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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Singvögel. Erdsänger.
so schnellt sie den Schwanz kräftig und jählings empor; diese Bewegung wird überhaupt bei jeder
Gelegenheit ausgeführt. "Jhr Flug ist schnell, leicht, in steigenden und fallenden Bogen, auf kleinen
Räumen flatternd und wankend; sie fliegt aber nur kurze Strecken, von Busch zu Busch, und am
Tage nie über freie Flächen." Daß sie auch sehr schnell fliegen kann, sieht man, wenn zwei eifersüch-
tige Männchen streitend sich verfolgen.

Die Lockstimme der Nachtigall ist ein helles gedehntes "Wiid", dem gewöhnlich ein schnarrendes
"Karr" angehängt wird. Geängstigt, wiederholt sie das "Wiid" oft nach einander und ruft nur ab
und zu einmal "Karr". Jm Zorn läßt sie ein unangenehmes "Rräh", in behaglicher Gemüths-
stimmung ein tiefklingendes "Tak" vernehmen. Die Jungen rufen anfangs "Fiid", später "Kroäk".
Daß alle diese Umgangslaute durch verschiedene Betonung, welche unserem Ohre in den meisten
Fällen entgeht, auch verschiedene Bedeutung gewinnen, ist selbstverständlich.

Der Schlag, welcher der Nachtigall vor allem Anderen unsere Zuneigung erworben hat, "ist so
ausgezeichnet und eigenthümlich, es herrscht in ihm eine solche Fülle von Tönen, eine so angenehme
Abwechslung und eine so hinreißende Harmonie, wie wir in keinem anderen Vogelgesange wieder finden.
Mit unbeschreiblicher Anmuth wechseln sanft flötende Strophen mit schmetternden, klagende mit fröh-
lichen, schmelzende mit wirbelnden; während die eine sanft anfängt, nach und nach an Stärke zunimmt
und wiederum ersterbend endigt, so werden in der andern eine Reihe Noten mit geschmackvoller
Härte hastig angeschlagen und melancholische, den reinsten Flötentönen vergleichbare, sanft in fröh-
lichere verschmolzen. Die Pausen zwischen den Strophen erhöhen die Wirkung dieser bezaubernden
Melodien, sowie das in denselben herrschende mäßige Tempo trefflich geeignet ist, die Schönheit der-
selben recht zu erfassen. Man staunt bald über die Manchfaltigkeit dieser Zaubertöne, bald über ihre
Fülle und außerordentliche Stärke, und wir müssen es als ein halbes Wunder ansehen, daß ein so
kleiner Vogel im Stande ist, so kräftige Töne hervorzubringen, daß eine so bedeutende Kraft in solchen
Kehlmuskeln liegen kann. Manche Strophen werden wirklich mit so viel Gewalt hervorgestoßen, daß
ihre gellenden Töne dem Ohre, welches sie ganz in der Nähe hört, wehe thun".

Der Schlag einer Nachtigall muß zwanzig bis vierundzwanzig verschiedene Strophen enthalten,
wenn wir ihn vorzüglich nennen sollen; bei vielen Schlägern ist die Abwechslung geringer. Die
Oertlichkeit übt einen bedeutenden Einfluß aus; denn da die jungen Nachtigallen nur durch ältere
ihrer Art, welche mit ihnen dieselbe Gegend bewohnen, gebildet und geschult werden können, ist es
erklärlich, daß in einem Gau fast ausschließlich vorzügliche, in dem andern hingegen beinahe nur
minder gute Schläger gehört werden. Aeltere Männchen schlagen regelmäßig besser, als jüngere; denn
auch bei den Vögeln will die edle Kunst geübt sein: vom Himmel herab fällt sie nicht. Am feurigsten
wird der Schlag, wenn die Eifersucht ins Spiel kommt: dann wird das Lied zur Waffe, welche jeder
Streiter bestmöglichst zu handhaben sucht. Einzelne Nachtigallen machen ihren Namen insofern wahr,
als sie sich hauptsächlich des Nachts vernehmen lassen, andere singen fast nur bei Tage. Während
des ersten Liebesrausches, bevor noch das Weibchen seine Eier gelegt hat, vernimmt man den herrlichen
Gesang zu allen Stunden der Nacht; später wird es um diese Zeit stiller: der Sänger scheint mehr
Ruhe gefunden und seine gewohnte Lebensordnung wieder angenommen zu haben.

Jch habe oben bemerkt, daß sich der Sprosser durch seinen Schlag von der Nachtigall unterscheidet
und will hier noch kurz mittheilen, worin der Unterschied liegt. Schon die Lockstimme klingt anders
-- nicht "Wiid -- karr", sondern "Glock -- arrr". Der Schlag kennzeichnet sich durch größere Tiefe
der Töne und langsameren, mehr gehaltenen, durch längere Pausen unterbrochenen Vortrag. Er ist
stärker und schmetternder, als der der Nachtigall, die Manchfaltigkeit der Strophen ist geringer. Dem-
ungeachtet steht er mit dem Nachtigallenschlag vollkommen auf gleicher Höhe; einzelne Liebhaber ziehen
ihn dem Liede der Nachtigall sogar entschieden vor und rühmen namentlich die sogenannten Glocken-
töne in ihm als etwas ganz Unvergleichliches.

Da, wo Sprosser und Nachtigall neben- oder durch einander leben, geschieht es nicht selten, daß
die eine Art ihrem Gesange Strophen aus dem Schlage der anderen Art einwebt und damit zum

Die Fänger. Singvögel. Erdſänger.
ſo ſchnellt ſie den Schwanz kräftig und jählings empor; dieſe Bewegung wird überhaupt bei jeder
Gelegenheit ausgeführt. „Jhr Flug iſt ſchnell, leicht, in ſteigenden und fallenden Bogen, auf kleinen
Räumen flatternd und wankend; ſie fliegt aber nur kurze Strecken, von Buſch zu Buſch, und am
Tage nie über freie Flächen.‟ Daß ſie auch ſehr ſchnell fliegen kann, ſieht man, wenn zwei eiferſüch-
tige Männchen ſtreitend ſich verfolgen.

Die Lockſtimme der Nachtigall iſt ein helles gedehntes „Wiid‟, dem gewöhnlich ein ſchnarrendes
„Karr‟ angehängt wird. Geängſtigt, wiederholt ſie das „Wiid‟ oft nach einander und ruft nur ab
und zu einmal „Karr‟. Jm Zorn läßt ſie ein unangenehmes „Rräh‟, in behaglicher Gemüths-
ſtimmung ein tiefklingendes „Tak‟ vernehmen. Die Jungen rufen anfangs „Fiid‟, ſpäter „Kroäk‟.
Daß alle dieſe Umgangslaute durch verſchiedene Betonung, welche unſerem Ohre in den meiſten
Fällen entgeht, auch verſchiedene Bedeutung gewinnen, iſt ſelbſtverſtändlich.

Der Schlag, welcher der Nachtigall vor allem Anderen unſere Zuneigung erworben hat, „iſt ſo
ausgezeichnet und eigenthümlich, es herrſcht in ihm eine ſolche Fülle von Tönen, eine ſo angenehme
Abwechslung und eine ſo hinreißende Harmonie, wie wir in keinem anderen Vogelgeſange wieder finden.
Mit unbeſchreiblicher Anmuth wechſeln ſanft flötende Strophen mit ſchmetternden, klagende mit fröh-
lichen, ſchmelzende mit wirbelnden; während die eine ſanft anfängt, nach und nach an Stärke zunimmt
und wiederum erſterbend endigt, ſo werden in der andern eine Reihe Noten mit geſchmackvoller
Härte haſtig angeſchlagen und melancholiſche, den reinſten Flötentönen vergleichbare, ſanft in fröh-
lichere verſchmolzen. Die Pauſen zwiſchen den Strophen erhöhen die Wirkung dieſer bezaubernden
Melodien, ſowie das in denſelben herrſchende mäßige Tempo trefflich geeignet iſt, die Schönheit der-
ſelben recht zu erfaſſen. Man ſtaunt bald über die Manchfaltigkeit dieſer Zaubertöne, bald über ihre
Fülle und außerordentliche Stärke, und wir müſſen es als ein halbes Wunder anſehen, daß ein ſo
kleiner Vogel im Stande iſt, ſo kräftige Töne hervorzubringen, daß eine ſo bedeutende Kraft in ſolchen
Kehlmuskeln liegen kann. Manche Strophen werden wirklich mit ſo viel Gewalt hervorgeſtoßen, daß
ihre gellenden Töne dem Ohre, welches ſie ganz in der Nähe hört, wehe thun‟.

Der Schlag einer Nachtigall muß zwanzig bis vierundzwanzig verſchiedene Strophen enthalten,
wenn wir ihn vorzüglich nennen ſollen; bei vielen Schlägern iſt die Abwechslung geringer. Die
Oertlichkeit übt einen bedeutenden Einfluß aus; denn da die jungen Nachtigallen nur durch ältere
ihrer Art, welche mit ihnen dieſelbe Gegend bewohnen, gebildet und geſchult werden können, iſt es
erklärlich, daß in einem Gau faſt ausſchließlich vorzügliche, in dem andern hingegen beinahe nur
minder gute Schläger gehört werden. Aeltere Männchen ſchlagen regelmäßig beſſer, als jüngere; denn
auch bei den Vögeln will die edle Kunſt geübt ſein: vom Himmel herab fällt ſie nicht. Am feurigſten
wird der Schlag, wenn die Eiferſucht ins Spiel kommt: dann wird das Lied zur Waffe, welche jeder
Streiter beſtmöglichſt zu handhaben ſucht. Einzelne Nachtigallen machen ihren Namen inſofern wahr,
als ſie ſich hauptſächlich des Nachts vernehmen laſſen, andere ſingen faſt nur bei Tage. Während
des erſten Liebesrauſches, bevor noch das Weibchen ſeine Eier gelegt hat, vernimmt man den herrlichen
Geſang zu allen Stunden der Nacht; ſpäter wird es um dieſe Zeit ſtiller: der Sänger ſcheint mehr
Ruhe gefunden und ſeine gewohnte Lebensordnung wieder angenommen zu haben.

Jch habe oben bemerkt, daß ſich der Sproſſer durch ſeinen Schlag von der Nachtigall unterſcheidet
und will hier noch kurz mittheilen, worin der Unterſchied liegt. Schon die Lockſtimme klingt anders
— nicht „Wiid — karr‟, ſondern „Glock — arrr‟. Der Schlag kennzeichnet ſich durch größere Tiefe
der Töne und langſameren, mehr gehaltenen, durch längere Pauſen unterbrochenen Vortrag. Er iſt
ſtärker und ſchmetternder, als der der Nachtigall, die Manchfaltigkeit der Strophen iſt geringer. Dem-
ungeachtet ſteht er mit dem Nachtigallenſchlag vollkommen auf gleicher Höhe; einzelne Liebhaber ziehen
ihn dem Liede der Nachtigall ſogar entſchieden vor und rühmen namentlich die ſogenannten Glocken-
töne in ihm als etwas ganz Unvergleichliches.

Da, wo Sproſſer und Nachtigall neben- oder durch einander leben, geſchieht es nicht ſelten, daß
die eine Art ihrem Geſange Strophen aus dem Schlage der anderen Art einwebt und damit zum

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[760/0804] Die Fänger. Singvögel. Erdſänger. ſo ſchnellt ſie den Schwanz kräftig und jählings empor; dieſe Bewegung wird überhaupt bei jeder Gelegenheit ausgeführt. „Jhr Flug iſt ſchnell, leicht, in ſteigenden und fallenden Bogen, auf kleinen Räumen flatternd und wankend; ſie fliegt aber nur kurze Strecken, von Buſch zu Buſch, und am Tage nie über freie Flächen.‟ Daß ſie auch ſehr ſchnell fliegen kann, ſieht man, wenn zwei eiferſüch- tige Männchen ſtreitend ſich verfolgen. Die Lockſtimme der Nachtigall iſt ein helles gedehntes „Wiid‟, dem gewöhnlich ein ſchnarrendes „Karr‟ angehängt wird. Geängſtigt, wiederholt ſie das „Wiid‟ oft nach einander und ruft nur ab und zu einmal „Karr‟. Jm Zorn läßt ſie ein unangenehmes „Rräh‟, in behaglicher Gemüths- ſtimmung ein tiefklingendes „Tak‟ vernehmen. Die Jungen rufen anfangs „Fiid‟, ſpäter „Kroäk‟. Daß alle dieſe Umgangslaute durch verſchiedene Betonung, welche unſerem Ohre in den meiſten Fällen entgeht, auch verſchiedene Bedeutung gewinnen, iſt ſelbſtverſtändlich. Der Schlag, welcher der Nachtigall vor allem Anderen unſere Zuneigung erworben hat, „iſt ſo ausgezeichnet und eigenthümlich, es herrſcht in ihm eine ſolche Fülle von Tönen, eine ſo angenehme Abwechslung und eine ſo hinreißende Harmonie, wie wir in keinem anderen Vogelgeſange wieder finden. Mit unbeſchreiblicher Anmuth wechſeln ſanft flötende Strophen mit ſchmetternden, klagende mit fröh- lichen, ſchmelzende mit wirbelnden; während die eine ſanft anfängt, nach und nach an Stärke zunimmt und wiederum erſterbend endigt, ſo werden in der andern eine Reihe Noten mit geſchmackvoller Härte haſtig angeſchlagen und melancholiſche, den reinſten Flötentönen vergleichbare, ſanft in fröh- lichere verſchmolzen. Die Pauſen zwiſchen den Strophen erhöhen die Wirkung dieſer bezaubernden Melodien, ſowie das in denſelben herrſchende mäßige Tempo trefflich geeignet iſt, die Schönheit der- ſelben recht zu erfaſſen. Man ſtaunt bald über die Manchfaltigkeit dieſer Zaubertöne, bald über ihre Fülle und außerordentliche Stärke, und wir müſſen es als ein halbes Wunder anſehen, daß ein ſo kleiner Vogel im Stande iſt, ſo kräftige Töne hervorzubringen, daß eine ſo bedeutende Kraft in ſolchen Kehlmuskeln liegen kann. Manche Strophen werden wirklich mit ſo viel Gewalt hervorgeſtoßen, daß ihre gellenden Töne dem Ohre, welches ſie ganz in der Nähe hört, wehe thun‟. Der Schlag einer Nachtigall muß zwanzig bis vierundzwanzig verſchiedene Strophen enthalten, wenn wir ihn vorzüglich nennen ſollen; bei vielen Schlägern iſt die Abwechslung geringer. Die Oertlichkeit übt einen bedeutenden Einfluß aus; denn da die jungen Nachtigallen nur durch ältere ihrer Art, welche mit ihnen dieſelbe Gegend bewohnen, gebildet und geſchult werden können, iſt es erklärlich, daß in einem Gau faſt ausſchließlich vorzügliche, in dem andern hingegen beinahe nur minder gute Schläger gehört werden. Aeltere Männchen ſchlagen regelmäßig beſſer, als jüngere; denn auch bei den Vögeln will die edle Kunſt geübt ſein: vom Himmel herab fällt ſie nicht. Am feurigſten wird der Schlag, wenn die Eiferſucht ins Spiel kommt: dann wird das Lied zur Waffe, welche jeder Streiter beſtmöglichſt zu handhaben ſucht. Einzelne Nachtigallen machen ihren Namen inſofern wahr, als ſie ſich hauptſächlich des Nachts vernehmen laſſen, andere ſingen faſt nur bei Tage. Während des erſten Liebesrauſches, bevor noch das Weibchen ſeine Eier gelegt hat, vernimmt man den herrlichen Geſang zu allen Stunden der Nacht; ſpäter wird es um dieſe Zeit ſtiller: der Sänger ſcheint mehr Ruhe gefunden und ſeine gewohnte Lebensordnung wieder angenommen zu haben. Jch habe oben bemerkt, daß ſich der Sproſſer durch ſeinen Schlag von der Nachtigall unterſcheidet und will hier noch kurz mittheilen, worin der Unterſchied liegt. Schon die Lockſtimme klingt anders — nicht „Wiid — karr‟, ſondern „Glock — arrr‟. Der Schlag kennzeichnet ſich durch größere Tiefe der Töne und langſameren, mehr gehaltenen, durch längere Pauſen unterbrochenen Vortrag. Er iſt ſtärker und ſchmetternder, als der der Nachtigall, die Manchfaltigkeit der Strophen iſt geringer. Dem- ungeachtet ſteht er mit dem Nachtigallenſchlag vollkommen auf gleicher Höhe; einzelne Liebhaber ziehen ihn dem Liede der Nachtigall ſogar entſchieden vor und rühmen namentlich die ſogenannten Glocken- töne in ihm als etwas ganz Unvergleichliches. Da, wo Sproſſer und Nachtigall neben- oder durch einander leben, geſchieht es nicht ſelten, daß die eine Art ihrem Geſange Strophen aus dem Schlage der anderen Art einwebt und damit zum

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 760. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/804>, abgerufen am 26.11.2024.