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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Adler.
und gibt gegen starke Töne einen entschiedenen Widerwillen zu erkennen. Ueber den Geruch ist viel
gesprochen, aber, wie ich meine, auch viel gefabelt worden. Er ist gewiß nicht wegzuleugnen; doch
glaube ich, daß er keineswegs so hoch ausgebildet ist, als man behauptet hat. Das Gefühl,
Empfindungsvermögen sowohl, als Tastfähigkeit, steht auf hoher Stufe, und Geschmack beweist jeder
gefangene Adler, welchem verschiedene Nahrung vorgeworfen wird, in nicht verkennbarer Weise.
Ueber den Verstand ist schwer ein richtiges Urtheil zu fällen; soviel aber ergibt die Beobachtung bald
genug, daß auch der Geist als wohlentwickelt bezeichnet werden darf. Jm Freileben zeigt sich der
Adler außerordentlich vorsichtig und scheu da, wo er Gefahr vermuthet, dreist und frech da, wo er
früher ungestraft raubte; er richtet also sein Betragen nach den Umständen ein. Andern Thieren
gegenüber legt auch er zuweilen eine gewisse List an den Tag, und bei seinen Räubereien bekundet er
eine beachtenswerthe Berechnung. Jn der Gefangenschaft hingegen schließt er sich nach kurzer Zeit
dem Menschen an, welchen er früher ängstlich mied, und tritt mit ihm in ein Freundschaftsverhältniß,
welches sehr innig werden kann. Wahrscheinlich würde man irren, wenn man annehmen wollte, daß
dieses Verhältniß auf das Gefühl der Unterthänigkeit begründet sei; denn auch der gefesselte Adler ist
sich seiner Kraft wohl bewußt und fürchtet sich durchaus nicht vor dem Menschen, falls dieser ihm
feindlich entgegentreten sollte. Davon geben mir die gefangenen Adler unseres Thiergartens
tagtäglich Beweise. Sie begrüßen mich mit freudigem Geschrei, wenn sie mich sehen; sie dulden es,
daß ich mich in ihren Käfig begebe: sie ertragen aber durchaus keine Mißhandlung. Genau so
benehmen sie sich ihrem Wärter gegenüber, während sie Fremde entweder nicht beachten, oder, wenn
diese sich ihnen aufdrängen, ernst zurückweisen. Es ist wohl zu beachten, daß diejenigen Arten,
welche wir Edeladler nennen, auch wirklich die edelsten sind. Der Name ist ihnen gegeben worden
nach dem Eindruck, welchen ihre äußere Erscheinung hervorrief; dieser Eindruck aber wird bestätigt
und verstärkt durch Beobachtung ihres Wesens. Bei ihnen sind wirklich die edeln und großartigen
Eigenschaften besonders ausgebildet.

Der freilebende Adler nährt sich, wie im Eingange bemerkt, vorzugsweise von selbst erbeuteten
Thieren, namentlich von Wirbelthieren; keine einzige Art aber von denen, welche ich kenne, verschmäht
Aas, und es ist gänzlich unbegründet, wenn man behauptet hat, daß nur der Hunger den Adler zu
solcher Speise zwinge. Er bevorzugt das lebende Thier, findet es aber sehr bequem, an einem bereits
gedeckten Tische zu schmausen. Ein Kostverächter ist er überhaupt nicht; mit wenigen Ausnahmen ist
ihm jedes höhere Wirbelthier genehm. Fische gehören, wie es scheint, zu einem beliebten Bei-
gericht, während Lurche nur in wenigen Arten Liebhaber zu finden scheinen. Der Adler raubt im
Sitzen, wie im Laufen und selbst im Fliegen, erhebt die Beute, welche er ergriff und trägt sie, falls er
Dies vermag, einem bestimmten Futterplatze zu, um dort sie zu verzehren. Bei dem Angriff entfaltet
er seine ganze Kraft und beweist dabei eine außerordentliche Erregung, welche in förmliche Wuth
übergehen kann. Durch Widerstand läßt er sich selten oder nicht von dem einmal gefaßten Vorsatz
abbringen: was er einmal ins Auge gefaßt hat, sucht er mit Hartnäckigkeit festzuhalten. Er greift
muthig starke und große Thiere an und begnügt sich mit sehr kleinen und schwachen. Sein Erscheinen
bedeutet, wie Naumann sehr richtig sagt, den Tod aller Thiere, welche ihm nicht zu schwer oder zu
schnell sind. Die stärksten Arten erheben den bissigen Fuchs vom Boden oder nehmen den wehrhaften
Marder vom Aste weg. Unter den Säugethieren sind blos die stärksten, größten und schwersten,
unter den Vögeln die gewandtesten vor ihm gesichert. Ein abgerichteter Adler würde sich ohne
Besinnen auf den Strauß stürzen und diesen unzweifelhaft umbringen: -- fällt doch selbst der
freilebende den Menschen an.

Die Fortpflanzung unserer nordischen Adlerarten fällt in die ersten Monate des Jahres. Die
Standvögel unter ihnen horsten selbstverständlich früher als die Zugvögel, welche erst gegen den Mai
hin bei uns eintreffen. Der Horst ist ein, im Verhältniß zur Größe des Vogels gewaltiger Bau,
von sehr übereinstimmendem Gepräge. Er ist regelmäßig niedrig, aber sehr breit und seine Nestmulde
flach. Starke Reiser, bei den größten Arten armsdicke Knüppel, bilden den Unterbau, feinere Reiser

Die Fänger. Raubvögel. Adler.
und gibt gegen ſtarke Töne einen entſchiedenen Widerwillen zu erkennen. Ueber den Geruch iſt viel
geſprochen, aber, wie ich meine, auch viel gefabelt worden. Er iſt gewiß nicht wegzuleugnen; doch
glaube ich, daß er keineswegs ſo hoch ausgebildet iſt, als man behauptet hat. Das Gefühl,
Empfindungsvermögen ſowohl, als Taſtfähigkeit, ſteht auf hoher Stufe, und Geſchmack beweiſt jeder
gefangene Adler, welchem verſchiedene Nahrung vorgeworfen wird, in nicht verkennbarer Weiſe.
Ueber den Verſtand iſt ſchwer ein richtiges Urtheil zu fällen; ſoviel aber ergibt die Beobachtung bald
genug, daß auch der Geiſt als wohlentwickelt bezeichnet werden darf. Jm Freileben zeigt ſich der
Adler außerordentlich vorſichtig und ſcheu da, wo er Gefahr vermuthet, dreiſt und frech da, wo er
früher ungeſtraft raubte; er richtet alſo ſein Betragen nach den Umſtänden ein. Andern Thieren
gegenüber legt auch er zuweilen eine gewiſſe Liſt an den Tag, und bei ſeinen Räubereien bekundet er
eine beachtenswerthe Berechnung. Jn der Gefangenſchaft hingegen ſchließt er ſich nach kurzer Zeit
dem Menſchen an, welchen er früher ängſtlich mied, und tritt mit ihm in ein Freundſchaftsverhältniß,
welches ſehr innig werden kann. Wahrſcheinlich würde man irren, wenn man annehmen wollte, daß
dieſes Verhältniß auf das Gefühl der Unterthänigkeit begründet ſei; denn auch der gefeſſelte Adler iſt
ſich ſeiner Kraft wohl bewußt und fürchtet ſich durchaus nicht vor dem Menſchen, falls dieſer ihm
feindlich entgegentreten ſollte. Davon geben mir die gefangenen Adler unſeres Thiergartens
tagtäglich Beweiſe. Sie begrüßen mich mit freudigem Geſchrei, wenn ſie mich ſehen; ſie dulden es,
daß ich mich in ihren Käfig begebe: ſie ertragen aber durchaus keine Mißhandlung. Genau ſo
benehmen ſie ſich ihrem Wärter gegenüber, während ſie Fremde entweder nicht beachten, oder, wenn
dieſe ſich ihnen aufdrängen, ernſt zurückweiſen. Es iſt wohl zu beachten, daß diejenigen Arten,
welche wir Edeladler nennen, auch wirklich die edelſten ſind. Der Name iſt ihnen gegeben worden
nach dem Eindruck, welchen ihre äußere Erſcheinung hervorrief; dieſer Eindruck aber wird beſtätigt
und verſtärkt durch Beobachtung ihres Weſens. Bei ihnen ſind wirklich die edeln und großartigen
Eigenſchaften beſonders ausgebildet.

Der freilebende Adler nährt ſich, wie im Eingange bemerkt, vorzugsweiſe von ſelbſt erbeuteten
Thieren, namentlich von Wirbelthieren; keine einzige Art aber von denen, welche ich kenne, verſchmäht
Aas, und es iſt gänzlich unbegründet, wenn man behauptet hat, daß nur der Hunger den Adler zu
ſolcher Speiſe zwinge. Er bevorzugt das lebende Thier, findet es aber ſehr bequem, an einem bereits
gedeckten Tiſche zu ſchmauſen. Ein Koſtverächter iſt er überhaupt nicht; mit wenigen Ausnahmen iſt
ihm jedes höhere Wirbelthier genehm. Fiſche gehören, wie es ſcheint, zu einem beliebten Bei-
gericht, während Lurche nur in wenigen Arten Liebhaber zu finden ſcheinen. Der Adler raubt im
Sitzen, wie im Laufen und ſelbſt im Fliegen, erhebt die Beute, welche er ergriff und trägt ſie, falls er
Dies vermag, einem beſtimmten Futterplatze zu, um dort ſie zu verzehren. Bei dem Angriff entfaltet
er ſeine ganze Kraft und beweiſt dabei eine außerordentliche Erregung, welche in förmliche Wuth
übergehen kann. Durch Widerſtand läßt er ſich ſelten oder nicht von dem einmal gefaßten Vorſatz
abbringen: was er einmal ins Auge gefaßt hat, ſucht er mit Hartnäckigkeit feſtzuhalten. Er greift
muthig ſtarke und große Thiere an und begnügt ſich mit ſehr kleinen und ſchwachen. Sein Erſcheinen
bedeutet, wie Naumann ſehr richtig ſagt, den Tod aller Thiere, welche ihm nicht zu ſchwer oder zu
ſchnell ſind. Die ſtärkſten Arten erheben den biſſigen Fuchs vom Boden oder nehmen den wehrhaften
Marder vom Aſte weg. Unter den Säugethieren ſind blos die ſtärkſten, größten und ſchwerſten,
unter den Vögeln die gewandteſten vor ihm geſichert. Ein abgerichteter Adler würde ſich ohne
Beſinnen auf den Strauß ſtürzen und dieſen unzweifelhaft umbringen: — fällt doch ſelbſt der
freilebende den Menſchen an.

Die Fortpflanzung unſerer nordiſchen Adlerarten fällt in die erſten Monate des Jahres. Die
Standvögel unter ihnen horſten ſelbſtverſtändlich früher als die Zugvögel, welche erſt gegen den Mai
hin bei uns eintreffen. Der Horſt iſt ein, im Verhältniß zur Größe des Vogels gewaltiger Bau,
von ſehr übereinſtimmendem Gepräge. Er iſt regelmäßig niedrig, aber ſehr breit und ſeine Neſtmulde
flach. Starke Reiſer, bei den größten Arten armsdicke Knüppel, bilden den Unterbau, feinere Reiſer

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[446/0476] Die Fänger. Raubvögel. Adler. und gibt gegen ſtarke Töne einen entſchiedenen Widerwillen zu erkennen. Ueber den Geruch iſt viel geſprochen, aber, wie ich meine, auch viel gefabelt worden. Er iſt gewiß nicht wegzuleugnen; doch glaube ich, daß er keineswegs ſo hoch ausgebildet iſt, als man behauptet hat. Das Gefühl, Empfindungsvermögen ſowohl, als Taſtfähigkeit, ſteht auf hoher Stufe, und Geſchmack beweiſt jeder gefangene Adler, welchem verſchiedene Nahrung vorgeworfen wird, in nicht verkennbarer Weiſe. Ueber den Verſtand iſt ſchwer ein richtiges Urtheil zu fällen; ſoviel aber ergibt die Beobachtung bald genug, daß auch der Geiſt als wohlentwickelt bezeichnet werden darf. Jm Freileben zeigt ſich der Adler außerordentlich vorſichtig und ſcheu da, wo er Gefahr vermuthet, dreiſt und frech da, wo er früher ungeſtraft raubte; er richtet alſo ſein Betragen nach den Umſtänden ein. Andern Thieren gegenüber legt auch er zuweilen eine gewiſſe Liſt an den Tag, und bei ſeinen Räubereien bekundet er eine beachtenswerthe Berechnung. Jn der Gefangenſchaft hingegen ſchließt er ſich nach kurzer Zeit dem Menſchen an, welchen er früher ängſtlich mied, und tritt mit ihm in ein Freundſchaftsverhältniß, welches ſehr innig werden kann. Wahrſcheinlich würde man irren, wenn man annehmen wollte, daß dieſes Verhältniß auf das Gefühl der Unterthänigkeit begründet ſei; denn auch der gefeſſelte Adler iſt ſich ſeiner Kraft wohl bewußt und fürchtet ſich durchaus nicht vor dem Menſchen, falls dieſer ihm feindlich entgegentreten ſollte. Davon geben mir die gefangenen Adler unſeres Thiergartens tagtäglich Beweiſe. Sie begrüßen mich mit freudigem Geſchrei, wenn ſie mich ſehen; ſie dulden es, daß ich mich in ihren Käfig begebe: ſie ertragen aber durchaus keine Mißhandlung. Genau ſo benehmen ſie ſich ihrem Wärter gegenüber, während ſie Fremde entweder nicht beachten, oder, wenn dieſe ſich ihnen aufdrängen, ernſt zurückweiſen. Es iſt wohl zu beachten, daß diejenigen Arten, welche wir Edeladler nennen, auch wirklich die edelſten ſind. Der Name iſt ihnen gegeben worden nach dem Eindruck, welchen ihre äußere Erſcheinung hervorrief; dieſer Eindruck aber wird beſtätigt und verſtärkt durch Beobachtung ihres Weſens. Bei ihnen ſind wirklich die edeln und großartigen Eigenſchaften beſonders ausgebildet. Der freilebende Adler nährt ſich, wie im Eingange bemerkt, vorzugsweiſe von ſelbſt erbeuteten Thieren, namentlich von Wirbelthieren; keine einzige Art aber von denen, welche ich kenne, verſchmäht Aas, und es iſt gänzlich unbegründet, wenn man behauptet hat, daß nur der Hunger den Adler zu ſolcher Speiſe zwinge. Er bevorzugt das lebende Thier, findet es aber ſehr bequem, an einem bereits gedeckten Tiſche zu ſchmauſen. Ein Koſtverächter iſt er überhaupt nicht; mit wenigen Ausnahmen iſt ihm jedes höhere Wirbelthier genehm. Fiſche gehören, wie es ſcheint, zu einem beliebten Bei- gericht, während Lurche nur in wenigen Arten Liebhaber zu finden ſcheinen. Der Adler raubt im Sitzen, wie im Laufen und ſelbſt im Fliegen, erhebt die Beute, welche er ergriff und trägt ſie, falls er Dies vermag, einem beſtimmten Futterplatze zu, um dort ſie zu verzehren. Bei dem Angriff entfaltet er ſeine ganze Kraft und beweiſt dabei eine außerordentliche Erregung, welche in förmliche Wuth übergehen kann. Durch Widerſtand läßt er ſich ſelten oder nicht von dem einmal gefaßten Vorſatz abbringen: was er einmal ins Auge gefaßt hat, ſucht er mit Hartnäckigkeit feſtzuhalten. Er greift muthig ſtarke und große Thiere an und begnügt ſich mit ſehr kleinen und ſchwachen. Sein Erſcheinen bedeutet, wie Naumann ſehr richtig ſagt, den Tod aller Thiere, welche ihm nicht zu ſchwer oder zu ſchnell ſind. Die ſtärkſten Arten erheben den biſſigen Fuchs vom Boden oder nehmen den wehrhaften Marder vom Aſte weg. Unter den Säugethieren ſind blos die ſtärkſten, größten und ſchwerſten, unter den Vögeln die gewandteſten vor ihm geſichert. Ein abgerichteter Adler würde ſich ohne Beſinnen auf den Strauß ſtürzen und dieſen unzweifelhaft umbringen: — fällt doch ſelbſt der freilebende den Menſchen an. Die Fortpflanzung unſerer nordiſchen Adlerarten fällt in die erſten Monate des Jahres. Die Standvögel unter ihnen horſten ſelbſtverſtändlich früher als die Zugvögel, welche erſt gegen den Mai hin bei uns eintreffen. Der Horſt iſt ein, im Verhältniß zur Größe des Vogels gewaltiger Bau, von ſehr übereinſtimmendem Gepräge. Er iſt regelmäßig niedrig, aber ſehr breit und ſeine Neſtmulde flach. Starke Reiſer, bei den größten Arten armsdicke Knüppel, bilden den Unterbau, feinere Reiſer

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/476>, abgerufen am 22.11.2024.