Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Fänger. Raubvögel. Habichte.
Alter sind beide Geschlechter gleich gefärbt; die Jungen hingegen unterscheiden sich wesentlich durch
das Gefieder von ihren Eltern.

Die Familie verbreitet sich über alle Erdtheile, ja selbst gewisse Sippen sind auf der ganzen Erde
heimisch. Einzelne bewohnen ein sehr großes Gebiet, wenige scheinen beschränkt zu sein. Jm Gegensatz
zu den Edelfalken bewohnen die Habichte fast ausnahmslos die dichten Waldungen und halten sich hier
möglichst verborgen, wie es ihr Strauchritterleben in des Wortes vollster Bedeutung erfordert. Auch
sie sind begabte Geschöpfe, jedoch nicht in gutem Sinne. Mordgier und List sind ihre hervorstechenden
Eigenschaften. Jhre leiblichen Begabungen lassen Nichts zu wünschen übrig. Sie fliegen rasch und
ungemein geschickt, sind im Stande, ihre Richtung jählings in eine andere umzuändern und bewegen
sich, fast nach Art der Marder, in den verschlungensten Gebüschen mit einer überraschenden Gewandt-
heit; doch meiden sie soviel als möglich die Höhen; ihr Flug geht meistens niedrig über der Erde
hin. Auf dem Boden gehen sie auffallend gut, obgleich mit Zuhilfenahme ihrer Flügel; das Geäst
dichter Bäume durchschlüpfen sie mit ungewöhnlicher Fertigkeit. Sie sind furchtbare Feinde aller
Thiere, welche sie, wenn auch mit Mühe, bezwingen können. Jhre Jagd gilt ebenso gut den Säuge-
thieren wie den Vögeln; sie verschmähen selbst Lurche nicht. Sie fangen im Fliegen, im Sitzen, im
Laufen und im Schwimmen; sie verfolgen die einmal ins Auge gefaßte Beute mit einer Rücksichts-
losigkeit ohne Gleichen. Jhre Mordgier läßt sie gar nicht selten ihre Sicherheit vergessen. Mit starken
Thieren balgen sie sich oft lange in wüthendem Kampfe herum, bis ihnen der Sieg gelingt. Zuweilen
büßen sie aber auch in solchen Kämpfen ihr Leben ein.

Unter sich halten die Habichte ebensowenig Freundschaft, als mit andern Thieren. Wahre Liebe,
wie sie bei den übrigen Raubvögeln beobachtet wird, kommt bei ihnen nie vor. Das Weibchen frißt
ohne Besinnen sein Männchen auf, die Mutter oder der Vater seine Kinder, und diese fallen, wenn
sie stark genug sind, über ihre Eltern her. Nur wenn sie ihre Raubsucht vollständig befriedigen
können, halten sie Frieden innerhalb der Familie im gewöhnlichen Sinne des Worts.

Die Vermehrung der Habichte ist leider eine verhältnißmäßig starke. Das Gelege besteht aus
einer beträchtlichen Auzahl von Eiern. Der Horst wird stets auf Bäumen angelegt und, wie es scheint,
immer selbständig errichtet. Einzelne Arten verzieren ihn sehr hübsch durch grüne Reiser, welche sie
unter Umständen wiederholt erneuern. Angriffe gegen die Brut versuchen sie mit größtem Muth
abzuwehren: sie stoßen dann furchtlos selbst nach dem Menschen.

Alle Habichte sind schädliche Vögel, welche die rücksichtsloseste Verfolgung nothwendig machen.
Hinsichtlich der Edelfalken läßt es sich entschuldigen, wenn man ein gutes Wort einlegt: -- den
Habichten Fürsprecher zu sein, würde als Frevel an der übrigen Thierwelt erscheinen. Man hat zwar
auch sie abgerichtet und aus einzelnen schätzbare Baizvögel gewonnen: im allgemeinen aber ist nicht
einmal dieser Rutzen so hoch anzuschlagen, als es vielleicht scheint; denn das störrische Wesen dieser
Vögel macht die Abrichtung sehr schwierig und nur selten belohnend.

Jm Käfig sind die Habichte unausstehliche Geschöpfe. Jhre Freßgier, ihre Unverträglichkeit, ihre
Mordlust machen die Haltung schwer, ein Zusammensperren mit andern Vögeln unmöglich. Sie
werden um so verhaßter, je genauer man sie kennen lernt.



Ein eigenthümlicher Vogel Südamerikas verdient infofern die erste Stelle, als er gewissermaßen
ein Uebergangsglied ist von den Edelfalken zu den Habichten. Man hat ihn seiner laut schallenden
Stimme halber Lachhabicht genannt; sein wissenschaftlicher Name ist Herpetotheres cachinnans.
Die Kennzeichen der Sippe, welche er bildet, sind ein kräftiger Rumpf, ein verhältnißmäßig großer,
durch die reiche Befiederung noch größer erscheinender Kopf, mäßig lange Flügel, welche in der
Ruhe bis zur Schwanzmitte reichen, mit ziemlich stark verschmälerten, spitzen Handschwingen,

Die Fänger. Raubvögel. Habichte.
Alter ſind beide Geſchlechter gleich gefärbt; die Jungen hingegen unterſcheiden ſich weſentlich durch
das Gefieder von ihren Eltern.

Die Familie verbreitet ſich über alle Erdtheile, ja ſelbſt gewiſſe Sippen ſind auf der ganzen Erde
heimiſch. Einzelne bewohnen ein ſehr großes Gebiet, wenige ſcheinen beſchränkt zu ſein. Jm Gegenſatz
zu den Edelfalken bewohnen die Habichte faſt ausnahmslos die dichten Waldungen und halten ſich hier
möglichſt verborgen, wie es ihr Strauchritterleben in des Wortes vollſter Bedeutung erfordert. Auch
ſie ſind begabte Geſchöpfe, jedoch nicht in gutem Sinne. Mordgier und Liſt ſind ihre hervorſtechenden
Eigenſchaften. Jhre leiblichen Begabungen laſſen Nichts zu wünſchen übrig. Sie fliegen raſch und
ungemein geſchickt, ſind im Stande, ihre Richtung jählings in eine andere umzuändern und bewegen
ſich, faſt nach Art der Marder, in den verſchlungenſten Gebüſchen mit einer überraſchenden Gewandt-
heit; doch meiden ſie ſoviel als möglich die Höhen; ihr Flug geht meiſtens niedrig über der Erde
hin. Auf dem Boden gehen ſie auffallend gut, obgleich mit Zuhilfenahme ihrer Flügel; das Geäſt
dichter Bäume durchſchlüpfen ſie mit ungewöhnlicher Fertigkeit. Sie ſind furchtbare Feinde aller
Thiere, welche ſie, wenn auch mit Mühe, bezwingen können. Jhre Jagd gilt ebenſo gut den Säuge-
thieren wie den Vögeln; ſie verſchmähen ſelbſt Lurche nicht. Sie fangen im Fliegen, im Sitzen, im
Laufen und im Schwimmen; ſie verfolgen die einmal ins Auge gefaßte Beute mit einer Rückſichts-
loſigkeit ohne Gleichen. Jhre Mordgier läßt ſie gar nicht ſelten ihre Sicherheit vergeſſen. Mit ſtarken
Thieren balgen ſie ſich oft lange in wüthendem Kampfe herum, bis ihnen der Sieg gelingt. Zuweilen
büßen ſie aber auch in ſolchen Kämpfen ihr Leben ein.

Unter ſich halten die Habichte ebenſowenig Freundſchaft, als mit andern Thieren. Wahre Liebe,
wie ſie bei den übrigen Raubvögeln beobachtet wird, kommt bei ihnen nie vor. Das Weibchen frißt
ohne Beſinnen ſein Männchen auf, die Mutter oder der Vater ſeine Kinder, und dieſe fallen, wenn
ſie ſtark genug ſind, über ihre Eltern her. Nur wenn ſie ihre Raubſucht vollſtändig befriedigen
können, halten ſie Frieden innerhalb der Familie im gewöhnlichen Sinne des Worts.

Die Vermehrung der Habichte iſt leider eine verhältnißmäßig ſtarke. Das Gelege beſteht aus
einer beträchtlichen Auzahl von Eiern. Der Horſt wird ſtets auf Bäumen angelegt und, wie es ſcheint,
immer ſelbſtändig errichtet. Einzelne Arten verzieren ihn ſehr hübſch durch grüne Reiſer, welche ſie
unter Umſtänden wiederholt erneuern. Angriffe gegen die Brut verſuchen ſie mit größtem Muth
abzuwehren: ſie ſtoßen dann furchtlos ſelbſt nach dem Menſchen.

Alle Habichte ſind ſchädliche Vögel, welche die rückſichtsloſeſte Verfolgung nothwendig machen.
Hinſichtlich der Edelfalken läßt es ſich entſchuldigen, wenn man ein gutes Wort einlegt: — den
Habichten Fürſprecher zu ſein, würde als Frevel an der übrigen Thierwelt erſcheinen. Man hat zwar
auch ſie abgerichtet und aus einzelnen ſchätzbare Baizvögel gewonnen: im allgemeinen aber iſt nicht
einmal dieſer Rutzen ſo hoch anzuſchlagen, als es vielleicht ſcheint; denn das ſtörriſche Weſen dieſer
Vögel macht die Abrichtung ſehr ſchwierig und nur ſelten belohnend.

Jm Käfig ſind die Habichte unausſtehliche Geſchöpfe. Jhre Freßgier, ihre Unverträglichkeit, ihre
Mordluſt machen die Haltung ſchwer, ein Zuſammenſperren mit andern Vögeln unmöglich. Sie
werden um ſo verhaßter, je genauer man ſie kennen lernt.



Ein eigenthümlicher Vogel Südamerikas verdient infofern die erſte Stelle, als er gewiſſermaßen
ein Uebergangsglied iſt von den Edelfalken zu den Habichten. Man hat ihn ſeiner laut ſchallenden
Stimme halber Lachhabicht genannt; ſein wiſſenſchaftlicher Name iſt Herpetotheres cachinnans.
Die Kennzeichen der Sippe, welche er bildet, ſind ein kräftiger Rumpf, ein verhältnißmäßig großer,
durch die reiche Befiederung noch größer erſcheinender Kopf, mäßig lange Flügel, welche in der
Ruhe bis zur Schwanzmitte reichen, mit ziemlich ſtark verſchmälerten, ſpitzen Handſchwingen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0462" n="432"/><fw place="top" type="header">Die Fänger. Raubvögel. Habichte.</fw><lb/>
Alter &#x017F;ind beide Ge&#x017F;chlechter gleich gefärbt; die Jungen hingegen unter&#x017F;cheiden &#x017F;ich we&#x017F;entlich durch<lb/>
das Gefieder von ihren Eltern.</p><lb/>
          <p>Die Familie verbreitet &#x017F;ich über alle Erdtheile, ja &#x017F;elb&#x017F;t gewi&#x017F;&#x017F;e Sippen &#x017F;ind auf der ganzen Erde<lb/>
heimi&#x017F;ch. Einzelne bewohnen ein &#x017F;ehr großes Gebiet, wenige &#x017F;cheinen be&#x017F;chränkt zu &#x017F;ein. Jm Gegen&#x017F;atz<lb/>
zu den Edelfalken bewohnen die Habichte fa&#x017F;t ausnahmslos die dichten Waldungen und halten &#x017F;ich hier<lb/>
möglich&#x017F;t verborgen, wie es ihr Strauchritterleben in des Wortes voll&#x017F;ter Bedeutung erfordert. Auch<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ind begabte Ge&#x017F;chöpfe, jedoch nicht in gutem Sinne. Mordgier und Li&#x017F;t &#x017F;ind ihre hervor&#x017F;techenden<lb/>
Eigen&#x017F;chaften. Jhre leiblichen Begabungen la&#x017F;&#x017F;en Nichts zu wün&#x017F;chen übrig. Sie fliegen ra&#x017F;ch und<lb/>
ungemein ge&#x017F;chickt, &#x017F;ind im Stande, ihre Richtung jählings in eine andere umzuändern und bewegen<lb/>
&#x017F;ich, fa&#x017F;t nach Art der <hi rendition="#g">Marder,</hi> in den ver&#x017F;chlungen&#x017F;ten Gebü&#x017F;chen mit einer überra&#x017F;chenden Gewandt-<lb/>
heit; doch meiden &#x017F;ie &#x017F;oviel als möglich die Höhen; ihr Flug geht mei&#x017F;tens niedrig über der Erde<lb/>
hin. Auf dem Boden gehen &#x017F;ie auffallend gut, obgleich mit Zuhilfenahme ihrer Flügel; das Geä&#x017F;t<lb/>
dichter Bäume durch&#x017F;chlüpfen &#x017F;ie mit ungewöhnlicher Fertigkeit. Sie &#x017F;ind furchtbare Feinde aller<lb/>
Thiere, welche &#x017F;ie, wenn auch mit Mühe, bezwingen können. Jhre Jagd gilt eben&#x017F;o gut den Säuge-<lb/>
thieren wie den Vögeln; &#x017F;ie ver&#x017F;chmähen &#x017F;elb&#x017F;t Lurche nicht. Sie fangen im Fliegen, im Sitzen, im<lb/>
Laufen und im Schwimmen; &#x017F;ie verfolgen die einmal ins Auge gefaßte Beute mit einer Rück&#x017F;ichts-<lb/>
lo&#x017F;igkeit ohne Gleichen. Jhre Mordgier läßt &#x017F;ie gar nicht &#x017F;elten ihre Sicherheit verge&#x017F;&#x017F;en. Mit &#x017F;tarken<lb/>
Thieren balgen &#x017F;ie &#x017F;ich oft lange in wüthendem Kampfe herum, bis ihnen der Sieg gelingt. Zuweilen<lb/>
büßen &#x017F;ie aber auch in &#x017F;olchen Kämpfen ihr Leben ein.</p><lb/>
          <p>Unter &#x017F;ich halten die Habichte eben&#x017F;owenig Freund&#x017F;chaft, als mit andern Thieren. Wahre Liebe,<lb/>
wie &#x017F;ie bei den übrigen Raubvögeln beobachtet wird, kommt bei ihnen nie vor. Das Weibchen frißt<lb/>
ohne Be&#x017F;innen &#x017F;ein Männchen auf, die Mutter oder der Vater &#x017F;eine Kinder, und die&#x017F;e fallen, wenn<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;tark genug &#x017F;ind, über ihre Eltern her. Nur wenn &#x017F;ie ihre Raub&#x017F;ucht voll&#x017F;tändig befriedigen<lb/>
können, halten &#x017F;ie Frieden innerhalb der Familie im gewöhnlichen Sinne des Worts.</p><lb/>
          <p>Die Vermehrung der Habichte i&#x017F;t leider eine verhältnißmäßig &#x017F;tarke. Das Gelege be&#x017F;teht aus<lb/>
einer beträchtlichen Auzahl von Eiern. Der Hor&#x017F;t wird &#x017F;tets auf Bäumen angelegt und, wie es &#x017F;cheint,<lb/>
immer &#x017F;elb&#x017F;tändig errichtet. Einzelne Arten verzieren ihn &#x017F;ehr hüb&#x017F;ch durch grüne Rei&#x017F;er, welche &#x017F;ie<lb/>
unter Um&#x017F;tänden wiederholt erneuern. Angriffe gegen die Brut ver&#x017F;uchen &#x017F;ie mit größtem Muth<lb/>
abzuwehren: &#x017F;ie &#x017F;toßen dann furchtlos &#x017F;elb&#x017F;t nach dem Men&#x017F;chen.</p><lb/>
          <p>Alle Habichte &#x017F;ind &#x017F;chädliche Vögel, welche die rück&#x017F;ichtslo&#x017F;e&#x017F;te Verfolgung nothwendig machen.<lb/>
Hin&#x017F;ichtlich der Edelfalken läßt es &#x017F;ich ent&#x017F;chuldigen, wenn man ein gutes Wort einlegt: &#x2014; den<lb/>
Habichten Für&#x017F;precher zu &#x017F;ein, würde als Frevel an der übrigen Thierwelt er&#x017F;cheinen. Man hat zwar<lb/>
auch &#x017F;ie abgerichtet und aus einzelnen &#x017F;chätzbare Baizvögel gewonnen: im allgemeinen aber i&#x017F;t nicht<lb/>
einmal die&#x017F;er Rutzen &#x017F;o hoch anzu&#x017F;chlagen, als es vielleicht &#x017F;cheint; denn das &#x017F;törri&#x017F;che We&#x017F;en die&#x017F;er<lb/>
Vögel macht die Abrichtung &#x017F;ehr &#x017F;chwierig und nur &#x017F;elten belohnend.</p><lb/>
          <p>Jm Käfig &#x017F;ind die Habichte unaus&#x017F;tehliche Ge&#x017F;chöpfe. Jhre Freßgier, ihre Unverträglichkeit, ihre<lb/>
Mordlu&#x017F;t machen die Haltung &#x017F;chwer, ein Zu&#x017F;ammen&#x017F;perren mit andern Vögeln unmöglich. Sie<lb/>
werden um &#x017F;o verhaßter, je genauer man &#x017F;ie kennen lernt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Ein eigenthümlicher Vogel Südamerikas verdient infofern die er&#x017F;te Stelle, als er gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen<lb/>
ein Uebergangsglied i&#x017F;t von den Edelfalken zu den Habichten. Man hat ihn &#x017F;einer laut &#x017F;challenden<lb/>
Stimme halber <hi rendition="#g">Lachhabicht</hi> genannt; &#x017F;ein wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlicher Name i&#x017F;t <hi rendition="#aq">Herpetotheres cachinnans.</hi><lb/>
Die Kennzeichen der Sippe, welche er bildet, &#x017F;ind ein kräftiger Rumpf, ein verhältnißmäßig großer,<lb/>
durch die reiche Befiederung noch größer er&#x017F;cheinender Kopf, mäßig lange Flügel, welche in der<lb/>
Ruhe bis zur Schwanzmitte reichen, mit ziemlich &#x017F;tark ver&#x017F;chmälerten, &#x017F;pitzen Hand&#x017F;chwingen,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[432/0462] Die Fänger. Raubvögel. Habichte. Alter ſind beide Geſchlechter gleich gefärbt; die Jungen hingegen unterſcheiden ſich weſentlich durch das Gefieder von ihren Eltern. Die Familie verbreitet ſich über alle Erdtheile, ja ſelbſt gewiſſe Sippen ſind auf der ganzen Erde heimiſch. Einzelne bewohnen ein ſehr großes Gebiet, wenige ſcheinen beſchränkt zu ſein. Jm Gegenſatz zu den Edelfalken bewohnen die Habichte faſt ausnahmslos die dichten Waldungen und halten ſich hier möglichſt verborgen, wie es ihr Strauchritterleben in des Wortes vollſter Bedeutung erfordert. Auch ſie ſind begabte Geſchöpfe, jedoch nicht in gutem Sinne. Mordgier und Liſt ſind ihre hervorſtechenden Eigenſchaften. Jhre leiblichen Begabungen laſſen Nichts zu wünſchen übrig. Sie fliegen raſch und ungemein geſchickt, ſind im Stande, ihre Richtung jählings in eine andere umzuändern und bewegen ſich, faſt nach Art der Marder, in den verſchlungenſten Gebüſchen mit einer überraſchenden Gewandt- heit; doch meiden ſie ſoviel als möglich die Höhen; ihr Flug geht meiſtens niedrig über der Erde hin. Auf dem Boden gehen ſie auffallend gut, obgleich mit Zuhilfenahme ihrer Flügel; das Geäſt dichter Bäume durchſchlüpfen ſie mit ungewöhnlicher Fertigkeit. Sie ſind furchtbare Feinde aller Thiere, welche ſie, wenn auch mit Mühe, bezwingen können. Jhre Jagd gilt ebenſo gut den Säuge- thieren wie den Vögeln; ſie verſchmähen ſelbſt Lurche nicht. Sie fangen im Fliegen, im Sitzen, im Laufen und im Schwimmen; ſie verfolgen die einmal ins Auge gefaßte Beute mit einer Rückſichts- loſigkeit ohne Gleichen. Jhre Mordgier läßt ſie gar nicht ſelten ihre Sicherheit vergeſſen. Mit ſtarken Thieren balgen ſie ſich oft lange in wüthendem Kampfe herum, bis ihnen der Sieg gelingt. Zuweilen büßen ſie aber auch in ſolchen Kämpfen ihr Leben ein. Unter ſich halten die Habichte ebenſowenig Freundſchaft, als mit andern Thieren. Wahre Liebe, wie ſie bei den übrigen Raubvögeln beobachtet wird, kommt bei ihnen nie vor. Das Weibchen frißt ohne Beſinnen ſein Männchen auf, die Mutter oder der Vater ſeine Kinder, und dieſe fallen, wenn ſie ſtark genug ſind, über ihre Eltern her. Nur wenn ſie ihre Raubſucht vollſtändig befriedigen können, halten ſie Frieden innerhalb der Familie im gewöhnlichen Sinne des Worts. Die Vermehrung der Habichte iſt leider eine verhältnißmäßig ſtarke. Das Gelege beſteht aus einer beträchtlichen Auzahl von Eiern. Der Horſt wird ſtets auf Bäumen angelegt und, wie es ſcheint, immer ſelbſtändig errichtet. Einzelne Arten verzieren ihn ſehr hübſch durch grüne Reiſer, welche ſie unter Umſtänden wiederholt erneuern. Angriffe gegen die Brut verſuchen ſie mit größtem Muth abzuwehren: ſie ſtoßen dann furchtlos ſelbſt nach dem Menſchen. Alle Habichte ſind ſchädliche Vögel, welche die rückſichtsloſeſte Verfolgung nothwendig machen. Hinſichtlich der Edelfalken läßt es ſich entſchuldigen, wenn man ein gutes Wort einlegt: — den Habichten Fürſprecher zu ſein, würde als Frevel an der übrigen Thierwelt erſcheinen. Man hat zwar auch ſie abgerichtet und aus einzelnen ſchätzbare Baizvögel gewonnen: im allgemeinen aber iſt nicht einmal dieſer Rutzen ſo hoch anzuſchlagen, als es vielleicht ſcheint; denn das ſtörriſche Weſen dieſer Vögel macht die Abrichtung ſehr ſchwierig und nur ſelten belohnend. Jm Käfig ſind die Habichte unausſtehliche Geſchöpfe. Jhre Freßgier, ihre Unverträglichkeit, ihre Mordluſt machen die Haltung ſchwer, ein Zuſammenſperren mit andern Vögeln unmöglich. Sie werden um ſo verhaßter, je genauer man ſie kennen lernt. Ein eigenthümlicher Vogel Südamerikas verdient infofern die erſte Stelle, als er gewiſſermaßen ein Uebergangsglied iſt von den Edelfalken zu den Habichten. Man hat ihn ſeiner laut ſchallenden Stimme halber Lachhabicht genannt; ſein wiſſenſchaftlicher Name iſt Herpetotheres cachinnans. Die Kennzeichen der Sippe, welche er bildet, ſind ein kräftiger Rumpf, ein verhältnißmäßig großer, durch die reiche Befiederung noch größer erſcheinender Kopf, mäßig lange Flügel, welche in der Ruhe bis zur Schwanzmitte reichen, mit ziemlich ſtark verſchmälerten, ſpitzen Handſchwingen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/462
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/462>, abgerufen am 20.05.2024.