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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Kondor.
sind schwärzlichgrau; der Hals ist fleischroth, die Kropfgegend blaßroth; ein schmaler Hautlappen an
der Kehle und die beiden warzigen Hautfalten zu beiden Seiten des Halses beim Männchen sind
lebhafter roth. Eine aus ziemlich langen Federn bestehende Nackenkrause ist weiß. Das Auge ist
feurig karminroth, der Schnabel hornfarben, die Füße sind dunkelbraun. Nach Humboldt's
Messungen beträgt die Länge des Männchens 3 Fuß 3 Zoll, die Breite 8 Fuß 9 Zoll, die Fittiglänge
3 Fuß 8 Zoll, die Schwanzlänge 14 Zoll. Ein Weibchen, welches derselbe Naturforscher maß, war
1 Zoll kürzer und 9 Zoll schmäler. Darwin gibt an, daß ein von ihm erlegter Kondor 4 Fuß lang
und 81/2 Fuß breit war. Pöppig aber sagt wörtlich: "Keiner der getödteten Kondoren maß mehr
als 16 Schuh Flügelweite und vielfältige Messungen, welche ich im Sommer in den Anden und in
den Wintermonaten in Talcahunano anstellte, bewiesen, daß 18 Fuß die größte aller vorkommenden
Weiten sei." Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, daß eine derartige, durch die Maske der
Forschung täuschende Unwahrheit ernsteste Rüge verdient. Entweder hat Pöppig nicht gemessen,
und dann war es Unrecht, Dies zu behaupten, oder aber, er hat gemessen, und dann war das
Ergebniß ein anderes.

Das Hochgebirge Südamerikas ist die Heimat des Kondors. Er verbreitet sich von Quito an
bis zum 45. Grad südlicher Breite. Jn den Andesgebirgen bevorzugt er einen Höhengürtel zwischen
drei- bis fünftausend Metres über dem Meere; an der Magalhaensstraße und an der Küste von Pata-
gonien steigt er bis zur Küste des Meeresstrandes herab d. h. er horstet hier in den steilen Klippen
unmittelbar an der Küste. Auch in Peru und Bolivia senkt er sich oft bis zur Küste hernieder; er ist
aber nach Tschudi in der Höhe mindestens zehnmal so häufig, als in der Tiefe. Man nimmt an,
daß er unter allen Vögeln des Erdballs derjenige sei, welcher in die höchsten Luftschichten emporsteigt.
Nach Humboldt sieht man ihn oft über der Höhe des Chimborasso schweben, sechsmal höher als die
Wolkenschicht, welche über der Ebene liegt: Humboldt schätzt die Höhe, in welchen er Kondore
dahinziehen sah, zu 22,000 Fuß über dem Meere.

Lebensweise und Betragen beweisen, daß der Kondor ein echter Geier ist. Während der Brutzeit
trennen sich die Gesellschaften, welche sonst gebildet werden, in Paare; in allen übrigen Monaten des
Jahres halten sich die Vögel mehr oder weniger zusammen und verstärken sich oft bis zu vierzig und
funfzig Stücken. Eine solche Gesellschaft wählt sich steile Felszacken zu ihrem Ruhesitze und kehrt
nach diesem, wie die Menge des abgelagerten Mistes beweist, regelmäßig zurück. Jn den Morgen-
stunden durchstreift sie ein Gebiet, von dessen Ausdehnung man kaum eine Vorstellung hat. Beim
Wegfliegen erheben sich die Kondore durch einige langsame Flügelschläge; dann aber schweben sie wie alle
großen Geier gleichmäßig dahin, ohne einen Flügel zu rühren, indem sie weite Kreise beschreiben, mit
dem ihnen entgegenströmenden Luftzuge sich heben und dann wieder zu einer gewissen Tiefe herab-
senken. Erspäht einer von ihnen etwas Genießbares, so läßt er sich hernieder, und alle übrigen, welche
Dies sehen, folgen ihm rasch nach. "Es ist", sagt Tschudi, "oft unbegreiflich, wie in Zeit von
weniger als einer Viertelstunde auf einem hingelegten Köder sich Scharen von Kondoren versammeln,
während auch das schärfste Auge keinen einzigen von ihnen entdecken konnte." Waren sie im Fange
glücklich, so kehren sie auch gegen Mittag wieder zu ihren nackten, steilen Felsen zurück und verträumen
hier einige Stunden. Am Abend pflegen sie dann nochmals auf Beute auszuziehen.

Der Kondor ist vorzugsweise Aasfresser wie andere Geiervögel. Humboldt berichtet, daß
ihrer zwei sich nicht blos auf den Hirsch der Anden, den Puma oder die Bicunda, sondern selbst auch
auf das Guanako und sogar auf Kälber stürzen, diese Thiere verfolgen und so lange verwunden, bis
sie athemlos hinstürzen und von dem Raubvogel getödtet werden; er versichert ferner, daß der Schaden,
welchen die Herden in der Provinz Quito durch die Kondore erleiden, oft sehr beträchtlich ist: die
neueren Beobachter aber und namentlich d'Orbigny und Tschudi stimmen vollkommen in der
Angabe überein, daß der Kondor erwachsenen Vicundas oder Guanakos nicht gefährlich werde. Ganz
unschädlich aber ist er nicht. Nach Tschudi folgen die Kondoren den wilden und zahmen Herden
und fallen augenblicklich über ein verendetes Thier her. Bei der großen Menge von Guanakos

Kondor.
ſind ſchwärzlichgrau; der Hals iſt fleiſchroth, die Kropfgegend blaßroth; ein ſchmaler Hautlappen an
der Kehle und die beiden warzigen Hautfalten zu beiden Seiten des Halſes beim Männchen ſind
lebhafter roth. Eine aus ziemlich langen Federn beſtehende Nackenkrauſe iſt weiß. Das Auge iſt
feurig karminroth, der Schnabel hornfarben, die Füße ſind dunkelbraun. Nach Humboldt’s
Meſſungen beträgt die Länge des Männchens 3 Fuß 3 Zoll, die Breite 8 Fuß 9 Zoll, die Fittiglänge
3 Fuß 8 Zoll, die Schwanzlänge 14 Zoll. Ein Weibchen, welches derſelbe Naturforſcher maß, war
1 Zoll kürzer und 9 Zoll ſchmäler. Darwin gibt an, daß ein von ihm erlegter Kondor 4 Fuß lang
und 8½ Fuß breit war. Pöppig aber ſagt wörtlich: „Keiner der getödteten Kondoren maß mehr
als 16 Schuh Flügelweite und vielfältige Meſſungen, welche ich im Sommer in den Anden und in
den Wintermonaten in Talcahunano anſtellte, bewieſen, daß 18 Fuß die größte aller vorkommenden
Weiten ſei.‟ Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, daß eine derartige, durch die Maske der
Forſchung täuſchende Unwahrheit ernſteſte Rüge verdient. Entweder hat Pöppig nicht gemeſſen,
und dann war es Unrecht, Dies zu behaupten, oder aber, er hat gemeſſen, und dann war das
Ergebniß ein anderes.

Das Hochgebirge Südamerikas iſt die Heimat des Kondors. Er verbreitet ſich von Quito an
bis zum 45. Grad ſüdlicher Breite. Jn den Andesgebirgen bevorzugt er einen Höhengürtel zwiſchen
drei- bis fünftauſend Mêtres über dem Meere; an der Magalhaensſtraße und an der Küſte von Pata-
gonien ſteigt er bis zur Küſte des Meeresſtrandes herab d. h. er horſtet hier in den ſteilen Klippen
unmittelbar an der Küſte. Auch in Peru und Bolivia ſenkt er ſich oft bis zur Küſte hernieder; er iſt
aber nach Tſchudi in der Höhe mindeſtens zehnmal ſo häufig, als in der Tiefe. Man nimmt an,
daß er unter allen Vögeln des Erdballs derjenige ſei, welcher in die höchſten Luftſchichten emporſteigt.
Nach Humboldt ſieht man ihn oft über der Höhe des Chimboraſſo ſchweben, ſechsmal höher als die
Wolkenſchicht, welche über der Ebene liegt: Humboldt ſchätzt die Höhe, in welchen er Kondore
dahinziehen ſah, zu 22,000 Fuß über dem Meere.

Lebensweiſe und Betragen beweiſen, daß der Kondor ein echter Geier iſt. Während der Brutzeit
trennen ſich die Geſellſchaften, welche ſonſt gebildet werden, in Paare; in allen übrigen Monaten des
Jahres halten ſich die Vögel mehr oder weniger zuſammen und verſtärken ſich oft bis zu vierzig und
funfzig Stücken. Eine ſolche Geſellſchaft wählt ſich ſteile Felszacken zu ihrem Ruheſitze und kehrt
nach dieſem, wie die Menge des abgelagerten Miſtes beweiſt, regelmäßig zurück. Jn den Morgen-
ſtunden durchſtreift ſie ein Gebiet, von deſſen Ausdehnung man kaum eine Vorſtellung hat. Beim
Wegfliegen erheben ſich die Kondore durch einige langſame Flügelſchläge; dann aber ſchweben ſie wie alle
großen Geier gleichmäßig dahin, ohne einen Flügel zu rühren, indem ſie weite Kreiſe beſchreiben, mit
dem ihnen entgegenſtrömenden Luftzuge ſich heben und dann wieder zu einer gewiſſen Tiefe herab-
ſenken. Erſpäht einer von ihnen etwas Genießbares, ſo läßt er ſich hernieder, und alle übrigen, welche
Dies ſehen, folgen ihm raſch nach. „Es iſt‟, ſagt Tſchudi, „oft unbegreiflich, wie in Zeit von
weniger als einer Viertelſtunde auf einem hingelegten Köder ſich Scharen von Kondoren verſammeln,
während auch das ſchärfſte Auge keinen einzigen von ihnen entdecken konnte.‟ Waren ſie im Fange
glücklich, ſo kehren ſie auch gegen Mittag wieder zu ihren nackten, ſteilen Felſen zurück und verträumen
hier einige Stunden. Am Abend pflegen ſie dann nochmals auf Beute auszuziehen.

Der Kondor iſt vorzugsweiſe Aasfreſſer wie andere Geiervögel. Humboldt berichtet, daß
ihrer zwei ſich nicht blos auf den Hirſch der Anden, den Puma oder die Bicuña, ſondern ſelbſt auch
auf das Guanako und ſogar auf Kälber ſtürzen, dieſe Thiere verfolgen und ſo lange verwunden, bis
ſie athemlos hinſtürzen und von dem Raubvogel getödtet werden; er verſichert ferner, daß der Schaden,
welchen die Herden in der Provinz Quito durch die Kondore erleiden, oft ſehr beträchtlich iſt: die
neueren Beobachter aber und namentlich d’Orbigny und Tſchudi ſtimmen vollkommen in der
Angabe überein, daß der Kondor erwachſenen Vicuñas oder Guanakos nicht gefährlich werde. Ganz
unſchädlich aber iſt er nicht. Nach Tſchudi folgen die Kondoren den wilden und zahmen Herden
und fallen augenblicklich über ein verendetes Thier her. Bei der großen Menge von Guanakos

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[557/0589] Kondor. ſind ſchwärzlichgrau; der Hals iſt fleiſchroth, die Kropfgegend blaßroth; ein ſchmaler Hautlappen an der Kehle und die beiden warzigen Hautfalten zu beiden Seiten des Halſes beim Männchen ſind lebhafter roth. Eine aus ziemlich langen Federn beſtehende Nackenkrauſe iſt weiß. Das Auge iſt feurig karminroth, der Schnabel hornfarben, die Füße ſind dunkelbraun. Nach Humboldt’s Meſſungen beträgt die Länge des Männchens 3 Fuß 3 Zoll, die Breite 8 Fuß 9 Zoll, die Fittiglänge 3 Fuß 8 Zoll, die Schwanzlänge 14 Zoll. Ein Weibchen, welches derſelbe Naturforſcher maß, war 1 Zoll kürzer und 9 Zoll ſchmäler. Darwin gibt an, daß ein von ihm erlegter Kondor 4 Fuß lang und 8½ Fuß breit war. Pöppig aber ſagt wörtlich: „Keiner der getödteten Kondoren maß mehr als 16 Schuh Flügelweite und vielfältige Meſſungen, welche ich im Sommer in den Anden und in den Wintermonaten in Talcahunano anſtellte, bewieſen, daß 18 Fuß die größte aller vorkommenden Weiten ſei.‟ Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, daß eine derartige, durch die Maske der Forſchung täuſchende Unwahrheit ernſteſte Rüge verdient. Entweder hat Pöppig nicht gemeſſen, und dann war es Unrecht, Dies zu behaupten, oder aber, er hat gemeſſen, und dann war das Ergebniß ein anderes. Das Hochgebirge Südamerikas iſt die Heimat des Kondors. Er verbreitet ſich von Quito an bis zum 45. Grad ſüdlicher Breite. Jn den Andesgebirgen bevorzugt er einen Höhengürtel zwiſchen drei- bis fünftauſend Mêtres über dem Meere; an der Magalhaensſtraße und an der Küſte von Pata- gonien ſteigt er bis zur Küſte des Meeresſtrandes herab d. h. er horſtet hier in den ſteilen Klippen unmittelbar an der Küſte. Auch in Peru und Bolivia ſenkt er ſich oft bis zur Küſte hernieder; er iſt aber nach Tſchudi in der Höhe mindeſtens zehnmal ſo häufig, als in der Tiefe. Man nimmt an, daß er unter allen Vögeln des Erdballs derjenige ſei, welcher in die höchſten Luftſchichten emporſteigt. Nach Humboldt ſieht man ihn oft über der Höhe des Chimboraſſo ſchweben, ſechsmal höher als die Wolkenſchicht, welche über der Ebene liegt: Humboldt ſchätzt die Höhe, in welchen er Kondore dahinziehen ſah, zu 22,000 Fuß über dem Meere. Lebensweiſe und Betragen beweiſen, daß der Kondor ein echter Geier iſt. Während der Brutzeit trennen ſich die Geſellſchaften, welche ſonſt gebildet werden, in Paare; in allen übrigen Monaten des Jahres halten ſich die Vögel mehr oder weniger zuſammen und verſtärken ſich oft bis zu vierzig und funfzig Stücken. Eine ſolche Geſellſchaft wählt ſich ſteile Felszacken zu ihrem Ruheſitze und kehrt nach dieſem, wie die Menge des abgelagerten Miſtes beweiſt, regelmäßig zurück. Jn den Morgen- ſtunden durchſtreift ſie ein Gebiet, von deſſen Ausdehnung man kaum eine Vorſtellung hat. Beim Wegfliegen erheben ſich die Kondore durch einige langſame Flügelſchläge; dann aber ſchweben ſie wie alle großen Geier gleichmäßig dahin, ohne einen Flügel zu rühren, indem ſie weite Kreiſe beſchreiben, mit dem ihnen entgegenſtrömenden Luftzuge ſich heben und dann wieder zu einer gewiſſen Tiefe herab- ſenken. Erſpäht einer von ihnen etwas Genießbares, ſo läßt er ſich hernieder, und alle übrigen, welche Dies ſehen, folgen ihm raſch nach. „Es iſt‟, ſagt Tſchudi, „oft unbegreiflich, wie in Zeit von weniger als einer Viertelſtunde auf einem hingelegten Köder ſich Scharen von Kondoren verſammeln, während auch das ſchärfſte Auge keinen einzigen von ihnen entdecken konnte.‟ Waren ſie im Fange glücklich, ſo kehren ſie auch gegen Mittag wieder zu ihren nackten, ſteilen Felſen zurück und verträumen hier einige Stunden. Am Abend pflegen ſie dann nochmals auf Beute auszuziehen. Der Kondor iſt vorzugsweiſe Aasfreſſer wie andere Geiervögel. Humboldt berichtet, daß ihrer zwei ſich nicht blos auf den Hirſch der Anden, den Puma oder die Bicuña, ſondern ſelbſt auch auf das Guanako und ſogar auf Kälber ſtürzen, dieſe Thiere verfolgen und ſo lange verwunden, bis ſie athemlos hinſtürzen und von dem Raubvogel getödtet werden; er verſichert ferner, daß der Schaden, welchen die Herden in der Provinz Quito durch die Kondore erleiden, oft ſehr beträchtlich iſt: die neueren Beobachter aber und namentlich d’Orbigny und Tſchudi ſtimmen vollkommen in der Angabe überein, daß der Kondor erwachſenen Vicuñas oder Guanakos nicht gefährlich werde. Ganz unſchädlich aber iſt er nicht. Nach Tſchudi folgen die Kondoren den wilden und zahmen Herden und fallen augenblicklich über ein verendetes Thier her. Bei der großen Menge von Guanakos

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/589>, abgerufen am 22.11.2024.