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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Staar. Rosenstaar.
und schrie immer dazwischen: Spitzbube, Spitzbube! Spielte ich auf der Wiese, so war Staarmatz mit
und badete sich im Bache; arbeitete ich im Garten, so war er behülflich und suchte Regenwürmer auf;
saß ich auf dem Kirschbaume, so saß er neben mir und pflückte noch fleißiger als ich. Wie ein Hund
wußte er meine Mienen zu deuten und meine Worte zu verstehen. Er war sehr lecker und suchte
immer zum Mehlwurmstopfe zu gelangen. Dieser wurde daher mit einem Brete bedeckt. Einst
wurde es versehen und eine Fußbank daneben gestellt; der Staar benutzt die günstige Gelegenheit,
springt auf die Fußbank, schiebt den Schnabel zwischen Topf und Bret, drängt dieses allmählich zurück,
hüpft, sobald das Loch groß genug ist, hinein und frißt so viel, bis er nicht mehr kann; es war ihm
nicht möglich, wieder heraus zu hüpfen, so voll hatte er sich gefressen, und er wäre um ein Haar an der
allzu reichlichen Mahlzeit gestorben. Jm Baden kannte er weder Maß noch Ziel. Wegen der
erschrecklichen Pfützen, die er machte, durfte ich ihn nicht in der Stube baden lassen; es geschah daher
auf dem Vorsaal, selbst bei starkem Froste, so daß oft das Eis in Klumpen an seinen Federn hing; er
lief dann eilig und laut schnarrend in die Stube zurück. Einst lief er Jemand, der zur Thür hin-
aus ging, nach, sein Schnabel kam in die Klemme, und der Oberkiefer spaltete von der Spitze bis
zur Mitte. Nun, dachte ich, ist Matz verloren. Allein Matzens Oberkiefer begann gewaltig zu
wachsen, das gespaltene Stück fiel ab, und der Schnabel war vollkommen hergestellt. Ein anderer
Jemand trat ihm das Bein entzwei. Jch nahm ihn vor, bestrich es mit Lilienöl, legte Schienen an,
und nach Verlauf einiger Zeit war es geheilt; an der Stelle des Bruchs wuchs nun eine dünne, etwa
vier Linien lange Warze hervor. Jch unterband sie mit einem Fädchen, und sie fiel ab. Einst war er
zum Fenster hinausgeflogen, und ich suchte ihn eine Zeit lang vergebens. Endlich hörte ich einen
gewaltigen Lärm; ich lief hin, da standen einige Bürschchen unter einem Baume und warfen jubelnd
mit Steinen und Erdklößen nach dem Staarmatz. Dieser saß oben ganz ruhig, schnarrte, pfiff und
schrie: Spitzbube."



Der nächste Verwandte, welcher Europa bewohnt, ist der Rosenstaar oder Hirtenvogel,
die Ackerdrossel oder Staaramsel (Pastor roseus). Er ähnelt in seinem Leibesbau dem Staar
sehr, der Schnabel ist jedoch kegelmesserförmig, d. h. seitlich zusammengedrückt und auf dem Oberliefer
sanft gebogen, der Flügel verhältnißmäßig länger und der Lauf höher als bei dem Staar. Das Gefieder
des Hinterkopfes verlängert sich bei den alten Vögeln schopfartig. Der Rosenstaar wird 81/4 bis 83/4
Zoll lang und 15 bis 161/2 Zoll breit; der Fittig mißt 31/4 Zoll. Beim ausgefärbten Männchen
sind Kopf, Hals und Oberbrust glänzend blauschwarz mit purpurnem Schiller, Schwingen und
Schwanz braunschwarz mit blauschwarzem Schimmer; der übrige Körper ist blaßrosenroth. Das Weib-
chen unterscheidet sich durch kürzeren Busch und blässeres Gefieder. Die Jungen sind den jungen
Staaren ähnlich gefärbt; der Oberkörper ist isabellbraun, der Unterkörper graubraun, an Kehle und
Bauch graulichweiß.

Der Südosten unseres Erdtheils von Ungarn an und der größte Theil Mittel- und Südasiens
bis Jndien hin sind die Heimat dieses schönen Vogels. Von hieraus verfliegt er sich ziemlich regel-
mäßig nach Griechenland, seltener nach Spanien, Frankreich und Deutschland, wo er wiederholt erlegt
worden ist. Dagegen wandert er regelmäßig nach den südlichen Ländern Asiens und verbringt hier
den Winter. Jn den Donantiefländern und in den südrussischen Steppen erscheint er nicht alle Jahre
in gleicher Menge; zuweilen kommt er nur einzeln an, zuweilen in ungeheuern Scharen.

Jn seiner Lebensweise hat er die größte Aehnlichkeit mit seinem deutschen Verwandten; er gesellt
sich auch gern zu ihm und bildet mit ihm vereint große Flüge. Diese fallen den Gefährten zu Liebe nachts
auch in die Rohrwaldungen ein, was die andern sonst niemals thun: die ungemischten Gesellschaften
übernachten vielmehr regelmäßig auf hohen, dicht belaubten Bäumen und fliegen von hieraus am

Staar. Roſenſtaar.
und ſchrie immer dazwiſchen: Spitzbube, Spitzbube! Spielte ich auf der Wieſe, ſo war Staarmatz mit
und badete ſich im Bache; arbeitete ich im Garten, ſo war er behülflich und ſuchte Regenwürmer auf;
ſaß ich auf dem Kirſchbaume, ſo ſaß er neben mir und pflückte noch fleißiger als ich. Wie ein Hund
wußte er meine Mienen zu deuten und meine Worte zu verſtehen. Er war ſehr lecker und ſuchte
immer zum Mehlwurmstopfe zu gelangen. Dieſer wurde daher mit einem Brete bedeckt. Einſt
wurde es verſehen und eine Fußbank daneben geſtellt; der Staar benutzt die günſtige Gelegenheit,
ſpringt auf die Fußbank, ſchiebt den Schnabel zwiſchen Topf und Bret, drängt dieſes allmählich zurück,
hüpft, ſobald das Loch groß genug iſt, hinein und frißt ſo viel, bis er nicht mehr kann; es war ihm
nicht möglich, wieder heraus zu hüpfen, ſo voll hatte er ſich gefreſſen, und er wäre um ein Haar an der
allzu reichlichen Mahlzeit geſtorben. Jm Baden kannte er weder Maß noch Ziel. Wegen der
erſchrecklichen Pfützen, die er machte, durfte ich ihn nicht in der Stube baden laſſen; es geſchah daher
auf dem Vorſaal, ſelbſt bei ſtarkem Froſte, ſo daß oft das Eis in Klumpen an ſeinen Federn hing; er
lief dann eilig und laut ſchnarrend in die Stube zurück. Einſt lief er Jemand, der zur Thür hin-
aus ging, nach, ſein Schnabel kam in die Klemme, und der Oberkiefer ſpaltete von der Spitze bis
zur Mitte. Nun, dachte ich, iſt Matz verloren. Allein Matzens Oberkiefer begann gewaltig zu
wachſen, das geſpaltene Stück fiel ab, und der Schnabel war vollkommen hergeſtellt. Ein anderer
Jemand trat ihm das Bein entzwei. Jch nahm ihn vor, beſtrich es mit Lilienöl, legte Schienen an,
und nach Verlauf einiger Zeit war es geheilt; an der Stelle des Bruchs wuchs nun eine dünne, etwa
vier Linien lange Warze hervor. Jch unterband ſie mit einem Fädchen, und ſie fiel ab. Einſt war er
zum Fenſter hinausgeflogen, und ich ſuchte ihn eine Zeit lang vergebens. Endlich hörte ich einen
gewaltigen Lärm; ich lief hin, da ſtanden einige Bürſchchen unter einem Baume und warfen jubelnd
mit Steinen und Erdklößen nach dem Staarmatz. Dieſer ſaß oben ganz ruhig, ſchnarrte, pfiff und
ſchrie: Spitzbube.‟



Der nächſte Verwandte, welcher Europa bewohnt, iſt der Roſenſtaar oder Hirtenvogel,
die Ackerdroſſel oder Staaramſel (Pastor roseus). Er ähnelt in ſeinem Leibesbau dem Staar
ſehr, der Schnabel iſt jedoch kegelmeſſerförmig, d. h. ſeitlich zuſammengedrückt und auf dem Oberliefer
ſanft gebogen, der Flügel verhältnißmäßig länger und der Lauf höher als bei dem Staar. Das Gefieder
des Hinterkopfes verlängert ſich bei den alten Vögeln ſchopfartig. Der Roſenſtaar wird 8¼ bis 8¾
Zoll lang und 15 bis 16½ Zoll breit; der Fittig mißt 3¼ Zoll. Beim ausgefärbten Männchen
ſind Kopf, Hals und Oberbruſt glänzend blauſchwarz mit purpurnem Schiller, Schwingen und
Schwanz braunſchwarz mit blauſchwarzem Schimmer; der übrige Körper iſt blaßroſenroth. Das Weib-
chen unterſcheidet ſich durch kürzeren Buſch und bläſſeres Gefieder. Die Jungen ſind den jungen
Staaren ähnlich gefärbt; der Oberkörper iſt iſabellbraun, der Unterkörper graubraun, an Kehle und
Bauch graulichweiß.

Der Südoſten unſeres Erdtheils von Ungarn an und der größte Theil Mittel- und Südaſiens
bis Jndien hin ſind die Heimat dieſes ſchönen Vogels. Von hieraus verfliegt er ſich ziemlich regel-
mäßig nach Griechenland, ſeltener nach Spanien, Frankreich und Deutſchland, wo er wiederholt erlegt
worden iſt. Dagegen wandert er regelmäßig nach den ſüdlichen Ländern Aſiens und verbringt hier
den Winter. Jn den Donantiefländern und in den ſüdruſſiſchen Steppen erſcheint er nicht alle Jahre
in gleicher Menge; zuweilen kommt er nur einzeln an, zuweilen in ungeheuern Scharen.

Jn ſeiner Lebensweiſe hat er die größte Aehnlichkeit mit ſeinem deutſchen Verwandten; er geſellt
ſich auch gern zu ihm und bildet mit ihm vereint große Flüge. Dieſe fallen den Gefährten zu Liebe nachts
auch in die Rohrwaldungen ein, was die andern ſonſt niemals thun: die ungemiſchten Geſellſchaften
übernachten vielmehr regelmäßig auf hohen, dicht belaubten Bäumen und fliegen von hieraus am

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[299/0323] Staar. Roſenſtaar. und ſchrie immer dazwiſchen: Spitzbube, Spitzbube! Spielte ich auf der Wieſe, ſo war Staarmatz mit und badete ſich im Bache; arbeitete ich im Garten, ſo war er behülflich und ſuchte Regenwürmer auf; ſaß ich auf dem Kirſchbaume, ſo ſaß er neben mir und pflückte noch fleißiger als ich. Wie ein Hund wußte er meine Mienen zu deuten und meine Worte zu verſtehen. Er war ſehr lecker und ſuchte immer zum Mehlwurmstopfe zu gelangen. Dieſer wurde daher mit einem Brete bedeckt. Einſt wurde es verſehen und eine Fußbank daneben geſtellt; der Staar benutzt die günſtige Gelegenheit, ſpringt auf die Fußbank, ſchiebt den Schnabel zwiſchen Topf und Bret, drängt dieſes allmählich zurück, hüpft, ſobald das Loch groß genug iſt, hinein und frißt ſo viel, bis er nicht mehr kann; es war ihm nicht möglich, wieder heraus zu hüpfen, ſo voll hatte er ſich gefreſſen, und er wäre um ein Haar an der allzu reichlichen Mahlzeit geſtorben. Jm Baden kannte er weder Maß noch Ziel. Wegen der erſchrecklichen Pfützen, die er machte, durfte ich ihn nicht in der Stube baden laſſen; es geſchah daher auf dem Vorſaal, ſelbſt bei ſtarkem Froſte, ſo daß oft das Eis in Klumpen an ſeinen Federn hing; er lief dann eilig und laut ſchnarrend in die Stube zurück. Einſt lief er Jemand, der zur Thür hin- aus ging, nach, ſein Schnabel kam in die Klemme, und der Oberkiefer ſpaltete von der Spitze bis zur Mitte. Nun, dachte ich, iſt Matz verloren. Allein Matzens Oberkiefer begann gewaltig zu wachſen, das geſpaltene Stück fiel ab, und der Schnabel war vollkommen hergeſtellt. Ein anderer Jemand trat ihm das Bein entzwei. Jch nahm ihn vor, beſtrich es mit Lilienöl, legte Schienen an, und nach Verlauf einiger Zeit war es geheilt; an der Stelle des Bruchs wuchs nun eine dünne, etwa vier Linien lange Warze hervor. Jch unterband ſie mit einem Fädchen, und ſie fiel ab. Einſt war er zum Fenſter hinausgeflogen, und ich ſuchte ihn eine Zeit lang vergebens. Endlich hörte ich einen gewaltigen Lärm; ich lief hin, da ſtanden einige Bürſchchen unter einem Baume und warfen jubelnd mit Steinen und Erdklößen nach dem Staarmatz. Dieſer ſaß oben ganz ruhig, ſchnarrte, pfiff und ſchrie: Spitzbube.‟ Der nächſte Verwandte, welcher Europa bewohnt, iſt der Roſenſtaar oder Hirtenvogel, die Ackerdroſſel oder Staaramſel (Pastor roseus). Er ähnelt in ſeinem Leibesbau dem Staar ſehr, der Schnabel iſt jedoch kegelmeſſerförmig, d. h. ſeitlich zuſammengedrückt und auf dem Oberliefer ſanft gebogen, der Flügel verhältnißmäßig länger und der Lauf höher als bei dem Staar. Das Gefieder des Hinterkopfes verlängert ſich bei den alten Vögeln ſchopfartig. Der Roſenſtaar wird 8¼ bis 8¾ Zoll lang und 15 bis 16½ Zoll breit; der Fittig mißt 3¼ Zoll. Beim ausgefärbten Männchen ſind Kopf, Hals und Oberbruſt glänzend blauſchwarz mit purpurnem Schiller, Schwingen und Schwanz braunſchwarz mit blauſchwarzem Schimmer; der übrige Körper iſt blaßroſenroth. Das Weib- chen unterſcheidet ſich durch kürzeren Buſch und bläſſeres Gefieder. Die Jungen ſind den jungen Staaren ähnlich gefärbt; der Oberkörper iſt iſabellbraun, der Unterkörper graubraun, an Kehle und Bauch graulichweiß. Der Südoſten unſeres Erdtheils von Ungarn an und der größte Theil Mittel- und Südaſiens bis Jndien hin ſind die Heimat dieſes ſchönen Vogels. Von hieraus verfliegt er ſich ziemlich regel- mäßig nach Griechenland, ſeltener nach Spanien, Frankreich und Deutſchland, wo er wiederholt erlegt worden iſt. Dagegen wandert er regelmäßig nach den ſüdlichen Ländern Aſiens und verbringt hier den Winter. Jn den Donantiefländern und in den ſüdruſſiſchen Steppen erſcheint er nicht alle Jahre in gleicher Menge; zuweilen kommt er nur einzeln an, zuweilen in ungeheuern Scharen. Jn ſeiner Lebensweiſe hat er die größte Aehnlichkeit mit ſeinem deutſchen Verwandten; er geſellt ſich auch gern zu ihm und bildet mit ihm vereint große Flüge. Dieſe fallen den Gefährten zu Liebe nachts auch in die Rohrwaldungen ein, was die andern ſonſt niemals thun: die ungemiſchten Geſellſchaften übernachten vielmehr regelmäßig auf hohen, dicht belaubten Bäumen und fliegen von hieraus am

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/323>, abgerufen am 14.05.2024.