſonſt ſo ſcheu, ſchienen alle Vorſicht vergeſſen zu haben. Auf der einen Seite ſaß das Weibchen kaum funfzehn Schritt entfernt vor mir, auf der andern etwa ebenſoweit das Männchen. Erſteres flog ängſtlich von einer Felſenſpitze zur andern; das letztere blieb auf ſeinem Platze. Aber es ſang, als wolle es mich damit bitten, ſein Haus zu verlaſſen; es tanzte, trippelte hin und her, nickte und ſang und tauzte wieder. Der Auftritt wurde wirklich ergreifend: hier die immer beſorgter und dabei dreiſter werdende Mutter, dort der Vater, welcher in ſeiner Herzensangſt nicht wußte, was er nur eigentlich beginnen ſollte, um den gefährlichen Feind zu entfernen! Und ſo ein armes Thierchen hätte ich tödten ſollen? Nein, nimmermehr! „Warte, ich will Dir Platz machen, damit Du wieder zu Deinen Kindern gelangen kannſt; nach mir wird ja wohl Niemand mehr kommen, ſie zu ſtören:‟ ſo dachte ich ungefähr und ging — und ein recht friſches Danklied ſchien mir zu lohnen.
Und dann dachte ich wohl noch etwas weiter hinaus und ſah beide Eltern den erſten Ausflug mit der glücklich erzogenen Brut machen. Vater und Mutter fliegen der munteren Geſellſchaft voraus, von Stein zu Stein, von Felſen zu Felſen. Sie brauchen dieſer das Gebiet kaum kennen zu lehren; denn die kleinen Kurzſchwänze ſind gleich von allem Anfange in ihm heimiſch. Da braucht nur eins der Eltern einen Warnungsruf auszuſtoßen, und im Nu iſt die ganze Schar in Steinritzen, zwiſchen und unter Felsblöcken verſchwunden. Aber ſchon nach wenigen Minuten iſt ſie auf einen andern Ruf der Alten wieder auf den höchſten Spitzen und Kanten der Steine verſammelt: der von den wachſamen Eltern bemerkte Feind iſt vorübergezogen oder hat ſich verſteckt — es ſcheint keine Gefahr mehr zu geben. Recht luſtig geht es weiter. Hier wird ein Käferchen aufgenommen, dort ein Würmchen. Vater und Mutter fliegen ſogar den hoch in der Luft hinſummenden Fliegen oder dahin gaukelnden Schmetterlingen nach und verfehlen ſelten die ins Auge gefaßte Beute. Aber das Kunſtſtück iſt von der ganzen Familie geſehen worden, und nun will jedes Glied derſelben das erſte ſein, welches den Eltern das gefangene Kerbthier abbettelt. Das iſt nun ein Laufen, Rennen, Piepen oder Bitten; ſelbſt die ſtumpfen Flügel werden tüchtig benutzt: richtig, das ſchwarze Männchen, welches immer voran iſt, war wieder der ſchnellſte und hat es erwiſcht! Aber da taucht von neuem der Kopf des Feindes hinter einem Steine auf, für die ſpielende Familie iſt es das Haupt der Meduſa: — ein einziger Ruf des Männchens, und keines der Kinder iſt mehr zu erblicken!
So bleibt die kleine Schar unter der Eltern treuer Hut, bis die Mauſer vorüber iſt; dann zer- ſtreut ſie ſich; denn jedes hat einen Gefährten gefunden. Der Juli, Auguſt und September ſind die Zeiten des Federwechſels; Ende Oktobers, Anfang Novembers ſieht man die einzelnen Pärchen bereits vereinigt und von der Familie getrennt, wenn ſie auch gern noch in Geſellſchaft mit andern Pärchen bleiben. Jm Januar wird ſchon rüſtig geſungen; im Februar hört man das volle Lied: es iſt dem der Blaumerle täuſchend ähnlich, wenn auch nicht ſo laut, ſo ſchallend, und endet gewöhnlich mit einem eigenthümlichen Knarren, welches ſehr an unſern lieben Hausrothſchwanz erinnert.
Vorſtehendes iſt die Wiederholung einer Beſchreibung, welche ich zuerſt in Cabanis „Journal für Ornithologie‟ und ſpäter in meinem „Leben der Vögel‟ veröffentlicht habe. Jch mußte dieſelben Worte, welche ich früher gebraucht, hier wieder verwenden, weil ich an ihnen Nichts ändern wollte, Beobachtungen Anderer aber mir nicht bekannt ſind.
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[788/0832]
Die Fänger. Singvögel. Schmätzer.
einem Geſimſe. Die Wahl des Ortes war recht zweckmäßig: in dieſe Einöde des Gebirges kam wohl
ſelten ein Menſch; nur hatte der kluge Vogel nicht bedacht, daß die Höhle ſehr leicht erreicht werden
konnte. Jch fand fünf, noch nackte Junge in dem Neſte und konnte über ſie nicht lange in Ungewiß-
heit bleiben; denn ich war noch nicht mit der Unterſuchung des Neſtes zu Ende, als beide Eltern
ankamen, um zu füttern. Noch niemals, ſelbſt aus dem beſtgewählteſten Verſteck noch nicht, hatte ich
den reizenden Vogel ſo nahe vor mir geſehen, wie es nun der Fall war. Beide, ſonſt ſo ſcheu,
ſchienen alle Vorſicht vergeſſen zu haben. Auf der einen Seite ſaß das Weibchen kaum funfzehn
Schritt entfernt vor mir, auf der andern etwa ebenſoweit das Männchen. Erſteres flog ängſtlich von
einer Felſenſpitze zur andern; das letztere blieb auf ſeinem Platze. Aber es ſang, als wolle es mich
damit bitten, ſein Haus zu verlaſſen; es tanzte, trippelte hin und her, nickte und ſang und tauzte
wieder. Der Auftritt wurde wirklich ergreifend: hier die immer beſorgter und dabei dreiſter werdende
Mutter, dort der Vater, welcher in ſeiner Herzensangſt nicht wußte, was er nur eigentlich beginnen
ſollte, um den gefährlichen Feind zu entfernen! Und ſo ein armes Thierchen hätte ich tödten ſollen?
Nein, nimmermehr! „Warte, ich will Dir Platz machen, damit Du wieder zu Deinen Kindern
gelangen kannſt; nach mir wird ja wohl Niemand mehr kommen, ſie zu ſtören:‟ ſo dachte ich ungefähr
und ging — und ein recht friſches Danklied ſchien mir zu lohnen.
Und dann dachte ich wohl noch etwas weiter hinaus und ſah beide Eltern den erſten Ausflug mit
der glücklich erzogenen Brut machen. Vater und Mutter fliegen der munteren Geſellſchaft voraus,
von Stein zu Stein, von Felſen zu Felſen. Sie brauchen dieſer das Gebiet kaum kennen zu
lehren; denn die kleinen Kurzſchwänze ſind gleich von allem Anfange in ihm heimiſch. Da braucht
nur eins der Eltern einen Warnungsruf auszuſtoßen, und im Nu iſt die ganze Schar in Steinritzen,
zwiſchen und unter Felsblöcken verſchwunden. Aber ſchon nach wenigen Minuten iſt ſie auf einen
andern Ruf der Alten wieder auf den höchſten Spitzen und Kanten der Steine verſammelt: der von
den wachſamen Eltern bemerkte Feind iſt vorübergezogen oder hat ſich verſteckt — es ſcheint keine
Gefahr mehr zu geben. Recht luſtig geht es weiter. Hier wird ein Käferchen aufgenommen, dort
ein Würmchen. Vater und Mutter fliegen ſogar den hoch in der Luft hinſummenden Fliegen oder
dahin gaukelnden Schmetterlingen nach und verfehlen ſelten die ins Auge gefaßte Beute. Aber das
Kunſtſtück iſt von der ganzen Familie geſehen worden, und nun will jedes Glied derſelben das erſte
ſein, welches den Eltern das gefangene Kerbthier abbettelt. Das iſt nun ein Laufen, Rennen, Piepen
oder Bitten; ſelbſt die ſtumpfen Flügel werden tüchtig benutzt: richtig, das ſchwarze Männchen,
welches immer voran iſt, war wieder der ſchnellſte und hat es erwiſcht! Aber da taucht von neuem
der Kopf des Feindes hinter einem Steine auf, für die ſpielende Familie iſt es das Haupt der
Meduſa: — ein einziger Ruf des Männchens, und keines der Kinder iſt mehr zu erblicken!
So bleibt die kleine Schar unter der Eltern treuer Hut, bis die Mauſer vorüber iſt; dann zer-
ſtreut ſie ſich; denn jedes hat einen Gefährten gefunden. Der Juli, Auguſt und September ſind die
Zeiten des Federwechſels; Ende Oktobers, Anfang Novembers ſieht man die einzelnen Pärchen
bereits vereinigt und von der Familie getrennt, wenn ſie auch gern noch in Geſellſchaft mit andern
Pärchen bleiben. Jm Januar wird ſchon rüſtig geſungen; im Februar hört man das volle Lied: es
iſt dem der Blaumerle täuſchend ähnlich, wenn auch nicht ſo laut, ſo ſchallend, und endet gewöhnlich
mit einem eigenthümlichen Knarren, welches ſehr an unſern lieben Hausrothſchwanz erinnert.
Vorſtehendes iſt die Wiederholung einer Beſchreibung, welche ich zuerſt in Cabanis „Journal
für Ornithologie‟ und ſpäter in meinem „Leben der Vögel‟ veröffentlicht habe. Jch mußte dieſelben
Worte, welche ich früher gebraucht, hier wieder verwenden, weil ich an ihnen Nichts ändern wollte,
Beobachtungen Anderer aber mir nicht bekannt ſind.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 788. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/832>, abgerufen am 18.05.2024.
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