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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Singvögel. Würger.
bar, weil er, wie es scheint, nichts Anderes ist, als eine Wiedergabe einzelner Stimmen und Töne
der in einem gewissen Gebiete wohnenden kleineren Singvögel. Diesen zusammengesetzten Gesang
läßt nicht blos das Männchen, sondern auch das Weibchen vernehmen. Zuweilen vernimmt man eine hell
quiekende Stimme, wie sie von kleinen Vögeln zu hören ist, wenn sie in großer Gefahr sind. Der
Würger sitzt dabei ganz ruhig, und es scheint fast, als wollte er durch sein Klaggeschrei neugierige
Vögel herbeirufen, möglicherweise, um sich aus ihrer Schar einen oder den anderen zur Beute
zu wählen.

Jm April schreitet das Paar zur Fortpflanzung. Es erwählt sich im Vor- oder Feldholze, in
einem Garten oder Gebüsch einen geeigneten Baum, am liebsten einen Weißdornbusch oder einen
wilden Obstbaum und trägt sich hier trockene Halmstengel, Reiserchen, Erd- und Baummos zu einem
ziemlich kunstreichen, verhältnißmäßig großen Neste zusammen, dessen halbkuglige Mulde mit Stroh
und Grashalmen, Wolle und Haaren dicht ausgefüttert ist. Das Gelege besteht aus vier bis sieben,
auf grünlichgrauem Grunde ölbraun und aschgrau gefleckten Eiern, welche funfzehn Tage lang bebrütet
werden. Anfangs Mai schlüpfen die Jungen aus, und beide Eltern schleppen ihnen nun Käfer, Heu-
schrecken und andere Kerbthiere, später kleine Vögel und Mäuse in Menge herbei, vertheidigen sie mit
Gefahr ihres Lebens, legen, wenn sie bedroht werden, alle Furcht ab, füttern sie auch nach dem Aus-
fliegen noch lange Zeit und leiten sie bis in den Spätherbst hin. Mein Vater hat beobachtet, wie
vorsichtig und klug sich alte Würger benehmen, wenn sie ihre noch unerfahrenen Jungen bedroht
sehen. "Jn einem Laubholze", erzählt er, "verfolgte ich eine Familie dieser Vögel, um einige zu
schießen. Dies glückte aber durchaus nicht; denn die Alten warnten die Jungen durch heftiges
Geschrei jedesmal, wenn ich mich ihnen näherte. Endlich gelang es mir, mich an ein Junges anzu-
schleichen, als ich aber das Gewehr anlegte, schrie das Weibchen laut auf, und weil das Junge nicht
folgte, stieß es dasselbe, noch ehe ich schießen konnte, im Fluge mit Gewalt vom Aste herab." Dieselbe
Beobachtung hat mein Vater viele Jahre später noch einmal gemacht.

Habicht und Sperber, grausam wie der Würger selber, sind die schlimmsten Feinde unseres
Vogels. Er kennt sie wohl und nimmt sich möglichst vor ihnen in Acht, kann es aber doch nicht
immer unterlassen, seinen Muthwillen an ihnen auszuüben und wird bei dieser Gelegenheit die Beute
der stärkeren Räuber. Außerdem plagen ihn Schmarotzer verschiedener Art. Der Mensch bemächtigt
sich seiner mit Leichtigkeit nur vor der Krähenhütte und auf dem Vogelherde; denn gewöhnlich ist der
Raubwürger, wie schon angegeben, sehr scheu und weicht jedem verdächtigen Manne sorgfältig aus.
Da, wo es auf weithin keine Bäume gibt, kann man ihn leicht fangen, wenn man auf eine mittelhohe
Stange einen mit Leimruthen bespickten Busch pflanzt, und ebenso bekommt man ihn in seine Gewalt,
wenn man seine beliebtesten Sitzplätze erkundet und hier Leimruthen geschickt anbringt.

Jn der Gefangenschaft ist der Raubwürger sehr unterhaltend. Er wird bald zahm, lernt seinen
Gebieter genau kennen, begrüßt ihn mit freudigem Ruf und trägt seine drolligen Lieder mit ziemlicher
Ausdauer vor. Unter andern Vögeln darf man ihn freilich nicht halten: sie erwürgt er ohne alle
Umstände. Bei gemischtem Futter, in welchem Fleisch nicht fehlen darf, erhält man ihn jahrelang.
Früher soll er sogar zur Baize abgerichtet worden sein; häufiger aber noch wurde er beim Fang der
Falken gebraucht.

Jn Südeuropa und Nordwestafrika wird der Raubwürger, wie schon bemerkt, durch einen ihm
sehr ähnlichen, aber schöneren Verwandten ersetzt, den sogenannten südländischen Würger (Lanius
meridionalis
). Die Länge des Männchens beträgt nach eigenen Messungen 9 5/6 Zoll, die Breite
13 Zoll, die Fittiglänge 4 1/6 , die Schwanzlänge 43/4 Zoll. Das Weibchen ist um einen halben Zoll
kürzer und um ungefähr ebensoviel schmäler. Das Gefieder der Oberseite ist dunkelgrau, das der
Unterseite weiß, auf der Brust weinröthlich überflogen; die vier mittleren Schwanzfedern sind schwarz.
Das Auge ist braun, der Oberschnabel schwarzblau, der Unterschnabel am Grunde lichtblau, der Fuß
schwarz. Jm Uebrigen ist die Farbenvertheilung und Zeichnung dieselbe, wie bei unserm Raubwürger.

Die Fänger. Singvögel. Würger.
bar, weil er, wie es ſcheint, nichts Anderes iſt, als eine Wiedergabe einzelner Stimmen und Töne
der in einem gewiſſen Gebiete wohnenden kleineren Singvögel. Dieſen zuſammengeſetzten Geſang
läßt nicht blos das Männchen, ſondern auch das Weibchen vernehmen. Zuweilen vernimmt man eine hell
quiekende Stimme, wie ſie von kleinen Vögeln zu hören iſt, wenn ſie in großer Gefahr ſind. Der
Würger ſitzt dabei ganz ruhig, und es ſcheint faſt, als wollte er durch ſein Klaggeſchrei neugierige
Vögel herbeirufen, möglicherweiſe, um ſich aus ihrer Schar einen oder den anderen zur Beute
zu wählen.

Jm April ſchreitet das Paar zur Fortpflanzung. Es erwählt ſich im Vor- oder Feldholze, in
einem Garten oder Gebüſch einen geeigneten Baum, am liebſten einen Weißdornbuſch oder einen
wilden Obſtbaum und trägt ſich hier trockene Halmſtengel, Reiſerchen, Erd- und Baummos zu einem
ziemlich kunſtreichen, verhältnißmäßig großen Neſte zuſammen, deſſen halbkuglige Mulde mit Stroh
und Grashalmen, Wolle und Haaren dicht ausgefüttert iſt. Das Gelege beſteht aus vier bis ſieben,
auf grünlichgrauem Grunde ölbraun und aſchgrau gefleckten Eiern, welche funfzehn Tage lang bebrütet
werden. Anfangs Mai ſchlüpfen die Jungen aus, und beide Eltern ſchleppen ihnen nun Käfer, Heu-
ſchrecken und andere Kerbthiere, ſpäter kleine Vögel und Mäuſe in Menge herbei, vertheidigen ſie mit
Gefahr ihres Lebens, legen, wenn ſie bedroht werden, alle Furcht ab, füttern ſie auch nach dem Aus-
fliegen noch lange Zeit und leiten ſie bis in den Spätherbſt hin. Mein Vater hat beobachtet, wie
vorſichtig und klug ſich alte Würger benehmen, wenn ſie ihre noch unerfahrenen Jungen bedroht
ſehen. „Jn einem Laubholze‟, erzählt er, „verfolgte ich eine Familie dieſer Vögel, um einige zu
ſchießen. Dies glückte aber durchaus nicht; denn die Alten warnten die Jungen durch heftiges
Geſchrei jedesmal, wenn ich mich ihnen näherte. Endlich gelang es mir, mich an ein Junges anzu-
ſchleichen, als ich aber das Gewehr anlegte, ſchrie das Weibchen laut auf, und weil das Junge nicht
folgte, ſtieß es daſſelbe, noch ehe ich ſchießen konnte, im Fluge mit Gewalt vom Aſte herab.‟ Dieſelbe
Beobachtung hat mein Vater viele Jahre ſpäter noch einmal gemacht.

Habicht und Sperber, grauſam wie der Würger ſelber, ſind die ſchlimmſten Feinde unſeres
Vogels. Er kennt ſie wohl und nimmt ſich möglichſt vor ihnen in Acht, kann es aber doch nicht
immer unterlaſſen, ſeinen Muthwillen an ihnen auszuüben und wird bei dieſer Gelegenheit die Beute
der ſtärkeren Räuber. Außerdem plagen ihn Schmarotzer verſchiedener Art. Der Menſch bemächtigt
ſich ſeiner mit Leichtigkeit nur vor der Krähenhütte und auf dem Vogelherde; denn gewöhnlich iſt der
Raubwürger, wie ſchon angegeben, ſehr ſcheu und weicht jedem verdächtigen Manne ſorgfältig aus.
Da, wo es auf weithin keine Bäume gibt, kann man ihn leicht fangen, wenn man auf eine mittelhohe
Stange einen mit Leimruthen beſpickten Buſch pflanzt, und ebenſo bekommt man ihn in ſeine Gewalt,
wenn man ſeine beliebteſten Sitzplätze erkundet und hier Leimruthen geſchickt anbringt.

Jn der Gefangenſchaft iſt der Raubwürger ſehr unterhaltend. Er wird bald zahm, lernt ſeinen
Gebieter genau kennen, begrüßt ihn mit freudigem Ruf und trägt ſeine drolligen Lieder mit ziemlicher
Ausdauer vor. Unter andern Vögeln darf man ihn freilich nicht halten: ſie erwürgt er ohne alle
Umſtände. Bei gemiſchtem Futter, in welchem Fleiſch nicht fehlen darf, erhält man ihn jahrelang.
Früher ſoll er ſogar zur Baize abgerichtet worden ſein; häufiger aber noch wurde er beim Fang der
Falken gebraucht.

Jn Südeuropa und Nordweſtafrika wird der Raubwürger, wie ſchon bemerkt, durch einen ihm
ſehr ähnlichen, aber ſchöneren Verwandten erſetzt, den ſogenannten ſüdländiſchen Würger (Lanius
meridionalis
). Die Länge des Männchens beträgt nach eigenen Meſſungen 9⅚ Zoll, die Breite
13 Zoll, die Fittiglänge 4⅙, die Schwanzlänge 4¾ Zoll. Das Weibchen iſt um einen halben Zoll
kürzer und um ungefähr ebenſoviel ſchmäler. Das Gefieder der Oberſeite iſt dunkelgrau, das der
Unterſeite weiß, auf der Bruſt weinröthlich überflogen; die vier mittleren Schwanzfedern ſind ſchwarz.
Das Auge iſt braun, der Oberſchnabel ſchwarzblau, der Unterſchnabel am Grunde lichtblau, der Fuß
ſchwarz. Jm Uebrigen iſt die Farbenvertheilung und Zeichnung dieſelbe, wie bei unſerm Raubwürger.

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[696/0736] Die Fänger. Singvögel. Würger. bar, weil er, wie es ſcheint, nichts Anderes iſt, als eine Wiedergabe einzelner Stimmen und Töne der in einem gewiſſen Gebiete wohnenden kleineren Singvögel. Dieſen zuſammengeſetzten Geſang läßt nicht blos das Männchen, ſondern auch das Weibchen vernehmen. Zuweilen vernimmt man eine hell quiekende Stimme, wie ſie von kleinen Vögeln zu hören iſt, wenn ſie in großer Gefahr ſind. Der Würger ſitzt dabei ganz ruhig, und es ſcheint faſt, als wollte er durch ſein Klaggeſchrei neugierige Vögel herbeirufen, möglicherweiſe, um ſich aus ihrer Schar einen oder den anderen zur Beute zu wählen. Jm April ſchreitet das Paar zur Fortpflanzung. Es erwählt ſich im Vor- oder Feldholze, in einem Garten oder Gebüſch einen geeigneten Baum, am liebſten einen Weißdornbuſch oder einen wilden Obſtbaum und trägt ſich hier trockene Halmſtengel, Reiſerchen, Erd- und Baummos zu einem ziemlich kunſtreichen, verhältnißmäßig großen Neſte zuſammen, deſſen halbkuglige Mulde mit Stroh und Grashalmen, Wolle und Haaren dicht ausgefüttert iſt. Das Gelege beſteht aus vier bis ſieben, auf grünlichgrauem Grunde ölbraun und aſchgrau gefleckten Eiern, welche funfzehn Tage lang bebrütet werden. Anfangs Mai ſchlüpfen die Jungen aus, und beide Eltern ſchleppen ihnen nun Käfer, Heu- ſchrecken und andere Kerbthiere, ſpäter kleine Vögel und Mäuſe in Menge herbei, vertheidigen ſie mit Gefahr ihres Lebens, legen, wenn ſie bedroht werden, alle Furcht ab, füttern ſie auch nach dem Aus- fliegen noch lange Zeit und leiten ſie bis in den Spätherbſt hin. Mein Vater hat beobachtet, wie vorſichtig und klug ſich alte Würger benehmen, wenn ſie ihre noch unerfahrenen Jungen bedroht ſehen. „Jn einem Laubholze‟, erzählt er, „verfolgte ich eine Familie dieſer Vögel, um einige zu ſchießen. Dies glückte aber durchaus nicht; denn die Alten warnten die Jungen durch heftiges Geſchrei jedesmal, wenn ich mich ihnen näherte. Endlich gelang es mir, mich an ein Junges anzu- ſchleichen, als ich aber das Gewehr anlegte, ſchrie das Weibchen laut auf, und weil das Junge nicht folgte, ſtieß es daſſelbe, noch ehe ich ſchießen konnte, im Fluge mit Gewalt vom Aſte herab.‟ Dieſelbe Beobachtung hat mein Vater viele Jahre ſpäter noch einmal gemacht. Habicht und Sperber, grauſam wie der Würger ſelber, ſind die ſchlimmſten Feinde unſeres Vogels. Er kennt ſie wohl und nimmt ſich möglichſt vor ihnen in Acht, kann es aber doch nicht immer unterlaſſen, ſeinen Muthwillen an ihnen auszuüben und wird bei dieſer Gelegenheit die Beute der ſtärkeren Räuber. Außerdem plagen ihn Schmarotzer verſchiedener Art. Der Menſch bemächtigt ſich ſeiner mit Leichtigkeit nur vor der Krähenhütte und auf dem Vogelherde; denn gewöhnlich iſt der Raubwürger, wie ſchon angegeben, ſehr ſcheu und weicht jedem verdächtigen Manne ſorgfältig aus. Da, wo es auf weithin keine Bäume gibt, kann man ihn leicht fangen, wenn man auf eine mittelhohe Stange einen mit Leimruthen beſpickten Buſch pflanzt, und ebenſo bekommt man ihn in ſeine Gewalt, wenn man ſeine beliebteſten Sitzplätze erkundet und hier Leimruthen geſchickt anbringt. Jn der Gefangenſchaft iſt der Raubwürger ſehr unterhaltend. Er wird bald zahm, lernt ſeinen Gebieter genau kennen, begrüßt ihn mit freudigem Ruf und trägt ſeine drolligen Lieder mit ziemlicher Ausdauer vor. Unter andern Vögeln darf man ihn freilich nicht halten: ſie erwürgt er ohne alle Umſtände. Bei gemiſchtem Futter, in welchem Fleiſch nicht fehlen darf, erhält man ihn jahrelang. Früher ſoll er ſogar zur Baize abgerichtet worden ſein; häufiger aber noch wurde er beim Fang der Falken gebraucht. Jn Südeuropa und Nordweſtafrika wird der Raubwürger, wie ſchon bemerkt, durch einen ihm ſehr ähnlichen, aber ſchöneren Verwandten erſetzt, den ſogenannten ſüdländiſchen Würger (Lanius meridionalis). Die Länge des Männchens beträgt nach eigenen Meſſungen 9⅚ Zoll, die Breite 13 Zoll, die Fittiglänge 4⅙, die Schwanzlänge 4¾ Zoll. Das Weibchen iſt um einen halben Zoll kürzer und um ungefähr ebenſoviel ſchmäler. Das Gefieder der Oberſeite iſt dunkelgrau, das der Unterſeite weiß, auf der Bruſt weinröthlich überflogen; die vier mittleren Schwanzfedern ſind ſchwarz. Das Auge iſt braun, der Oberſchnabel ſchwarzblau, der Unterſchnabel am Grunde lichtblau, der Fuß ſchwarz. Jm Uebrigen iſt die Farbenvertheilung und Zeichnung dieſelbe, wie bei unſerm Raubwürger.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 696. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/736>, abgerufen am 22.11.2024.