des breiten Stromes. Sein glühendes Auge überschaut das weite Gebiet, und er lauscht aufmerksam auf jeden Ton, welcher von fernher zu seinem scharfen Ohre dringt. Ab und zu fällt einer seiner Blicke auf den Boden herab, und nicht einmal ein unhörbar dahinschleichendes Hirschkalb würde ihm entgehen. Sein Gatte hat auf dem gegenüber liegenden Ufer des Stromes gebäumt und ruft, wenn Alles still und ruhig ist, zuweilen nach seinem harrenden Gefährten hinüber. Auf solchen Ruf hin öffnet dieser seine breiten Schwingen, neigt seinen Leib niederwärts, und antwortet in Tönen, welche an das Gelächter eines Wahnsinnigen erinnern. Jm nächsten Augenblick nimmt er seine frühere Stellung an, und die Stille ist wieder eingetreten."
"Verschiedene Entenarten, die Spießente, die Pfeifente, die Stockente ziehen eilig vorüber, dem Laufe des Stromes folgend; aber der Adler behelligt sie nicht. Jm nächsten Augenblick jedoch wird der wilde, trompetenartige Ton des von fernher sich nahenden Schwans gehört. Ein Ruf des Adlerweibchens schallt über den Strom, um das Männchen aufmerksam zu machen. Dieses schüttelt plötzlich seinen Leib und bringt mit dem Schnabel das Gefieder in Ordnung. Der schneeige Vogel kommt jetzt in Sicht; sein langer Hals ist vorgestreckt; das Auge schaut in die Runde zur Wacht gegen die Feinde. Die langen Schwingen tragen, wie es scheint, mit Schwierigkeit das Gewicht des Leibes und werden deshalb unablässig bewegt; die breiten Ruderfüße müssen steuern helfen. Die vom Adler auserkorene Beute nähert sich. Jn dem Augenblicke, in welchem der Schwan an dem gefürchteten Paare vorüberzieht, erhebt sich der männliche Adler von seinem Sitze mit Furcht erregendem Geschrei, welches dem Ohre des Schwanes schrecklicher dünkt, als selbst das Krachen des Gewehres. Jetzt ist der Augenblick erschienen, in welchem der Adler seine volle Kraft entfaltet. Er gleitet durch die Luft wie ein fallender Stern und stürzt sich wie ein Blitz auf das zitternde Wild, welches jetzt in Todes- schrecken und Verzweiflung durch die verschiedensten Künste des Fluges dem toddrohenden Angriffe seines grausamen Gegners zu entrinnen sucht. Es steigt, wendet sich und würde sich in den Strom stürzen, wäre der Adler nicht bekannt mit allen Listen des Schwans, und zwänge er ihn nicht, in der Luft zu verweilen. Der Schwan gibt die Hoffnung auf Entkommen auf, die Furcht übermannt ihn, und seine Kraft verläßt ihn angesichts der Kühnheit und Schnelle seines Gegners. Noch einen verzweifelten Versuch zum Entrinnen, und der Adler schlägt ihm seinen Fang unter den Flügeln ein und zwingt ihn, mit unwiderstehlicher Kraft, sich gegen das nächste Ufer hin mit ihm niederzusenken."
"Jetzt könnt Jhr alle Grausamkeit des fürchterlichsten Feindes der Befiederten sehen. Auf- gerichtet über dem Opfer, welches unter ihm verhaucht, preßt er die gewaltigen Fänge zusammen und treibt die scharfen Klauen tief in das Herz des sterbenden Vogels. Er jauchzt vor Vergnügen in dem Augenblicke, während seine Beute unter ihm krampfhaft zusammenzuckt. Das Weibchen hat bis dahin jede Bewegung ihres Gatten beobachtet, und wenn es ihm nicht zu Hilfe kam, so geschah Das nur, weil es fühlte, daß die Kraft und Kühnheit des Gemahls vollständig genügend war. Jetzt aber schwebt es zu diesem herüber, und beide drehen nun die Brust des unglücklichen Schwans nach oben und beginnen die Mahlzeit."
Ein Dichter, wie Audubon es war, wird zur Schilderung des Angriffs eines Seeadlers auf seine wehrlose Beute kaum andere Worte verwenden können. Von einer Uebertreibung ist hier nicht zu reden. Der Forscher hat das wirklich Gesehene wiedergegeben: die lebendigen Farben seines Gemäldes sind wahrheitsgetreu. Leider kann ich, beengt durch den mir zugemessenen Raum, Audubon nicht weiter folgen; ich muß versuchen, das Uebrige, was ich über die Seeadler noch zu sagen habe, in möglichster Kürze zusammenzufassen.
Alle Seeadler verdienen ihren Namen. Sie sind vorzugsweise Küstenvögel; sie verlassen wenigstens niemals die Nähe des Wassers. Jm Jnnern des Landes kommen alte Seeadler nur an großen Strömen oder großen Seen vor; die jüngeren hingegen werden fernab vom Meere gesehen: sie wandern in der Zeit, welche zwischen ihrem Ausfliegen und der Paarung liegt, d. h. mehrere Jahre ziel- und regellos durch die weite Welt, und gelegentlich solcher Reisen erscheinen sie auch tief im Jnnern des Landes. Soviel mir bekannt, gehört es zu den größten Seltenheiten, wenn hier ein
Seeadler.
des breiten Stromes. Sein glühendes Auge überſchaut das weite Gebiet, und er lauſcht aufmerkſam auf jeden Ton, welcher von fernher zu ſeinem ſcharfen Ohre dringt. Ab und zu fällt einer ſeiner Blicke auf den Boden herab, und nicht einmal ein unhörbar dahinſchleichendes Hirſchkalb würde ihm entgehen. Sein Gatte hat auf dem gegenüber liegenden Ufer des Stromes gebäumt und ruft, wenn Alles ſtill und ruhig iſt, zuweilen nach ſeinem harrenden Gefährten hinüber. Auf ſolchen Ruf hin öffnet dieſer ſeine breiten Schwingen, neigt ſeinen Leib niederwärts, und antwortet in Tönen, welche an das Gelächter eines Wahnſinnigen erinnern. Jm nächſten Augenblick nimmt er ſeine frühere Stellung an, und die Stille iſt wieder eingetreten.‟
„Verſchiedene Entenarten, die Spießente, die Pfeifente, die Stockente ziehen eilig vorüber, dem Laufe des Stromes folgend; aber der Adler behelligt ſie nicht. Jm nächſten Augenblick jedoch wird der wilde, trompetenartige Ton des von fernher ſich nahenden Schwans gehört. Ein Ruf des Adlerweibchens ſchallt über den Strom, um das Männchen aufmerkſam zu machen. Dieſes ſchüttelt plötzlich ſeinen Leib und bringt mit dem Schnabel das Gefieder in Ordnung. Der ſchneeige Vogel kommt jetzt in Sicht; ſein langer Hals iſt vorgeſtreckt; das Auge ſchaut in die Runde zur Wacht gegen die Feinde. Die langen Schwingen tragen, wie es ſcheint, mit Schwierigkeit das Gewicht des Leibes und werden deshalb unabläſſig bewegt; die breiten Ruderfüße müſſen ſteuern helfen. Die vom Adler auserkorene Beute nähert ſich. Jn dem Augenblicke, in welchem der Schwan an dem gefürchteten Paare vorüberzieht, erhebt ſich der männliche Adler von ſeinem Sitze mit Furcht erregendem Geſchrei, welches dem Ohre des Schwanes ſchrecklicher dünkt, als ſelbſt das Krachen des Gewehres. Jetzt iſt der Augenblick erſchienen, in welchem der Adler ſeine volle Kraft entfaltet. Er gleitet durch die Luft wie ein fallender Stern und ſtürzt ſich wie ein Blitz auf das zitternde Wild, welches jetzt in Todes- ſchrecken und Verzweiflung durch die verſchiedenſten Künſte des Fluges dem toddrohenden Angriffe ſeines grauſamen Gegners zu entrinnen ſucht. Es ſteigt, wendet ſich und würde ſich in den Strom ſtürzen, wäre der Adler nicht bekannt mit allen Liſten des Schwans, und zwänge er ihn nicht, in der Luft zu verweilen. Der Schwan gibt die Hoffnung auf Entkommen auf, die Furcht übermannt ihn, und ſeine Kraft verläßt ihn angeſichts der Kühnheit und Schnelle ſeines Gegners. Noch einen verzweifelten Verſuch zum Entrinnen, und der Adler ſchlägt ihm ſeinen Fang unter den Flügeln ein und zwingt ihn, mit unwiderſtehlicher Kraft, ſich gegen das nächſte Ufer hin mit ihm niederzuſenken.‟
„Jetzt könnt Jhr alle Grauſamkeit des fürchterlichſten Feindes der Befiederten ſehen. Auf- gerichtet über dem Opfer, welches unter ihm verhaucht, preßt er die gewaltigen Fänge zuſammen und treibt die ſcharfen Klauen tief in das Herz des ſterbenden Vogels. Er jauchzt vor Vergnügen in dem Augenblicke, während ſeine Beute unter ihm krampfhaft zuſammenzuckt. Das Weibchen hat bis dahin jede Bewegung ihres Gatten beobachtet, und wenn es ihm nicht zu Hilfe kam, ſo geſchah Das nur, weil es fühlte, daß die Kraft und Kühnheit des Gemahls vollſtändig genügend war. Jetzt aber ſchwebt es zu dieſem herüber, und beide drehen nun die Bruſt des unglücklichen Schwans nach oben und beginnen die Mahlzeit.‟
Ein Dichter, wie Audubon es war, wird zur Schilderung des Angriffs eines Seeadlers auf ſeine wehrloſe Beute kaum andere Worte verwenden können. Von einer Uebertreibung iſt hier nicht zu reden. Der Forſcher hat das wirklich Geſehene wiedergegeben: die lebendigen Farben ſeines Gemäldes ſind wahrheitsgetreu. Leider kann ich, beengt durch den mir zugemeſſenen Raum, Audubon nicht weiter folgen; ich muß verſuchen, das Uebrige, was ich über die Seeadler noch zu ſagen habe, in möglichſter Kürze zuſammenzufaſſen.
Alle Seeadler verdienen ihren Namen. Sie ſind vorzugsweiſe Küſtenvögel; ſie verlaſſen wenigſtens niemals die Nähe des Waſſers. Jm Jnnern des Landes kommen alte Seeadler nur an großen Strömen oder großen Seen vor; die jüngeren hingegen werden fernab vom Meere geſehen: ſie wandern in der Zeit, welche zwiſchen ihrem Ausfliegen und der Paarung liegt, d. h. mehrere Jahre ziel- und regellos durch die weite Welt, und gelegentlich ſolcher Reiſen erſcheinen ſie auch tief im Jnnern des Landes. Soviel mir bekannt, gehört es zu den größten Seltenheiten, wenn hier ein
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[475/0507]
Seeadler.
des breiten Stromes. Sein glühendes Auge überſchaut das weite Gebiet, und er lauſcht aufmerkſam
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Blicke auf den Boden herab, und nicht einmal ein unhörbar dahinſchleichendes Hirſchkalb würde ihm
entgehen. Sein Gatte hat auf dem gegenüber liegenden Ufer des Stromes gebäumt und ruft, wenn
Alles ſtill und ruhig iſt, zuweilen nach ſeinem harrenden Gefährten hinüber. Auf ſolchen Ruf hin
öffnet dieſer ſeine breiten Schwingen, neigt ſeinen Leib niederwärts, und antwortet in Tönen, welche
an das Gelächter eines Wahnſinnigen erinnern. Jm nächſten Augenblick nimmt er ſeine frühere
Stellung an, und die Stille iſt wieder eingetreten.‟
„Verſchiedene Entenarten, die Spießente, die Pfeifente, die Stockente ziehen eilig vorüber,
dem Laufe des Stromes folgend; aber der Adler behelligt ſie nicht. Jm nächſten Augenblick jedoch
wird der wilde, trompetenartige Ton des von fernher ſich nahenden Schwans gehört. Ein Ruf des
Adlerweibchens ſchallt über den Strom, um das Männchen aufmerkſam zu machen. Dieſes ſchüttelt
plötzlich ſeinen Leib und bringt mit dem Schnabel das Gefieder in Ordnung. Der ſchneeige Vogel kommt
jetzt in Sicht; ſein langer Hals iſt vorgeſtreckt; das Auge ſchaut in die Runde zur Wacht gegen die
Feinde. Die langen Schwingen tragen, wie es ſcheint, mit Schwierigkeit das Gewicht des Leibes und
werden deshalb unabläſſig bewegt; die breiten Ruderfüße müſſen ſteuern helfen. Die vom Adler
auserkorene Beute nähert ſich. Jn dem Augenblicke, in welchem der Schwan an dem gefürchteten
Paare vorüberzieht, erhebt ſich der männliche Adler von ſeinem Sitze mit Furcht erregendem Geſchrei,
welches dem Ohre des Schwanes ſchrecklicher dünkt, als ſelbſt das Krachen des Gewehres. Jetzt iſt
der Augenblick erſchienen, in welchem der Adler ſeine volle Kraft entfaltet. Er gleitet durch die Luft
wie ein fallender Stern und ſtürzt ſich wie ein Blitz auf das zitternde Wild, welches jetzt in Todes-
ſchrecken und Verzweiflung durch die verſchiedenſten Künſte des Fluges dem toddrohenden Angriffe
ſeines grauſamen Gegners zu entrinnen ſucht. Es ſteigt, wendet ſich und würde ſich in den Strom
ſtürzen, wäre der Adler nicht bekannt mit allen Liſten des Schwans, und zwänge er ihn nicht, in der
Luft zu verweilen. Der Schwan gibt die Hoffnung auf Entkommen auf, die Furcht übermannt ihn,
und ſeine Kraft verläßt ihn angeſichts der Kühnheit und Schnelle ſeines Gegners. Noch einen
verzweifelten Verſuch zum Entrinnen, und der Adler ſchlägt ihm ſeinen Fang unter den Flügeln ein
und zwingt ihn, mit unwiderſtehlicher Kraft, ſich gegen das nächſte Ufer hin mit ihm niederzuſenken.‟
„Jetzt könnt Jhr alle Grauſamkeit des fürchterlichſten Feindes der Befiederten ſehen. Auf-
gerichtet über dem Opfer, welches unter ihm verhaucht, preßt er die gewaltigen Fänge zuſammen und
treibt die ſcharfen Klauen tief in das Herz des ſterbenden Vogels. Er jauchzt vor Vergnügen in dem
Augenblicke, während ſeine Beute unter ihm krampfhaft zuſammenzuckt. Das Weibchen hat bis
dahin jede Bewegung ihres Gatten beobachtet, und wenn es ihm nicht zu Hilfe kam, ſo geſchah Das
nur, weil es fühlte, daß die Kraft und Kühnheit des Gemahls vollſtändig genügend war. Jetzt aber
ſchwebt es zu dieſem herüber, und beide drehen nun die Bruſt des unglücklichen Schwans nach oben
und beginnen die Mahlzeit.‟
Ein Dichter, wie Audubon es war, wird zur Schilderung des Angriffs eines Seeadlers auf
ſeine wehrloſe Beute kaum andere Worte verwenden können. Von einer Uebertreibung iſt hier nicht
zu reden. Der Forſcher hat das wirklich Geſehene wiedergegeben: die lebendigen Farben ſeines
Gemäldes ſind wahrheitsgetreu. Leider kann ich, beengt durch den mir zugemeſſenen Raum,
Audubon nicht weiter folgen; ich muß verſuchen, das Uebrige, was ich über die Seeadler noch zu ſagen
habe, in möglichſter Kürze zuſammenzufaſſen.
Alle Seeadler verdienen ihren Namen. Sie ſind vorzugsweiſe Küſtenvögel; ſie verlaſſen
wenigſtens niemals die Nähe des Waſſers. Jm Jnnern des Landes kommen alte Seeadler nur an
großen Strömen oder großen Seen vor; die jüngeren hingegen werden fernab vom Meere geſehen:
ſie wandern in der Zeit, welche zwiſchen ihrem Ausfliegen und der Paarung liegt, d. h. mehrere Jahre
ziel- und regellos durch die weite Welt, und gelegentlich ſolcher Reiſen erſcheinen ſie auch tief im
Jnnern des Landes. Soviel mir bekannt, gehört es zu den größten Seltenheiten, wenn hier ein
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/507>, abgerufen am 22.11.2024.
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