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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Bartgeier.
Hunde raube und fresse, niemals den Geieradler, sondern immer nur den Steinadler zu nennen.
Von diesem, aber auch blos von diesem hatte man ebensoviel Geschichten zu erzählen, wie unsere
deutschen Naturforscher von dem Geieradler der Alpen. Jm ganzen wird der Bartgeier als ein sehr
unschuldiger Vogel betrachtet. Kein Hirte fürchtet ihn, kein Viehbesitzer weiß Etwas von Räubereien,
welche er ausgeführt haben soll, aber Jedermann versichert, daß er regelmäßig mit den Geiern auf das
Aas falle und, wie bemerkt, Knochen aus der Höhe herabwerfe, um sie zu zerbrechen. Jch selbst habe
in der Sierra Newada einen Lämmergeier lange Zeit hinter einander von einem Felsen aus hoch in
die Luft steigen, niederschweben, etwas von diesem Felsen aufnehmen, wieder emporsteigen und von
neuem nach dem Felsen herabschweben sehen und mir solches Beginnen nicht anders erklären können,
als der Aussage der Spanier entsprechend. Jn der That liegt kein Grund vor, zu zweifeln, daß der
Vogel große Knochen in dieser Weise zertrümmere. Seeadler und andere Raubvögel, namentlich aber
Raben und Möven, thun, nach den Versicherungen der gewissenhaftesten Beobachter, genau Dasselbe.
Der Bartgeier führt also seinen spanischen Namen mit Fug und Recht."

Heuglin sagt (1856): "Der Bartgeier (Abissiniens) lebt hauptsächlich von Ueberresten von
Schlachtvieh, nimmt aber im Nothfall auch mit Aas vorlieb. Daß er Ziegen und Schafe angreift,
wie Rüppell behauptet, kann ich nicht bestätigen. Blos ein einziger von denen, welche ich untersuchte,
hatte Stachelratten gefressen; in dem Magen aller übrigen fand ich Haut und Knochenreste von
Schlachtvieh." Später (1862), fügt er Dem hinzu: "Der Vogel erscheint oft in größerer Anzahl an
Orten, wo sich Schlachtviehüberreste finden und frißt Knochen von ganz erstaunlicher Größe, die sehr
rasch verdaut werden."

Krüper, welcher den Geieradler lange Zeit in Griechenland beobachtete, beginnt die
Beschreibung seiner Lebensweise mit folgenden Worten: "Hört man den Namen Lämmergeier aus-
sprechen, so erinnert man sich unwillkürlich an den kühnsten Räuber in der Vogelwelt und schaudert
zusammen, so gebrandmarkt stellt sich der Vogel vor das geistige Auge. Jst der Lämmergeier
denn auch wirklich ein den Herden und Menschen Furcht und Schrecken einflößendes und so
schädliches Thier, oder ist er ohne sein Zuthun in den Ruf gekommen, den er in wissenschastlichen
Schriften und Köpfen erhalten hat? .... Jn Arkanien, wo die Gebirge nicht sehr hoch sind,
beginnt sein Gebiet unmittelbar am Meere. Was raubt denn dort in der Ebene dieser gefährliche
Nachbar? Sucht er dort die Lämmer, Ziegen oder sogar die Rinder auf, um sie zu verspeisen? Man
sieht ihn zuweilen in nicht großer Höhe am Fuß eines gebüschreichen Berges kreisen, den Kopf nach
unten gerichtet, spähend, plötzlich herabfliegen und verschwinden. Sicherlich macht er in diesem
Augenblick eine Beute, gewiß, er hat eine Ziege -- nein, er hat nur eine Schildkröte gefunden, welche
seinen Hunger stillen oder seinen Jungen wohlschmecken soll. Um zu dem Fleisch der Schildkröte
zu gelangen, wirft er dieselbe aus der Höhe auf einen Felsen, damit sie zerschellt. Bisher hatte ich
noch nicht Gelegenheit, diese Zerschmetterungsweise zu beobachten; der Engländer Simmpson aber,
welcher den Geieradler in Algier beobachtete, bestätigt die Angabe und erzählte mir, daß jeder Vogel
einen Felsen habe, auf dem er die Schildkröten zertrümmere. Solche Stellen sah Simmpson selbst.
Am 14. März 1861 besuchte ich den Horst eines Lämmergeiers. Unten an der nicht hohen Felsen-
wand lag eine große Menge von Schildkröten, sowie verschiedene Knochen." --

"Markknochen", gibt Simmpson (im Jahre 1860) an, "sind die Leckerbissen, welche der Geier-
adler am meisten liebt, und wenn die übrigen Geier das Fleisch von dem Geripp einer Thierleiche
abgefressen haben, erscheint er zu Ende des Festes und verschlingt die Knochen oder zerbricht sie und
verschlingt dann die Stücke, wenn er nicht im Stande ist, das Mark auf andere Weise zu gewinnen.
Die Knochen zerbricht er, indem er sie in eine große Höhe hebt und vonhieraus auf einen Stein
fallen läßt. Wahrscheinlich ist er der Vogel, welcher dem armen alten Aeschylus die Schildkröte auf
die Glatze warf. Weder er noch sein Junges sind genügsam. Man findet Knochen, Schildkröten
und ähnliche Leckereien in Menge neben dem Horste. Damit soll jedoch keineswegs gesagt sein,
daß er sich oder sein Junges auf Markknochen, Schildkröten und ähnliche Leckereien beschränke:

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Bartgeier.
Hunde raube und freſſe, niemals den Geieradler, ſondern immer nur den Steinadler zu nennen.
Von dieſem, aber auch blos von dieſem hatte man ebenſoviel Geſchichten zu erzählen, wie unſere
deutſchen Naturforſcher von dem Geieradler der Alpen. Jm ganzen wird der Bartgeier als ein ſehr
unſchuldiger Vogel betrachtet. Kein Hirte fürchtet ihn, kein Viehbeſitzer weiß Etwas von Räubereien,
welche er ausgeführt haben ſoll, aber Jedermann verſichert, daß er regelmäßig mit den Geiern auf das
Aas falle und, wie bemerkt, Knochen aus der Höhe herabwerfe, um ſie zu zerbrechen. Jch ſelbſt habe
in der Sierra Newada einen Lämmergeier lange Zeit hinter einander von einem Felſen aus hoch in
die Luft ſteigen, niederſchweben, etwas von dieſem Felſen aufnehmen, wieder emporſteigen und von
neuem nach dem Felſen herabſchweben ſehen und mir ſolches Beginnen nicht anders erklären können,
als der Ausſage der Spanier entſprechend. Jn der That liegt kein Grund vor, zu zweifeln, daß der
Vogel große Knochen in dieſer Weiſe zertrümmere. Seeadler und andere Raubvögel, namentlich aber
Raben und Möven, thun, nach den Verſicherungen der gewiſſenhafteſten Beobachter, genau Daſſelbe.
Der Bartgeier führt alſo ſeinen ſpaniſchen Namen mit Fug und Recht.‟

Heuglin ſagt (1856): „Der Bartgeier (Abiſſiniens) lebt hauptſächlich von Ueberreſten von
Schlachtvieh, nimmt aber im Nothfall auch mit Aas vorlieb. Daß er Ziegen und Schafe angreift,
wie Rüppell behauptet, kann ich nicht beſtätigen. Blos ein einziger von denen, welche ich unterſuchte,
hatte Stachelratten gefreſſen; in dem Magen aller übrigen fand ich Haut und Knochenreſte von
Schlachtvieh.‟ Später (1862), fügt er Dem hinzu: „Der Vogel erſcheint oft in größerer Anzahl an
Orten, wo ſich Schlachtviehüberreſte finden und frißt Knochen von ganz erſtaunlicher Größe, die ſehr
raſch verdaut werden.‟

Krüper, welcher den Geieradler lange Zeit in Griechenland beobachtete, beginnt die
Beſchreibung ſeiner Lebensweiſe mit folgenden Worten: „Hört man den Namen Lämmergeier aus-
ſprechen, ſo erinnert man ſich unwillkürlich an den kühnſten Räuber in der Vogelwelt und ſchaudert
zuſammen, ſo gebrandmarkt ſtellt ſich der Vogel vor das geiſtige Auge. Jſt der Lämmergeier
denn auch wirklich ein den Herden und Menſchen Furcht und Schrecken einflößendes und ſo
ſchädliches Thier, oder iſt er ohne ſein Zuthun in den Ruf gekommen, den er in wiſſenſchaſtlichen
Schriften und Köpfen erhalten hat? .... Jn Arkanien, wo die Gebirge nicht ſehr hoch ſind,
beginnt ſein Gebiet unmittelbar am Meere. Was raubt denn dort in der Ebene dieſer gefährliche
Nachbar? Sucht er dort die Lämmer, Ziegen oder ſogar die Rinder auf, um ſie zu verſpeiſen? Man
ſieht ihn zuweilen in nicht großer Höhe am Fuß eines gebüſchreichen Berges kreiſen, den Kopf nach
unten gerichtet, ſpähend, plötzlich herabfliegen und verſchwinden. Sicherlich macht er in dieſem
Augenblick eine Beute, gewiß, er hat eine Ziege — nein, er hat nur eine Schildkröte gefunden, welche
ſeinen Hunger ſtillen oder ſeinen Jungen wohlſchmecken ſoll. Um zu dem Fleiſch der Schildkröte
zu gelangen, wirft er dieſelbe aus der Höhe auf einen Felſen, damit ſie zerſchellt. Bisher hatte ich
noch nicht Gelegenheit, dieſe Zerſchmetterungsweiſe zu beobachten; der Engländer Simmpſon aber,
welcher den Geieradler in Algier beobachtete, beſtätigt die Angabe und erzählte mir, daß jeder Vogel
einen Felſen habe, auf dem er die Schildkröten zertrümmere. Solche Stellen ſah Simmpſon ſelbſt.
Am 14. März 1861 beſuchte ich den Horſt eines Lämmergeiers. Unten an der nicht hohen Felſen-
wand lag eine große Menge von Schildkröten, ſowie verſchiedene Knochen.‟ —

„Markknochen‟, gibt Simmpſon (im Jahre 1860) an, „ſind die Leckerbiſſen, welche der Geier-
adler am meiſten liebt, und wenn die übrigen Geier das Fleiſch von dem Geripp einer Thierleiche
abgefreſſen haben, erſcheint er zu Ende des Feſtes und verſchlingt die Knochen oder zerbricht ſie und
verſchlingt dann die Stücke, wenn er nicht im Stande iſt, das Mark auf andere Weiſe zu gewinnen.
Die Knochen zerbricht er, indem er ſie in eine große Höhe hebt und vonhieraus auf einen Stein
fallen läßt. Wahrſcheinlich iſt er der Vogel, welcher dem armen alten Aeſchylus die Schildkröte auf
die Glatze warf. Weder er noch ſein Junges ſind genügſam. Man findet Knochen, Schildkröten
und ähnliche Leckereien in Menge neben dem Horſte. Damit ſoll jedoch keineswegs geſagt ſein,
daß er ſich oder ſein Junges auf Markknochen, Schildkröten und ähnliche Leckereien beſchränke:

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[547/0579] Bartgeier. Hunde raube und freſſe, niemals den Geieradler, ſondern immer nur den Steinadler zu nennen. Von dieſem, aber auch blos von dieſem hatte man ebenſoviel Geſchichten zu erzählen, wie unſere deutſchen Naturforſcher von dem Geieradler der Alpen. Jm ganzen wird der Bartgeier als ein ſehr unſchuldiger Vogel betrachtet. Kein Hirte fürchtet ihn, kein Viehbeſitzer weiß Etwas von Räubereien, welche er ausgeführt haben ſoll, aber Jedermann verſichert, daß er regelmäßig mit den Geiern auf das Aas falle und, wie bemerkt, Knochen aus der Höhe herabwerfe, um ſie zu zerbrechen. Jch ſelbſt habe in der Sierra Newada einen Lämmergeier lange Zeit hinter einander von einem Felſen aus hoch in die Luft ſteigen, niederſchweben, etwas von dieſem Felſen aufnehmen, wieder emporſteigen und von neuem nach dem Felſen herabſchweben ſehen und mir ſolches Beginnen nicht anders erklären können, als der Ausſage der Spanier entſprechend. Jn der That liegt kein Grund vor, zu zweifeln, daß der Vogel große Knochen in dieſer Weiſe zertrümmere. Seeadler und andere Raubvögel, namentlich aber Raben und Möven, thun, nach den Verſicherungen der gewiſſenhafteſten Beobachter, genau Daſſelbe. Der Bartgeier führt alſo ſeinen ſpaniſchen Namen mit Fug und Recht.‟ Heuglin ſagt (1856): „Der Bartgeier (Abiſſiniens) lebt hauptſächlich von Ueberreſten von Schlachtvieh, nimmt aber im Nothfall auch mit Aas vorlieb. Daß er Ziegen und Schafe angreift, wie Rüppell behauptet, kann ich nicht beſtätigen. Blos ein einziger von denen, welche ich unterſuchte, hatte Stachelratten gefreſſen; in dem Magen aller übrigen fand ich Haut und Knochenreſte von Schlachtvieh.‟ Später (1862), fügt er Dem hinzu: „Der Vogel erſcheint oft in größerer Anzahl an Orten, wo ſich Schlachtviehüberreſte finden und frißt Knochen von ganz erſtaunlicher Größe, die ſehr raſch verdaut werden.‟ Krüper, welcher den Geieradler lange Zeit in Griechenland beobachtete, beginnt die Beſchreibung ſeiner Lebensweiſe mit folgenden Worten: „Hört man den Namen Lämmergeier aus- ſprechen, ſo erinnert man ſich unwillkürlich an den kühnſten Räuber in der Vogelwelt und ſchaudert zuſammen, ſo gebrandmarkt ſtellt ſich der Vogel vor das geiſtige Auge. Jſt der Lämmergeier denn auch wirklich ein den Herden und Menſchen Furcht und Schrecken einflößendes und ſo ſchädliches Thier, oder iſt er ohne ſein Zuthun in den Ruf gekommen, den er in wiſſenſchaſtlichen Schriften und Köpfen erhalten hat? .... Jn Arkanien, wo die Gebirge nicht ſehr hoch ſind, beginnt ſein Gebiet unmittelbar am Meere. Was raubt denn dort in der Ebene dieſer gefährliche Nachbar? Sucht er dort die Lämmer, Ziegen oder ſogar die Rinder auf, um ſie zu verſpeiſen? Man ſieht ihn zuweilen in nicht großer Höhe am Fuß eines gebüſchreichen Berges kreiſen, den Kopf nach unten gerichtet, ſpähend, plötzlich herabfliegen und verſchwinden. Sicherlich macht er in dieſem Augenblick eine Beute, gewiß, er hat eine Ziege — nein, er hat nur eine Schildkröte gefunden, welche ſeinen Hunger ſtillen oder ſeinen Jungen wohlſchmecken ſoll. Um zu dem Fleiſch der Schildkröte zu gelangen, wirft er dieſelbe aus der Höhe auf einen Felſen, damit ſie zerſchellt. Bisher hatte ich noch nicht Gelegenheit, dieſe Zerſchmetterungsweiſe zu beobachten; der Engländer Simmpſon aber, welcher den Geieradler in Algier beobachtete, beſtätigt die Angabe und erzählte mir, daß jeder Vogel einen Felſen habe, auf dem er die Schildkröten zertrümmere. Solche Stellen ſah Simmpſon ſelbſt. Am 14. März 1861 beſuchte ich den Horſt eines Lämmergeiers. Unten an der nicht hohen Felſen- wand lag eine große Menge von Schildkröten, ſowie verſchiedene Knochen.‟ — „Markknochen‟, gibt Simmpſon (im Jahre 1860) an, „ſind die Leckerbiſſen, welche der Geier- adler am meiſten liebt, und wenn die übrigen Geier das Fleiſch von dem Geripp einer Thierleiche abgefreſſen haben, erſcheint er zu Ende des Feſtes und verſchlingt die Knochen oder zerbricht ſie und verſchlingt dann die Stücke, wenn er nicht im Stande iſt, das Mark auf andere Weiſe zu gewinnen. Die Knochen zerbricht er, indem er ſie in eine große Höhe hebt und vonhieraus auf einen Stein fallen läßt. Wahrſcheinlich iſt er der Vogel, welcher dem armen alten Aeſchylus die Schildkröte auf die Glatze warf. Weder er noch ſein Junges ſind genügſam. Man findet Knochen, Schildkröten und ähnliche Leckereien in Menge neben dem Horſte. Damit ſoll jedoch keineswegs geſagt ſein, daß er ſich oder ſein Junges auf Markknochen, Schildkröten und ähnliche Leckereien beſchränke: 35*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/579>, abgerufen am 22.11.2024.