und Bäumen. Das Wegschleppen der Eier soll übrigens nur geschehen, wenn sie ein Mensch berührt hat, während der Vogel ruhig sitzen bleibt, wenn Derjenige, welcher das Nest entdeckte, sich wieder zurückzog, ohne die Eier zu berühren."
Die ausgeschlüpften Jungen werden von den Eltern während des ganzen Tages bedeckt. Mein Vater beobachtete, daß eins der Eltern auch dann noch, wenn die Jungen fast flügge waren, auf ihnen saß. Wie erklärlich, findet die Azung der Brut nur des Nachts statt. Anfangs erhielten die Kleinen zarte Kerbthiere, namentlich Hafte und Nachtschmetterlinge; später werden ihnen gröbere Stoffe zuge- tragen, und schließlich müssen sie unter Führung und Leitung der Alten ihre eigene Jagd beginnen. Es ist möglich, aber höchst schwierig, jung aus dem Neste genommene Ziegenmelker aufzuziehen. Mein Vater versuchte es wiederholt, und es gelang ihm, wenn er nur Nachtschmetterlinge und Käfer fütterte, während ausschließliche Fliegennahrung den Jungen nach kurzer Zeit den Tod brachte. Das Junge, welches mein Vater aufzog, fraß sechs bis acht Schock Stubenfliegen in einem Tage. Bei reichlicher Nah- rung wachsen die Jungen auch in der Gefangenschaft außerordentlich schnell heran. Sie zeigen früh- zeitig die Art ihrer Eltern, drücken sich plötzlich nieder, wenn sie einen Menschen auf sich zukommen sehen und fauchen, wenn sie erzürnt werden.
Die Wärme lieben sie wohl, nicht aber den Sonnenschein. Die Gefangenen meines Vaters krochen, wenn sie am Fenster dem Sonnenlichte ausgesetzt wurden, stets dahin, wo der Fensterrahmen Schatten gab, und kauerten dort sich nieder. Ein gefangener Nachtschatten, welchen Tschudi pflegte, benahm sich ähnlich. "Während wir Dies schreiben", sagt der schweizer Forscher, "trippelt ein hübscher, weiblicher Ziegenmelker in unserer Arbeitsstube umher. Wir erhalten ihn seit längerer Zeit, indem wir ihn täglich mit Würmern und Kerbthieren stopfen. Freiwillig frißt er Nichts. Obgleich ein nächtlicher Vogel, ist er doch auch bei Tage ziemlich thätig, kommt bei Sonnenschein fleißig aus seinem Winkel hervor und setzt sich dicht neben uns am Boden mit Vorliebe auf den wärmsten Fleck, wobei er behaglich den Schwanz fächerförmig ausbreitet und mit halbgeschlossenen Augen duselt. Ver- läßt die Sonne das Fenster, so geht er langsam schrittweise wieder in seinen Winkel und legt sich gewöhnlich platt auf den Bauch. Er fliegt sehr ungern und hüpft so ungeschickt, daß er beständig auf die Seite purzelt, wobei er oft unbehilflich liegen bleibt und wartet, bis er aufgestellt wird, obwohl er ganz gesund und stark ist. Fremde schnarrt er leise krächzend an, ist aber dabei äußerst zahm, sitzt recht gern breit in der warmen, hohlen Hand, wobei er die Leute zutraulich mit seinen großen, schwarzen Augen ansieht, und ist der Liebling des Hauses."
Alle Ziegenmelker bringen dem menschlichen Haushalte nur Nutzen, niemals Schaden und ver- dienen deshalb die allgemeinste und umfassendste Schonung. Wer das Leben und Treiben dieser Vögel aus eigener Erfahrung kennen gelernt hat, muß sie lieb gewinnen, und nur der gänzlich Unkundige und Wundersüchtige kann fähig sein, von der übeln Nachrede, welche eben Unkenntniß und Wundersucht geschaffen, ein Wörtchen für möglich zu halten. Auch hier geht es wie immer, das Unbe- greifliche reizt die Einbildung der Thoren zur Erfindung alberner Geschichten, welche von andern Thoren für baare Münze hingenommen werden. So lächerlich es sein mag, so gewiß ist, daß es noch heutigen Tages Menschen gibt, welche den Namen Ziegenmelker wörtlich nehmen oder in dem Nachtschatten und der "Here" auch wirklich einen Schatten der Nacht oder eins jener unbeschreib- lichen, zauberfähigen Wesen sehen. Wer aber, wie ich, im Jnnern Afrikas allnächtlich fast Ziegen- melker beobachten konnte; wer die Freude hatte, von ihnen besucht zu werden, während das nächtliche Feuer in der Einöde brannte; wem ihr Spinnen oder ihr Geschrei als freundlicher Gruß entgegentönte, sobald das hereinbrechende Dunkel das Stimmengewirr der Tagvögel verstummen gemacht, der wird sich der Nachtschwalben nur mit warmer Liebe erinnern können und sie gegen jede Verfolgung, ja schon gegen jede alberne Nachrede in Schutz nehmen müssen. Die armen und wehrlosen Vögel haben ohnehin in dem Raubzeug der beiden höchsten Klassen und in den Schlangen der Feinde genug!
43 *
Leben der Nachtſchwalben.
und Bäumen. Das Wegſchleppen der Eier ſoll übrigens nur geſchehen, wenn ſie ein Menſch berührt hat, während der Vogel ruhig ſitzen bleibt, wenn Derjenige, welcher das Neſt entdeckte, ſich wieder zurückzog, ohne die Eier zu berühren.‟
Die ausgeſchlüpften Jungen werden von den Eltern während des ganzen Tages bedeckt. Mein Vater beobachtete, daß eins der Eltern auch dann noch, wenn die Jungen faſt flügge waren, auf ihnen ſaß. Wie erklärlich, findet die Azung der Brut nur des Nachts ſtatt. Anfangs erhielten die Kleinen zarte Kerbthiere, namentlich Hafte und Nachtſchmetterlinge; ſpäter werden ihnen gröbere Stoffe zuge- tragen, und ſchließlich müſſen ſie unter Führung und Leitung der Alten ihre eigene Jagd beginnen. Es iſt möglich, aber höchſt ſchwierig, jung aus dem Neſte genommene Ziegenmelker aufzuziehen. Mein Vater verſuchte es wiederholt, und es gelang ihm, wenn er nur Nachtſchmetterlinge und Käfer fütterte, während ausſchließliche Fliegennahrung den Jungen nach kurzer Zeit den Tod brachte. Das Junge, welches mein Vater aufzog, fraß ſechs bis acht Schock Stubenfliegen in einem Tage. Bei reichlicher Nah- rung wachſen die Jungen auch in der Gefangenſchaft außerordentlich ſchnell heran. Sie zeigen früh- zeitig die Art ihrer Eltern, drücken ſich plötzlich nieder, wenn ſie einen Menſchen auf ſich zukommen ſehen und fauchen, wenn ſie erzürnt werden.
Die Wärme lieben ſie wohl, nicht aber den Sonnenſchein. Die Gefangenen meines Vaters krochen, wenn ſie am Fenſter dem Sonnenlichte ausgeſetzt wurden, ſtets dahin, wo der Fenſterrahmen Schatten gab, und kauerten dort ſich nieder. Ein gefangener Nachtſchatten, welchen Tſchudi pflegte, benahm ſich ähnlich. „Während wir Dies ſchreiben‟, ſagt der ſchweizer Forſcher, „trippelt ein hübſcher, weiblicher Ziegenmelker in unſerer Arbeitsſtube umher. Wir erhalten ihn ſeit längerer Zeit, indem wir ihn täglich mit Würmern und Kerbthieren ſtopfen. Freiwillig frißt er Nichts. Obgleich ein nächtlicher Vogel, iſt er doch auch bei Tage ziemlich thätig, kommt bei Sonnenſchein fleißig aus ſeinem Winkel hervor und ſetzt ſich dicht neben uns am Boden mit Vorliebe auf den wärmſten Fleck, wobei er behaglich den Schwanz fächerförmig ausbreitet und mit halbgeſchloſſenen Augen duſelt. Ver- läßt die Sonne das Fenſter, ſo geht er langſam ſchrittweiſe wieder in ſeinen Winkel und legt ſich gewöhnlich platt auf den Bauch. Er fliegt ſehr ungern und hüpft ſo ungeſchickt, daß er beſtändig auf die Seite purzelt, wobei er oft unbehilflich liegen bleibt und wartet, bis er aufgeſtellt wird, obwohl er ganz geſund und ſtark iſt. Fremde ſchnarrt er leiſe krächzend an, iſt aber dabei äußerſt zahm, ſitzt recht gern breit in der warmen, hohlen Hand, wobei er die Leute zutraulich mit ſeinen großen, ſchwarzen Augen anſieht, und iſt der Liebling des Hauſes.‟
Alle Ziegenmelker bringen dem menſchlichen Haushalte nur Nutzen, niemals Schaden und ver- dienen deshalb die allgemeinſte und umfaſſendſte Schonung. Wer das Leben und Treiben dieſer Vögel aus eigener Erfahrung kennen gelernt hat, muß ſie lieb gewinnen, und nur der gänzlich Unkundige und Wunderſüchtige kann fähig ſein, von der übeln Nachrede, welche eben Unkenntniß und Wunderſucht geſchaffen, ein Wörtchen für möglich zu halten. Auch hier geht es wie immer, das Unbe- greifliche reizt die Einbildung der Thoren zur Erfindung alberner Geſchichten, welche von andern Thoren für baare Münze hingenommen werden. So lächerlich es ſein mag, ſo gewiß iſt, daß es noch heutigen Tages Menſchen gibt, welche den Namen Ziegenmelker wörtlich nehmen oder in dem Nachtſchatten und der „Here‟ auch wirklich einen Schatten der Nacht oder eins jener unbeſchreib- lichen, zauberfähigen Weſen ſehen. Wer aber, wie ich, im Jnnern Afrikas allnächtlich faſt Ziegen- melker beobachten konnte; wer die Freude hatte, von ihnen beſucht zu werden, während das nächtliche Feuer in der Einöde brannte; wem ihr Spinnen oder ihr Geſchrei als freundlicher Gruß entgegentönte, ſobald das hereinbrechende Dunkel das Stimmengewirr der Tagvögel verſtummen gemacht, der wird ſich der Nachtſchwalben nur mit warmer Liebe erinnern können und ſie gegen jede Verfolgung, ja ſchon gegen jede alberne Nachrede in Schutz nehmen müſſen. Die armen und wehrloſen Vögel haben ohnehin in dem Raubzeug der beiden höchſten Klaſſen und in den Schlangen der Feinde genug!
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[675/0713]
Leben der Nachtſchwalben.
und Bäumen. Das Wegſchleppen der Eier ſoll übrigens nur geſchehen, wenn ſie ein Menſch berührt
hat, während der Vogel ruhig ſitzen bleibt, wenn Derjenige, welcher das Neſt entdeckte, ſich wieder
zurückzog, ohne die Eier zu berühren.‟
Die ausgeſchlüpften Jungen werden von den Eltern während des ganzen Tages bedeckt. Mein
Vater beobachtete, daß eins der Eltern auch dann noch, wenn die Jungen faſt flügge waren, auf ihnen ſaß.
Wie erklärlich, findet die Azung der Brut nur des Nachts ſtatt. Anfangs erhielten die Kleinen zarte
Kerbthiere, namentlich Hafte und Nachtſchmetterlinge; ſpäter werden ihnen gröbere Stoffe zuge-
tragen, und ſchließlich müſſen ſie unter Führung und Leitung der Alten ihre eigene Jagd beginnen.
Es iſt möglich, aber höchſt ſchwierig, jung aus dem Neſte genommene Ziegenmelker aufzuziehen. Mein
Vater verſuchte es wiederholt, und es gelang ihm, wenn er nur Nachtſchmetterlinge und Käfer fütterte,
während ausſchließliche Fliegennahrung den Jungen nach kurzer Zeit den Tod brachte. Das Junge,
welches mein Vater aufzog, fraß ſechs bis acht Schock Stubenfliegen in einem Tage. Bei reichlicher Nah-
rung wachſen die Jungen auch in der Gefangenſchaft außerordentlich ſchnell heran. Sie zeigen früh-
zeitig die Art ihrer Eltern, drücken ſich plötzlich nieder, wenn ſie einen Menſchen auf ſich zukommen
ſehen und fauchen, wenn ſie erzürnt werden.
Die Wärme lieben ſie wohl, nicht aber den Sonnenſchein. Die Gefangenen meines Vaters
krochen, wenn ſie am Fenſter dem Sonnenlichte ausgeſetzt wurden, ſtets dahin, wo der Fenſterrahmen
Schatten gab, und kauerten dort ſich nieder. Ein gefangener Nachtſchatten, welchen Tſchudi pflegte,
benahm ſich ähnlich. „Während wir Dies ſchreiben‟, ſagt der ſchweizer Forſcher, „trippelt ein
hübſcher, weiblicher Ziegenmelker in unſerer Arbeitsſtube umher. Wir erhalten ihn ſeit längerer Zeit,
indem wir ihn täglich mit Würmern und Kerbthieren ſtopfen. Freiwillig frißt er Nichts. Obgleich
ein nächtlicher Vogel, iſt er doch auch bei Tage ziemlich thätig, kommt bei Sonnenſchein fleißig aus
ſeinem Winkel hervor und ſetzt ſich dicht neben uns am Boden mit Vorliebe auf den wärmſten Fleck,
wobei er behaglich den Schwanz fächerförmig ausbreitet und mit halbgeſchloſſenen Augen duſelt. Ver-
läßt die Sonne das Fenſter, ſo geht er langſam ſchrittweiſe wieder in ſeinen Winkel und legt ſich
gewöhnlich platt auf den Bauch. Er fliegt ſehr ungern und hüpft ſo ungeſchickt, daß er beſtändig auf
die Seite purzelt, wobei er oft unbehilflich liegen bleibt und wartet, bis er aufgeſtellt wird, obwohl er
ganz geſund und ſtark iſt. Fremde ſchnarrt er leiſe krächzend an, iſt aber dabei äußerſt zahm, ſitzt recht
gern breit in der warmen, hohlen Hand, wobei er die Leute zutraulich mit ſeinen großen, ſchwarzen
Augen anſieht, und iſt der Liebling des Hauſes.‟
Alle Ziegenmelker bringen dem menſchlichen Haushalte nur Nutzen, niemals Schaden und ver-
dienen deshalb die allgemeinſte und umfaſſendſte Schonung. Wer das Leben und Treiben dieſer
Vögel aus eigener Erfahrung kennen gelernt hat, muß ſie lieb gewinnen, und nur der gänzlich
Unkundige und Wunderſüchtige kann fähig ſein, von der übeln Nachrede, welche eben Unkenntniß und
Wunderſucht geſchaffen, ein Wörtchen für möglich zu halten. Auch hier geht es wie immer, das Unbe-
greifliche reizt die Einbildung der Thoren zur Erfindung alberner Geſchichten, welche von andern
Thoren für baare Münze hingenommen werden. So lächerlich es ſein mag, ſo gewiß iſt, daß es
noch heutigen Tages Menſchen gibt, welche den Namen Ziegenmelker wörtlich nehmen oder in
dem Nachtſchatten und der „Here‟ auch wirklich einen Schatten der Nacht oder eins jener unbeſchreib-
lichen, zauberfähigen Weſen ſehen. Wer aber, wie ich, im Jnnern Afrikas allnächtlich faſt Ziegen-
melker beobachten konnte; wer die Freude hatte, von ihnen beſucht zu werden, während das nächtliche
Feuer in der Einöde brannte; wem ihr Spinnen oder ihr Geſchrei als freundlicher Gruß entgegentönte,
ſobald das hereinbrechende Dunkel das Stimmengewirr der Tagvögel verſtummen gemacht, der wird
ſich der Nachtſchwalben nur mit warmer Liebe erinnern können und ſie gegen jede Verfolgung, ja
ſchon gegen jede alberne Nachrede in Schutz nehmen müſſen. Die armen und wehrloſen Vögel haben
ohnehin in dem Raubzeug der beiden höchſten Klaſſen und in den Schlangen der Feinde genug!
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 675. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/713>, abgerufen am 22.11.2024.
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