ausgefunden und werden nun als abendliche Sammelplätze der über Tag hin- und herschweifenden Ge- sellschaften benutzt, somit also gewissermaßen zu dem eigentlichen Wohnsitze.
Alle Kreuzschnäbel sind sehr gesellige Thiere, welche nur während der eigentlichen Brutzeit in Paaren sich zusammenhalten, ohne jedoch auch dann aus dem Verband der Gesellschaft zu scheiden. Jhr Betragen ist in jeder Hinsicht anziehend. Sie sind Baumvögel, welche nur im Nothfall auf die Erde herabkommen, um dort zu trinken oder um einige abgefallene Zapfen noch auszunutzen. Die Krone der Fichten sind ihre Heimstätte, und hier wissen sie sich denn auch vortrefflich zu benehmen. Sie klettern sehr geschickt in den Zweigen herum, indem sie sich nach Papageienart mit den Schna- belspitzen anhalten und forthelfen; sie hängen sich kopfunterst oder kopfoberst mit Fuß und Schnabel am Zweige oder Zapfen an und verweilen ohne Beschwerde viele Minuten lang in dieser scheinbar so unbequemen Stellung. Sie fliegen schnell und verhältnißmäßig leicht, obwohl nicht gern weit, mit wechselsweise stark ausgebreiteten und dann plötzlich angezogenen Flügeln, wodurch der Flug Wellen- linien annimmt. Jn der Liebesbegeisterung steigen sie flatternd über die Wipfel empor, halten sich schwirrend auf ein und derselben Stelle, singen dabei und senken sich hierauf schwebend langsam wie- der zu dem gewöhnlichen Sitzplatze hernieder. Während des Tages sind sie fast immer in Thätigkeit, höchstens mit Ausnahme der Mittagsstunden; denn sie sind äußerst muntere und unruhige Vögel. Jm Frühjahr, Sommer und Herbst streichen sie schon vor Tagesanbruch im Walde auf und nieder und von einem Gehölz oder von einem Berge zum anderen; deshalb pflegen die Vogelsteller, welche es auf sie abgesehen haben, in den Monaten Juni und Juli bereits um zwei Uhr Morgens an Ort und Stelle zu sein. Jm Winter zumal, wenn die Kälte stark ist, bleiben sie lange an dem Orte, an welchem sie ihre Nachtruhe gehalten haben, und fliegen selten vor Sonnenaufgang umher, singen jedoch bereits am frühen Morgen. Man sieht sie in dieser Jahreszeit um zehn Uhr Vormittags in voller Thätigkeit; sie beginnen dann mit ihrer Mahlzeit, singen inzwischen, werden nach zwei Uhr Mit- tags stiller, fressen aber bis gegen vier Uhr Nachmittags und gehen nunmehr zur Ruhe. Zur Tränke begeben sie sich gegen Mittag, im Sommer gegen zehn oder elf Uhr Vormittags.
Die Kreuzschnäbel bekümmern sich wenig oder nicht um die andern Thiere des Waldes, auch nicht um den Menschen, dem sie namentlich in den ersten Tagen nach ihrem Erscheinen deutlich genug beweisen, daß sie ihn noch nicht als Feind kennen gelernt haben. Man hat sich deshalb verleiten lassen, sie als sehr dumme Vögel zu betrachten, und unterstützt diese Meinung durch Beobachtungen, welche allerdings eine fast allzugroße Harmlosigkeit bekunden. Wenn man aber die Vögel genauer kennen lernt, findet man bald heraus, daß auch sie durch Erfahrung klüger gemacht werden und über- haupt keineswegs so dumm sind, als sie aussehen. Jhr Fang und ihre Jagd verursachen wenig Schwierigkeiten, weil ihre Geselligkeit so groß ist, daß sie dieser zu Liebe ihre Freiheit oft rücksichtsles aufs Spiel setzen: Dies jedoch spricht, meines Erachtens, weniger für den Mangel an Verstand, als vielmehr für das gute Gemüth der wirklich liebenswürdigen Thiere. Das Männchen, dessen Weibchen eben erlegt wurde, bleibt zuweilen verdutzt oder traurig sitzen auf demselben Aste, von welchem der Gatte herabgeschossen wurde, oder kehrt, nach dem Gefährten suchend, wiederholt zu dem Orte der Ge- fahr zurück: wenn es aber wiederholt traurige Erfahrungen von der Tücke des Menschen machen mußte, zeigt es sich gewöhnlich sehr scheu.
Jn der Gefangenschaft werden alle Kreuzschnäbel bald rücksichtslos zahm. Sie vergessen schnell den Verlust ihrer Freiheit, lernen ihren Pfleger als Herrn und Gebieter kennen, legen alle Furcht vor ihm ab, lassen sich später berühren, auf dem Arme oder der Hand im Zimmer umhertragen und geben ihm schließlich durch mancherlei Gebahren ihre warme Liebe kund. Diese Liebenswürdigkeit im Käfig hat sie mit Allen, welche sie kennen, innig befreundet, und zumal die Gebirgsbewohner halten sie hoch in Ehren.
Die Lockstimme des Kiefernkreuzschnabels, welche beide Geschlechter hören lassen, ist das bereits erwähnte "Göp, göp" oder "Gip, gip" und "Zock, zock". ""Göp" wird im Fluge und im Sitzen ausge- stoßen", sagt mein verstorbener Vater, dem wir wohl die ausführlichste und beste Beschreibung der Kreuz-
Kiefern-, Fichten- und bindiger Kreuzſchnabel.
ausgefunden und werden nun als abendliche Sammelplätze der über Tag hin- und herſchweifenden Ge- ſellſchaften benutzt, ſomit alſo gewiſſermaßen zu dem eigentlichen Wohnſitze.
Alle Kreuzſchnäbel ſind ſehr geſellige Thiere, welche nur während der eigentlichen Brutzeit in Paaren ſich zuſammenhalten, ohne jedoch auch dann aus dem Verband der Geſellſchaft zu ſcheiden. Jhr Betragen iſt in jeder Hinſicht anziehend. Sie ſind Baumvögel, welche nur im Nothfall auf die Erde herabkommen, um dort zu trinken oder um einige abgefallene Zapfen noch auszunutzen. Die Krone der Fichten ſind ihre Heimſtätte, und hier wiſſen ſie ſich denn auch vortrefflich zu benehmen. Sie klettern ſehr geſchickt in den Zweigen herum, indem ſie ſich nach Papageienart mit den Schna- belſpitzen anhalten und forthelfen; ſie hängen ſich kopfunterſt oder kopfoberſt mit Fuß und Schnabel am Zweige oder Zapfen an und verweilen ohne Beſchwerde viele Minuten lang in dieſer ſcheinbar ſo unbequemen Stellung. Sie fliegen ſchnell und verhältnißmäßig leicht, obwohl nicht gern weit, mit wechſelsweiſe ſtark ausgebreiteten und dann plötzlich angezogenen Flügeln, wodurch der Flug Wellen- linien annimmt. Jn der Liebesbegeiſterung ſteigen ſie flatternd über die Wipfel empor, halten ſich ſchwirrend auf ein und derſelben Stelle, ſingen dabei und ſenken ſich hierauf ſchwebend langſam wie- der zu dem gewöhnlichen Sitzplatze hernieder. Während des Tages ſind ſie faſt immer in Thätigkeit, höchſtens mit Ausnahme der Mittagsſtunden; denn ſie ſind äußerſt muntere und unruhige Vögel. Jm Frühjahr, Sommer und Herbſt ſtreichen ſie ſchon vor Tagesanbruch im Walde auf und nieder und von einem Gehölz oder von einem Berge zum anderen; deshalb pflegen die Vogelſteller, welche es auf ſie abgeſehen haben, in den Monaten Juni und Juli bereits um zwei Uhr Morgens an Ort und Stelle zu ſein. Jm Winter zumal, wenn die Kälte ſtark iſt, bleiben ſie lange an dem Orte, an welchem ſie ihre Nachtruhe gehalten haben, und fliegen ſelten vor Sonnenaufgang umher, ſingen jedoch bereits am frühen Morgen. Man ſieht ſie in dieſer Jahreszeit um zehn Uhr Vormittags in voller Thätigkeit; ſie beginnen dann mit ihrer Mahlzeit, ſingen inzwiſchen, werden nach zwei Uhr Mit- tags ſtiller, freſſen aber bis gegen vier Uhr Nachmittags und gehen nunmehr zur Ruhe. Zur Tränke begeben ſie ſich gegen Mittag, im Sommer gegen zehn oder elf Uhr Vormittags.
Die Kreuzſchnäbel bekümmern ſich wenig oder nicht um die andern Thiere des Waldes, auch nicht um den Menſchen, dem ſie namentlich in den erſten Tagen nach ihrem Erſcheinen deutlich genug beweiſen, daß ſie ihn noch nicht als Feind kennen gelernt haben. Man hat ſich deshalb verleiten laſſen, ſie als ſehr dumme Vögel zu betrachten, und unterſtützt dieſe Meinung durch Beobachtungen, welche allerdings eine faſt allzugroße Harmloſigkeit bekunden. Wenn man aber die Vögel genauer kennen lernt, findet man bald heraus, daß auch ſie durch Erfahrung klüger gemacht werden und über- haupt keineswegs ſo dumm ſind, als ſie ausſehen. Jhr Fang und ihre Jagd verurſachen wenig Schwierigkeiten, weil ihre Geſelligkeit ſo groß iſt, daß ſie dieſer zu Liebe ihre Freiheit oft rückſichtsles aufs Spiel ſetzen: Dies jedoch ſpricht, meines Erachtens, weniger für den Mangel an Verſtand, als vielmehr für das gute Gemüth der wirklich liebenswürdigen Thiere. Das Männchen, deſſen Weibchen eben erlegt wurde, bleibt zuweilen verdutzt oder traurig ſitzen auf demſelben Aſte, von welchem der Gatte herabgeſchoſſen wurde, oder kehrt, nach dem Gefährten ſuchend, wiederholt zu dem Orte der Ge- fahr zurück: wenn es aber wiederholt traurige Erfahrungen von der Tücke des Menſchen machen mußte, zeigt es ſich gewöhnlich ſehr ſcheu.
Jn der Gefangenſchaft werden alle Kreuzſchnäbel bald rückſichtslos zahm. Sie vergeſſen ſchnell den Verluſt ihrer Freiheit, lernen ihren Pfleger als Herrn und Gebieter kennen, legen alle Furcht vor ihm ab, laſſen ſich ſpäter berühren, auf dem Arme oder der Hand im Zimmer umhertragen und geben ihm ſchließlich durch mancherlei Gebahren ihre warme Liebe kund. Dieſe Liebenswürdigkeit im Käfig hat ſie mit Allen, welche ſie kennen, innig befreundet, und zumal die Gebirgsbewohner halten ſie hoch in Ehren.
Die Lockſtimme des Kiefernkreuzſchnabels, welche beide Geſchlechter hören laſſen, iſt das bereits erwähnte „Göp, göp‟ oder „Gip, gip‟ und „Zock, zock‟. „„Göp‟ wird im Fluge und im Sitzen ausge- ſtoßen‟, ſagt mein verſtorbener Vater, dem wir wohl die ausführlichſte und beſte Beſchreibung der Kreuz-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0111"n="93"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Kiefern-, Fichten- und bindiger Kreuzſchnabel.</hi></fw><lb/>
ausgefunden und werden nun als abendliche Sammelplätze der über Tag hin- und herſchweifenden Ge-<lb/>ſellſchaften benutzt, ſomit alſo gewiſſermaßen zu dem eigentlichen Wohnſitze.</p><lb/><p>Alle Kreuzſchnäbel ſind ſehr geſellige Thiere, welche nur während der eigentlichen Brutzeit in<lb/>
Paaren ſich zuſammenhalten, ohne jedoch auch dann aus dem Verband der Geſellſchaft zu ſcheiden.<lb/>
Jhr Betragen iſt in jeder Hinſicht anziehend. Sie ſind Baumvögel, welche nur im Nothfall auf die<lb/>
Erde herabkommen, um dort zu trinken oder um einige abgefallene Zapfen noch auszunutzen. Die<lb/>
Krone der Fichten ſind ihre Heimſtätte, und hier wiſſen ſie ſich denn auch vortrefflich zu benehmen.<lb/>
Sie klettern ſehr geſchickt in den Zweigen herum, indem ſie ſich nach Papageienart mit den Schna-<lb/>
belſpitzen anhalten und forthelfen; ſie hängen ſich kopfunterſt oder kopfoberſt mit Fuß und Schnabel<lb/>
am Zweige oder Zapfen an und verweilen ohne Beſchwerde viele Minuten lang in dieſer ſcheinbar ſo<lb/>
unbequemen Stellung. Sie fliegen ſchnell und verhältnißmäßig leicht, obwohl nicht gern weit, mit<lb/>
wechſelsweiſe ſtark ausgebreiteten und dann plötzlich angezogenen Flügeln, wodurch der Flug Wellen-<lb/>
linien annimmt. Jn der Liebesbegeiſterung ſteigen ſie flatternd über die Wipfel empor, halten ſich<lb/>ſchwirrend auf ein und derſelben Stelle, ſingen dabei und ſenken ſich hierauf ſchwebend langſam wie-<lb/>
der zu dem gewöhnlichen Sitzplatze hernieder. Während des Tages ſind ſie faſt immer in Thätigkeit,<lb/>
höchſtens mit Ausnahme der Mittagsſtunden; denn ſie ſind äußerſt muntere und unruhige Vögel. Jm<lb/>
Frühjahr, Sommer und Herbſt ſtreichen ſie ſchon vor Tagesanbruch im Walde auf und nieder und<lb/>
von einem Gehölz oder von einem Berge zum anderen; deshalb pflegen die Vogelſteller, welche es auf<lb/>ſie abgeſehen haben, in den Monaten Juni und Juli bereits um zwei Uhr Morgens an Ort und<lb/>
Stelle zu ſein. Jm Winter zumal, wenn die Kälte ſtark iſt, bleiben ſie lange an dem Orte, an<lb/>
welchem ſie ihre Nachtruhe gehalten haben, und fliegen ſelten vor Sonnenaufgang umher, ſingen<lb/>
jedoch bereits am frühen Morgen. Man ſieht ſie in dieſer Jahreszeit um zehn Uhr Vormittags in<lb/>
voller Thätigkeit; ſie beginnen dann mit ihrer Mahlzeit, ſingen inzwiſchen, werden nach zwei Uhr Mit-<lb/>
tags ſtiller, freſſen aber bis gegen vier Uhr Nachmittags und gehen nunmehr zur Ruhe. Zur Tränke<lb/>
begeben ſie ſich gegen Mittag, im Sommer gegen zehn oder elf Uhr Vormittags.</p><lb/><p>Die Kreuzſchnäbel bekümmern ſich wenig oder nicht um die andern Thiere des Waldes, auch<lb/>
nicht um den Menſchen, dem ſie namentlich in den erſten Tagen nach ihrem Erſcheinen deutlich genug<lb/>
beweiſen, daß ſie ihn noch nicht als Feind kennen gelernt haben. Man hat ſich deshalb verleiten<lb/>
laſſen, ſie als ſehr dumme Vögel zu betrachten, und unterſtützt dieſe Meinung durch Beobachtungen,<lb/>
welche allerdings eine faſt allzugroße Harmloſigkeit bekunden. Wenn man aber die Vögel genauer<lb/>
kennen lernt, findet man bald heraus, daß auch ſie durch Erfahrung klüger gemacht werden und über-<lb/>
haupt keineswegs ſo dumm ſind, als ſie ausſehen. Jhr Fang und ihre Jagd verurſachen wenig<lb/>
Schwierigkeiten, weil ihre Geſelligkeit ſo groß iſt, daß ſie dieſer zu Liebe ihre Freiheit oft rückſichtsles<lb/>
aufs Spiel ſetzen: Dies jedoch ſpricht, meines Erachtens, weniger für den Mangel an Verſtand, als<lb/>
vielmehr für das gute Gemüth der wirklich liebenswürdigen Thiere. Das Männchen, deſſen Weibchen<lb/>
eben erlegt wurde, bleibt zuweilen verdutzt oder traurig ſitzen auf demſelben Aſte, von welchem der<lb/>
Gatte herabgeſchoſſen wurde, oder kehrt, nach dem Gefährten ſuchend, wiederholt zu dem Orte der Ge-<lb/>
fahr zurück: wenn es aber wiederholt traurige Erfahrungen von der Tücke des Menſchen machen<lb/>
mußte, zeigt es ſich gewöhnlich ſehr ſcheu.</p><lb/><p>Jn der Gefangenſchaft werden alle Kreuzſchnäbel bald rückſichtslos zahm. Sie vergeſſen<lb/>ſchnell den Verluſt ihrer Freiheit, lernen ihren Pfleger als Herrn und Gebieter kennen, legen alle<lb/>
Furcht vor ihm ab, laſſen ſich ſpäter berühren, auf dem Arme oder der Hand im Zimmer umhertragen<lb/>
und geben ihm ſchließlich durch mancherlei Gebahren ihre warme Liebe kund. Dieſe Liebenswürdigkeit<lb/>
im Käfig hat ſie mit Allen, welche ſie kennen, innig befreundet, und zumal die Gebirgsbewohner<lb/>
halten ſie hoch in Ehren.</p><lb/><p>Die Lockſtimme des Kiefernkreuzſchnabels, welche beide Geſchlechter hören laſſen, iſt das bereits<lb/>
erwähnte „Göp, göp‟ oder „Gip, gip‟ und „Zock, zock‟. „„Göp‟ wird im Fluge und im Sitzen ausge-<lb/>ſtoßen‟, ſagt mein verſtorbener Vater, dem wir wohl die ausführlichſte und beſte Beſchreibung der Kreuz-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[93/0111]
Kiefern-, Fichten- und bindiger Kreuzſchnabel.
ausgefunden und werden nun als abendliche Sammelplätze der über Tag hin- und herſchweifenden Ge-
ſellſchaften benutzt, ſomit alſo gewiſſermaßen zu dem eigentlichen Wohnſitze.
Alle Kreuzſchnäbel ſind ſehr geſellige Thiere, welche nur während der eigentlichen Brutzeit in
Paaren ſich zuſammenhalten, ohne jedoch auch dann aus dem Verband der Geſellſchaft zu ſcheiden.
Jhr Betragen iſt in jeder Hinſicht anziehend. Sie ſind Baumvögel, welche nur im Nothfall auf die
Erde herabkommen, um dort zu trinken oder um einige abgefallene Zapfen noch auszunutzen. Die
Krone der Fichten ſind ihre Heimſtätte, und hier wiſſen ſie ſich denn auch vortrefflich zu benehmen.
Sie klettern ſehr geſchickt in den Zweigen herum, indem ſie ſich nach Papageienart mit den Schna-
belſpitzen anhalten und forthelfen; ſie hängen ſich kopfunterſt oder kopfoberſt mit Fuß und Schnabel
am Zweige oder Zapfen an und verweilen ohne Beſchwerde viele Minuten lang in dieſer ſcheinbar ſo
unbequemen Stellung. Sie fliegen ſchnell und verhältnißmäßig leicht, obwohl nicht gern weit, mit
wechſelsweiſe ſtark ausgebreiteten und dann plötzlich angezogenen Flügeln, wodurch der Flug Wellen-
linien annimmt. Jn der Liebesbegeiſterung ſteigen ſie flatternd über die Wipfel empor, halten ſich
ſchwirrend auf ein und derſelben Stelle, ſingen dabei und ſenken ſich hierauf ſchwebend langſam wie-
der zu dem gewöhnlichen Sitzplatze hernieder. Während des Tages ſind ſie faſt immer in Thätigkeit,
höchſtens mit Ausnahme der Mittagsſtunden; denn ſie ſind äußerſt muntere und unruhige Vögel. Jm
Frühjahr, Sommer und Herbſt ſtreichen ſie ſchon vor Tagesanbruch im Walde auf und nieder und
von einem Gehölz oder von einem Berge zum anderen; deshalb pflegen die Vogelſteller, welche es auf
ſie abgeſehen haben, in den Monaten Juni und Juli bereits um zwei Uhr Morgens an Ort und
Stelle zu ſein. Jm Winter zumal, wenn die Kälte ſtark iſt, bleiben ſie lange an dem Orte, an
welchem ſie ihre Nachtruhe gehalten haben, und fliegen ſelten vor Sonnenaufgang umher, ſingen
jedoch bereits am frühen Morgen. Man ſieht ſie in dieſer Jahreszeit um zehn Uhr Vormittags in
voller Thätigkeit; ſie beginnen dann mit ihrer Mahlzeit, ſingen inzwiſchen, werden nach zwei Uhr Mit-
tags ſtiller, freſſen aber bis gegen vier Uhr Nachmittags und gehen nunmehr zur Ruhe. Zur Tränke
begeben ſie ſich gegen Mittag, im Sommer gegen zehn oder elf Uhr Vormittags.
Die Kreuzſchnäbel bekümmern ſich wenig oder nicht um die andern Thiere des Waldes, auch
nicht um den Menſchen, dem ſie namentlich in den erſten Tagen nach ihrem Erſcheinen deutlich genug
beweiſen, daß ſie ihn noch nicht als Feind kennen gelernt haben. Man hat ſich deshalb verleiten
laſſen, ſie als ſehr dumme Vögel zu betrachten, und unterſtützt dieſe Meinung durch Beobachtungen,
welche allerdings eine faſt allzugroße Harmloſigkeit bekunden. Wenn man aber die Vögel genauer
kennen lernt, findet man bald heraus, daß auch ſie durch Erfahrung klüger gemacht werden und über-
haupt keineswegs ſo dumm ſind, als ſie ausſehen. Jhr Fang und ihre Jagd verurſachen wenig
Schwierigkeiten, weil ihre Geſelligkeit ſo groß iſt, daß ſie dieſer zu Liebe ihre Freiheit oft rückſichtsles
aufs Spiel ſetzen: Dies jedoch ſpricht, meines Erachtens, weniger für den Mangel an Verſtand, als
vielmehr für das gute Gemüth der wirklich liebenswürdigen Thiere. Das Männchen, deſſen Weibchen
eben erlegt wurde, bleibt zuweilen verdutzt oder traurig ſitzen auf demſelben Aſte, von welchem der
Gatte herabgeſchoſſen wurde, oder kehrt, nach dem Gefährten ſuchend, wiederholt zu dem Orte der Ge-
fahr zurück: wenn es aber wiederholt traurige Erfahrungen von der Tücke des Menſchen machen
mußte, zeigt es ſich gewöhnlich ſehr ſcheu.
Jn der Gefangenſchaft werden alle Kreuzſchnäbel bald rückſichtslos zahm. Sie vergeſſen
ſchnell den Verluſt ihrer Freiheit, lernen ihren Pfleger als Herrn und Gebieter kennen, legen alle
Furcht vor ihm ab, laſſen ſich ſpäter berühren, auf dem Arme oder der Hand im Zimmer umhertragen
und geben ihm ſchließlich durch mancherlei Gebahren ihre warme Liebe kund. Dieſe Liebenswürdigkeit
im Käfig hat ſie mit Allen, welche ſie kennen, innig befreundet, und zumal die Gebirgsbewohner
halten ſie hoch in Ehren.
Die Lockſtimme des Kiefernkreuzſchnabels, welche beide Geſchlechter hören laſſen, iſt das bereits
erwähnte „Göp, göp‟ oder „Gip, gip‟ und „Zock, zock‟. „„Göp‟ wird im Fluge und im Sitzen ausge-
ſtoßen‟, ſagt mein verſtorbener Vater, dem wir wohl die ausführlichſte und beſte Beſchreibung der Kreuz-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/111>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.