Die Vielhufer oder Dickhäuter. -- Das Wildschwein.
Erde gleich. Jm Wald und auf den Wiesen sucht das Schwarzwild Erdmast, Trüffeln, Kerbthierlarven, Gewürm oder im Herbst und im Winter abgefallene Eicheln, Bücheln, Haselnüsse, Kastanien, Kar- toffeln, Rüben und alle Hülsenfrüchte. Es frißt überhaupt, mit Ausnahme der Gerste auf dem Halme, alles Mögliche, sogar gestorbenes Vieh, gefallenes Wild und Leichen an, auch solche von seines Gleichen, niemals aber greift es in räuberischer Absicht lebende Thiere der beiden höchsten Klassen an.
Jn seinen Eigenschaften ähnelt das Hausschwein in vieler Hinsicht noch seinem Vetter, und man kann deshalb leicht von jenem auf dieses schließen. Selbstverständlich ist das Wildschwein ein viel vollendeteres und muthigeres Geschöpf, als unser durch die Knechtschaft verdorbenes Stallthier. Alle Bewegungen des Wildschweins sind rasch und ungestüm, wenn auch etwas plump und ungeschickt. Der Lauf ist ziemlich rasch und richtet sich am liebsten geradeaus; namentlich der Keuler liebt es nicht, scharfe Wendungen auszuführen. Bewunderungswürdig ist die Art und Weise, wie die Wildschweine ein geradezu undurchdringlich scheinendes Dickicht durchbrechen. Jhr spitzer Kopf und der schmale Leib scheint ganz dazu zu passen, sich mit Gewalt durch die Dickung, welche anderen Ge- schöpfen geradezu undurchdringlich ist, einen Weg zu bahnen. Das schmale Gebreche schiebt sich hinein, der Leib muß dann folgen, und so geht's weiter mit Blitzesschnelle. Jn den Rohr- waldungen der egyptischen Strandseen oder in den Zuckerrohrfeldern Mittelegyptens habe ich die Wildschweine oft dahin wandeln sehen. Sie trollten mit derselben Geschwindigkeit durch die dichtesten Stellen, als wenn sie auf dem schönsten geebneten Pfade dahingehen sollten. Auch im Sumpf und im See selbst verstehen sie sich vortrefflich zu bewegen. Sie schwimmen ausgezeichnet selbst über sehr breite Wasserflächen; ja -- von unserem Hausschwein wenigstens hat man Dies beobachtet -- sie setzen unter Umständen noch von einer Jnsel im Meere zur anderen über. Bei dem Schwimmen kommt dem Schwein sein Leibesbau ebenfalls gut zu statten. Der fischähnliche Leib mit dem vielen Fett hält sich ohne weiteres im Wasser schwebend, und so genügt eine geringe Bewegung der immer- hin noch hinlänglich breiten Schalen, um das Thier rasch vorwärts zu treiben. Man hat beobachtet, daß Schweine eine deutsche Meile weit mit Leichtigkeit schwimmen.
Alle Wildschweine sind vorsichtig und aufmerksam, obwohl nicht gerade scheu, weil sie auf ihre eigene Kraft und ihre furchtbare Wasse vertrauen können. Sie vernehmen und wittern sehr scharf, äugen aber sehr schlecht, wie man bei der Jagd vielfach zu bemerken Gelegenheit hatte. Keine andere Wildart kommt auf den anstehenden Jäger, wenn er sich halbwegs ruhig verhält und unter dem Winde steht, so weit heran, als das Wildschwein; und keinem anderen größeren Thiere kann man sich, wenn es ruht, so weit nähern. Jn Egypten ist es mehrere Mal vorgekommen, daß ich beim Beschleichen von Sumpf- und Wasservögeln bis auf fünf Schritte an Wildschweine kam, welche dann erst meine Ankunft zu bemerken schienen, freilich zu ihrer Rettung zu spät; denn dort, wo es freie Jagd gibt, kann es wohl kein Jäger über's Herz bringen, einen schönen, starken Eber vor sich lau- fen oder liegen zu sehen, ohne die sichere Büchse an ihm zu proben. Der Geschmack unseres Thieres kann nicht schlecht genannt werden: denn wenn das Schwein viel Fraß hat, gibt es immer dem besten den Vorzug. Empfindung ist ihm auch nicht abzusprechen. Sein geistiges Wesen ist übrigens nicht so stumpf, als man gewöhnlich annimmt. Es zeigt immerhin einen gewissen Grad von Verstand. Jm Ganzen ist es sehr gutmüthig. Ungereizt thut selbst das stärkste Schwein keinem Menschen Et- was zu Leide; nur dem Hunde, seinem bittersten Feinde, widersetzt es sich und versucht, ihm ge- fährlich zu werden. Aber alle Sauen und namentlich die groben Schweine vertragen keine Beleidi- gung, nicht einmal eine Neckerei. Wenn der Mensch seinen Gang ruhig fortsetzt, bekümmert sich das Wildschwein gar nicht um ihn oder entfernt sich flüchtig: reizt man das Thier aber, so nimmt es auch den bewaffneten Mann ohne weiteres an, und in der Wuth geht es wie blind auf seinen Feind los. Dietrich aus dem Winckell erzählt, daß er als unerfahrner Jüngling einem Schweine, welches sonst ein ganz gemüthlicher Bursch war, im Vorbeireiten mit seiner Peitsche Eins versetzte, dann aber reiten mußte, was er konnte, um ihm zu entkommen. "Vor verwundeten Sauen," sagt
Die Vielhufer oder Dickhäuter. — Das Wildſchwein.
Erde gleich. Jm Wald und auf den Wieſen ſucht das Schwarzwild Erdmaſt, Trüffeln, Kerbthierlarven, Gewürm oder im Herbſt und im Winter abgefallene Eicheln, Bücheln, Haſelnüſſe, Kaſtanien, Kar- toffeln, Rüben und alle Hülſenfrüchte. Es frißt überhaupt, mit Ausnahme der Gerſte auf dem Halme, alles Mögliche, ſogar geſtorbenes Vieh, gefallenes Wild und Leichen an, auch ſolche von ſeines Gleichen, niemals aber greift es in räuberiſcher Abſicht lebende Thiere der beiden höchſten Klaſſen an.
Jn ſeinen Eigenſchaften ähnelt das Hausſchwein in vieler Hinſicht noch ſeinem Vetter, und man kann deshalb leicht von jenem auf dieſes ſchließen. Selbſtverſtändlich iſt das Wildſchwein ein viel vollendeteres und muthigeres Geſchöpf, als unſer durch die Knechtſchaft verdorbenes Stallthier. Alle Bewegungen des Wildſchweins ſind raſch und ungeſtüm, wenn auch etwas plump und ungeſchickt. Der Lauf iſt ziemlich raſch und richtet ſich am liebſten geradeaus; namentlich der Keuler liebt es nicht, ſcharfe Wendungen auszuführen. Bewunderungswürdig iſt die Art und Weiſe, wie die Wildſchweine ein geradezu undurchdringlich ſcheinendes Dickicht durchbrechen. Jhr ſpitzer Kopf und der ſchmale Leib ſcheint ganz dazu zu paſſen, ſich mit Gewalt durch die Dickung, welche anderen Ge- ſchöpfen geradezu undurchdringlich iſt, einen Weg zu bahnen. Das ſchmale Gebreche ſchiebt ſich hinein, der Leib muß dann folgen, und ſo geht’s weiter mit Blitzesſchnelle. Jn den Rohr- waldungen der egyptiſchen Strandſeen oder in den Zuckerrohrfeldern Mittelegyptens habe ich die Wildſchweine oft dahin wandeln ſehen. Sie trollten mit derſelben Geſchwindigkeit durch die dichteſten Stellen, als wenn ſie auf dem ſchönſten geebneten Pfade dahingehen ſollten. Auch im Sumpf und im See ſelbſt verſtehen ſie ſich vortrefflich zu bewegen. Sie ſchwimmen ausgezeichnet ſelbſt über ſehr breite Waſſerflächen; ja — von unſerem Hausſchwein wenigſtens hat man Dies beobachtet — ſie ſetzen unter Umſtänden noch von einer Jnſel im Meere zur anderen über. Bei dem Schwimmen kommt dem Schwein ſein Leibesbau ebenfalls gut zu ſtatten. Der fiſchähnliche Leib mit dem vielen Fett hält ſich ohne weiteres im Waſſer ſchwebend, und ſo genügt eine geringe Bewegung der immer- hin noch hinlänglich breiten Schalen, um das Thier raſch vorwärts zu treiben. Man hat beobachtet, daß Schweine eine deutſche Meile weit mit Leichtigkeit ſchwimmen.
Alle Wildſchweine ſind vorſichtig und aufmerkſam, obwohl nicht gerade ſcheu, weil ſie auf ihre eigene Kraft und ihre furchtbare Waſſe vertrauen können. Sie vernehmen und wittern ſehr ſcharf, äugen aber ſehr ſchlecht, wie man bei der Jagd vielfach zu bemerken Gelegenheit hatte. Keine andere Wildart kommt auf den anſtehenden Jäger, wenn er ſich halbwegs ruhig verhält und unter dem Winde ſteht, ſo weit heran, als das Wildſchwein; und keinem anderen größeren Thiere kann man ſich, wenn es ruht, ſo weit nähern. Jn Egypten iſt es mehrere Mal vorgekommen, daß ich beim Beſchleichen von Sumpf- und Waſſervögeln bis auf fünf Schritte an Wildſchweine kam, welche dann erſt meine Ankunft zu bemerken ſchienen, freilich zu ihrer Rettung zu ſpät; denn dort, wo es freie Jagd gibt, kann es wohl kein Jäger über’s Herz bringen, einen ſchönen, ſtarken Eber vor ſich lau- fen oder liegen zu ſehen, ohne die ſichere Büchſe an ihm zu proben. Der Geſchmack unſeres Thieres kann nicht ſchlecht genannt werden: denn wenn das Schwein viel Fraß hat, gibt es immer dem beſten den Vorzug. Empfindung iſt ihm auch nicht abzuſprechen. Sein geiſtiges Weſen iſt übrigens nicht ſo ſtumpf, als man gewöhnlich annimmt. Es zeigt immerhin einen gewiſſen Grad von Verſtand. Jm Ganzen iſt es ſehr gutmüthig. Ungereizt thut ſelbſt das ſtärkſte Schwein keinem Menſchen Et- was zu Leide; nur dem Hunde, ſeinem bitterſten Feinde, widerſetzt es ſich und verſucht, ihm ge- fährlich zu werden. Aber alle Sauen und namentlich die groben Schweine vertragen keine Beleidi- gung, nicht einmal eine Neckerei. Wenn der Menſch ſeinen Gang ruhig fortſetzt, bekümmert ſich das Wildſchwein gar nicht um ihn oder entfernt ſich flüchtig: reizt man das Thier aber, ſo nimmt es auch den bewaffneten Mann ohne weiteres an, und in der Wuth geht es wie blind auf ſeinen Feind los. Dietrich aus dem Winckell erzählt, daß er als unerfahrner Jüngling einem Schweine, welches ſonſt ein ganz gemüthlicher Burſch war, im Vorbeireiten mit ſeiner Peitſche Eins verſetzte, dann aber reiten mußte, was er konnte, um ihm zu entkommen. „Vor verwundeten Sauen,‟ ſagt
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Die Vielhufer oder Dickhäuter. — Das Wildſchwein.
Erde gleich. Jm Wald und auf den Wieſen ſucht das Schwarzwild Erdmaſt, Trüffeln, Kerbthierlarven,
Gewürm oder im Herbſt und im Winter abgefallene Eicheln, Bücheln, Haſelnüſſe, Kaſtanien, Kar-
toffeln, Rüben und alle Hülſenfrüchte. Es frißt überhaupt, mit Ausnahme der Gerſte auf dem
Halme, alles Mögliche, ſogar geſtorbenes Vieh, gefallenes Wild und Leichen an, auch ſolche von
ſeines Gleichen, niemals aber greift es in räuberiſcher Abſicht lebende Thiere der beiden höchſten
Klaſſen an.
Jn ſeinen Eigenſchaften ähnelt das Hausſchwein in vieler Hinſicht noch ſeinem Vetter, und man
kann deshalb leicht von jenem auf dieſes ſchließen. Selbſtverſtändlich iſt das Wildſchwein ein viel
vollendeteres und muthigeres Geſchöpf, als unſer durch die Knechtſchaft verdorbenes Stallthier. Alle
Bewegungen des Wildſchweins ſind raſch und ungeſtüm, wenn auch etwas plump und ungeſchickt.
Der Lauf iſt ziemlich raſch und richtet ſich am liebſten geradeaus; namentlich der Keuler liebt es
nicht, ſcharfe Wendungen auszuführen. Bewunderungswürdig iſt die Art und Weiſe, wie die
Wildſchweine ein geradezu undurchdringlich ſcheinendes Dickicht durchbrechen. Jhr ſpitzer Kopf und
der ſchmale Leib ſcheint ganz dazu zu paſſen, ſich mit Gewalt durch die Dickung, welche anderen Ge-
ſchöpfen geradezu undurchdringlich iſt, einen Weg zu bahnen. Das ſchmale Gebreche ſchiebt ſich
hinein, der Leib muß dann folgen, und ſo geht’s weiter mit Blitzesſchnelle. Jn den Rohr-
waldungen der egyptiſchen Strandſeen oder in den Zuckerrohrfeldern Mittelegyptens habe ich die
Wildſchweine oft dahin wandeln ſehen. Sie trollten mit derſelben Geſchwindigkeit durch die dichteſten
Stellen, als wenn ſie auf dem ſchönſten geebneten Pfade dahingehen ſollten. Auch im Sumpf und
im See ſelbſt verſtehen ſie ſich vortrefflich zu bewegen. Sie ſchwimmen ausgezeichnet ſelbſt über ſehr
breite Waſſerflächen; ja — von unſerem Hausſchwein wenigſtens hat man Dies beobachtet — ſie
ſetzen unter Umſtänden noch von einer Jnſel im Meere zur anderen über. Bei dem Schwimmen
kommt dem Schwein ſein Leibesbau ebenfalls gut zu ſtatten. Der fiſchähnliche Leib mit dem vielen
Fett hält ſich ohne weiteres im Waſſer ſchwebend, und ſo genügt eine geringe Bewegung der immer-
hin noch hinlänglich breiten Schalen, um das Thier raſch vorwärts zu treiben. Man hat beobachtet,
daß Schweine eine deutſche Meile weit mit Leichtigkeit ſchwimmen.
Alle Wildſchweine ſind vorſichtig und aufmerkſam, obwohl nicht gerade ſcheu, weil ſie auf ihre
eigene Kraft und ihre furchtbare Waſſe vertrauen können. Sie vernehmen und wittern ſehr ſcharf,
äugen aber ſehr ſchlecht, wie man bei der Jagd vielfach zu bemerken Gelegenheit hatte. Keine
andere Wildart kommt auf den anſtehenden Jäger, wenn er ſich halbwegs ruhig verhält und unter
dem Winde ſteht, ſo weit heran, als das Wildſchwein; und keinem anderen größeren Thiere kann
man ſich, wenn es ruht, ſo weit nähern. Jn Egypten iſt es mehrere Mal vorgekommen, daß ich
beim Beſchleichen von Sumpf- und Waſſervögeln bis auf fünf Schritte an Wildſchweine kam, welche
dann erſt meine Ankunft zu bemerken ſchienen, freilich zu ihrer Rettung zu ſpät; denn dort, wo es
freie Jagd gibt, kann es wohl kein Jäger über’s Herz bringen, einen ſchönen, ſtarken Eber vor ſich lau-
fen oder liegen zu ſehen, ohne die ſichere Büchſe an ihm zu proben. Der Geſchmack unſeres Thieres
kann nicht ſchlecht genannt werden: denn wenn das Schwein viel Fraß hat, gibt es immer dem beſten
den Vorzug. Empfindung iſt ihm auch nicht abzuſprechen. Sein geiſtiges Weſen iſt übrigens nicht
ſo ſtumpf, als man gewöhnlich annimmt. Es zeigt immerhin einen gewiſſen Grad von Verſtand.
Jm Ganzen iſt es ſehr gutmüthig. Ungereizt thut ſelbſt das ſtärkſte Schwein keinem Menſchen Et-
was zu Leide; nur dem Hunde, ſeinem bitterſten Feinde, widerſetzt es ſich und verſucht, ihm ge-
fährlich zu werden. Aber alle Sauen und namentlich die groben Schweine vertragen keine Beleidi-
gung, nicht einmal eine Neckerei. Wenn der Menſch ſeinen Gang ruhig fortſetzt, bekümmert ſich
das Wildſchwein gar nicht um ihn oder entfernt ſich flüchtig: reizt man das Thier aber, ſo nimmt es
auch den bewaffneten Mann ohne weiteres an, und in der Wuth geht es wie blind auf ſeinen Feind
los. Dietrich aus dem Winckell erzählt, daß er als unerfahrner Jüngling einem Schweine,
welches ſonſt ein ganz gemüthlicher Burſch war, im Vorbeireiten mit ſeiner Peitſche Eins verſetzte,
dann aber reiten mußte, was er konnte, um ihm zu entkommen. „Vor verwundeten Sauen,‟ ſagt
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 730. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/772>, abgerufen am 23.11.2024.
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