Erst in den letztvergangenen Jahren und Monaten ist uns ausführlichere Kunde geworden über mehrere prächtige Vögel Neuguineas und der umliegenden Jnseln, welche schon seit Jahrhun- derten als theilweise verstümmelte Bälge bei uns eingeführt wurden und die eigenthümlichsten Sagen ins Leben gerufen haben. Paradiesvögel nannte und nennt man sie, weil man annahm, daß sie unmittelbar dem Paradiese entstammten und in ganz eigenthümlicher Weise lebten. Die Vögel kamen immer ohne Füße zu uns, man übersah die ihnen durch die Eingeborenen zugefügte Verstümmelung und nahm an, daß sie niemals Füße besessen hätten. Die fast einzig dastehende Federbildung der betreffenden Thiere und ihre prachtvollen Farben gaben der Einbildung freien Spielraum, und so kam es, daß die unglaublichsten Fabeln wirklich geglaubt wurden. "Veranlaßt noch heutzutage", sagt Pöppig treffend und wahr, "der Anblick des Paradiesvogels jeden Laien zur Bewunderung, so läßt sich denken, mit welchem Staunen die vom Auslande abgetrennten Bewohner des europäischen Fest- landes die erste Kunde von jenen wunderbaren Thieren erhalten haben mögen, als Pigafetta, Magalhaen's überlebender Begleiter, 1522 in Sevilla wieder eintraf. Man liest nicht ohne eine gewisse Rührung, wie einige der eifrigen, aber in ihren Mitteln unendlich beschränkten Naturforscher des 15. Jahrhunderts es als eines der größten Ereignisse ihres Lebens, als eine Erfüllung eines lange umsonst gehegten Wunsches bezeichnen, daß ihnen endlich der Anblick der verstümmelten Haut eines Paradiesvogels zu Theil geworden. Entschuldigung mag es daher verdienen, wenn in jenem Zeit- abschnitte Fabeln entstanden, welche ungewöhnlich lange Zeit vollen Glanben fanden. Man betrach- tete jene Vögel als lustige Silfen, welche ihre Heimat allein in dem unendlichen Luftmeere fänden, alle auf Selbsterhaltung zielenden Geschäfte fliegend vornahmen und nur während einiger flüchtiger Augenblicke ruhten, indem sie sich mit den langen fadenförmigen Schwanzfedern an Baumästen auf- hingen. Sie sollten gleichsam als höhere Wesen von der Nothwendigkeit, die Erde zu berühren, frei sein und von ätherischer Nahrung, vom Morgenthau sich nähren. Es half zu Nichts, daß Piga- fetta selbst die Fußlosigkeit jener Wundervögel als eine Fabel erklärte, daß Marcgrav, Clusius und andere Forscher jener Zeit die letztere als gar zu ungereimt bekämpften: das Volk blieb bei seiner vorgefaßten, allerdings nicht undichterischen Ansicht."
Jahrhunderte vergingen, bevor etwas Sicheres uns bekannt wurde. Verschiedene Reisende liefer- ten wichtigere oder unwichtigere Beiträge zur Kunde der Paradiesvögel; kaum Einer aber blieb frei von dem nun einmal herrschenden Wunderglauben. Erst Lesson, der bekannte französische Natur- forscher, welcher gelegentlich seiner Weltumsegelung dreizehn Tage auf Neuguinea verweilte, berichtet aus eigener Anschauung über die lebenden Paradiesvögel. Nach ihm haben uns in den letzten Jahren die Engländer Bennett und Wallace und der Niederländer Rosenberg werthvolle Mittheilungen über das Frei- und Gefangenleben der märchenhaften Vögel gemacht, und so ist unsere Kunde wesentlich befördert worden; wirklich befriedigend ist sie heutigen Tages noch nicht.
Jch will versuchen, in dem Nachstehenden das Bekannte zusammenzustellen, muß aber dabei bemerken, daß ich mir Wallace's Mittheilungen nur theilweise habe verschaffen können.
Die Paradiesvögel (Paradiseae) sind prachtvolle Raben von der Größe eines Hehers bis zu einer Lerche: aber sie sind Raben, welche sich nicht blos durch die Farbenschönheit ihres Gefieders, sondern auch durch zierlichen Bau und eigenthümliche Federbildung auszeichnen. Der Schnabel ist mittellang, gerade oder etwas gebogen, seitlich zusammengedrückt, an der Wurzel mit einer befiederten Haut bedeckt, unter welcher die Nasenlöcher verborgen sind. Die Flügel sind mittellang, sehr abge- rundet, da die sechste und siebente Schwinge über die andern hervorragen. Der gerade, zwölffedrige Schwanz ist mäßig lang, durch drahtartig verlängerte Federn ausgezeichnet, oder sehr lang, einfach gebildet und dann stark abgestuft. Die Füße sind kräftig, großzehig und mit scharfen, krummen Klauen bewehrt. Bei mehreren Arten verlängern sich die Federn der Weichengegend in ungewöhnlicher Weise und nehmen gleichzeitig eine sonderbare Bildung an: sie zerschleisen sich. Nur die Männ-
Brehm, Thierleben. III. 21
Paradiesvogel.
Erſt in den letztvergangenen Jahren und Monaten iſt uns ausführlichere Kunde geworden über mehrere prächtige Vögel Neuguineas und der umliegenden Jnſeln, welche ſchon ſeit Jahrhun- derten als theilweiſe verſtümmelte Bälge bei uns eingeführt wurden und die eigenthümlichſten Sagen ins Leben gerufen haben. Paradiesvögel nannte und nennt man ſie, weil man annahm, daß ſie unmittelbar dem Paradieſe entſtammten und in ganz eigenthümlicher Weiſe lebten. Die Vögel kamen immer ohne Füße zu uns, man überſah die ihnen durch die Eingeborenen zugefügte Verſtümmelung und nahm an, daß ſie niemals Füße beſeſſen hätten. Die faſt einzig daſtehende Federbildung der betreffenden Thiere und ihre prachtvollen Farben gaben der Einbildung freien Spielraum, und ſo kam es, daß die unglaublichſten Fabeln wirklich geglaubt wurden. „Veranlaßt noch heutzutage‟, ſagt Pöppig treffend und wahr, „der Anblick des Paradiesvogels jeden Laien zur Bewunderung, ſo läßt ſich denken, mit welchem Staunen die vom Auslande abgetrennten Bewohner des europäiſchen Feſt- landes die erſte Kunde von jenen wunderbaren Thieren erhalten haben mögen, als Pigafetta, Magalhaen’s überlebender Begleiter, 1522 in Sevilla wieder eintraf. Man lieſt nicht ohne eine gewiſſe Rührung, wie einige der eifrigen, aber in ihren Mitteln unendlich beſchränkten Naturforſcher des 15. Jahrhunderts es als eines der größten Ereigniſſe ihres Lebens, als eine Erfüllung eines lange umſonſt gehegten Wunſches bezeichnen, daß ihnen endlich der Anblick der verſtümmelten Haut eines Paradiesvogels zu Theil geworden. Entſchuldigung mag es daher verdienen, wenn in jenem Zeit- abſchnitte Fabeln entſtanden, welche ungewöhnlich lange Zeit vollen Glanben fanden. Man betrach- tete jene Vögel als luſtige Silfen, welche ihre Heimat allein in dem unendlichen Luftmeere fänden, alle auf Selbſterhaltung zielenden Geſchäfte fliegend vornahmen und nur während einiger flüchtiger Augenblicke ruhten, indem ſie ſich mit den langen fadenförmigen Schwanzfedern an Baumäſten auf- hingen. Sie ſollten gleichſam als höhere Weſen von der Nothwendigkeit, die Erde zu berühren, frei ſein und von ätheriſcher Nahrung, vom Morgenthau ſich nähren. Es half zu Nichts, daß Piga- fetta ſelbſt die Fußloſigkeit jener Wundervögel als eine Fabel erklärte, daß Marcgrav, Cluſius und andere Forſcher jener Zeit die letztere als gar zu ungereimt bekämpften: das Volk blieb bei ſeiner vorgefaßten, allerdings nicht undichteriſchen Anſicht.‟
Jahrhunderte vergingen, bevor etwas Sicheres uns bekannt wurde. Verſchiedene Reiſende liefer- ten wichtigere oder unwichtigere Beiträge zur Kunde der Paradiesvögel; kaum Einer aber blieb frei von dem nun einmal herrſchenden Wunderglauben. Erſt Leſſon, der bekannte franzöſiſche Natur- forſcher, welcher gelegentlich ſeiner Weltumſegelung dreizehn Tage auf Neuguinea verweilte, berichtet aus eigener Anſchauung über die lebenden Paradiesvögel. Nach ihm haben uns in den letzten Jahren die Engländer Bennett und Wallace und der Niederländer Roſenberg werthvolle Mittheilungen über das Frei- und Gefangenleben der märchenhaften Vögel gemacht, und ſo iſt unſere Kunde weſentlich befördert worden; wirklich befriedigend iſt ſie heutigen Tages noch nicht.
Jch will verſuchen, in dem Nachſtehenden das Bekannte zuſammenzuſtellen, muß aber dabei bemerken, daß ich mir Wallace’s Mittheilungen nur theilweiſe habe verſchaffen können.
Die Paradiesvögel (Paradiseae) ſind prachtvolle Raben von der Größe eines Hehers bis zu einer Lerche: aber ſie ſind Raben, welche ſich nicht blos durch die Farbenſchönheit ihres Gefieders, ſondern auch durch zierlichen Bau und eigenthümliche Federbildung auszeichnen. Der Schnabel iſt mittellang, gerade oder etwas gebogen, ſeitlich zuſammengedrückt, an der Wurzel mit einer befiederten Haut bedeckt, unter welcher die Naſenlöcher verborgen ſind. Die Flügel ſind mittellang, ſehr abge- rundet, da die ſechſte und ſiebente Schwinge über die andern hervorragen. Der gerade, zwölffedrige Schwanz iſt mäßig lang, durch drahtartig verlängerte Federn ausgezeichnet, oder ſehr lang, einfach gebildet und dann ſtark abgeſtuft. Die Füße ſind kräftig, großzehig und mit ſcharfen, krummen Klauen bewehrt. Bei mehreren Arten verlängern ſich die Federn der Weichengegend in ungewöhnlicher Weiſe und nehmen gleichzeitig eine ſonderbare Bildung an: ſie zerſchleiſen ſich. Nur die Männ-
Brehm, Thierleben. III. 21
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[321/0345]
Paradiesvogel.
Erſt in den letztvergangenen Jahren und Monaten iſt uns ausführlichere Kunde geworden
über mehrere prächtige Vögel Neuguineas und der umliegenden Jnſeln, welche ſchon ſeit Jahrhun-
derten als theilweiſe verſtümmelte Bälge bei uns eingeführt wurden und die eigenthümlichſten Sagen
ins Leben gerufen haben. Paradiesvögel nannte und nennt man ſie, weil man annahm, daß ſie
unmittelbar dem Paradieſe entſtammten und in ganz eigenthümlicher Weiſe lebten. Die Vögel kamen
immer ohne Füße zu uns, man überſah die ihnen durch die Eingeborenen zugefügte Verſtümmelung
und nahm an, daß ſie niemals Füße beſeſſen hätten. Die faſt einzig daſtehende Federbildung der
betreffenden Thiere und ihre prachtvollen Farben gaben der Einbildung freien Spielraum, und ſo kam
es, daß die unglaublichſten Fabeln wirklich geglaubt wurden. „Veranlaßt noch heutzutage‟, ſagt
Pöppig treffend und wahr, „der Anblick des Paradiesvogels jeden Laien zur Bewunderung, ſo läßt
ſich denken, mit welchem Staunen die vom Auslande abgetrennten Bewohner des europäiſchen Feſt-
landes die erſte Kunde von jenen wunderbaren Thieren erhalten haben mögen, als Pigafetta,
Magalhaen’s überlebender Begleiter, 1522 in Sevilla wieder eintraf. Man lieſt nicht ohne eine
gewiſſe Rührung, wie einige der eifrigen, aber in ihren Mitteln unendlich beſchränkten Naturforſcher
des 15. Jahrhunderts es als eines der größten Ereigniſſe ihres Lebens, als eine Erfüllung eines lange
umſonſt gehegten Wunſches bezeichnen, daß ihnen endlich der Anblick der verſtümmelten Haut eines
Paradiesvogels zu Theil geworden. Entſchuldigung mag es daher verdienen, wenn in jenem Zeit-
abſchnitte Fabeln entſtanden, welche ungewöhnlich lange Zeit vollen Glanben fanden. Man betrach-
tete jene Vögel als luſtige Silfen, welche ihre Heimat allein in dem unendlichen Luftmeere fänden,
alle auf Selbſterhaltung zielenden Geſchäfte fliegend vornahmen und nur während einiger flüchtiger
Augenblicke ruhten, indem ſie ſich mit den langen fadenförmigen Schwanzfedern an Baumäſten auf-
hingen. Sie ſollten gleichſam als höhere Weſen von der Nothwendigkeit, die Erde zu berühren, frei
ſein und von ätheriſcher Nahrung, vom Morgenthau ſich nähren. Es half zu Nichts, daß Piga-
fetta ſelbſt die Fußloſigkeit jener Wundervögel als eine Fabel erklärte, daß Marcgrav, Cluſius
und andere Forſcher jener Zeit die letztere als gar zu ungereimt bekämpften: das Volk blieb bei ſeiner
vorgefaßten, allerdings nicht undichteriſchen Anſicht.‟
Jahrhunderte vergingen, bevor etwas Sicheres uns bekannt wurde. Verſchiedene Reiſende liefer-
ten wichtigere oder unwichtigere Beiträge zur Kunde der Paradiesvögel; kaum Einer aber blieb frei
von dem nun einmal herrſchenden Wunderglauben. Erſt Leſſon, der bekannte franzöſiſche Natur-
forſcher, welcher gelegentlich ſeiner Weltumſegelung dreizehn Tage auf Neuguinea verweilte, berichtet
aus eigener Anſchauung über die lebenden Paradiesvögel. Nach ihm haben uns in den letzten Jahren
die Engländer Bennett und Wallace und der Niederländer Roſenberg werthvolle Mittheilungen
über das Frei- und Gefangenleben der märchenhaften Vögel gemacht, und ſo iſt unſere Kunde
weſentlich befördert worden; wirklich befriedigend iſt ſie heutigen Tages noch nicht.
Jch will verſuchen, in dem Nachſtehenden das Bekannte zuſammenzuſtellen, muß aber dabei
bemerken, daß ich mir Wallace’s Mittheilungen nur theilweiſe habe verſchaffen können.
Die Paradiesvögel (Paradiseae) ſind prachtvolle Raben von der Größe eines Hehers bis
zu einer Lerche: aber ſie ſind Raben, welche ſich nicht blos durch die Farbenſchönheit ihres Gefieders,
ſondern auch durch zierlichen Bau und eigenthümliche Federbildung auszeichnen. Der Schnabel iſt
mittellang, gerade oder etwas gebogen, ſeitlich zuſammengedrückt, an der Wurzel mit einer befiederten
Haut bedeckt, unter welcher die Naſenlöcher verborgen ſind. Die Flügel ſind mittellang, ſehr abge-
rundet, da die ſechſte und ſiebente Schwinge über die andern hervorragen. Der gerade, zwölffedrige
Schwanz iſt mäßig lang, durch drahtartig verlängerte Federn ausgezeichnet, oder ſehr lang, einfach
gebildet und dann ſtark abgeſtuft. Die Füße ſind kräftig, großzehig und mit ſcharfen, krummen
Klauen bewehrt. Bei mehreren Arten verlängern ſich die Federn der Weichengegend in ungewöhnlicher
Weiſe und nehmen gleichzeitig eine ſonderbare Bildung an: ſie zerſchleiſen ſich. Nur die Männ-
Brehm, Thierleben. III. 21
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/345>, abgerufen am 22.11.2024.
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