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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Kiefern-, Fichten- und bindiger Kreuzschnabel.
diesem zu öffnen; denn nicht auf allen findet er Aeste, auf denen er die Zapfen bequem aufbrechen
kann. Dieses Aufbrechen wird auf folgende Weise bewerkstelligt. Der Kreuzschnabel reißt, wenn
der Zapfen fest hängt oder liegt, mit der Spitze der obern Kinnlade die breiten Deckelchen der
Zapfen in der Mitte auf (bei den kleinen hat er Dies nicht nöthig), schiebt den etwas geöffneten
Schnabel darunter und hebt sie durch eine Seitenbewegung des Kopfes in die Höhe. Nun kann er
das Samenkorn mit der Zunge leicht in den Schnabel schieben, wo es von dem Flugblättchen und
der Schale befreit und dann verschluckt wird. Sehr große Zapfen öffnet er nicht."

"Der über das Kreuz gebogene Schnabel ist ihm und seinen Gattungsverwandten beim Auf-
brechen der Zapfen von höchster Wichtigkeit; denn einen solchen Schnabel braucht er nur wenig zu
öffnen, um ihm eine außerordentliche Breite zu geben, sodaß bei einer Seitenbewegung des Kopfes
das Deckelchen mit der größten Leichtigkeit aufgehoben wird."

"Das Aufbrechen der Zapfen macht ein knisterndes Geräusch, welches zwar gering, aber doch stark
genug ist, um von unten gehört zu werden. Die abgebissenen Zapfen werden vom Fichtenkreuz-
schnabel selten rein ausgefressen, wie Dies bei den Kiefernzäpfchen von seinen Gattungsverwandten
geschieht, sondern oft ganz uneröffnet, oft halb oder zum dritten Theil eröffnet herabgeworfen. Dies
geschieht selbst bei vollkörnigen Zapfen, aber nicht blos von jungen Vögeln, wie Bechstein glaubt,
sondern auch von alten; deswegen ist der Boden unter den Bäumen, auf welchen einige Kreuzschnäbel
eine Zeitlang gefressen haben, zuweilen mit Zapfen bedeckt oder wenigstens bestreut. Wenn sie fort-
fliegen, lassen sie alle ihre Zapfen fallen."

"Sind die Zapfen an den Bäumen einzeln oder aufgefressen, dann suchen sie die heruntergefalle-
nen auf und öffnen sie, wie die an den Bäumen hängenden."

Der Fichtenkreuzschnabel geht sehr selten an die weit schwerer aufzubrechenden Kiefernzapfen, weil
er zu der an ihnen erforderlichen Arbeit nicht die nöthige Kraft besitzt. Der Kiefernkreuzschnabel aber
bricht auch Kiefernzapfen ohne Mühe auf; er kann mit einem Male alle die Deckelchen aufheben, die
über dem liegen, unter welchen er seinen Schnabel eingesetzt hat. Beide Arten brechen stets mit dem
Oberkiefer auf und stemmen den untern gegen den Zapfen; daher kommt es, daß bei dem Rechts-
schnäbler immer die rechte, bei dem Linksschnäbler immer die linke Seite des Schnabels oben liegt.
Jn Zeit von zwei bis drei Minuten ist der Vogel mit einem Zapfen fertig; er läßt ihn dann fallen,
holt sich einen andern und öffnet diesen. So fährt er solange fort, bis sein Kropf gefüllt ist. An
den auf dem Boden liegenden Zapfen erkennt man, daß Kreuzschnäbel in der Gegend sind. Wenn
die Thiere nicht gestört werden, bleiben sie stundenlang auf ein und demselben Baume sitzen und
verlassen dann auch die Gegend, in welcher sie sich einmal eingefunden, wochenlang nicht. Solange
sie Holzsamen auffinden, gehen sie kaum andere Nahrung an; im Nothfall aber fressen sie ölige Sä-
mereien, Hanf-, Distelsamen u. dgl. und zuweilen sehr gern Kerbthiere, namentlich Blattläuse, welche
sie sich dann auch in den Gärten und Obstpflanzungen der Walddörfer zusammensuchen.

Eine nothwendige Folge des vielfachen Arbeitens auf den harzreichen Aesten und Zapfen ist,
daß sie sich oft in sehr unerwünschter Weise beschmuzen. Sie sind ebenso reinlich, wie die meisten
übrigen Vögel, und putzen sich nach jeder Mahlzeit sorgfältig, um sich von den anhängenden Harz-
theilen zu reinigen; namentlich den Schnabel wetzen sie minutenlang auf den Aesten. Doch sind sie
nicht immer im Stande, ihr Gefieder so in Ordnung zu halten, als sie wohl wünschen, und oft kommt
es vor, daß die Federn einen dicken Ueberzug von Harz erhalten. Aber die von ihnen aufgenommene
Nahrung bewirkt auch noch etwas Anderes: sie verleiht ihrem Fleische eine Eigenthümlichkeit, welche
wiederholt zum Ursprung anmuthiger Sagen geworden ist. Der Leib der Kreuzschnäbel, welche
längere Zeit ausschließlich Nadelholzsamen fraßen, wird von dem Harzgehalt so durchdrungen, daß er
nach dem Tode längere Zeit der Fäulniß widersteht. "Das Fleisch", sagt mein Vater, "erhält zwar
einen eigenen, widrigen Geruch, aber es verwest nicht eigentlich. Nur muß man es vor den Fleisch-
fliegen in Acht nehmen; denn wenn diese dazu kommen, legen sie ihre Eier daran, und die daraus her-
vorkommenden Maden durchwühlen und verzehren das Fleisch. Jch habe darüber mehrere Versuche

Kiefern-, Fichten- und bindiger Kreuzſchnabel.
dieſem zu öffnen; denn nicht auf allen findet er Aeſte, auf denen er die Zapfen bequem aufbrechen
kann. Dieſes Aufbrechen wird auf folgende Weiſe bewerkſtelligt. Der Kreuzſchnabel reißt, wenn
der Zapfen feſt hängt oder liegt, mit der Spitze der obern Kinnlade die breiten Deckelchen der
Zapfen in der Mitte auf (bei den kleinen hat er Dies nicht nöthig), ſchiebt den etwas geöffneten
Schnabel darunter und hebt ſie durch eine Seitenbewegung des Kopfes in die Höhe. Nun kann er
das Samenkorn mit der Zunge leicht in den Schnabel ſchieben, wo es von dem Flugblättchen und
der Schale befreit und dann verſchluckt wird. Sehr große Zapfen öffnet er nicht.‟

„Der über das Kreuz gebogene Schnabel iſt ihm und ſeinen Gattungsverwandten beim Auf-
brechen der Zapfen von höchſter Wichtigkeit; denn einen ſolchen Schnabel braucht er nur wenig zu
öffnen, um ihm eine außerordentliche Breite zu geben, ſodaß bei einer Seitenbewegung des Kopfes
das Deckelchen mit der größten Leichtigkeit aufgehoben wird.‟

„Das Aufbrechen der Zapfen macht ein kniſterndes Geräuſch, welches zwar gering, aber doch ſtark
genug iſt, um von unten gehört zu werden. Die abgebiſſenen Zapfen werden vom Fichtenkreuz-
ſchnabel ſelten rein ausgefreſſen, wie Dies bei den Kiefernzäpfchen von ſeinen Gattungsverwandten
geſchieht, ſondern oft ganz uneröffnet, oft halb oder zum dritten Theil eröffnet herabgeworfen. Dies
geſchieht ſelbſt bei vollkörnigen Zapfen, aber nicht blos von jungen Vögeln, wie Bechſtein glaubt,
ſondern auch von alten; deswegen iſt der Boden unter den Bäumen, auf welchen einige Kreuzſchnäbel
eine Zeitlang gefreſſen haben, zuweilen mit Zapfen bedeckt oder wenigſtens beſtreut. Wenn ſie fort-
fliegen, laſſen ſie alle ihre Zapfen fallen.‟

„Sind die Zapfen an den Bäumen einzeln oder aufgefreſſen, dann ſuchen ſie die heruntergefalle-
nen auf und öffnen ſie, wie die an den Bäumen hängenden.‟

Der Fichtenkreuzſchnabel geht ſehr ſelten an die weit ſchwerer aufzubrechenden Kiefernzapfen, weil
er zu der an ihnen erforderlichen Arbeit nicht die nöthige Kraft beſitzt. Der Kiefernkreuzſchnabel aber
bricht auch Kiefernzapfen ohne Mühe auf; er kann mit einem Male alle die Deckelchen aufheben, die
über dem liegen, unter welchen er ſeinen Schnabel eingeſetzt hat. Beide Arten brechen ſtets mit dem
Oberkiefer auf und ſtemmen den untern gegen den Zapfen; daher kommt es, daß bei dem Rechts-
ſchnäbler immer die rechte, bei dem Linksſchnäbler immer die linke Seite des Schnabels oben liegt.
Jn Zeit von zwei bis drei Minuten iſt der Vogel mit einem Zapfen fertig; er läßt ihn dann fallen,
holt ſich einen andern und öffnet dieſen. So fährt er ſolange fort, bis ſein Kropf gefüllt iſt. An
den auf dem Boden liegenden Zapfen erkennt man, daß Kreuzſchnäbel in der Gegend ſind. Wenn
die Thiere nicht geſtört werden, bleiben ſie ſtundenlang auf ein und demſelben Baume ſitzen und
verlaſſen dann auch die Gegend, in welcher ſie ſich einmal eingefunden, wochenlang nicht. Solange
ſie Holzſamen auffinden, gehen ſie kaum andere Nahrung an; im Nothfall aber freſſen ſie ölige Sä-
mereien, Hanf-, Diſtelſamen u. dgl. und zuweilen ſehr gern Kerbthiere, namentlich Blattläuſe, welche
ſie ſich dann auch in den Gärten und Obſtpflanzungen der Walddörfer zuſammenſuchen.

Eine nothwendige Folge des vielfachen Arbeitens auf den harzreichen Aeſten und Zapfen iſt,
daß ſie ſich oft in ſehr unerwünſchter Weiſe beſchmuzen. Sie ſind ebenſo reinlich, wie die meiſten
übrigen Vögel, und putzen ſich nach jeder Mahlzeit ſorgfältig, um ſich von den anhängenden Harz-
theilen zu reinigen; namentlich den Schnabel wetzen ſie minutenlang auf den Aeſten. Doch ſind ſie
nicht immer im Stande, ihr Gefieder ſo in Ordnung zu halten, als ſie wohl wünſchen, und oft kommt
es vor, daß die Federn einen dicken Ueberzug von Harz erhalten. Aber die von ihnen aufgenommene
Nahrung bewirkt auch noch etwas Anderes: ſie verleiht ihrem Fleiſche eine Eigenthümlichkeit, welche
wiederholt zum Urſprung anmuthiger Sagen geworden iſt. Der Leib der Kreuzſchnäbel, welche
längere Zeit ausſchließlich Nadelholzſamen fraßen, wird von dem Harzgehalt ſo durchdrungen, daß er
nach dem Tode längere Zeit der Fäulniß widerſteht. „Das Fleiſch‟, ſagt mein Vater, „erhält zwar
einen eigenen, widrigen Geruch, aber es verweſt nicht eigentlich. Nur muß man es vor den Fleiſch-
fliegen in Acht nehmen; denn wenn dieſe dazu kommen, legen ſie ihre Eier daran, und die daraus her-
vorkommenden Maden durchwühlen und verzehren das Fleiſch. Jch habe darüber mehrere Verſuche

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[95/0113] Kiefern-, Fichten- und bindiger Kreuzſchnabel. dieſem zu öffnen; denn nicht auf allen findet er Aeſte, auf denen er die Zapfen bequem aufbrechen kann. Dieſes Aufbrechen wird auf folgende Weiſe bewerkſtelligt. Der Kreuzſchnabel reißt, wenn der Zapfen feſt hängt oder liegt, mit der Spitze der obern Kinnlade die breiten Deckelchen der Zapfen in der Mitte auf (bei den kleinen hat er Dies nicht nöthig), ſchiebt den etwas geöffneten Schnabel darunter und hebt ſie durch eine Seitenbewegung des Kopfes in die Höhe. Nun kann er das Samenkorn mit der Zunge leicht in den Schnabel ſchieben, wo es von dem Flugblättchen und der Schale befreit und dann verſchluckt wird. Sehr große Zapfen öffnet er nicht.‟ „Der über das Kreuz gebogene Schnabel iſt ihm und ſeinen Gattungsverwandten beim Auf- brechen der Zapfen von höchſter Wichtigkeit; denn einen ſolchen Schnabel braucht er nur wenig zu öffnen, um ihm eine außerordentliche Breite zu geben, ſodaß bei einer Seitenbewegung des Kopfes das Deckelchen mit der größten Leichtigkeit aufgehoben wird.‟ „Das Aufbrechen der Zapfen macht ein kniſterndes Geräuſch, welches zwar gering, aber doch ſtark genug iſt, um von unten gehört zu werden. Die abgebiſſenen Zapfen werden vom Fichtenkreuz- ſchnabel ſelten rein ausgefreſſen, wie Dies bei den Kiefernzäpfchen von ſeinen Gattungsverwandten geſchieht, ſondern oft ganz uneröffnet, oft halb oder zum dritten Theil eröffnet herabgeworfen. Dies geſchieht ſelbſt bei vollkörnigen Zapfen, aber nicht blos von jungen Vögeln, wie Bechſtein glaubt, ſondern auch von alten; deswegen iſt der Boden unter den Bäumen, auf welchen einige Kreuzſchnäbel eine Zeitlang gefreſſen haben, zuweilen mit Zapfen bedeckt oder wenigſtens beſtreut. Wenn ſie fort- fliegen, laſſen ſie alle ihre Zapfen fallen.‟ „Sind die Zapfen an den Bäumen einzeln oder aufgefreſſen, dann ſuchen ſie die heruntergefalle- nen auf und öffnen ſie, wie die an den Bäumen hängenden.‟ Der Fichtenkreuzſchnabel geht ſehr ſelten an die weit ſchwerer aufzubrechenden Kiefernzapfen, weil er zu der an ihnen erforderlichen Arbeit nicht die nöthige Kraft beſitzt. Der Kiefernkreuzſchnabel aber bricht auch Kiefernzapfen ohne Mühe auf; er kann mit einem Male alle die Deckelchen aufheben, die über dem liegen, unter welchen er ſeinen Schnabel eingeſetzt hat. Beide Arten brechen ſtets mit dem Oberkiefer auf und ſtemmen den untern gegen den Zapfen; daher kommt es, daß bei dem Rechts- ſchnäbler immer die rechte, bei dem Linksſchnäbler immer die linke Seite des Schnabels oben liegt. Jn Zeit von zwei bis drei Minuten iſt der Vogel mit einem Zapfen fertig; er läßt ihn dann fallen, holt ſich einen andern und öffnet dieſen. So fährt er ſolange fort, bis ſein Kropf gefüllt iſt. An den auf dem Boden liegenden Zapfen erkennt man, daß Kreuzſchnäbel in der Gegend ſind. Wenn die Thiere nicht geſtört werden, bleiben ſie ſtundenlang auf ein und demſelben Baume ſitzen und verlaſſen dann auch die Gegend, in welcher ſie ſich einmal eingefunden, wochenlang nicht. Solange ſie Holzſamen auffinden, gehen ſie kaum andere Nahrung an; im Nothfall aber freſſen ſie ölige Sä- mereien, Hanf-, Diſtelſamen u. dgl. und zuweilen ſehr gern Kerbthiere, namentlich Blattläuſe, welche ſie ſich dann auch in den Gärten und Obſtpflanzungen der Walddörfer zuſammenſuchen. Eine nothwendige Folge des vielfachen Arbeitens auf den harzreichen Aeſten und Zapfen iſt, daß ſie ſich oft in ſehr unerwünſchter Weiſe beſchmuzen. Sie ſind ebenſo reinlich, wie die meiſten übrigen Vögel, und putzen ſich nach jeder Mahlzeit ſorgfältig, um ſich von den anhängenden Harz- theilen zu reinigen; namentlich den Schnabel wetzen ſie minutenlang auf den Aeſten. Doch ſind ſie nicht immer im Stande, ihr Gefieder ſo in Ordnung zu halten, als ſie wohl wünſchen, und oft kommt es vor, daß die Federn einen dicken Ueberzug von Harz erhalten. Aber die von ihnen aufgenommene Nahrung bewirkt auch noch etwas Anderes: ſie verleiht ihrem Fleiſche eine Eigenthümlichkeit, welche wiederholt zum Urſprung anmuthiger Sagen geworden iſt. Der Leib der Kreuzſchnäbel, welche längere Zeit ausſchließlich Nadelholzſamen fraßen, wird von dem Harzgehalt ſo durchdrungen, daß er nach dem Tode längere Zeit der Fäulniß widerſteht. „Das Fleiſch‟, ſagt mein Vater, „erhält zwar einen eigenen, widrigen Geruch, aber es verweſt nicht eigentlich. Nur muß man es vor den Fleiſch- fliegen in Acht nehmen; denn wenn dieſe dazu kommen, legen ſie ihre Eier daran, und die daraus her- vorkommenden Maden durchwühlen und verzehren das Fleiſch. Jch habe darüber mehrere Verſuche

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/113>, abgerufen am 06.05.2024.