Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Vielhufer oder Dickhäuter. -- Das Wildschwein.
Erde gleich. Jm Wald und auf den Wiesen sucht das Schwarzwild Erdmast, Trüffeln, Kerbthierlarven,
Gewürm oder im Herbst und im Winter abgefallene Eicheln, Bücheln, Haselnüsse, Kastanien, Kar-
toffeln, Rüben und alle Hülsenfrüchte. Es frißt überhaupt, mit Ausnahme der Gerste auf dem
Halme, alles Mögliche, sogar gestorbenes Vieh, gefallenes Wild und Leichen an, auch solche von
seines Gleichen, niemals aber greift es in räuberischer Absicht lebende Thiere der beiden höchsten
Klassen an.

Jn seinen Eigenschaften ähnelt das Hausschwein in vieler Hinsicht noch seinem Vetter, und man
kann deshalb leicht von jenem auf dieses schließen. Selbstverständlich ist das Wildschwein ein viel
vollendeteres und muthigeres Geschöpf, als unser durch die Knechtschaft verdorbenes Stallthier. Alle
Bewegungen des Wildschweins sind rasch und ungestüm, wenn auch etwas plump und ungeschickt.
Der Lauf ist ziemlich rasch und richtet sich am liebsten geradeaus; namentlich der Keuler liebt es
nicht, scharfe Wendungen auszuführen. Bewunderungswürdig ist die Art und Weise, wie die
Wildschweine ein geradezu undurchdringlich scheinendes Dickicht durchbrechen. Jhr spitzer Kopf und
der schmale Leib scheint ganz dazu zu passen, sich mit Gewalt durch die Dickung, welche anderen Ge-
schöpfen geradezu undurchdringlich ist, einen Weg zu bahnen. Das schmale Gebreche schiebt sich
hinein, der Leib muß dann folgen, und so geht's weiter mit Blitzesschnelle. Jn den Rohr-
waldungen der egyptischen Strandseen oder in den Zuckerrohrfeldern Mittelegyptens habe ich die
Wildschweine oft dahin wandeln sehen. Sie trollten mit derselben Geschwindigkeit durch die dichtesten
Stellen, als wenn sie auf dem schönsten geebneten Pfade dahingehen sollten. Auch im Sumpf und
im See selbst verstehen sie sich vortrefflich zu bewegen. Sie schwimmen ausgezeichnet selbst über sehr
breite Wasserflächen; ja -- von unserem Hausschwein wenigstens hat man Dies beobachtet -- sie
setzen unter Umständen noch von einer Jnsel im Meere zur anderen über. Bei dem Schwimmen
kommt dem Schwein sein Leibesbau ebenfalls gut zu statten. Der fischähnliche Leib mit dem vielen
Fett hält sich ohne weiteres im Wasser schwebend, und so genügt eine geringe Bewegung der immer-
hin noch hinlänglich breiten Schalen, um das Thier rasch vorwärts zu treiben. Man hat beobachtet,
daß Schweine eine deutsche Meile weit mit Leichtigkeit schwimmen.

Alle Wildschweine sind vorsichtig und aufmerksam, obwohl nicht gerade scheu, weil sie auf ihre
eigene Kraft und ihre furchtbare Wasse vertrauen können. Sie vernehmen und wittern sehr scharf,
äugen aber sehr schlecht, wie man bei der Jagd vielfach zu bemerken Gelegenheit hatte. Keine
andere Wildart kommt auf den anstehenden Jäger, wenn er sich halbwegs ruhig verhält und unter
dem Winde steht, so weit heran, als das Wildschwein; und keinem anderen größeren Thiere kann
man sich, wenn es ruht, so weit nähern. Jn Egypten ist es mehrere Mal vorgekommen, daß ich
beim Beschleichen von Sumpf- und Wasservögeln bis auf fünf Schritte an Wildschweine kam, welche
dann erst meine Ankunft zu bemerken schienen, freilich zu ihrer Rettung zu spät; denn dort, wo es
freie Jagd gibt, kann es wohl kein Jäger über's Herz bringen, einen schönen, starken Eber vor sich lau-
fen oder liegen zu sehen, ohne die sichere Büchse an ihm zu proben. Der Geschmack unseres Thieres
kann nicht schlecht genannt werden: denn wenn das Schwein viel Fraß hat, gibt es immer dem besten
den Vorzug. Empfindung ist ihm auch nicht abzusprechen. Sein geistiges Wesen ist übrigens nicht
so stumpf, als man gewöhnlich annimmt. Es zeigt immerhin einen gewissen Grad von Verstand.
Jm Ganzen ist es sehr gutmüthig. Ungereizt thut selbst das stärkste Schwein keinem Menschen Et-
was zu Leide; nur dem Hunde, seinem bittersten Feinde, widersetzt es sich und versucht, ihm ge-
fährlich zu werden. Aber alle Sauen und namentlich die groben Schweine vertragen keine Beleidi-
gung, nicht einmal eine Neckerei. Wenn der Mensch seinen Gang ruhig fortsetzt, bekümmert sich
das Wildschwein gar nicht um ihn oder entfernt sich flüchtig: reizt man das Thier aber, so nimmt es
auch den bewaffneten Mann ohne weiteres an, und in der Wuth geht es wie blind auf seinen Feind
los. Dietrich aus dem Winckell erzählt, daß er als unerfahrner Jüngling einem Schweine,
welches sonst ein ganz gemüthlicher Bursch war, im Vorbeireiten mit seiner Peitsche Eins versetzte,
dann aber reiten mußte, was er konnte, um ihm zu entkommen. "Vor verwundeten Sauen," sagt

Die Vielhufer oder Dickhäuter. — Das Wildſchwein.
Erde gleich. Jm Wald und auf den Wieſen ſucht das Schwarzwild Erdmaſt, Trüffeln, Kerbthierlarven,
Gewürm oder im Herbſt und im Winter abgefallene Eicheln, Bücheln, Haſelnüſſe, Kaſtanien, Kar-
toffeln, Rüben und alle Hülſenfrüchte. Es frißt überhaupt, mit Ausnahme der Gerſte auf dem
Halme, alles Mögliche, ſogar geſtorbenes Vieh, gefallenes Wild und Leichen an, auch ſolche von
ſeines Gleichen, niemals aber greift es in räuberiſcher Abſicht lebende Thiere der beiden höchſten
Klaſſen an.

Jn ſeinen Eigenſchaften ähnelt das Hausſchwein in vieler Hinſicht noch ſeinem Vetter, und man
kann deshalb leicht von jenem auf dieſes ſchließen. Selbſtverſtändlich iſt das Wildſchwein ein viel
vollendeteres und muthigeres Geſchöpf, als unſer durch die Knechtſchaft verdorbenes Stallthier. Alle
Bewegungen des Wildſchweins ſind raſch und ungeſtüm, wenn auch etwas plump und ungeſchickt.
Der Lauf iſt ziemlich raſch und richtet ſich am liebſten geradeaus; namentlich der Keuler liebt es
nicht, ſcharfe Wendungen auszuführen. Bewunderungswürdig iſt die Art und Weiſe, wie die
Wildſchweine ein geradezu undurchdringlich ſcheinendes Dickicht durchbrechen. Jhr ſpitzer Kopf und
der ſchmale Leib ſcheint ganz dazu zu paſſen, ſich mit Gewalt durch die Dickung, welche anderen Ge-
ſchöpfen geradezu undurchdringlich iſt, einen Weg zu bahnen. Das ſchmale Gebreche ſchiebt ſich
hinein, der Leib muß dann folgen, und ſo geht’s weiter mit Blitzesſchnelle. Jn den Rohr-
waldungen der egyptiſchen Strandſeen oder in den Zuckerrohrfeldern Mittelegyptens habe ich die
Wildſchweine oft dahin wandeln ſehen. Sie trollten mit derſelben Geſchwindigkeit durch die dichteſten
Stellen, als wenn ſie auf dem ſchönſten geebneten Pfade dahingehen ſollten. Auch im Sumpf und
im See ſelbſt verſtehen ſie ſich vortrefflich zu bewegen. Sie ſchwimmen ausgezeichnet ſelbſt über ſehr
breite Waſſerflächen; ja — von unſerem Hausſchwein wenigſtens hat man Dies beobachtet — ſie
ſetzen unter Umſtänden noch von einer Jnſel im Meere zur anderen über. Bei dem Schwimmen
kommt dem Schwein ſein Leibesbau ebenfalls gut zu ſtatten. Der fiſchähnliche Leib mit dem vielen
Fett hält ſich ohne weiteres im Waſſer ſchwebend, und ſo genügt eine geringe Bewegung der immer-
hin noch hinlänglich breiten Schalen, um das Thier raſch vorwärts zu treiben. Man hat beobachtet,
daß Schweine eine deutſche Meile weit mit Leichtigkeit ſchwimmen.

Alle Wildſchweine ſind vorſichtig und aufmerkſam, obwohl nicht gerade ſcheu, weil ſie auf ihre
eigene Kraft und ihre furchtbare Waſſe vertrauen können. Sie vernehmen und wittern ſehr ſcharf,
äugen aber ſehr ſchlecht, wie man bei der Jagd vielfach zu bemerken Gelegenheit hatte. Keine
andere Wildart kommt auf den anſtehenden Jäger, wenn er ſich halbwegs ruhig verhält und unter
dem Winde ſteht, ſo weit heran, als das Wildſchwein; und keinem anderen größeren Thiere kann
man ſich, wenn es ruht, ſo weit nähern. Jn Egypten iſt es mehrere Mal vorgekommen, daß ich
beim Beſchleichen von Sumpf- und Waſſervögeln bis auf fünf Schritte an Wildſchweine kam, welche
dann erſt meine Ankunft zu bemerken ſchienen, freilich zu ihrer Rettung zu ſpät; denn dort, wo es
freie Jagd gibt, kann es wohl kein Jäger über’s Herz bringen, einen ſchönen, ſtarken Eber vor ſich lau-
fen oder liegen zu ſehen, ohne die ſichere Büchſe an ihm zu proben. Der Geſchmack unſeres Thieres
kann nicht ſchlecht genannt werden: denn wenn das Schwein viel Fraß hat, gibt es immer dem beſten
den Vorzug. Empfindung iſt ihm auch nicht abzuſprechen. Sein geiſtiges Weſen iſt übrigens nicht
ſo ſtumpf, als man gewöhnlich annimmt. Es zeigt immerhin einen gewiſſen Grad von Verſtand.
Jm Ganzen iſt es ſehr gutmüthig. Ungereizt thut ſelbſt das ſtärkſte Schwein keinem Menſchen Et-
was zu Leide; nur dem Hunde, ſeinem bitterſten Feinde, widerſetzt es ſich und verſucht, ihm ge-
fährlich zu werden. Aber alle Sauen und namentlich die groben Schweine vertragen keine Beleidi-
gung, nicht einmal eine Neckerei. Wenn der Menſch ſeinen Gang ruhig fortſetzt, bekümmert ſich
das Wildſchwein gar nicht um ihn oder entfernt ſich flüchtig: reizt man das Thier aber, ſo nimmt es
auch den bewaffneten Mann ohne weiteres an, und in der Wuth geht es wie blind auf ſeinen Feind
los. Dietrich aus dem Winckell erzählt, daß er als unerfahrner Jüngling einem Schweine,
welches ſonſt ein ganz gemüthlicher Burſch war, im Vorbeireiten mit ſeiner Peitſche Eins verſetzte,
dann aber reiten mußte, was er konnte, um ihm zu entkommen. „Vor verwundeten Sauen,‟ ſagt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0772" n="730"/><fw place="top" type="header">Die Vielhufer oder Dickhäuter. &#x2014; Das Wild&#x017F;chwein.</fw><lb/>
Erde gleich. Jm Wald und auf den Wie&#x017F;en &#x017F;ucht das Schwarzwild Erdma&#x017F;t, Trüffeln, Kerbthierlarven,<lb/>
Gewürm oder im Herb&#x017F;t und im Winter abgefallene Eicheln, Bücheln, Ha&#x017F;elnü&#x017F;&#x017F;e, Ka&#x017F;tanien, Kar-<lb/>
toffeln, Rüben und alle Hül&#x017F;enfrüchte. Es frißt überhaupt, mit Ausnahme der Ger&#x017F;te auf dem<lb/>
Halme, alles Mögliche, &#x017F;ogar ge&#x017F;torbenes Vieh, gefallenes Wild und Leichen an, auch &#x017F;olche von<lb/>
&#x017F;eines Gleichen, niemals aber greift es in räuberi&#x017F;cher Ab&#x017F;icht lebende Thiere der beiden höch&#x017F;ten<lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;en an.</p><lb/>
              <p>Jn &#x017F;einen Eigen&#x017F;chaften ähnelt das Haus&#x017F;chwein in vieler Hin&#x017F;icht noch &#x017F;einem Vetter, und man<lb/>
kann deshalb leicht von jenem auf die&#x017F;es &#x017F;chließen. Selb&#x017F;tver&#x017F;tändlich i&#x017F;t das Wild&#x017F;chwein ein viel<lb/>
vollendeteres und muthigeres Ge&#x017F;chöpf, als un&#x017F;er durch die Knecht&#x017F;chaft verdorbenes Stallthier. Alle<lb/>
Bewegungen des Wild&#x017F;chweins &#x017F;ind ra&#x017F;ch und unge&#x017F;tüm, wenn auch etwas plump und unge&#x017F;chickt.<lb/>
Der Lauf i&#x017F;t ziemlich ra&#x017F;ch und richtet &#x017F;ich am lieb&#x017F;ten geradeaus; namentlich der Keuler liebt es<lb/>
nicht, &#x017F;charfe Wendungen auszuführen. Bewunderungswürdig i&#x017F;t die Art und Wei&#x017F;e, wie die<lb/>
Wild&#x017F;chweine ein geradezu undurchdringlich &#x017F;cheinendes Dickicht durchbrechen. Jhr &#x017F;pitzer Kopf und<lb/>
der &#x017F;chmale Leib &#x017F;cheint ganz dazu zu pa&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ich mit Gewalt durch die Dickung, welche anderen Ge-<lb/>
&#x017F;chöpfen geradezu undurchdringlich i&#x017F;t, einen Weg zu bahnen. Das &#x017F;chmale Gebreche &#x017F;chiebt &#x017F;ich<lb/>
hinein, der Leib muß dann folgen, und &#x017F;o geht&#x2019;s weiter mit Blitzes&#x017F;chnelle. Jn den Rohr-<lb/>
waldungen der egypti&#x017F;chen Strand&#x017F;een oder in den Zuckerrohrfeldern Mittelegyptens habe ich die<lb/>
Wild&#x017F;chweine oft dahin wandeln &#x017F;ehen. Sie trollten mit der&#x017F;elben Ge&#x017F;chwindigkeit durch die dichte&#x017F;ten<lb/>
Stellen, als wenn &#x017F;ie auf dem &#x017F;chön&#x017F;ten geebneten Pfade dahingehen &#x017F;ollten. Auch im Sumpf und<lb/>
im See &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;tehen &#x017F;ie &#x017F;ich vortrefflich zu bewegen. Sie &#x017F;chwimmen ausgezeichnet &#x017F;elb&#x017F;t über &#x017F;ehr<lb/>
breite Wa&#x017F;&#x017F;erflächen; ja &#x2014; von un&#x017F;erem Haus&#x017F;chwein wenig&#x017F;tens hat man Dies beobachtet &#x2014; &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;etzen unter Um&#x017F;tänden noch von einer Jn&#x017F;el im Meere zur anderen über. Bei dem Schwimmen<lb/>
kommt dem Schwein &#x017F;ein Leibesbau ebenfalls gut zu &#x017F;tatten. Der fi&#x017F;chähnliche Leib mit dem vielen<lb/>
Fett hält &#x017F;ich ohne weiteres im Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chwebend, und &#x017F;o genügt eine geringe Bewegung der immer-<lb/>
hin noch hinlänglich breiten Schalen, um das Thier ra&#x017F;ch vorwärts zu treiben. Man hat beobachtet,<lb/>
daß Schweine eine deut&#x017F;che Meile weit mit Leichtigkeit &#x017F;chwimmen.</p><lb/>
              <p>Alle Wild&#x017F;chweine &#x017F;ind vor&#x017F;ichtig und aufmerk&#x017F;am, obwohl nicht gerade &#x017F;cheu, weil &#x017F;ie auf ihre<lb/>
eigene Kraft und ihre furchtbare Wa&#x017F;&#x017F;e vertrauen können. Sie vernehmen und wittern &#x017F;ehr &#x017F;charf,<lb/>
äugen aber &#x017F;ehr &#x017F;chlecht, wie man bei der Jagd vielfach zu bemerken Gelegenheit hatte. Keine<lb/>
andere Wildart kommt auf den an&#x017F;tehenden Jäger, wenn er &#x017F;ich halbwegs ruhig verhält und unter<lb/>
dem Winde &#x017F;teht, &#x017F;o weit heran, als das Wild&#x017F;chwein; und keinem anderen größeren Thiere kann<lb/>
man &#x017F;ich, wenn es ruht, &#x017F;o weit nähern. Jn Egypten i&#x017F;t es mehrere Mal vorgekommen, daß ich<lb/>
beim Be&#x017F;chleichen von Sumpf- und Wa&#x017F;&#x017F;ervögeln bis auf fünf Schritte an Wild&#x017F;chweine kam, welche<lb/>
dann er&#x017F;t meine Ankunft zu bemerken &#x017F;chienen, freilich zu ihrer Rettung zu &#x017F;pät; denn dort, wo es<lb/>
freie Jagd gibt, kann es wohl kein Jäger über&#x2019;s Herz bringen, einen &#x017F;chönen, &#x017F;tarken Eber vor &#x017F;ich lau-<lb/>
fen oder liegen zu &#x017F;ehen, ohne die &#x017F;ichere Büch&#x017F;e an ihm zu proben. Der Ge&#x017F;chmack un&#x017F;eres Thieres<lb/>
kann nicht &#x017F;chlecht genannt werden: denn wenn das Schwein viel Fraß hat, gibt es immer dem be&#x017F;ten<lb/>
den Vorzug. Empfindung i&#x017F;t ihm auch nicht abzu&#x017F;prechen. Sein gei&#x017F;tiges We&#x017F;en i&#x017F;t übrigens nicht<lb/>
&#x017F;o &#x017F;tumpf, als man gewöhnlich annimmt. Es zeigt immerhin einen gewi&#x017F;&#x017F;en Grad von Ver&#x017F;tand.<lb/>
Jm Ganzen i&#x017F;t es &#x017F;ehr gutmüthig. Ungereizt thut &#x017F;elb&#x017F;t das &#x017F;tärk&#x017F;te Schwein keinem Men&#x017F;chen Et-<lb/>
was zu Leide; nur dem Hunde, &#x017F;einem bitter&#x017F;ten Feinde, wider&#x017F;etzt es &#x017F;ich und ver&#x017F;ucht, ihm ge-<lb/>
fährlich zu werden. Aber alle Sauen und namentlich die groben Schweine vertragen keine Beleidi-<lb/>
gung, nicht einmal eine Neckerei. Wenn der Men&#x017F;ch &#x017F;einen Gang ruhig fort&#x017F;etzt, bekümmert &#x017F;ich<lb/>
das Wild&#x017F;chwein gar nicht um ihn oder entfernt &#x017F;ich flüchtig: reizt man das Thier aber, &#x017F;o nimmt es<lb/>
auch den bewaffneten Mann ohne weiteres an, und in der Wuth geht es wie blind auf &#x017F;einen Feind<lb/>
los. <hi rendition="#g">Dietrich aus dem Winckell</hi> erzählt, daß er als unerfahrner Jüngling einem Schweine,<lb/>
welches &#x017F;on&#x017F;t ein ganz gemüthlicher Bur&#x017F;ch war, im Vorbeireiten mit &#x017F;einer Peit&#x017F;che Eins ver&#x017F;etzte,<lb/>
dann aber reiten mußte, was er konnte, um ihm zu entkommen. &#x201E;Vor verwundeten Sauen,&#x201F; &#x017F;agt<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[730/0772] Die Vielhufer oder Dickhäuter. — Das Wildſchwein. Erde gleich. Jm Wald und auf den Wieſen ſucht das Schwarzwild Erdmaſt, Trüffeln, Kerbthierlarven, Gewürm oder im Herbſt und im Winter abgefallene Eicheln, Bücheln, Haſelnüſſe, Kaſtanien, Kar- toffeln, Rüben und alle Hülſenfrüchte. Es frißt überhaupt, mit Ausnahme der Gerſte auf dem Halme, alles Mögliche, ſogar geſtorbenes Vieh, gefallenes Wild und Leichen an, auch ſolche von ſeines Gleichen, niemals aber greift es in räuberiſcher Abſicht lebende Thiere der beiden höchſten Klaſſen an. Jn ſeinen Eigenſchaften ähnelt das Hausſchwein in vieler Hinſicht noch ſeinem Vetter, und man kann deshalb leicht von jenem auf dieſes ſchließen. Selbſtverſtändlich iſt das Wildſchwein ein viel vollendeteres und muthigeres Geſchöpf, als unſer durch die Knechtſchaft verdorbenes Stallthier. Alle Bewegungen des Wildſchweins ſind raſch und ungeſtüm, wenn auch etwas plump und ungeſchickt. Der Lauf iſt ziemlich raſch und richtet ſich am liebſten geradeaus; namentlich der Keuler liebt es nicht, ſcharfe Wendungen auszuführen. Bewunderungswürdig iſt die Art und Weiſe, wie die Wildſchweine ein geradezu undurchdringlich ſcheinendes Dickicht durchbrechen. Jhr ſpitzer Kopf und der ſchmale Leib ſcheint ganz dazu zu paſſen, ſich mit Gewalt durch die Dickung, welche anderen Ge- ſchöpfen geradezu undurchdringlich iſt, einen Weg zu bahnen. Das ſchmale Gebreche ſchiebt ſich hinein, der Leib muß dann folgen, und ſo geht’s weiter mit Blitzesſchnelle. Jn den Rohr- waldungen der egyptiſchen Strandſeen oder in den Zuckerrohrfeldern Mittelegyptens habe ich die Wildſchweine oft dahin wandeln ſehen. Sie trollten mit derſelben Geſchwindigkeit durch die dichteſten Stellen, als wenn ſie auf dem ſchönſten geebneten Pfade dahingehen ſollten. Auch im Sumpf und im See ſelbſt verſtehen ſie ſich vortrefflich zu bewegen. Sie ſchwimmen ausgezeichnet ſelbſt über ſehr breite Waſſerflächen; ja — von unſerem Hausſchwein wenigſtens hat man Dies beobachtet — ſie ſetzen unter Umſtänden noch von einer Jnſel im Meere zur anderen über. Bei dem Schwimmen kommt dem Schwein ſein Leibesbau ebenfalls gut zu ſtatten. Der fiſchähnliche Leib mit dem vielen Fett hält ſich ohne weiteres im Waſſer ſchwebend, und ſo genügt eine geringe Bewegung der immer- hin noch hinlänglich breiten Schalen, um das Thier raſch vorwärts zu treiben. Man hat beobachtet, daß Schweine eine deutſche Meile weit mit Leichtigkeit ſchwimmen. Alle Wildſchweine ſind vorſichtig und aufmerkſam, obwohl nicht gerade ſcheu, weil ſie auf ihre eigene Kraft und ihre furchtbare Waſſe vertrauen können. Sie vernehmen und wittern ſehr ſcharf, äugen aber ſehr ſchlecht, wie man bei der Jagd vielfach zu bemerken Gelegenheit hatte. Keine andere Wildart kommt auf den anſtehenden Jäger, wenn er ſich halbwegs ruhig verhält und unter dem Winde ſteht, ſo weit heran, als das Wildſchwein; und keinem anderen größeren Thiere kann man ſich, wenn es ruht, ſo weit nähern. Jn Egypten iſt es mehrere Mal vorgekommen, daß ich beim Beſchleichen von Sumpf- und Waſſervögeln bis auf fünf Schritte an Wildſchweine kam, welche dann erſt meine Ankunft zu bemerken ſchienen, freilich zu ihrer Rettung zu ſpät; denn dort, wo es freie Jagd gibt, kann es wohl kein Jäger über’s Herz bringen, einen ſchönen, ſtarken Eber vor ſich lau- fen oder liegen zu ſehen, ohne die ſichere Büchſe an ihm zu proben. Der Geſchmack unſeres Thieres kann nicht ſchlecht genannt werden: denn wenn das Schwein viel Fraß hat, gibt es immer dem beſten den Vorzug. Empfindung iſt ihm auch nicht abzuſprechen. Sein geiſtiges Weſen iſt übrigens nicht ſo ſtumpf, als man gewöhnlich annimmt. Es zeigt immerhin einen gewiſſen Grad von Verſtand. Jm Ganzen iſt es ſehr gutmüthig. Ungereizt thut ſelbſt das ſtärkſte Schwein keinem Menſchen Et- was zu Leide; nur dem Hunde, ſeinem bitterſten Feinde, widerſetzt es ſich und verſucht, ihm ge- fährlich zu werden. Aber alle Sauen und namentlich die groben Schweine vertragen keine Beleidi- gung, nicht einmal eine Neckerei. Wenn der Menſch ſeinen Gang ruhig fortſetzt, bekümmert ſich das Wildſchwein gar nicht um ihn oder entfernt ſich flüchtig: reizt man das Thier aber, ſo nimmt es auch den bewaffneten Mann ohne weiteres an, und in der Wuth geht es wie blind auf ſeinen Feind los. Dietrich aus dem Winckell erzählt, daß er als unerfahrner Jüngling einem Schweine, welches ſonſt ein ganz gemüthlicher Burſch war, im Vorbeireiten mit ſeiner Peitſche Eins verſetzte, dann aber reiten mußte, was er konnte, um ihm zu entkommen. „Vor verwundeten Sauen,‟ ſagt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/772
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 730. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/772>, abgerufen am 23.11.2024.