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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Kolkrabe.
aber noch weit größer; deshalb ist dieser schene Vogel selbst von der Krähenhütte aus nur sehr schwer
zu erlegen."

Das Geschrei des Kolkraben ist bekannt. Die gewöhnlichen Töne, welche die beiden Gatten
eines Paares von sich geben, klingen wie "Kork kork, Kolk kolk" oder wie "Rabb rabb rabb",
daher sein Name. Diese Laute werden verschieden betont und so mit andern vermischt, daß eine
gewisse Manchfaltigkeit entsteht. Bei genauer Beobachtung begreift man wohl, wie die Wahrsager
der Alten eine so große Menge von Tönen, welche der Kolkrabe hervorbringen soll, annehmen konnten.
Besonders auffallend ist eine Art von Geschwätz, welches das Männchen bei der Paarung im Sitzen
hören läßt. Es übertrifft an Vielseitigkeit das Plaudern der Elstern bei weitem."

Es gibt vielleicht keinen Vogel weiter, welcher im gleichen Umfange wie der Rabe Allesfresser
genannt werden kann. Man darf behaupten, daß er buchstäblich nichts Genießbares verschmäht und
für seine Größe und Kraft Unglaubliches leistet. Jhm munden Früchte, Körner und andere genieß-
bare Pflanzenstoffe aller Art; aber er ist auch ein Raubvogel ersten Ranges. Nicht Kerbthiere,
Schnecken, Würmer und kleine Wirbelthiere allein sind es, welchen er den Krieg erklärt; er greift
dreist Säugethiere und Vögel an, welche ihn an Größe übertreffen. Er raubt in der unverschämtesten
Weise die Nester aus und nicht allein die wehrloser Vögel, sondern auch die der kräftigen Möven,
welche sich und ihre Brut wohl zu vertheidigen wissen. Vom Hasen an bis zur Maus und vom Auer-
huhn
an bis zum kleinsten Vogel ist kein Thier vor ihm sicher. Frechheit und List, Kraft und Gewandt-
heit vereinigen sich in ihm, um ihn zu einem wahrhaft furchtbaren Räuber zu stempeln. Jn Spanien
bedroht er die Haushühner, in Norwegen die jungen Gänse, Enten und das gesammte übrige Haus-
geflügel, auf Jsland und Grönland jagt er Schneehühner, bei uns zu Lande Hasen, Fasanen und Reb-
hühner; am Meeresstrande sucht er zusammen, was die Flut ihm zuwarf, und in den nordischen Ländern
macht er den Hunden allerlei Abfälle vor den Wohnungen streitig. -- "Jn Jsland ist er", wie der Jslän-
der Olaffen sagt, "in großer Menge vorhanden, sucht im Winter sein Futter zwischen Hunden und
Katzen auf den Höfen, geht in der warmen Jahreszeit am Strande den Fischen nach, hackt im Früh-
jahr die neugebornen Lämmer todt und verzehrt sie, verjagt die Eidergänse vom Nest, säuft ihre Eier
aus, verbirgt diejenigen, welche er nicht fressen kann, einzeln in der Erde. Selbst auf Pferde, welche
Wunden oder Beulen haben, setzt er sich und hackt sie an, so daß sie ihn nur durch Wälzen loswerden
können. Er folgt in kleinen Scharen dem Adler, wagt sich nicht an ihn, sucht aber Ueberbleibsel
von seiner Beute zu erschnappen. Sind wo kranke oder todte alte Kolkraben, oder junge aus dem
Nest gefallene zu finden, so verzehrt er sie. Jm Winter gesellt sich zu jedem Hause eine Zahl von
zwei bis zehn Kolkraben, und diese dulden dann keinen andren mehr bei sich." -- Für den unbethei-
ligten Beobachter ist es ergötzlich zu sehen, wie er zu Werke geht. Den schweizer Jägern folgt er,
nach Tschudi, um die geschossenen Gemsen aufzunehmen. Hartschalige Muscheln erhebt er nach
Faber's und Holboell's übereinstimmenden Berichten hoch in die Luft und läßt sie von hier auf
einen harten Stein oder bezüglich Felsblock fallen, um sie zu zerschmettern. Den Einsiedler-
krebs weiß er, nach A. von Homeyer's Beobachtungen, geschickt zu fassen und aus seiner Wohnung,
dem Schneckengehäuse, herauszuziehen: will dieses wegen gänzlichem Zurückziehen des Krebses nicht
gleich gelingen, so hämmert er mit dem Gehäuse so lange hin und her, bis der Einsiedler doch endlich
zum Vorschein kommt. Er greift große Thiere mit einer List und Verschlagenheit sondergleichen, aber
auch mit großem Muth erfolgreich an, die Hasen z. B. ohne alle Umstände, nicht blos kranke oder
angeschossene, wie mein Vater annahm. Graf Wodzicki hat hierüber Erfahrungen gemacht, welche
jeden etwa noch herrschenden Zweifel beseitigen.

"Die Rolle, welche der Fuchs unter den Säugethieren spielt", sagt der genannte vortreffliche For-
scher, "ist unter den Vögeln dem Raben zuertheilt. Er bekundet nämlich einen hohen Grad von List,
Ausdauer und Vorsicht. Je nachdem er es braucht, jagt er allein oder nimmt sich Gehilfen; er kennt
aber auch jeden Raubvogel und begleitet diejenigen, welche ihm möglicher Weise Nahrung verschaffen
können. Oft vergräbt er, wie der Fuchs, die Ueberbleibsel, um im Falle der Noth doch nicht zu

Kolkrabe.
aber noch weit größer; deshalb iſt dieſer ſchene Vogel ſelbſt von der Krähenhütte aus nur ſehr ſchwer
zu erlegen.‟

Das Geſchrei des Kolkraben iſt bekannt. Die gewöhnlichen Töne, welche die beiden Gatten
eines Paares von ſich geben, klingen wie „Kork kork, Kolk kolk‟ oder wie „Rabb rabb rabb‟,
daher ſein Name. Dieſe Laute werden verſchieden betont und ſo mit andern vermiſcht, daß eine
gewiſſe Manchfaltigkeit entſteht. Bei genauer Beobachtung begreift man wohl, wie die Wahrſager
der Alten eine ſo große Menge von Tönen, welche der Kolkrabe hervorbringen ſoll, annehmen konnten.
Beſonders auffallend iſt eine Art von Geſchwätz, welches das Männchen bei der Paarung im Sitzen
hören läßt. Es übertrifft an Vielſeitigkeit das Plaudern der Elſtern bei weitem.‟

Es gibt vielleicht keinen Vogel weiter, welcher im gleichen Umfange wie der Rabe Allesfreſſer
genannt werden kann. Man darf behaupten, daß er buchſtäblich nichts Genießbares verſchmäht und
für ſeine Größe und Kraft Unglaubliches leiſtet. Jhm munden Früchte, Körner und andere genieß-
bare Pflanzenſtoffe aller Art; aber er iſt auch ein Raubvogel erſten Ranges. Nicht Kerbthiere,
Schnecken, Würmer und kleine Wirbelthiere allein ſind es, welchen er den Krieg erklärt; er greift
dreiſt Säugethiere und Vögel an, welche ihn an Größe übertreffen. Er raubt in der unverſchämteſten
Weiſe die Neſter aus und nicht allein die wehrloſer Vögel, ſondern auch die der kräftigen Möven,
welche ſich und ihre Brut wohl zu vertheidigen wiſſen. Vom Haſen an bis zur Maus und vom Auer-
huhn
an bis zum kleinſten Vogel iſt kein Thier vor ihm ſicher. Frechheit und Liſt, Kraft und Gewandt-
heit vereinigen ſich in ihm, um ihn zu einem wahrhaft furchtbaren Räuber zu ſtempeln. Jn Spanien
bedroht er die Haushühner, in Norwegen die jungen Gänſe, Enten und das geſammte übrige Haus-
geflügel, auf Jsland und Grönland jagt er Schneehühner, bei uns zu Lande Haſen, Faſanen und Reb-
hühner; am Meeresſtrande ſucht er zuſammen, was die Flut ihm zuwarf, und in den nordiſchen Ländern
macht er den Hunden allerlei Abfälle vor den Wohnungen ſtreitig. — „Jn Jsland iſt er‟, wie der Jslän-
der Olaffen ſagt, „in großer Menge vorhanden, ſucht im Winter ſein Futter zwiſchen Hunden und
Katzen auf den Höfen, geht in der warmen Jahreszeit am Strande den Fiſchen nach, hackt im Früh-
jahr die neugebornen Lämmer todt und verzehrt ſie, verjagt die Eidergänſe vom Neſt, ſäuft ihre Eier
aus, verbirgt diejenigen, welche er nicht freſſen kann, einzeln in der Erde. Selbſt auf Pferde, welche
Wunden oder Beulen haben, ſetzt er ſich und hackt ſie an, ſo daß ſie ihn nur durch Wälzen loswerden
können. Er folgt in kleinen Scharen dem Adler, wagt ſich nicht an ihn, ſucht aber Ueberbleibſel
von ſeiner Beute zu erſchnappen. Sind wo kranke oder todte alte Kolkraben, oder junge aus dem
Neſt gefallene zu finden, ſo verzehrt er ſie. Jm Winter geſellt ſich zu jedem Hauſe eine Zahl von
zwei bis zehn Kolkraben, und dieſe dulden dann keinen andren mehr bei ſich.‟ — Für den unbethei-
ligten Beobachter iſt es ergötzlich zu ſehen, wie er zu Werke geht. Den ſchweizer Jägern folgt er,
nach Tſchudi, um die geſchoſſenen Gemſen aufzunehmen. Hartſchalige Muſcheln erhebt er nach
Faber’s und Holboell’s übereinſtimmenden Berichten hoch in die Luft und läßt ſie von hier auf
einen harten Stein oder bezüglich Felsblock fallen, um ſie zu zerſchmettern. Den Einſiedler-
krebs weiß er, nach A. von Homeyer’s Beobachtungen, geſchickt zu faſſen und aus ſeiner Wohnung,
dem Schneckengehäuſe, herauszuziehen: will dieſes wegen gänzlichem Zurückziehen des Krebſes nicht
gleich gelingen, ſo hämmert er mit dem Gehäuſe ſo lange hin und her, bis der Einſiedler doch endlich
zum Vorſchein kommt. Er greift große Thiere mit einer Liſt und Verſchlagenheit ſondergleichen, aber
auch mit großem Muth erfolgreich an, die Haſen z. B. ohne alle Umſtände, nicht blos kranke oder
angeſchoſſene, wie mein Vater annahm. Graf Wodzicki hat hierüber Erfahrungen gemacht, welche
jeden etwa noch herrſchenden Zweifel beſeitigen.

„Die Rolle, welche der Fuchs unter den Säugethieren ſpielt‟, ſagt der genannte vortreffliche For-
ſcher, „iſt unter den Vögeln dem Raben zuertheilt. Er bekundet nämlich einen hohen Grad von Liſt,
Ausdauer und Vorſicht. Je nachdem er es braucht, jagt er allein oder nimmt ſich Gehilfen; er kennt
aber auch jeden Raubvogel und begleitet diejenigen, welche ihm möglicher Weiſe Nahrung verſchaffen
können. Oft vergräbt er, wie der Fuchs, die Ueberbleibſel, um im Falle der Noth doch nicht zu

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[345/0373] Kolkrabe. aber noch weit größer; deshalb iſt dieſer ſchene Vogel ſelbſt von der Krähenhütte aus nur ſehr ſchwer zu erlegen.‟ Das Geſchrei des Kolkraben iſt bekannt. Die gewöhnlichen Töne, welche die beiden Gatten eines Paares von ſich geben, klingen wie „Kork kork, Kolk kolk‟ oder wie „Rabb rabb rabb‟, daher ſein Name. Dieſe Laute werden verſchieden betont und ſo mit andern vermiſcht, daß eine gewiſſe Manchfaltigkeit entſteht. Bei genauer Beobachtung begreift man wohl, wie die Wahrſager der Alten eine ſo große Menge von Tönen, welche der Kolkrabe hervorbringen ſoll, annehmen konnten. Beſonders auffallend iſt eine Art von Geſchwätz, welches das Männchen bei der Paarung im Sitzen hören läßt. Es übertrifft an Vielſeitigkeit das Plaudern der Elſtern bei weitem.‟ Es gibt vielleicht keinen Vogel weiter, welcher im gleichen Umfange wie der Rabe Allesfreſſer genannt werden kann. Man darf behaupten, daß er buchſtäblich nichts Genießbares verſchmäht und für ſeine Größe und Kraft Unglaubliches leiſtet. Jhm munden Früchte, Körner und andere genieß- bare Pflanzenſtoffe aller Art; aber er iſt auch ein Raubvogel erſten Ranges. Nicht Kerbthiere, Schnecken, Würmer und kleine Wirbelthiere allein ſind es, welchen er den Krieg erklärt; er greift dreiſt Säugethiere und Vögel an, welche ihn an Größe übertreffen. Er raubt in der unverſchämteſten Weiſe die Neſter aus und nicht allein die wehrloſer Vögel, ſondern auch die der kräftigen Möven, welche ſich und ihre Brut wohl zu vertheidigen wiſſen. Vom Haſen an bis zur Maus und vom Auer- huhn an bis zum kleinſten Vogel iſt kein Thier vor ihm ſicher. Frechheit und Liſt, Kraft und Gewandt- heit vereinigen ſich in ihm, um ihn zu einem wahrhaft furchtbaren Räuber zu ſtempeln. Jn Spanien bedroht er die Haushühner, in Norwegen die jungen Gänſe, Enten und das geſammte übrige Haus- geflügel, auf Jsland und Grönland jagt er Schneehühner, bei uns zu Lande Haſen, Faſanen und Reb- hühner; am Meeresſtrande ſucht er zuſammen, was die Flut ihm zuwarf, und in den nordiſchen Ländern macht er den Hunden allerlei Abfälle vor den Wohnungen ſtreitig. — „Jn Jsland iſt er‟, wie der Jslän- der Olaffen ſagt, „in großer Menge vorhanden, ſucht im Winter ſein Futter zwiſchen Hunden und Katzen auf den Höfen, geht in der warmen Jahreszeit am Strande den Fiſchen nach, hackt im Früh- jahr die neugebornen Lämmer todt und verzehrt ſie, verjagt die Eidergänſe vom Neſt, ſäuft ihre Eier aus, verbirgt diejenigen, welche er nicht freſſen kann, einzeln in der Erde. Selbſt auf Pferde, welche Wunden oder Beulen haben, ſetzt er ſich und hackt ſie an, ſo daß ſie ihn nur durch Wälzen loswerden können. Er folgt in kleinen Scharen dem Adler, wagt ſich nicht an ihn, ſucht aber Ueberbleibſel von ſeiner Beute zu erſchnappen. Sind wo kranke oder todte alte Kolkraben, oder junge aus dem Neſt gefallene zu finden, ſo verzehrt er ſie. Jm Winter geſellt ſich zu jedem Hauſe eine Zahl von zwei bis zehn Kolkraben, und dieſe dulden dann keinen andren mehr bei ſich.‟ — Für den unbethei- ligten Beobachter iſt es ergötzlich zu ſehen, wie er zu Werke geht. Den ſchweizer Jägern folgt er, nach Tſchudi, um die geſchoſſenen Gemſen aufzunehmen. Hartſchalige Muſcheln erhebt er nach Faber’s und Holboell’s übereinſtimmenden Berichten hoch in die Luft und läßt ſie von hier auf einen harten Stein oder bezüglich Felsblock fallen, um ſie zu zerſchmettern. Den Einſiedler- krebs weiß er, nach A. von Homeyer’s Beobachtungen, geſchickt zu faſſen und aus ſeiner Wohnung, dem Schneckengehäuſe, herauszuziehen: will dieſes wegen gänzlichem Zurückziehen des Krebſes nicht gleich gelingen, ſo hämmert er mit dem Gehäuſe ſo lange hin und her, bis der Einſiedler doch endlich zum Vorſchein kommt. Er greift große Thiere mit einer Liſt und Verſchlagenheit ſondergleichen, aber auch mit großem Muth erfolgreich an, die Haſen z. B. ohne alle Umſtände, nicht blos kranke oder angeſchoſſene, wie mein Vater annahm. Graf Wodzicki hat hierüber Erfahrungen gemacht, welche jeden etwa noch herrſchenden Zweifel beſeitigen. „Die Rolle, welche der Fuchs unter den Säugethieren ſpielt‟, ſagt der genannte vortreffliche For- ſcher, „iſt unter den Vögeln dem Raben zuertheilt. Er bekundet nämlich einen hohen Grad von Liſt, Ausdauer und Vorſicht. Je nachdem er es braucht, jagt er allein oder nimmt ſich Gehilfen; er kennt aber auch jeden Raubvogel und begleitet diejenigen, welche ihm möglicher Weiſe Nahrung verſchaffen können. Oft vergräbt er, wie der Fuchs, die Ueberbleibſel, um im Falle der Noth doch nicht zu

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/373>, abgerufen am 10.05.2024.