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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Tageulen.

"Jn den Vormittagsstunden war sie niemals sichtbar; sie hielt sich zu dieser Zeit in dichten
Fichten und Tannen, welche nicht weit von jenem Schlage standen, verborgen, und zwar so, daß man
zehnmal unter ihr vorübergehen konnte. Jn den Nachmittagsstunden, gewöhnlich um ein Uhr, kam
sie zum Vorschein und setzte sich auf die Spitze eines niedrigen Baumes, auf einen weit unten stehenden
Seitenast oder auf den Hegewisch. Sie kam zuweilen von Bäumen geflogen, welche gar nicht geeignet
schienen, sie gut zu verbergen, und auf denen sie früher doch durchaus nicht zu entdecken war. Saß
sie frei, dann blickte sie unverwandt auf die Erde herab und richtete sich immer nach dem Gegenstande
hin, welcher sich ihr näherte. Der Hegewisch, von welchem aus sie einen großen Theil des Schlages
übersehen konnte, war oben von ihrem beständigen Daraufsitzen niedergedrückt, sodaß kein Strohhalm
mehr senkrecht stand. Wollte man sich ihr, wenn sie darauf saß, von hinten nähern, dann drehte sie
sich sogleich um, aber ohne den Ort zu verlassen, und man konnte, wenn man rund um sie herumging,
sie im Kreise sich drehen sehen. Sie ließ einen Mann bis auf zehn, ja bis auf sechs Schritte an sich
kommen und achtete die Steinwürfe so wenig, daß sie einem an ihr vorbeifliegenden Steine verwundert
nachsah und einst, als sie getroffen wurde, zwei Ellen in die Höhe flog, aber doch ihre alte Stelle
wieder einnahm. Dies Alles scheint mir zu beweisen, daß sie in ganz unbewohnten Gegenden ihren
eigentlichen Aufenthalt hat; denn sie kennt den Hauptfeind aller Thiere und seine Fähigkeit, in der
Ferne zu wirken, durchaus nicht. Mir ist ein so wenig menschenscheuer Vogel, welcher wie diese
Eule völlig gesund und wohlbeleibt war, nie vorgekommen."

"Gelingt es ihr, eine oder zwei Mäuse zu fangen, so geht sie zur Ruhe, und man sieht sie des-
wegen vor der Abenddämmerung schon nicht mehr; ist sie aber in der Jagd unglücklich, dann lauert
sie bis zum Einbruch der Nacht und bis nach demselben ihrem Raube auf. Auffallend war es mir,
in der Nähe jenes Schlages hie und da, aber nicht beim Hegewisch, auf dem sie doch täglich mehrere
Stunden saß, ihren Koth zu finden. Jch vermuthe, daß sie ihn da, wo sie den Mäusen auflauert,
absichtlich nicht fallen läßt; durch das Wegspritzen desselben könnten die hervorkommenden Mäuse
verscheucht werden. Sie hat einen leichten und geschwinden Flug, welcher dem des Finkenhabichts sehr
ähnlich ist. Sie bewegt, wie dieser, die Flügel streckenweise schnell und streckenweise, wo sie schwebt, gar
nicht. Doch trägt sie dieselben, wie die andern Eulen, und kündigt sich auch von Weitem durch ihren
dicken Kopf als Eule an. Sie fliegt ungern weit, wenn sie verfolgt wird, oft nur 50, 60, 100
Schritte, und nur, als ihr die Krähen hart zusetzten, sah ich sie 300 bis 400 Schritte weit fliegen.
Als die Krähen nach ihr stießen, schrie sie heftig miauend und langgezogen "äh" und begab sich gleich auf
die Flucht, auf welcher sie ihnen in kurzer Zeit so weit vorauseilte, daß sie die Verfolgung aufgaben.
Sie lebt wahrscheinlich im Sommer an solchen Orten, wo es gar keine Krähenarten gibt; denn diese
würden ihr, wenn sie sich am hellen Tage ganz frei hinsetzte, so mitspielen, daß sie ihre ganze Jagd
aufgeben müßte."

Hier glaube ich die Bemerkung einschalten zu dürfen, daß meines Vaters Meinung wenigstens
in Skandinavien nicht Bestätigung findet. Dort ist die Nebelkrähe noch innerhalb des Polar-
kreises keineswegs selten. Jch vermuthe also, daß Eule und Krähe dort sich an einander gewöhnt
haben werden, wie Dies ja regelmäßig stattfindet, wenn zwei Vögel sich genauer kennen lernen.
Ueber die Art und Weise ihrer Mäusejagd theilt uns mein Vater Folgendes mit.

"Die Sperbereule zeichnet sich vor vielen andern Gattungsverwandten schon dadurch aus, daß
sie nicht absucht, d. h., daß sie nicht niedrig über die Erde hinfliegend ihren Raub zu überraschen
strebt. Sie erwartet ihn vielmehr, wie die Würgerarten, sitzend. Deswegen muß sie solche Stellen
zu ihrem Aufenthaltsorte wählen, wo es von Mäusen wimmelt. Dies war auf dem oben erwähnten
Schlage der Fall. Auf ihm waren alle Erhöhungen mit Mäuselöchern so durchgraben, daß ihre
Ränder einem Durchschlage glichen. Einen ähnlichen Platz kenne ich in unsern Wäldern nicht, und
daraus wird ihre merkwürdige und hartnäckige Anhänglichkeit an diesen Schlag und den darauf
befindlichen Hegewisch begreiflich genug. Sie wählt also wenig erhöhte Gegenstände, welche ihr eine
freie Aussicht, wo möglich ringsum gewähren, damit sie eine hervorkommende Maus sogleich bemerken

Die Fänger. Raubvögel. Tageulen.

„Jn den Vormittagsſtunden war ſie niemals ſichtbar; ſie hielt ſich zu dieſer Zeit in dichten
Fichten und Tannen, welche nicht weit von jenem Schlage ſtanden, verborgen, und zwar ſo, daß man
zehnmal unter ihr vorübergehen konnte. Jn den Nachmittagsſtunden, gewöhnlich um ein Uhr, kam
ſie zum Vorſchein und ſetzte ſich auf die Spitze eines niedrigen Baumes, auf einen weit unten ſtehenden
Seitenaſt oder auf den Hegewiſch. Sie kam zuweilen von Bäumen geflogen, welche gar nicht geeignet
ſchienen, ſie gut zu verbergen, und auf denen ſie früher doch durchaus nicht zu entdecken war. Saß
ſie frei, dann blickte ſie unverwandt auf die Erde herab und richtete ſich immer nach dem Gegenſtande
hin, welcher ſich ihr näherte. Der Hegewiſch, von welchem aus ſie einen großen Theil des Schlages
überſehen konnte, war oben von ihrem beſtändigen Daraufſitzen niedergedrückt, ſodaß kein Strohhalm
mehr ſenkrecht ſtand. Wollte man ſich ihr, wenn ſie darauf ſaß, von hinten nähern, dann drehte ſie
ſich ſogleich um, aber ohne den Ort zu verlaſſen, und man konnte, wenn man rund um ſie herumging,
ſie im Kreiſe ſich drehen ſehen. Sie ließ einen Mann bis auf zehn, ja bis auf ſechs Schritte an ſich
kommen und achtete die Steinwürfe ſo wenig, daß ſie einem an ihr vorbeifliegenden Steine verwundert
nachſah und einſt, als ſie getroffen wurde, zwei Ellen in die Höhe flog, aber doch ihre alte Stelle
wieder einnahm. Dies Alles ſcheint mir zu beweiſen, daß ſie in ganz unbewohnten Gegenden ihren
eigentlichen Aufenthalt hat; denn ſie kennt den Hauptfeind aller Thiere und ſeine Fähigkeit, in der
Ferne zu wirken, durchaus nicht. Mir iſt ein ſo wenig menſchenſcheuer Vogel, welcher wie dieſe
Eule völlig geſund und wohlbeleibt war, nie vorgekommen.‟

„Gelingt es ihr, eine oder zwei Mäuſe zu fangen, ſo geht ſie zur Ruhe, und man ſieht ſie des-
wegen vor der Abenddämmerung ſchon nicht mehr; iſt ſie aber in der Jagd unglücklich, dann lauert
ſie bis zum Einbruch der Nacht und bis nach demſelben ihrem Raube auf. Auffallend war es mir,
in der Nähe jenes Schlages hie und da, aber nicht beim Hegewiſch, auf dem ſie doch täglich mehrere
Stunden ſaß, ihren Koth zu finden. Jch vermuthe, daß ſie ihn da, wo ſie den Mäuſen auflauert,
abſichtlich nicht fallen läßt; durch das Wegſpritzen deſſelben könnten die hervorkommenden Mäuſe
verſcheucht werden. Sie hat einen leichten und geſchwinden Flug, welcher dem des Finkenhabichts ſehr
ähnlich iſt. Sie bewegt, wie dieſer, die Flügel ſtreckenweiſe ſchnell und ſtreckenweiſe, wo ſie ſchwebt, gar
nicht. Doch trägt ſie dieſelben, wie die andern Eulen, und kündigt ſich auch von Weitem durch ihren
dicken Kopf als Eule an. Sie fliegt ungern weit, wenn ſie verfolgt wird, oft nur 50, 60, 100
Schritte, und nur, als ihr die Krähen hart zuſetzten, ſah ich ſie 300 bis 400 Schritte weit fliegen.
Als die Krähen nach ihr ſtießen, ſchrie ſie heftig miauend und langgezogen „äh‟ und begab ſich gleich auf
die Flucht, auf welcher ſie ihnen in kurzer Zeit ſo weit vorauseilte, daß ſie die Verfolgung aufgaben.
Sie lebt wahrſcheinlich im Sommer an ſolchen Orten, wo es gar keine Krähenarten gibt; denn dieſe
würden ihr, wenn ſie ſich am hellen Tage ganz frei hinſetzte, ſo mitſpielen, daß ſie ihre ganze Jagd
aufgeben müßte.‟

Hier glaube ich die Bemerkung einſchalten zu dürfen, daß meines Vaters Meinung wenigſtens
in Skandinavien nicht Beſtätigung findet. Dort iſt die Nebelkrähe noch innerhalb des Polar-
kreiſes keineswegs ſelten. Jch vermuthe alſo, daß Eule und Krähe dort ſich an einander gewöhnt
haben werden, wie Dies ja regelmäßig ſtattfindet, wenn zwei Vögel ſich genauer kennen lernen.
Ueber die Art und Weiſe ihrer Mäuſejagd theilt uns mein Vater Folgendes mit.

„Die Sperbereule zeichnet ſich vor vielen andern Gattungsverwandten ſchon dadurch aus, daß
ſie nicht abſucht, d. h., daß ſie nicht niedrig über die Erde hinfliegend ihren Raub zu überraſchen
ſtrebt. Sie erwartet ihn vielmehr, wie die Würgerarten, ſitzend. Deswegen muß ſie ſolche Stellen
zu ihrem Aufenthaltsorte wählen, wo es von Mäuſen wimmelt. Dies war auf dem oben erwähnten
Schlage der Fall. Auf ihm waren alle Erhöhungen mit Mäuſelöchern ſo durchgraben, daß ihre
Ränder einem Durchſchlage glichen. Einen ähnlichen Platz kenne ich in unſern Wäldern nicht, und
daraus wird ihre merkwürdige und hartnäckige Anhänglichkeit an dieſen Schlag und den darauf
befindlichen Hegewiſch begreiflich genug. Sie wählt alſo wenig erhöhte Gegenſtände, welche ihr eine
freie Ausſicht, wo möglich ringsum gewähren, damit ſie eine hervorkommende Maus ſogleich bemerken

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[594/0628] Die Fänger. Raubvögel. Tageulen. „Jn den Vormittagsſtunden war ſie niemals ſichtbar; ſie hielt ſich zu dieſer Zeit in dichten Fichten und Tannen, welche nicht weit von jenem Schlage ſtanden, verborgen, und zwar ſo, daß man zehnmal unter ihr vorübergehen konnte. Jn den Nachmittagsſtunden, gewöhnlich um ein Uhr, kam ſie zum Vorſchein und ſetzte ſich auf die Spitze eines niedrigen Baumes, auf einen weit unten ſtehenden Seitenaſt oder auf den Hegewiſch. Sie kam zuweilen von Bäumen geflogen, welche gar nicht geeignet ſchienen, ſie gut zu verbergen, und auf denen ſie früher doch durchaus nicht zu entdecken war. Saß ſie frei, dann blickte ſie unverwandt auf die Erde herab und richtete ſich immer nach dem Gegenſtande hin, welcher ſich ihr näherte. Der Hegewiſch, von welchem aus ſie einen großen Theil des Schlages überſehen konnte, war oben von ihrem beſtändigen Daraufſitzen niedergedrückt, ſodaß kein Strohhalm mehr ſenkrecht ſtand. Wollte man ſich ihr, wenn ſie darauf ſaß, von hinten nähern, dann drehte ſie ſich ſogleich um, aber ohne den Ort zu verlaſſen, und man konnte, wenn man rund um ſie herumging, ſie im Kreiſe ſich drehen ſehen. Sie ließ einen Mann bis auf zehn, ja bis auf ſechs Schritte an ſich kommen und achtete die Steinwürfe ſo wenig, daß ſie einem an ihr vorbeifliegenden Steine verwundert nachſah und einſt, als ſie getroffen wurde, zwei Ellen in die Höhe flog, aber doch ihre alte Stelle wieder einnahm. Dies Alles ſcheint mir zu beweiſen, daß ſie in ganz unbewohnten Gegenden ihren eigentlichen Aufenthalt hat; denn ſie kennt den Hauptfeind aller Thiere und ſeine Fähigkeit, in der Ferne zu wirken, durchaus nicht. Mir iſt ein ſo wenig menſchenſcheuer Vogel, welcher wie dieſe Eule völlig geſund und wohlbeleibt war, nie vorgekommen.‟ „Gelingt es ihr, eine oder zwei Mäuſe zu fangen, ſo geht ſie zur Ruhe, und man ſieht ſie des- wegen vor der Abenddämmerung ſchon nicht mehr; iſt ſie aber in der Jagd unglücklich, dann lauert ſie bis zum Einbruch der Nacht und bis nach demſelben ihrem Raube auf. Auffallend war es mir, in der Nähe jenes Schlages hie und da, aber nicht beim Hegewiſch, auf dem ſie doch täglich mehrere Stunden ſaß, ihren Koth zu finden. Jch vermuthe, daß ſie ihn da, wo ſie den Mäuſen auflauert, abſichtlich nicht fallen läßt; durch das Wegſpritzen deſſelben könnten die hervorkommenden Mäuſe verſcheucht werden. Sie hat einen leichten und geſchwinden Flug, welcher dem des Finkenhabichts ſehr ähnlich iſt. Sie bewegt, wie dieſer, die Flügel ſtreckenweiſe ſchnell und ſtreckenweiſe, wo ſie ſchwebt, gar nicht. Doch trägt ſie dieſelben, wie die andern Eulen, und kündigt ſich auch von Weitem durch ihren dicken Kopf als Eule an. Sie fliegt ungern weit, wenn ſie verfolgt wird, oft nur 50, 60, 100 Schritte, und nur, als ihr die Krähen hart zuſetzten, ſah ich ſie 300 bis 400 Schritte weit fliegen. Als die Krähen nach ihr ſtießen, ſchrie ſie heftig miauend und langgezogen „äh‟ und begab ſich gleich auf die Flucht, auf welcher ſie ihnen in kurzer Zeit ſo weit vorauseilte, daß ſie die Verfolgung aufgaben. Sie lebt wahrſcheinlich im Sommer an ſolchen Orten, wo es gar keine Krähenarten gibt; denn dieſe würden ihr, wenn ſie ſich am hellen Tage ganz frei hinſetzte, ſo mitſpielen, daß ſie ihre ganze Jagd aufgeben müßte.‟ Hier glaube ich die Bemerkung einſchalten zu dürfen, daß meines Vaters Meinung wenigſtens in Skandinavien nicht Beſtätigung findet. Dort iſt die Nebelkrähe noch innerhalb des Polar- kreiſes keineswegs ſelten. Jch vermuthe alſo, daß Eule und Krähe dort ſich an einander gewöhnt haben werden, wie Dies ja regelmäßig ſtattfindet, wenn zwei Vögel ſich genauer kennen lernen. Ueber die Art und Weiſe ihrer Mäuſejagd theilt uns mein Vater Folgendes mit. „Die Sperbereule zeichnet ſich vor vielen andern Gattungsverwandten ſchon dadurch aus, daß ſie nicht abſucht, d. h., daß ſie nicht niedrig über die Erde hinfliegend ihren Raub zu überraſchen ſtrebt. Sie erwartet ihn vielmehr, wie die Würgerarten, ſitzend. Deswegen muß ſie ſolche Stellen zu ihrem Aufenthaltsorte wählen, wo es von Mäuſen wimmelt. Dies war auf dem oben erwähnten Schlage der Fall. Auf ihm waren alle Erhöhungen mit Mäuſelöchern ſo durchgraben, daß ihre Ränder einem Durchſchlage glichen. Einen ähnlichen Platz kenne ich in unſern Wäldern nicht, und daraus wird ihre merkwürdige und hartnäckige Anhänglichkeit an dieſen Schlag und den darauf befindlichen Hegewiſch begreiflich genug. Sie wählt alſo wenig erhöhte Gegenſtände, welche ihr eine freie Ausſicht, wo möglich ringsum gewähren, damit ſie eine hervorkommende Maus ſogleich bemerken

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/628>, abgerufen am 22.11.2024.