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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Knacker. Die Papageien.
Und eine solche Gruppe nennen wir eben Ordnung, d. h. ein in sich selbst geordnetes Ganze, welches
anderen Abtheilungen füglich nicht eingereiht werden darf.

Die selbständige Stellung der Papageien zeigt sich aber nicht blos in ihrem Leibesbau, sondern
auch in ihrem Leben: in ihrem Treiben und Wesen, in ihren Sitten und Gewohnheiten. Wir müssen
von vornherein annehmen, daß dieses Leben mit dem Leibesbau im innigsten Einklange stehen, also
ein ebenso eigenthümliches sein muß, wie die Gestalt selbst; wir werden aber durch genauere Betrach-
tung des Betragens der Papageien Fingerzeige erhalten für den Werth jener Stellung, welche gerade
wegen Nichtachtung des Lebens so arg verkannt worden ist. Bisher haben wir uns nur mit Aeußer-
lichkeiten unserer Vögel beschäftigt; nunmehr dürfte es geboten sein, auch die Sinnesthätigkeiten und
die sogenannten geistigen Fähigkeiten einer Prüfung zu unterziehen, ohne welche das Leben der Thiere
uns unverständlich bleiben müßte.

Jm ersten Theile dieses Werks habe ich die Säugethiere mit Oken als "Allfinnsthiere" bezeich-
net und hervorgehoben, daß die Einhelligkeit und gleichmäßige Entwickelung der Sinne eine hohe
Stellung bekundet. Wenden wir diese letztere Behauptung auf die Vögel an, so finden wir, daß
gerade die Papageien -- außer ihnen nur wenig andere Vögel noch -- vor ihren Klassenverwandten
durch gleichmäßige Entwickelung der Sinne sich auszeichnen. Bei ihnen ist kein einziger Sinn ver-
kümmert, wie sonst so oft bei den Vögeln, kein einziger auf Kosten der übrigen in auffallender Weise
entwickelt. Der Falke zeichnet sich aus durch sein alle anderen Sinne überwiegendes Gesicht, die
Eule durch dieses und durch ihr in gleicher Weise ausgebildetes Gehör, der Rabe durch seinen schar-
fen Geruch, die Ente wahrscheinlich durch ihren feinen Geschmack, der Specht durch sein Tast-
gefühl, viele andere Vögel durch feines Empfindungsvermögen. Der Papagei sieht, hört, riecht,
schmeckt, fühlt und tastet ungefähr gleich scharf. Hinsichtlich der Entwickelung seines Gesichtes und
Gehörs bedarf es keines Beweises: die Ausbildung der übrigen Sinne aber bekundet das Niesen des
Papageien nach eingezogenem Rauch, die überraschende Kenntniß wohlschmeckender Waldfrüchte oder
einfach ein irgend welchem gezähmten Papagei vorgehaltenes Stück Zucker, die Beobachtung des mit
seiner Zunge tastenden Vogels oder endlich eine leise Berührung seines Gefieders. Erst wenige Stun-
den vor der Niederschrift dieser Zeilen habe ich mich von dieser Allsinnsthätigkeit unserer Vögel
wiederum hinlänglich überzeugt; sie ist nicht weg zu leugnen.

Aber noch weniger zu bestreiten ist die rein geistige Entwickelung der Papageien. Das geistige
Wesen, nicht die Gestalt dieser Thiere ist es, welches sie als die Affen unter den Vögeln erscheinen
läßt. Wir erkennen den Affen im Papagei erst dann, wenn wir diesen geistig kennen gelernt
haben. Er hat, auf das Vogelgepräge übertragen, alle Eigenschaften und Leidenschaften des Affen, die
guten Seiten desselben, wie die schlechten, das Liebenswerthe, wie die Unarten. Er ist der klügste
Vogel, welchen wir kennen, bleibt aber immer Affe, -- launenhaft, wetterwendisch. Jn diesem
Augenblick ist er der liebenswürdigste, angenehmste Gesellschafter, im nächsten Augenblick ein uner-
trägliches Geschöpf. Der Papagei ist verständig, acht- und bedachtsam, vorsichtig, listig; er unter-
scheidet sehr scharf, er besitzt ein vortreffliches Gedächtniß und ist deshalb der Belehrung im hohen
Grade zugänglich, also bildsam; er ist selbstbewußt, stolz, auch muthig; er ist anhänglich, ja hin-
gebend zärtlich gegen geliebte Wesen, treu bis zum Tode; er ist dankbar, mit Bewußtsein dankbar;
er läßt sich erziehen, zum folgsamen artigen Thiere umwandeln -- wie der Affe. Aber er ist auch
jähzornig, boshaft, tückisch, hinterlistig, er vergißt ihm angethane Beleidigungen ebenso wenig, als
empfangene Wohlthaten, er ist grausam, rücksichtslos gegen Schwächere, mit seltenen Ausnahmen
lieblos gegen Unbehilfliche oder Unglückliche -- wie der Affe. Sein Charakter ist ein Gemisch von
allen möglichen Eigenschaften. Eine so große Vielseitigkeit darf nicht unterschätzt werden: sie ist im-
mer ein Beweis der Hochgeistigkeit eines Geschöpfes.

Daß ein so befähigter Vogel von seinen leiblichen Begabungen den besten Gebrauch zu machen
versteht, läßt sich erwarten. Man hat die Papageien anderen Vögeln gegenüber zurückstellen wollen,
weil man bei ihnen die Beweglichkeit vermißt, welche jene theilweise zeigen. Sehr richtig ist, daß ein

Knacker. Die Papageien.
Und eine ſolche Gruppe nennen wir eben Ordnung, d. h. ein in ſich ſelbſt geordnetes Ganze, welches
anderen Abtheilungen füglich nicht eingereiht werden darf.

Die ſelbſtändige Stellung der Papageien zeigt ſich aber nicht blos in ihrem Leibesbau, ſondern
auch in ihrem Leben: in ihrem Treiben und Weſen, in ihren Sitten und Gewohnheiten. Wir müſſen
von vornherein annehmen, daß dieſes Leben mit dem Leibesbau im innigſten Einklange ſtehen, alſo
ein ebenſo eigenthümliches ſein muß, wie die Geſtalt ſelbſt; wir werden aber durch genauere Betrach-
tung des Betragens der Papageien Fingerzeige erhalten für den Werth jener Stellung, welche gerade
wegen Nichtachtung des Lebens ſo arg verkannt worden iſt. Bisher haben wir uns nur mit Aeußer-
lichkeiten unſerer Vögel beſchäftigt; nunmehr dürfte es geboten ſein, auch die Sinnesthätigkeiten und
die ſogenannten geiſtigen Fähigkeiten einer Prüfung zu unterziehen, ohne welche das Leben der Thiere
uns unverſtändlich bleiben müßte.

Jm erſten Theile dieſes Werks habe ich die Säugethiere mit Oken als „Allfinnsthiere‟ bezeich-
net und hervorgehoben, daß die Einhelligkeit und gleichmäßige Entwickelung der Sinne eine hohe
Stellung bekundet. Wenden wir dieſe letztere Behauptung auf die Vögel an, ſo finden wir, daß
gerade die Papageien — außer ihnen nur wenig andere Vögel noch — vor ihren Klaſſenverwandten
durch gleichmäßige Entwickelung der Sinne ſich auszeichnen. Bei ihnen iſt kein einziger Sinn ver-
kümmert, wie ſonſt ſo oft bei den Vögeln, kein einziger auf Koſten der übrigen in auffallender Weiſe
entwickelt. Der Falke zeichnet ſich aus durch ſein alle anderen Sinne überwiegendes Geſicht, die
Eule durch dieſes und durch ihr in gleicher Weiſe ausgebildetes Gehör, der Rabe durch ſeinen ſchar-
fen Geruch, die Ente wahrſcheinlich durch ihren feinen Geſchmack, der Specht durch ſein Taſt-
gefühl, viele andere Vögel durch feines Empfindungsvermögen. Der Papagei ſieht, hört, riecht,
ſchmeckt, fühlt und taſtet ungefähr gleich ſcharf. Hinſichtlich der Entwickelung ſeines Geſichtes und
Gehörs bedarf es keines Beweiſes: die Ausbildung der übrigen Sinne aber bekundet das Nieſen des
Papageien nach eingezogenem Rauch, die überraſchende Kenntniß wohlſchmeckender Waldfrüchte oder
einfach ein irgend welchem gezähmten Papagei vorgehaltenes Stück Zucker, die Beobachtung des mit
ſeiner Zunge taſtenden Vogels oder endlich eine leiſe Berührung ſeines Gefieders. Erſt wenige Stun-
den vor der Niederſchrift dieſer Zeilen habe ich mich von dieſer Allſinnsthätigkeit unſerer Vögel
wiederum hinlänglich überzeugt; ſie iſt nicht weg zu leugnen.

Aber noch weniger zu beſtreiten iſt die rein geiſtige Entwickelung der Papageien. Das geiſtige
Weſen, nicht die Geſtalt dieſer Thiere iſt es, welches ſie als die Affen unter den Vögeln erſcheinen
läßt. Wir erkennen den Affen im Papagei erſt dann, wenn wir dieſen geiſtig kennen gelernt
haben. Er hat, auf das Vogelgepräge übertragen, alle Eigenſchaften und Leidenſchaften des Affen, die
guten Seiten deſſelben, wie die ſchlechten, das Liebenswerthe, wie die Unarten. Er iſt der klügſte
Vogel, welchen wir kennen, bleibt aber immer Affe, — launenhaft, wetterwendiſch. Jn dieſem
Augenblick iſt er der liebenswürdigſte, angenehmſte Geſellſchafter, im nächſten Augenblick ein uner-
trägliches Geſchöpf. Der Papagei iſt verſtändig, acht- und bedachtſam, vorſichtig, liſtig; er unter-
ſcheidet ſehr ſcharf, er beſitzt ein vortreffliches Gedächtniß und iſt deshalb der Belehrung im hohen
Grade zugänglich, alſo bildſam; er iſt ſelbſtbewußt, ſtolz, auch muthig; er iſt anhänglich, ja hin-
gebend zärtlich gegen geliebte Weſen, treu bis zum Tode; er iſt dankbar, mit Bewußtſein dankbar;
er läßt ſich erziehen, zum folgſamen artigen Thiere umwandeln — wie der Affe. Aber er iſt auch
jähzornig, boshaft, tückiſch, hinterliſtig, er vergißt ihm angethane Beleidigungen ebenſo wenig, als
empfangene Wohlthaten, er iſt grauſam, rückſichtslos gegen Schwächere, mit ſeltenen Ausnahmen
lieblos gegen Unbehilfliche oder Unglückliche — wie der Affe. Sein Charakter iſt ein Gemiſch von
allen möglichen Eigenſchaften. Eine ſo große Vielſeitigkeit darf nicht unterſchätzt werden: ſie iſt im-
mer ein Beweis der Hochgeiſtigkeit eines Geſchöpfes.

Daß ein ſo befähigter Vogel von ſeinen leiblichen Begabungen den beſten Gebrauch zu machen
verſteht, läßt ſich erwarten. Man hat die Papageien anderen Vögeln gegenüber zurückſtellen wollen,
weil man bei ihnen die Beweglichkeit vermißt, welche jene theilweiſe zeigen. Sehr richtig iſt, daß ein

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[6/0018] Knacker. Die Papageien. Und eine ſolche Gruppe nennen wir eben Ordnung, d. h. ein in ſich ſelbſt geordnetes Ganze, welches anderen Abtheilungen füglich nicht eingereiht werden darf. Die ſelbſtändige Stellung der Papageien zeigt ſich aber nicht blos in ihrem Leibesbau, ſondern auch in ihrem Leben: in ihrem Treiben und Weſen, in ihren Sitten und Gewohnheiten. Wir müſſen von vornherein annehmen, daß dieſes Leben mit dem Leibesbau im innigſten Einklange ſtehen, alſo ein ebenſo eigenthümliches ſein muß, wie die Geſtalt ſelbſt; wir werden aber durch genauere Betrach- tung des Betragens der Papageien Fingerzeige erhalten für den Werth jener Stellung, welche gerade wegen Nichtachtung des Lebens ſo arg verkannt worden iſt. Bisher haben wir uns nur mit Aeußer- lichkeiten unſerer Vögel beſchäftigt; nunmehr dürfte es geboten ſein, auch die Sinnesthätigkeiten und die ſogenannten geiſtigen Fähigkeiten einer Prüfung zu unterziehen, ohne welche das Leben der Thiere uns unverſtändlich bleiben müßte. Jm erſten Theile dieſes Werks habe ich die Säugethiere mit Oken als „Allfinnsthiere‟ bezeich- net und hervorgehoben, daß die Einhelligkeit und gleichmäßige Entwickelung der Sinne eine hohe Stellung bekundet. Wenden wir dieſe letztere Behauptung auf die Vögel an, ſo finden wir, daß gerade die Papageien — außer ihnen nur wenig andere Vögel noch — vor ihren Klaſſenverwandten durch gleichmäßige Entwickelung der Sinne ſich auszeichnen. Bei ihnen iſt kein einziger Sinn ver- kümmert, wie ſonſt ſo oft bei den Vögeln, kein einziger auf Koſten der übrigen in auffallender Weiſe entwickelt. Der Falke zeichnet ſich aus durch ſein alle anderen Sinne überwiegendes Geſicht, die Eule durch dieſes und durch ihr in gleicher Weiſe ausgebildetes Gehör, der Rabe durch ſeinen ſchar- fen Geruch, die Ente wahrſcheinlich durch ihren feinen Geſchmack, der Specht durch ſein Taſt- gefühl, viele andere Vögel durch feines Empfindungsvermögen. Der Papagei ſieht, hört, riecht, ſchmeckt, fühlt und taſtet ungefähr gleich ſcharf. Hinſichtlich der Entwickelung ſeines Geſichtes und Gehörs bedarf es keines Beweiſes: die Ausbildung der übrigen Sinne aber bekundet das Nieſen des Papageien nach eingezogenem Rauch, die überraſchende Kenntniß wohlſchmeckender Waldfrüchte oder einfach ein irgend welchem gezähmten Papagei vorgehaltenes Stück Zucker, die Beobachtung des mit ſeiner Zunge taſtenden Vogels oder endlich eine leiſe Berührung ſeines Gefieders. Erſt wenige Stun- den vor der Niederſchrift dieſer Zeilen habe ich mich von dieſer Allſinnsthätigkeit unſerer Vögel wiederum hinlänglich überzeugt; ſie iſt nicht weg zu leugnen. Aber noch weniger zu beſtreiten iſt die rein geiſtige Entwickelung der Papageien. Das geiſtige Weſen, nicht die Geſtalt dieſer Thiere iſt es, welches ſie als die Affen unter den Vögeln erſcheinen läßt. Wir erkennen den Affen im Papagei erſt dann, wenn wir dieſen geiſtig kennen gelernt haben. Er hat, auf das Vogelgepräge übertragen, alle Eigenſchaften und Leidenſchaften des Affen, die guten Seiten deſſelben, wie die ſchlechten, das Liebenswerthe, wie die Unarten. Er iſt der klügſte Vogel, welchen wir kennen, bleibt aber immer Affe, — launenhaft, wetterwendiſch. Jn dieſem Augenblick iſt er der liebenswürdigſte, angenehmſte Geſellſchafter, im nächſten Augenblick ein uner- trägliches Geſchöpf. Der Papagei iſt verſtändig, acht- und bedachtſam, vorſichtig, liſtig; er unter- ſcheidet ſehr ſcharf, er beſitzt ein vortreffliches Gedächtniß und iſt deshalb der Belehrung im hohen Grade zugänglich, alſo bildſam; er iſt ſelbſtbewußt, ſtolz, auch muthig; er iſt anhänglich, ja hin- gebend zärtlich gegen geliebte Weſen, treu bis zum Tode; er iſt dankbar, mit Bewußtſein dankbar; er läßt ſich erziehen, zum folgſamen artigen Thiere umwandeln — wie der Affe. Aber er iſt auch jähzornig, boshaft, tückiſch, hinterliſtig, er vergißt ihm angethane Beleidigungen ebenſo wenig, als empfangene Wohlthaten, er iſt grauſam, rückſichtslos gegen Schwächere, mit ſeltenen Ausnahmen lieblos gegen Unbehilfliche oder Unglückliche — wie der Affe. Sein Charakter iſt ein Gemiſch von allen möglichen Eigenſchaften. Eine ſo große Vielſeitigkeit darf nicht unterſchätzt werden: ſie iſt im- mer ein Beweis der Hochgeiſtigkeit eines Geſchöpfes. Daß ein ſo befähigter Vogel von ſeinen leiblichen Begabungen den beſten Gebrauch zu machen verſteht, läßt ſich erwarten. Man hat die Papageien anderen Vögeln gegenüber zurückſtellen wollen, weil man bei ihnen die Beweglichkeit vermißt, welche jene theilweiſe zeigen. Sehr richtig iſt, daß ein

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/18>, abgerufen am 28.03.2024.