Boden dahin, und nach Lazar's Beobachtungen rütteln sie nicht selten nach Art der Thurmfalken. Zum Aufbäumen wählen sie seltener die höchsten Spitzen der Bäume, vielmehr niedere Aeste derselben. Hier sitzen sie aufrecht, oft lauge Zeit, ohne ein Glied zu bewegen. Sie achten jedoch auf Alles, was um sie vorgeht und am allermeisten auf ein sich ihnen etwa bietendes Wild. Männ- chen und Weibchen halten sich stets zusammen, auch auf dem Zuge. Niemals habe ich in Afrika einen einzelnen Zwergadler gesehen; immer waren es Paare oder Gesellschaften, welche sich zusammenhielten. Dieser treuen Anhänglichkeit der Gatten entspricht das Betragen am Horste in allen Stücken.
Die Stimme ist verschieden, Wodzicki gibt sie durch die Silben "Koch koch keikei", Lazar durch "Wüd wüd" wieder; er vergleicht diese Laute mit einem helltönenden Pfeifen. Jch habe das Geschrei nie vernommen.
Die Zwergadler sind sehr lüchtige Räuber; denn kleine Vögel sind das Wild, welchem sie nach- stellen. Jch habe Tauben in ihrem Kropfe gefunden, Lazar gibt als Nahrung Ammern, Lerchen, Pieper, Finken und Rebhühner, Wodzicki außerdem noch Staare und Meisen an. Mäuse und andere kleine Säugethiere verschmähen sie ebenso wenig wie Vögel. Sie fangen im Fluge und im Sitzen mit großer Geschicklichkeit. "Auf einem Moraste", erzählt Wodzicki, "beschäf- tigten sich große Scharen von Staaren mit Aufsuchung ihrer Nahrung und lockten, wie es schien, einen Zwergadler aus dem benachbarten Walde herbei. Er kreiste in schönen Schwenkungen über den Staaren, welche alle Augenblicke einmal aufflogen und sich wieder setzten. Dieses Spiel war dem Zwergadler zu langweilig, er wollte sie also zum Aufstehen bringen, um schneller sein Frühstück zu bekommen. Mit Blitzesschnelligkeit flog er in gerader Linie auf die Staare zur Erde herab. Die Schar erschrak und wollte in den Bäumen, unter denen ich ruhete, ihre Zuflucht suchen. Trotz der kleinen Entfernung, und obwohl die Vögel den Weiden zuflogen, wurde es dem Adler möglich, einen von ihnen zu fangen. Als er herabstieß, verursachte sein unbegreiflich schneller Flug ein lautes Brausen. Nach glücklichem Fange flog der Räuber auf eine nahe stehende Bude, setzte sich hier auf das Dach, ohne auf die Jäger und Hunde zu achten, besah die Umgegend mit großer Vorsicht längere Zeit und fing dann an, den Staar zu rupfen. Diese Zubereitung der Mahlzeit dauerte über eine Viertelstunde, und als ich dann den Adler schoß, war der Staar so schön gerupft, als wenn er vom besten Koche zubereitet gewesen wäre."
Am liebsten jagt der Zwergadler im Walde und hier fast nach Art des Habichtes. Jn Egypten bieten ihm die Palmenwälder reiche Beute; hier sind es hauptsächlich die Turteltauben, denen er eifrig nachjagt: sie haben vielleicht nur in dem südlichen Wanderfalken noch einen schlimmeren Feind, als den gewandten Adler. Die Raubfähigkeit desselben wird von dem schmarotzenden Bettlergesindel wohl anerkannt; denn wie der Wanderfalk wird auch der Zwergadler von den Milanen eifrig verfolgt, sobald er Beute erworben hat, und, wie jener, wirft er solche den frechen Bettlern zu.
Jn den letzten Tagen des April schreitet der Zwergadler zur Fortpflanzung. Er horstet am liebsten in Laubwäldern in der Nähe größerer Flüsse, gern in Gesellschaft, zu zwei bis drei Paaren in einem Walde. Niemals fand Lazar einen Horst im Gebirge, nicht einmal in bergigen Gegenden. Der Horst steht auf der Spitze hoher Bäume und ist aus fingerdicken, dürren Aesten zusammengebaut. Seiner Gestalt nach ähnelt er andern Raubvogelnestern, der Größe nach einem Bussardhorste. Die kaum merkliche Nestmulde ist mit feinem Neisig und einigen wenigen grünen Blättern ausgekleidet. Anfangs Mai findet man zwei Eier, welche in Gestalt, Größe und Zeichnung den Eiern unseres Habichts täuschend ähneln. Sie sind 2 Zoll lang und haben an der dicksten Stelle 13/4 Zoll im Durchmesser; ihre Gestalt ist sehr rundlich, ihr Korn grob, die Zeichnung verschieden; gewöhnlich sind sie auf gelblichem oder weißgrünlichen Grunde mit kleinen rostgelben oder rostrothen Punkten und Flecken bedeckt. Jn der zweiten Hälfte des Juni schlüpfen die Jungen aus. Sie sind mit sehr langem und seidenweichen Flaum von lichter, auf dem Kopfe gilblicher Farbe bekleidet, erhalten aber bald das beschriebene Nestgefieder. Das Paar ist außerordentlich zärtlich: Wodzicki sah eins auf dem Horste stehen und sich nach Taubenart schnäbeln. Während das Weibchen brütet, sitzt das
Geſtiefelter Adler. Zwergadler.
Boden dahin, und nach Lázár’s Beobachtungen rütteln ſie nicht ſelten nach Art der Thurmfalken. Zum Aufbäumen wählen ſie ſeltener die höchſten Spitzen der Bäume, vielmehr niedere Aeſte derſelben. Hier ſitzen ſie aufrecht, oft lauge Zeit, ohne ein Glied zu bewegen. Sie achten jedoch auf Alles, was um ſie vorgeht und am allermeiſten auf ein ſich ihnen etwa bietendes Wild. Männ- chen und Weibchen halten ſich ſtets zuſammen, auch auf dem Zuge. Niemals habe ich in Afrika einen einzelnen Zwergadler geſehen; immer waren es Paare oder Geſellſchaften, welche ſich zuſammenhielten. Dieſer treuen Anhänglichkeit der Gatten entſpricht das Betragen am Horſte in allen Stücken.
Die Stimme iſt verſchieden, Wodzicki gibt ſie durch die Silben „Koch koch keikei‟, Lázár durch „Wüd wüd‟ wieder; er vergleicht dieſe Laute mit einem helltönenden Pfeifen. Jch habe das Geſchrei nie vernommen.
Die Zwergadler ſind ſehr lüchtige Räuber; denn kleine Vögel ſind das Wild, welchem ſie nach- ſtellen. Jch habe Tauben in ihrem Kropfe gefunden, Lázár gibt als Nahrung Ammern, Lerchen, Pieper, Finken und Rebhühner, Wodzicki außerdem noch Staare und Meiſen an. Mäuſe und andere kleine Säugethiere verſchmähen ſie ebenſo wenig wie Vögel. Sie fangen im Fluge und im Sitzen mit großer Geſchicklichkeit. „Auf einem Moraſte‟, erzählt Wodzicki, „beſchäf- tigten ſich große Scharen von Staaren mit Aufſuchung ihrer Nahrung und lockten, wie es ſchien, einen Zwergadler aus dem benachbarten Walde herbei. Er kreiſte in ſchönen Schwenkungen über den Staaren, welche alle Augenblicke einmal aufflogen und ſich wieder ſetzten. Dieſes Spiel war dem Zwergadler zu langweilig, er wollte ſie alſo zum Aufſtehen bringen, um ſchneller ſein Frühſtück zu bekommen. Mit Blitzesſchnelligkeit flog er in gerader Linie auf die Staare zur Erde herab. Die Schar erſchrak und wollte in den Bäumen, unter denen ich ruhete, ihre Zuflucht ſuchen. Trotz der kleinen Entfernung, und obwohl die Vögel den Weiden zuflogen, wurde es dem Adler möglich, einen von ihnen zu fangen. Als er herabſtieß, verurſachte ſein unbegreiflich ſchneller Flug ein lautes Brauſen. Nach glücklichem Fange flog der Räuber auf eine nahe ſtehende Bude, ſetzte ſich hier auf das Dach, ohne auf die Jäger und Hunde zu achten, beſah die Umgegend mit großer Vorſicht längere Zeit und fing dann an, den Staar zu rupfen. Dieſe Zubereitung der Mahlzeit dauerte über eine Viertelſtunde, und als ich dann den Adler ſchoß, war der Staar ſo ſchön gerupft, als wenn er vom beſten Koche zubereitet geweſen wäre.‟
Am liebſten jagt der Zwergadler im Walde und hier faſt nach Art des Habichtes. Jn Egypten bieten ihm die Palmenwälder reiche Beute; hier ſind es hauptſächlich die Turteltauben, denen er eifrig nachjagt: ſie haben vielleicht nur in dem ſüdlichen Wanderfalken noch einen ſchlimmeren Feind, als den gewandten Adler. Die Raubfähigkeit deſſelben wird von dem ſchmarotzenden Bettlergeſindel wohl anerkannt; denn wie der Wanderfalk wird auch der Zwergadler von den Milanen eifrig verfolgt, ſobald er Beute erworben hat, und, wie jener, wirft er ſolche den frechen Bettlern zu.
Jn den letzten Tagen des April ſchreitet der Zwergadler zur Fortpflanzung. Er horſtet am liebſten in Laubwäldern in der Nähe größerer Flüſſe, gern in Geſellſchaft, zu zwei bis drei Paaren in einem Walde. Niemals fand Lázár einen Horſt im Gebirge, nicht einmal in bergigen Gegenden. Der Horſt ſteht auf der Spitze hoher Bäume und iſt aus fingerdicken, dürren Aeſten zuſammengebaut. Seiner Geſtalt nach ähnelt er andern Raubvogelneſtern, der Größe nach einem Buſſardhorſte. Die kaum merkliche Neſtmulde iſt mit feinem Neiſig und einigen wenigen grünen Blättern ausgekleidet. Anfangs Mai findet man zwei Eier, welche in Geſtalt, Größe und Zeichnung den Eiern unſeres Habichts täuſchend ähneln. Sie ſind 2 Zoll lang und haben an der dickſten Stelle 1¾ Zoll im Durchmeſſer; ihre Geſtalt iſt ſehr rundlich, ihr Korn grob, die Zeichnung verſchieden; gewöhnlich ſind ſie auf gelblichem oder weißgrünlichen Grunde mit kleinen roſtgelben oder roſtrothen Punkten und Flecken bedeckt. Jn der zweiten Hälfte des Juni ſchlüpfen die Jungen aus. Sie ſind mit ſehr langem und ſeidenweichen Flaum von lichter, auf dem Kopfe gilblicher Farbe bekleidet, erhalten aber bald das beſchriebene Neſtgefieder. Das Paar iſt außerordentlich zärtlich: Wodzicki ſah eins auf dem Horſte ſtehen und ſich nach Taubenart ſchnäbeln. Während das Weibchen brütet, ſitzt das
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[457/0487]
Geſtiefelter Adler. Zwergadler.
Boden dahin, und nach Lázár’s Beobachtungen rütteln ſie nicht ſelten nach Art der Thurmfalken.
Zum Aufbäumen wählen ſie ſeltener die höchſten Spitzen der Bäume, vielmehr niedere Aeſte
derſelben. Hier ſitzen ſie aufrecht, oft lauge Zeit, ohne ein Glied zu bewegen. Sie achten jedoch
auf Alles, was um ſie vorgeht und am allermeiſten auf ein ſich ihnen etwa bietendes Wild. Männ-
chen und Weibchen halten ſich ſtets zuſammen, auch auf dem Zuge. Niemals habe ich in Afrika einen
einzelnen Zwergadler geſehen; immer waren es Paare oder Geſellſchaften, welche ſich zuſammenhielten.
Dieſer treuen Anhänglichkeit der Gatten entſpricht das Betragen am Horſte in allen Stücken.
Die Stimme iſt verſchieden, Wodzicki gibt ſie durch die Silben „Koch koch keikei‟, Lázár
durch „Wüd wüd‟ wieder; er vergleicht dieſe Laute mit einem helltönenden Pfeifen. Jch habe das
Geſchrei nie vernommen.
Die Zwergadler ſind ſehr lüchtige Räuber; denn kleine Vögel ſind das Wild, welchem ſie nach-
ſtellen. Jch habe Tauben in ihrem Kropfe gefunden, Lázár gibt als Nahrung Ammern,
Lerchen, Pieper, Finken und Rebhühner, Wodzicki außerdem noch Staare und Meiſen
an. Mäuſe und andere kleine Säugethiere verſchmähen ſie ebenſo wenig wie Vögel. Sie fangen im
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tigten ſich große Scharen von Staaren mit Aufſuchung ihrer Nahrung und lockten, wie es ſchien,
einen Zwergadler aus dem benachbarten Walde herbei. Er kreiſte in ſchönen Schwenkungen über den
Staaren, welche alle Augenblicke einmal aufflogen und ſich wieder ſetzten. Dieſes Spiel war dem
Zwergadler zu langweilig, er wollte ſie alſo zum Aufſtehen bringen, um ſchneller ſein Frühſtück zu
bekommen. Mit Blitzesſchnelligkeit flog er in gerader Linie auf die Staare zur Erde herab. Die
Schar erſchrak und wollte in den Bäumen, unter denen ich ruhete, ihre Zuflucht ſuchen. Trotz der
kleinen Entfernung, und obwohl die Vögel den Weiden zuflogen, wurde es dem Adler möglich, einen
von ihnen zu fangen. Als er herabſtieß, verurſachte ſein unbegreiflich ſchneller Flug ein lautes
Brauſen. Nach glücklichem Fange flog der Räuber auf eine nahe ſtehende Bude, ſetzte ſich hier auf
das Dach, ohne auf die Jäger und Hunde zu achten, beſah die Umgegend mit großer Vorſicht längere
Zeit und fing dann an, den Staar zu rupfen. Dieſe Zubereitung der Mahlzeit dauerte über eine
Viertelſtunde, und als ich dann den Adler ſchoß, war der Staar ſo ſchön gerupft, als wenn er vom
beſten Koche zubereitet geweſen wäre.‟
Am liebſten jagt der Zwergadler im Walde und hier faſt nach Art des Habichtes. Jn Egypten
bieten ihm die Palmenwälder reiche Beute; hier ſind es hauptſächlich die Turteltauben, denen er eifrig
nachjagt: ſie haben vielleicht nur in dem ſüdlichen Wanderfalken noch einen ſchlimmeren Feind, als
den gewandten Adler. Die Raubfähigkeit deſſelben wird von dem ſchmarotzenden Bettlergeſindel wohl
anerkannt; denn wie der Wanderfalk wird auch der Zwergadler von den Milanen eifrig verfolgt,
ſobald er Beute erworben hat, und, wie jener, wirft er ſolche den frechen Bettlern zu.
Jn den letzten Tagen des April ſchreitet der Zwergadler zur Fortpflanzung. Er horſtet am
liebſten in Laubwäldern in der Nähe größerer Flüſſe, gern in Geſellſchaft, zu zwei bis drei
Paaren in einem Walde. Niemals fand Lázár einen Horſt im Gebirge, nicht einmal in bergigen
Gegenden. Der Horſt ſteht auf der Spitze hoher Bäume und iſt aus fingerdicken, dürren Aeſten
zuſammengebaut. Seiner Geſtalt nach ähnelt er andern Raubvogelneſtern, der Größe nach einem
Buſſardhorſte. Die kaum merkliche Neſtmulde iſt mit feinem Neiſig und einigen wenigen grünen
Blättern ausgekleidet. Anfangs Mai findet man zwei Eier, welche in Geſtalt, Größe und Zeichnung
den Eiern unſeres Habichts täuſchend ähneln. Sie ſind 2 Zoll lang und haben an der dickſten Stelle
1¾ Zoll im Durchmeſſer; ihre Geſtalt iſt ſehr rundlich, ihr Korn grob, die Zeichnung verſchieden;
gewöhnlich ſind ſie auf gelblichem oder weißgrünlichen Grunde mit kleinen roſtgelben oder roſtrothen
Punkten und Flecken bedeckt. Jn der zweiten Hälfte des Juni ſchlüpfen die Jungen aus. Sie ſind
mit ſehr langem und ſeidenweichen Flaum von lichter, auf dem Kopfe gilblicher Farbe bekleidet, erhalten
aber bald das beſchriebene Neſtgefieder. Das Paar iſt außerordentlich zärtlich: Wodzicki ſah eins
auf dem Horſte ſtehen und ſich nach Taubenart ſchnäbeln. Während das Weibchen brütet, ſitzt das
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/487>, abgerufen am 22.11.2024.
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