wieder aus. Dagegen verschlang er Säugethiere jeder Art ohne Widerstreben. Jch habe diesen Versuch unzählige Male wiederholt. Das Resultat blieb immer dasselbe." --
"Ende Mais erhielt mein Liebling -- denn das war er geworden -- seiner würdige Gesellschaft. Ein Bauer meldete mir, daß er eine "Aguila real" flügellahm geschossen habe, und sie verkaufen wollte. Jch wies ihn ab, weil ich an einem Fleischfresser genug hatte. Der Mann kam aber doch wieder und brachte -- die Mutter des jungen Geieradlers, ein prachtvolles Thier in jeder Hinsicht. Auf die Frage: wie er zu dem Vogel gekommen sei, erhielt ich eine komische Antwort. Die Tochter des Schützen war mit den Worten ins Haus getreten: Vater, hinter unserm Hause auf den Felsen sitzt ein Mann mit einer schwarzen Manta (Umschlagetuch) und rührt sich nicht. Der Bauer eilte mit seinem Gewehr nach der bezeichneten Stelle und sah, kaum hundert Schritte von seiner Wohnung entfernt, den Geieradler in einer, vor den Strahlen der Mittagssonne geschützten Höhle sitzen. Unbe- weglich hielt er aus, bis dieser ihm eine Kugel zusenden konnte, welche ihm den einen Flügel im Handgelenk zerschmetterte. Der verwundete Vogel lag auf seiner gesunden Seite und regungslos vor mir; er gab sein Unbehagen nur durch Oessnen des Schnabels und Sträuben der Nackenfedern zu erkennen. Wenn sich ihm Jemand nahete, verfolgte er dessen Bewegungen mit seinen Blicken, hackte mit dem Schnabel nach ihm, und hielt Das, was er erfaßt hatte, mit demselben fest. Jch löste ihm zunächst den verwundeten Flügel ab; der durch die Operation verursachte Schmerz machte ihn sehr wüthend; er biß heftig um sich und gebrauchte auch seine Klauen mit Geschick und Nachdruck."
"Hierauf steckte ich ihn zu dem jungen Vogel. Er legte sich auch im Käfig sofort nieder und gab lautlos dieselben Zeichen seines Unwillens wie vorher. Der Junge beschaute ihn neugierig von allen Seiten, und saß viertelstundenlang neben ihm, ohne seine Aufmerksamkeit zu erregen. Das ihm vorgeworfene Fleisch rührte er nicht an. Am andern Tage saß er auf seinen Füßen; am dritten Tage ließ ich beide in den Hof heraus. Der Alte ging mit gemessenen Schritten, mit lang herab- hängenden Federhosen, erhobenem Schwanze und geöffnetem Schnabel auf und ab, scheinbar, ohne sich um seine Umgebung zu kümmern. Jch setzte ihnen Wasser vor; der Junge lief eilig darauf los und begann zu trinken. Als Dies der Alte sah, ging er ebenfalls nach dem Gefäße hin und trank das langentbehrte Naß mit ersichtlichem Wohlbehagen. Gleich darauf wurde er munterer, und würgte zunächst das ihm eingestopfte Fleisch, das er bisher immer ausgespieen hatte, in den Kropf hinab. Das Fleisch von Geflügel verschmähte er ebenso, als der Junge es gethan hatte, und war niemals dazu zu bringen, auch das kleinste Stückchen davon zu verschlingen."
"Jn sehr kurzer Zeit verlor der Alte allen im Anfange gezeigten Trotz. Er wählte sich im Käfig einen Mauervorsprung zu seinem Sitz, und ließ, dort fußend, alles Erdenkliche um sich geschehen, ohne es zu beachten. Wenn er in den Hof gebracht wurde, lief er stets schleunigst wieder in seinen Käfig. Nach wenigen Tagen durfte ich ihn streicheln."
"Nach einiger Zeit erhielten Beide neue Gesellschaft, und zwar eine Dohle. Sie wurde gar nicht beachtet und bald so dreist, daß sie die durstigen Geieradler so lange von dem frischgefüllten Trinkgeschirr mit Schnabelhieben zurückscheuchte, als sie nicht selbst ihren Durst gestillt hatte; sie holte sich auch mit der größten Frechheit Brocken von dem Fleische, an welchem die Geieradler gerade fraßen. Beide ließen die Kecke gewähren; sie warteten mit dumm erstaunten Blicken, bis sie getrunken hatte, und nahten sich dann schüchtern, um ebenfalls ihren Durst zu löschen. Ueberhaupt schien die größte Gutmüthigkeit ein Hauptzug ihres Wesens zu sein. Wenn ich sie des Abends nebeneinander auf eine erhöhte Sitzstange setzte, konnte ich ruhig unter dieser weggehen, ohne daß einer von beiden jemals den Versuch gemacht hätte, mich zu beschädigen; vielmehr bog sich der Junge zu mir herab, um sich streicheln zu lassen."
"Wenige Tage später erhielt ich einen jungen, bereits flüggen Steinadler und zwei junge Schmuzgeier. Die Bartgeier schienen sie ziemlich erstannt zu betrachten, thaten ihnen jedoch ebenfalls nichts zu Leide; ja, der junge gab sogar zu, daß einer der Schmuzgeier sich auf seinen Rücken
Die Fänger. Raubvögel. Geier.
wieder aus. Dagegen verſchlang er Säugethiere jeder Art ohne Widerſtreben. Jch habe dieſen Verſuch unzählige Male wiederholt. Das Reſultat blieb immer daſſelbe.‟ —
„Ende Mais erhielt mein Liebling — denn das war er geworden — ſeiner würdige Geſellſchaft. Ein Bauer meldete mir, daß er eine „Aguila real‟ flügellahm geſchoſſen habe, und ſie verkaufen wollte. Jch wies ihn ab, weil ich an einem Fleiſchfreſſer genug hatte. Der Mann kam aber doch wieder und brachte — die Mutter des jungen Geieradlers, ein prachtvolles Thier in jeder Hinſicht. Auf die Frage: wie er zu dem Vogel gekommen ſei, erhielt ich eine komiſche Antwort. Die Tochter des Schützen war mit den Worten ins Haus getreten: Vater, hinter unſerm Hauſe auf den Felſen ſitzt ein Mann mit einer ſchwarzen Manta (Umſchlagetuch) und rührt ſich nicht. Der Bauer eilte mit ſeinem Gewehr nach der bezeichneten Stelle und ſah, kaum hundert Schritte von ſeiner Wohnung entfernt, den Geieradler in einer, vor den Strahlen der Mittagsſonne geſchützten Höhle ſitzen. Unbe- weglich hielt er aus, bis dieſer ihm eine Kugel zuſenden konnte, welche ihm den einen Flügel im Handgelenk zerſchmetterte. Der verwundete Vogel lag auf ſeiner geſunden Seite und regungslos vor mir; er gab ſein Unbehagen nur durch Oeſſnen des Schnabels und Sträuben der Nackenfedern zu erkennen. Wenn ſich ihm Jemand nahete, verfolgte er deſſen Bewegungen mit ſeinen Blicken, hackte mit dem Schnabel nach ihm, und hielt Das, was er erfaßt hatte, mit demſelben feſt. Jch löſte ihm zunächſt den verwundeten Flügel ab; der durch die Operation verurſachte Schmerz machte ihn ſehr wüthend; er biß heftig um ſich und gebrauchte auch ſeine Klauen mit Geſchick und Nachdruck.‟
„Hierauf ſteckte ich ihn zu dem jungen Vogel. Er legte ſich auch im Käfig ſofort nieder und gab lautlos dieſelben Zeichen ſeines Unwillens wie vorher. Der Junge beſchaute ihn neugierig von allen Seiten, und ſaß viertelſtundenlang neben ihm, ohne ſeine Aufmerkſamkeit zu erregen. Das ihm vorgeworfene Fleiſch rührte er nicht an. Am andern Tage ſaß er auf ſeinen Füßen; am dritten Tage ließ ich beide in den Hof heraus. Der Alte ging mit gemeſſenen Schritten, mit lang herab- hängenden Federhoſen, erhobenem Schwanze und geöffnetem Schnabel auf und ab, ſcheinbar, ohne ſich um ſeine Umgebung zu kümmern. Jch ſetzte ihnen Waſſer vor; der Junge lief eilig darauf los und begann zu trinken. Als Dies der Alte ſah, ging er ebenfalls nach dem Gefäße hin und trank das langentbehrte Naß mit erſichtlichem Wohlbehagen. Gleich darauf wurde er munterer, und würgte zunächſt das ihm eingeſtopfte Fleiſch, das er bisher immer ausgeſpieen hatte, in den Kropf hinab. Das Fleiſch von Geflügel verſchmähte er ebenſo, als der Junge es gethan hatte, und war niemals dazu zu bringen, auch das kleinſte Stückchen davon zu verſchlingen.‟
„Jn ſehr kurzer Zeit verlor der Alte allen im Anfange gezeigten Trotz. Er wählte ſich im Käfig einen Mauervorſprung zu ſeinem Sitz, und ließ, dort fußend, alles Erdenkliche um ſich geſchehen, ohne es zu beachten. Wenn er in den Hof gebracht wurde, lief er ſtets ſchleunigſt wieder in ſeinen Käfig. Nach wenigen Tagen durfte ich ihn ſtreicheln.‟
„Nach einiger Zeit erhielten Beide neue Geſellſchaft, und zwar eine Dohle. Sie wurde gar nicht beachtet und bald ſo dreiſt, daß ſie die durſtigen Geieradler ſo lange von dem friſchgefüllten Trinkgeſchirr mit Schnabelhieben zurückſcheuchte, als ſie nicht ſelbſt ihren Durſt geſtillt hatte; ſie holte ſich auch mit der größten Frechheit Brocken von dem Fleiſche, an welchem die Geieradler gerade fraßen. Beide ließen die Kecke gewähren; ſie warteten mit dumm erſtaunten Blicken, bis ſie getrunken hatte, und nahten ſich dann ſchüchtern, um ebenfalls ihren Durſt zu löſchen. Ueberhaupt ſchien die größte Gutmüthigkeit ein Hauptzug ihres Weſens zu ſein. Wenn ich ſie des Abends nebeneinander auf eine erhöhte Sitzſtange ſetzte, konnte ich ruhig unter dieſer weggehen, ohne daß einer von beiden jemals den Verſuch gemacht hätte, mich zu beſchädigen; vielmehr bog ſich der Junge zu mir herab, um ſich ſtreicheln zu laſſen.‟
„Wenige Tage ſpäter erhielt ich einen jungen, bereits flüggen Steinadler und zwei junge Schmuzgeier. Die Bartgeier ſchienen ſie ziemlich erſtannt zu betrachten, thaten ihnen jedoch ebenfalls nichts zu Leide; ja, der junge gab ſogar zu, daß einer der Schmuzgeier ſich auf ſeinen Rücken
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0584"n="552"/><fwplace="top"type="header">Die Fänger. Raubvögel. Geier.</fw><lb/>
wieder aus. Dagegen verſchlang er Säugethiere jeder Art ohne Widerſtreben. Jch habe dieſen<lb/>
Verſuch unzählige Male wiederholt. Das Reſultat blieb immer daſſelbe.‟—</p><lb/><p>„Ende Mais erhielt mein Liebling — denn das war er geworden —ſeiner würdige Geſellſchaft.<lb/>
Ein Bauer meldete mir, daß er eine <hirendition="#aq">„Aguila real‟</hi> flügellahm geſchoſſen habe, und ſie verkaufen<lb/>
wollte. Jch wies ihn ab, weil ich an einem Fleiſchfreſſer genug hatte. Der Mann kam aber doch<lb/>
wieder und brachte — die Mutter des jungen Geieradlers, ein prachtvolles Thier in jeder Hinſicht.<lb/>
Auf die Frage: wie er zu dem Vogel gekommen ſei, erhielt ich eine komiſche Antwort. Die Tochter<lb/>
des Schützen war mit den Worten ins Haus getreten: Vater, hinter unſerm Hauſe auf den Felſen<lb/>ſitzt ein Mann mit einer ſchwarzen Manta (Umſchlagetuch) und rührt ſich nicht. Der Bauer eilte mit<lb/>ſeinem Gewehr nach der bezeichneten Stelle und ſah, kaum hundert Schritte von ſeiner Wohnung<lb/>
entfernt, den Geieradler in einer, vor den Strahlen der Mittagsſonne geſchützten Höhle ſitzen. Unbe-<lb/>
weglich hielt er aus, bis dieſer ihm eine Kugel zuſenden konnte, welche ihm den einen Flügel im<lb/>
Handgelenk zerſchmetterte. Der verwundete Vogel lag auf ſeiner geſunden Seite und regungslos vor<lb/>
mir; er gab ſein Unbehagen nur durch Oeſſnen des Schnabels und Sträuben der Nackenfedern zu<lb/>
erkennen. Wenn ſich ihm Jemand nahete, verfolgte er deſſen Bewegungen mit ſeinen Blicken, hackte<lb/>
mit dem Schnabel nach ihm, und hielt Das, was er erfaßt hatte, mit demſelben feſt. Jch löſte ihm<lb/>
zunächſt den verwundeten Flügel ab; der durch die Operation verurſachte Schmerz machte ihn ſehr<lb/>
wüthend; er biß heftig um ſich und gebrauchte auch ſeine Klauen mit Geſchick und Nachdruck.‟</p><lb/><p>„Hierauf ſteckte ich ihn zu dem jungen Vogel. Er legte ſich auch im Käfig ſofort nieder und gab<lb/>
lautlos dieſelben Zeichen ſeines Unwillens wie vorher. Der Junge beſchaute ihn neugierig von allen<lb/>
Seiten, und ſaß viertelſtundenlang neben ihm, ohne ſeine Aufmerkſamkeit zu erregen. Das ihm<lb/>
vorgeworfene Fleiſch rührte er nicht an. Am andern Tage ſaß er auf ſeinen Füßen; am dritten<lb/>
Tage ließ ich beide in den Hof heraus. Der Alte ging mit gemeſſenen Schritten, mit lang herab-<lb/>
hängenden Federhoſen, erhobenem Schwanze und geöffnetem Schnabel auf und ab, ſcheinbar, ohne ſich<lb/>
um ſeine Umgebung zu kümmern. Jch ſetzte ihnen Waſſer vor; der Junge lief eilig darauf los und<lb/>
begann zu trinken. Als Dies der Alte ſah, ging er ebenfalls nach dem Gefäße hin und trank das<lb/>
langentbehrte Naß mit erſichtlichem Wohlbehagen. Gleich darauf wurde er munterer, und würgte<lb/>
zunächſt das ihm eingeſtopfte Fleiſch, das er bisher immer ausgeſpieen hatte, in den Kropf hinab.<lb/>
Das Fleiſch von Geflügel verſchmähte er ebenſo, als der Junge es gethan hatte, und war niemals<lb/>
dazu zu bringen, auch das kleinſte Stückchen davon zu verſchlingen.‟</p><lb/><p>„Jn ſehr kurzer Zeit verlor der Alte allen im Anfange gezeigten Trotz. Er wählte ſich im Käfig<lb/>
einen Mauervorſprung zu ſeinem Sitz, und ließ, dort fußend, alles Erdenkliche um ſich geſchehen, ohne<lb/>
es zu beachten. Wenn er in den Hof gebracht wurde, lief er ſtets ſchleunigſt wieder in ſeinen Käfig.<lb/>
Nach wenigen Tagen durfte ich ihn ſtreicheln.‟</p><lb/><p>„Nach einiger Zeit erhielten Beide neue Geſellſchaft, und zwar eine <hirendition="#g">Dohle.</hi> Sie wurde gar<lb/>
nicht beachtet und bald ſo dreiſt, daß ſie die durſtigen Geieradler ſo lange von dem friſchgefüllten<lb/>
Trinkgeſchirr mit Schnabelhieben zurückſcheuchte, als ſie nicht ſelbſt ihren Durſt geſtillt hatte; ſie holte<lb/>ſich auch mit der größten Frechheit Brocken von dem Fleiſche, an welchem die Geieradler gerade fraßen.<lb/>
Beide ließen die Kecke gewähren; ſie warteten mit dumm erſtaunten Blicken, bis ſie getrunken hatte,<lb/>
und nahten ſich dann ſchüchtern, um ebenfalls ihren Durſt zu löſchen. Ueberhaupt ſchien die größte<lb/>
Gutmüthigkeit ein Hauptzug ihres Weſens zu ſein. Wenn ich ſie des Abends nebeneinander auf<lb/>
eine erhöhte Sitzſtange ſetzte, konnte ich ruhig unter dieſer weggehen, ohne daß einer von beiden<lb/>
jemals den Verſuch gemacht hätte, mich zu beſchädigen; vielmehr bog ſich der Junge zu mir herab, um<lb/>ſich ſtreicheln zu laſſen.‟</p><lb/><p>„Wenige Tage ſpäter erhielt ich einen jungen, bereits flüggen <hirendition="#g">Steinadler</hi> und zwei junge<lb/><hirendition="#g">Schmuzgeier.</hi> Die Bartgeier ſchienen ſie ziemlich erſtannt zu betrachten, thaten ihnen jedoch<lb/>
ebenfalls nichts zu Leide; ja, der junge gab ſogar zu, daß einer der Schmuzgeier ſich auf ſeinen Rücken<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[552/0584]
Die Fänger. Raubvögel. Geier.
wieder aus. Dagegen verſchlang er Säugethiere jeder Art ohne Widerſtreben. Jch habe dieſen
Verſuch unzählige Male wiederholt. Das Reſultat blieb immer daſſelbe.‟ —
„Ende Mais erhielt mein Liebling — denn das war er geworden — ſeiner würdige Geſellſchaft.
Ein Bauer meldete mir, daß er eine „Aguila real‟ flügellahm geſchoſſen habe, und ſie verkaufen
wollte. Jch wies ihn ab, weil ich an einem Fleiſchfreſſer genug hatte. Der Mann kam aber doch
wieder und brachte — die Mutter des jungen Geieradlers, ein prachtvolles Thier in jeder Hinſicht.
Auf die Frage: wie er zu dem Vogel gekommen ſei, erhielt ich eine komiſche Antwort. Die Tochter
des Schützen war mit den Worten ins Haus getreten: Vater, hinter unſerm Hauſe auf den Felſen
ſitzt ein Mann mit einer ſchwarzen Manta (Umſchlagetuch) und rührt ſich nicht. Der Bauer eilte mit
ſeinem Gewehr nach der bezeichneten Stelle und ſah, kaum hundert Schritte von ſeiner Wohnung
entfernt, den Geieradler in einer, vor den Strahlen der Mittagsſonne geſchützten Höhle ſitzen. Unbe-
weglich hielt er aus, bis dieſer ihm eine Kugel zuſenden konnte, welche ihm den einen Flügel im
Handgelenk zerſchmetterte. Der verwundete Vogel lag auf ſeiner geſunden Seite und regungslos vor
mir; er gab ſein Unbehagen nur durch Oeſſnen des Schnabels und Sträuben der Nackenfedern zu
erkennen. Wenn ſich ihm Jemand nahete, verfolgte er deſſen Bewegungen mit ſeinen Blicken, hackte
mit dem Schnabel nach ihm, und hielt Das, was er erfaßt hatte, mit demſelben feſt. Jch löſte ihm
zunächſt den verwundeten Flügel ab; der durch die Operation verurſachte Schmerz machte ihn ſehr
wüthend; er biß heftig um ſich und gebrauchte auch ſeine Klauen mit Geſchick und Nachdruck.‟
„Hierauf ſteckte ich ihn zu dem jungen Vogel. Er legte ſich auch im Käfig ſofort nieder und gab
lautlos dieſelben Zeichen ſeines Unwillens wie vorher. Der Junge beſchaute ihn neugierig von allen
Seiten, und ſaß viertelſtundenlang neben ihm, ohne ſeine Aufmerkſamkeit zu erregen. Das ihm
vorgeworfene Fleiſch rührte er nicht an. Am andern Tage ſaß er auf ſeinen Füßen; am dritten
Tage ließ ich beide in den Hof heraus. Der Alte ging mit gemeſſenen Schritten, mit lang herab-
hängenden Federhoſen, erhobenem Schwanze und geöffnetem Schnabel auf und ab, ſcheinbar, ohne ſich
um ſeine Umgebung zu kümmern. Jch ſetzte ihnen Waſſer vor; der Junge lief eilig darauf los und
begann zu trinken. Als Dies der Alte ſah, ging er ebenfalls nach dem Gefäße hin und trank das
langentbehrte Naß mit erſichtlichem Wohlbehagen. Gleich darauf wurde er munterer, und würgte
zunächſt das ihm eingeſtopfte Fleiſch, das er bisher immer ausgeſpieen hatte, in den Kropf hinab.
Das Fleiſch von Geflügel verſchmähte er ebenſo, als der Junge es gethan hatte, und war niemals
dazu zu bringen, auch das kleinſte Stückchen davon zu verſchlingen.‟
„Jn ſehr kurzer Zeit verlor der Alte allen im Anfange gezeigten Trotz. Er wählte ſich im Käfig
einen Mauervorſprung zu ſeinem Sitz, und ließ, dort fußend, alles Erdenkliche um ſich geſchehen, ohne
es zu beachten. Wenn er in den Hof gebracht wurde, lief er ſtets ſchleunigſt wieder in ſeinen Käfig.
Nach wenigen Tagen durfte ich ihn ſtreicheln.‟
„Nach einiger Zeit erhielten Beide neue Geſellſchaft, und zwar eine Dohle. Sie wurde gar
nicht beachtet und bald ſo dreiſt, daß ſie die durſtigen Geieradler ſo lange von dem friſchgefüllten
Trinkgeſchirr mit Schnabelhieben zurückſcheuchte, als ſie nicht ſelbſt ihren Durſt geſtillt hatte; ſie holte
ſich auch mit der größten Frechheit Brocken von dem Fleiſche, an welchem die Geieradler gerade fraßen.
Beide ließen die Kecke gewähren; ſie warteten mit dumm erſtaunten Blicken, bis ſie getrunken hatte,
und nahten ſich dann ſchüchtern, um ebenfalls ihren Durſt zu löſchen. Ueberhaupt ſchien die größte
Gutmüthigkeit ein Hauptzug ihres Weſens zu ſein. Wenn ich ſie des Abends nebeneinander auf
eine erhöhte Sitzſtange ſetzte, konnte ich ruhig unter dieſer weggehen, ohne daß einer von beiden
jemals den Verſuch gemacht hätte, mich zu beſchädigen; vielmehr bog ſich der Junge zu mir herab, um
ſich ſtreicheln zu laſſen.‟
„Wenige Tage ſpäter erhielt ich einen jungen, bereits flüggen Steinadler und zwei junge
Schmuzgeier. Die Bartgeier ſchienen ſie ziemlich erſtannt zu betrachten, thaten ihnen jedoch
ebenfalls nichts zu Leide; ja, der junge gab ſogar zu, daß einer der Schmuzgeier ſich auf ſeinen Rücken
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/584>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.