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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Elstervögelchen.
gerieth in Leidenschaft der Art, daß der Bandvogel ihm schließlich überall weichen mußte. Nachdem der
Streit stundenlang gewährt und dadurch der Eifer beider Paare zum Nestbau sicher nicht unwesentlich
angefeuert worden war, hielt ich es für gerathen, die hadernden Parteien zu trennen. Den kleineren
und für ihren Herd so tapfer fechtenden Elstervögeln überließ ich den Glockenbauer; die Bandvögel
wurden in einen geräumigen Heckkäfig übergesiedelt."

"Sehen wir zu, was die Elstervögel im Alleinbesitz des Käfigs beginnen! Es war Ende
Septembers.
Beide trugen oder schleppten vielmehr im eigentlichen Sinne des Wortes ziemlich
große Ladungen von Leinwandfasern im Schnabel dem Erker zu, ließen aber vor der Hand die anderen
Baustoffe unberührt. Als der Erkerraum so ziemlich angefüllt war, suchte das Weibchen mit dem
Kopfe eine Lage der eingetragenen Stoffe nach der Drahtdecke des Nestes emporzuheben, und reckte
sich dabei so lang als möglich aus. Jmmer aber, so oft auch das unermüdliche Thier die Anstren-
gung wiederholte, stürzte das lockere Gefaser ihm über dem Kopfe zusammen. Jmmer wieder mühte
sich das Thier mit so unverdrossener Emsigkeit ab, ein lichtdichtes Dach über seinem Neste herzustellen,
daß ich mich zu einer Mithilfe aufgefordert fühlte. Ein steiferes Material, schien mir, könnte dazu
nothwendig werden. Jch gab ihnen fingerlange, feine, elastische Heufäden. Kaum daß ich meine
Hand aus dem Käfig entfernt hatte, stürzten die Vögel mit einer Gier auf den neuen Baustoff los, als
wenn sie bekunden wollten, das ist der rechte, hiermit ist uns aus aller Noth geholfen. Beide faßten
mit ihren Schnäbeln einige Heufäden und eilten dem Erker zu, das Weibchen voraus. Letzteres aber
ließ am Nesteingang seinen Heufaden fallen, wühlte sich mit dem Kopfe in die lockere Fasermasse
hinein und hob, wie früher beschrieben, eine Schicht derselben nach der Drahtkuppel des Erkers empor.
Jhm nach kam das Männchen mit seinem Heufaden im Schnäbelchen, spannte denselben querüber so,
daß die Fasern über dem Kopfe des Weibchens sich wölbten und festgehalten wurden. Beide trugen
nunmehr Heufäden zu und als die Decke ziemlichen Halt bekommen hatte, beschäftigten sich beide Vö-
gel damit, Leinwandfasern zwischen die Heufäden hinein zu stopfen. Endlich war die Drahtkuppel des
Erkers so dicht gedeckt, daß die Niststoffe zwischen den Drähten hervorquollen und kein Lichtstrahl durch-
dringen konnte. Jn einem einzigen Nachmittag, in Zeit von ungefähr drei Stunden, war das Nest
im Gröbsten vollendet. Der Abend brach herein. Die Thiere begaben sich zur Ruhe; sie hatten
riesenmäßig gearbeitet. Des andern Tages mit dem Frühesten, kaum hatten sie Hunger und Durst
gestillt, gingen sie wieder an das Werk und fütterten das Nest mit den weicheren Stoffen, welche ich
ihnen gegeben, mit Schweinswolle und der Wolle von Distelköpfen aus, verwendeten aber die ihnen
ebenfalls dargebotenen Dunen nicht."

"Vom dritten Tage an verbrachte das Weibchen sammt dem Männchen fast den ganzen Tag
über im Neste, -- wie sich später zeigte, mit Eierlegen und Brüten beschäftigt. Es war durchaus
nicht ein abwechselndes Brüten, sondern ein gleichzeitiges Brüten beider Geschlechter in Gemein-
schaft und zwar so, daß zuweilen Männchen und Weibchen das Nest verließen, um Hunger und Durst
zu stillen. Waren die Bedürfnisse beider befriedigt, so gingen beide wieder gemeinschaftlich an das
Brütegeschäft. Am 13. Oktober kam das Männchen aus dem Neste heraus; eins der kleinen Eier-
chen klebte ihm an der Brust. Nachdem es seine Bedürfnisse befriedigt und vergeblich sich des An-
hängsels zu entledigen bemüht hatte, schlüpfte es wieder hinein. Nach Verlauf von fünf Wochen
(30. Oktober), während welcher Zeit ich trotz der sorgfältigsten Beobachtungen keine Pause herauszu-
finden im Stande war, bemerkte ich ein angehacktes Ei am Boden des Käfigs. Durch die unnatürlich
lange Brutzeit der Vögel eines glücklichen Erfolges unsicher, entschloß ich mich, die Kuppel des Nestes
ein wenig zu lüften und erblickte zu meinem Erstaunen und zu nicht geringerer Freude mehrere eben
dem Ei entschlüpfte Junge. Das Weibchen aber bedeckte sie so ängstlich und sorgsam mit ihrem
Körper, daß ich nicht im Stande war, über deren Zahl, ob drei, vier oder mehr, mich zu vergewissern,
und die kleine Mutter war so beherzt, mit dem Schnabel kräftige Hiebe gegen meinen Finger zu
führen, der es wagte, zwischen den Drähten hindurch eine Durchsicht in die Faserdecke zu machen."

Elſtervögelchen.
gerieth in Leidenſchaft der Art, daß der Bandvogel ihm ſchließlich überall weichen mußte. Nachdem der
Streit ſtundenlang gewährt und dadurch der Eifer beider Paare zum Neſtbau ſicher nicht unweſentlich
angefeuert worden war, hielt ich es für gerathen, die hadernden Parteien zu trennen. Den kleineren
und für ihren Herd ſo tapfer fechtenden Elſtervögeln überließ ich den Glockenbauer; die Bandvögel
wurden in einen geräumigen Heckkäfig übergeſiedelt.‟

„Sehen wir zu, was die Elſtervögel im Alleinbeſitz des Käfigs beginnen! Es war Ende
Septembers.
Beide trugen oder ſchleppten vielmehr im eigentlichen Sinne des Wortes ziemlich
große Ladungen von Leinwandfaſern im Schnabel dem Erker zu, ließen aber vor der Hand die anderen
Bauſtoffe unberührt. Als der Erkerraum ſo ziemlich angefüllt war, ſuchte das Weibchen mit dem
Kopfe eine Lage der eingetragenen Stoffe nach der Drahtdecke des Neſtes emporzuheben, und reckte
ſich dabei ſo lang als möglich aus. Jmmer aber, ſo oft auch das unermüdliche Thier die Anſtren-
gung wiederholte, ſtürzte das lockere Gefaſer ihm über dem Kopfe zuſammen. Jmmer wieder mühte
ſich das Thier mit ſo unverdroſſener Emſigkeit ab, ein lichtdichtes Dach über ſeinem Neſte herzuſtellen,
daß ich mich zu einer Mithilfe aufgefordert fühlte. Ein ſteiferes Material, ſchien mir, könnte dazu
nothwendig werden. Jch gab ihnen fingerlange, feine, elaſtiſche Heufäden. Kaum daß ich meine
Hand aus dem Käfig entfernt hatte, ſtürzten die Vögel mit einer Gier auf den neuen Bauſtoff los, als
wenn ſie bekunden wollten, das iſt der rechte, hiermit iſt uns aus aller Noth geholfen. Beide faßten
mit ihren Schnäbeln einige Heufäden und eilten dem Erker zu, das Weibchen voraus. Letzteres aber
ließ am Neſteingang ſeinen Heufaden fallen, wühlte ſich mit dem Kopfe in die lockere Faſermaſſe
hinein und hob, wie früher beſchrieben, eine Schicht derſelben nach der Drahtkuppel des Erkers empor.
Jhm nach kam das Männchen mit ſeinem Heufaden im Schnäbelchen, ſpannte denſelben querüber ſo,
daß die Faſern über dem Kopfe des Weibchens ſich wölbten und feſtgehalten wurden. Beide trugen
nunmehr Heufäden zu und als die Decke ziemlichen Halt bekommen hatte, beſchäftigten ſich beide Vö-
gel damit, Leinwandfaſern zwiſchen die Heufäden hinein zu ſtopfen. Endlich war die Drahtkuppel des
Erkers ſo dicht gedeckt, daß die Niſtſtoffe zwiſchen den Drähten hervorquollen und kein Lichtſtrahl durch-
dringen konnte. Jn einem einzigen Nachmittag, in Zeit von ungefähr drei Stunden, war das Neſt
im Gröbſten vollendet. Der Abend brach herein. Die Thiere begaben ſich zur Ruhe; ſie hatten
rieſenmäßig gearbeitet. Des andern Tages mit dem Früheſten, kaum hatten ſie Hunger und Durſt
geſtillt, gingen ſie wieder an das Werk und fütterten das Neſt mit den weicheren Stoffen, welche ich
ihnen gegeben, mit Schweinswolle und der Wolle von Diſtelköpfen aus, verwendeten aber die ihnen
ebenfalls dargebotenen Dunen nicht.‟

„Vom dritten Tage an verbrachte das Weibchen ſammt dem Männchen faſt den ganzen Tag
über im Neſte, — wie ſich ſpäter zeigte, mit Eierlegen und Brüten beſchäftigt. Es war durchaus
nicht ein abwechſelndes Brüten, ſondern ein gleichzeitiges Brüten beider Geſchlechter in Gemein-
ſchaft und zwar ſo, daß zuweilen Männchen und Weibchen das Neſt verließen, um Hunger und Durſt
zu ſtillen. Waren die Bedürfniſſe beider befriedigt, ſo gingen beide wieder gemeinſchaftlich an das
Brütegeſchäft. Am 13. Oktober kam das Männchen aus dem Neſte heraus; eins der kleinen Eier-
chen klebte ihm an der Bruſt. Nachdem es ſeine Bedürfniſſe befriedigt und vergeblich ſich des An-
hängſels zu entledigen bemüht hatte, ſchlüpfte es wieder hinein. Nach Verlauf von fünf Wochen
(30. Oktober), während welcher Zeit ich trotz der ſorgfältigſten Beobachtungen keine Pauſe herauszu-
finden im Stande war, bemerkte ich ein angehacktes Ei am Boden des Käfigs. Durch die unnatürlich
lange Brutzeit der Vögel eines glücklichen Erfolges unſicher, entſchloß ich mich, die Kuppel des Neſtes
ein wenig zu lüften und erblickte zu meinem Erſtaunen und zu nicht geringerer Freude mehrere eben
dem Ei entſchlüpfte Junge. Das Weibchen aber bedeckte ſie ſo ängſtlich und ſorgſam mit ihrem
Körper, daß ich nicht im Stande war, über deren Zahl, ob drei, vier oder mehr, mich zu vergewiſſern,
und die kleine Mutter war ſo beherzt, mit dem Schnabel kräftige Hiebe gegen meinen Finger zu
führen, der es wagte, zwiſchen den Drähten hindurch eine Durchſicht in die Faſerdecke zu machen.‟

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[201/0221] Elſtervögelchen. gerieth in Leidenſchaft der Art, daß der Bandvogel ihm ſchließlich überall weichen mußte. Nachdem der Streit ſtundenlang gewährt und dadurch der Eifer beider Paare zum Neſtbau ſicher nicht unweſentlich angefeuert worden war, hielt ich es für gerathen, die hadernden Parteien zu trennen. Den kleineren und für ihren Herd ſo tapfer fechtenden Elſtervögeln überließ ich den Glockenbauer; die Bandvögel wurden in einen geräumigen Heckkäfig übergeſiedelt.‟ „Sehen wir zu, was die Elſtervögel im Alleinbeſitz des Käfigs beginnen! Es war Ende Septembers. Beide trugen oder ſchleppten vielmehr im eigentlichen Sinne des Wortes ziemlich große Ladungen von Leinwandfaſern im Schnabel dem Erker zu, ließen aber vor der Hand die anderen Bauſtoffe unberührt. Als der Erkerraum ſo ziemlich angefüllt war, ſuchte das Weibchen mit dem Kopfe eine Lage der eingetragenen Stoffe nach der Drahtdecke des Neſtes emporzuheben, und reckte ſich dabei ſo lang als möglich aus. Jmmer aber, ſo oft auch das unermüdliche Thier die Anſtren- gung wiederholte, ſtürzte das lockere Gefaſer ihm über dem Kopfe zuſammen. Jmmer wieder mühte ſich das Thier mit ſo unverdroſſener Emſigkeit ab, ein lichtdichtes Dach über ſeinem Neſte herzuſtellen, daß ich mich zu einer Mithilfe aufgefordert fühlte. Ein ſteiferes Material, ſchien mir, könnte dazu nothwendig werden. Jch gab ihnen fingerlange, feine, elaſtiſche Heufäden. Kaum daß ich meine Hand aus dem Käfig entfernt hatte, ſtürzten die Vögel mit einer Gier auf den neuen Bauſtoff los, als wenn ſie bekunden wollten, das iſt der rechte, hiermit iſt uns aus aller Noth geholfen. Beide faßten mit ihren Schnäbeln einige Heufäden und eilten dem Erker zu, das Weibchen voraus. Letzteres aber ließ am Neſteingang ſeinen Heufaden fallen, wühlte ſich mit dem Kopfe in die lockere Faſermaſſe hinein und hob, wie früher beſchrieben, eine Schicht derſelben nach der Drahtkuppel des Erkers empor. Jhm nach kam das Männchen mit ſeinem Heufaden im Schnäbelchen, ſpannte denſelben querüber ſo, daß die Faſern über dem Kopfe des Weibchens ſich wölbten und feſtgehalten wurden. Beide trugen nunmehr Heufäden zu und als die Decke ziemlichen Halt bekommen hatte, beſchäftigten ſich beide Vö- gel damit, Leinwandfaſern zwiſchen die Heufäden hinein zu ſtopfen. Endlich war die Drahtkuppel des Erkers ſo dicht gedeckt, daß die Niſtſtoffe zwiſchen den Drähten hervorquollen und kein Lichtſtrahl durch- dringen konnte. Jn einem einzigen Nachmittag, in Zeit von ungefähr drei Stunden, war das Neſt im Gröbſten vollendet. Der Abend brach herein. Die Thiere begaben ſich zur Ruhe; ſie hatten rieſenmäßig gearbeitet. Des andern Tages mit dem Früheſten, kaum hatten ſie Hunger und Durſt geſtillt, gingen ſie wieder an das Werk und fütterten das Neſt mit den weicheren Stoffen, welche ich ihnen gegeben, mit Schweinswolle und der Wolle von Diſtelköpfen aus, verwendeten aber die ihnen ebenfalls dargebotenen Dunen nicht.‟ „Vom dritten Tage an verbrachte das Weibchen ſammt dem Männchen faſt den ganzen Tag über im Neſte, — wie ſich ſpäter zeigte, mit Eierlegen und Brüten beſchäftigt. Es war durchaus nicht ein abwechſelndes Brüten, ſondern ein gleichzeitiges Brüten beider Geſchlechter in Gemein- ſchaft und zwar ſo, daß zuweilen Männchen und Weibchen das Neſt verließen, um Hunger und Durſt zu ſtillen. Waren die Bedürfniſſe beider befriedigt, ſo gingen beide wieder gemeinſchaftlich an das Brütegeſchäft. Am 13. Oktober kam das Männchen aus dem Neſte heraus; eins der kleinen Eier- chen klebte ihm an der Bruſt. Nachdem es ſeine Bedürfniſſe befriedigt und vergeblich ſich des An- hängſels zu entledigen bemüht hatte, ſchlüpfte es wieder hinein. Nach Verlauf von fünf Wochen (30. Oktober), während welcher Zeit ich trotz der ſorgfältigſten Beobachtungen keine Pauſe herauszu- finden im Stande war, bemerkte ich ein angehacktes Ei am Boden des Käfigs. Durch die unnatürlich lange Brutzeit der Vögel eines glücklichen Erfolges unſicher, entſchloß ich mich, die Kuppel des Neſtes ein wenig zu lüften und erblickte zu meinem Erſtaunen und zu nicht geringerer Freude mehrere eben dem Ei entſchlüpfte Junge. Das Weibchen aber bedeckte ſie ſo ängſtlich und ſorgſam mit ihrem Körper, daß ich nicht im Stande war, über deren Zahl, ob drei, vier oder mehr, mich zu vergewiſſern, und die kleine Mutter war ſo beherzt, mit dem Schnabel kräftige Hiebe gegen meinen Finger zu führen, der es wagte, zwiſchen den Drähten hindurch eine Durchſicht in die Faſerdecke zu machen.‟

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/221>, abgerufen am 24.11.2024.