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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Vielhufer oder Dickhäuter. -- Die Elefanten.
falls sie sich bösartig zeigen, Rogues genannt. Sie sind vorzugsweise gefürchtet. Während die
Herde ruhig und still ihres Weges geht, dem Menschen immer ausweicht und nur im äußersten Noth-
fall sich an ihm vergreift; während sie sogar sein Besitzthum achtet, kennen die Rogues derartige
Rücksichten nicht: das einsame, unnatürliche Leben hat sie erbittert und wüthend gemacht. Auf sie
werden in Jndien besondere Jagden angestellt, und Niemand hat mit einem Rogues Mitleiden; man
mag ihn nicht einmal in der Gefangenschaft haben. Die Jndier, welche wir unbedingt als die größ-
ten Elefantenkenner betrachten müssen, versichern, daß jede Familie sich durch ihre Aehnlichkeit aus-
zeichnet, und die Engländer bestätigen, daß manche Jndier Familienangehörige einer Herde mit aller
Sicherheit erkennen, die Familie mag zerstreut sein, wie sie will. "Jn einer Herde von einundzwan-
zig Elefanten," sagt Tennent, "welche 1844 gefangen wurden, zeigten die Rüssel von allen die-
selbe eigenthümliche Gestaltung. Sie waren lang und von derselben Dicke, anstatt sich nach der
Spitze hin zu verdünnen. Jn einer anderen Herde von fünfunddreißig Stück zeigten alle dieselbe
Stellung der Augen, dieselbe Wölbung des Rückens, dieselbe Bildung des Vorderkopfes." Die Jn-
dier wissen, daß die Zahl einer Herde sich immer, abgesehen von der natürlichen Vermehrung, gleich
bleibt, wenn nicht besondere Unglücksfälle sie heimsuchen, und Jäger, welche den edlen Thieren
nachstellten, haben durch Jahre hindurch immer nur so viele von der Herde gefunden, als ihren tödt-
lichen Geschossen entronnen waren. Jn allen Herden überwiegen die Weibchen entschieden; in man-
chen gibt es gar keine männlichen Elefanten, wahrscheinlich, weil sie der größeren Zähne wegen den
Nachstellungen bereits zum Opfer gefallen waren. Durchschnittlich kann man annehmen, daß auf
einen männlichen sechs bis acht weibliche Elefanten kommen.

Der klügste Elefant pflegt der Herde vorzustehen. Er kann männlichen oder weiblichen Ge-
schlechts sein, je nach den Umständen. Sein Amt ist, die Herde zu führen, auf alle Gefahren zu
achten, die Gegend zu untersuchen, kurz für die Sicherheit derselben beständig Sorge zu tragen. Alle
wilden Elefanten sind, wie bemerkt, im höchsten Grade scheu und vorsichtig; der Leitelefant aber
zeigt diese Eigenschaften gleichsam verzehnfacht. Sein Amt ist ein sehr mühevolles: er ist so zu sagen
ununterbrochen in Thätigkeit. Aber dafür lohnt ihn auch der unbedingteste Gehorsam seiner Unter-
gebenen. Widerspruch gegen seine Anordnungen kommt niemals vor; er geht voran, und alle übri-
gen folgen ihm rücksichtslos nach und sei es in das Verderben. "Jn der Höhe der dürren Jahreszeit",
erzählt Major Skinner, "trocknen bekanntlich alle Ströme aus und die Teiche und Lachen ebenso.
Die indischen Thiere leiden dann große Noth, des Wassers wegen, und sammeln sich massenhaft um die-
jenigen Teiche und Tümpel, welche das ihnen so nothwendige Element am längsten behalten. Jn der
Nähe eines solchen Teiches hatte ich einmal Gelegenheit, die erstaunliche Vorsicht der Elefanten zu
beobachten. An der einen Seite des Pfuhles und hart an seinem Ufer begann ein dichter Urwald,
auf der anderen umgab ihn offenes Land. Es war eine jener prachtvollen, klaren Mondlichtnächte,
die fast ebenso hell sind, als unser nordischer Tag, in welcher ich beschloß, die Elefanten zu beobach-
ten. Die Oertlichkeit war meinem Zweck günstig. Ein gewaltiger Baum, dessen Zweige über den
Teich weg hingen, bot mir ein sicheres Unterkommen in seiner Höhe. Jch begab mich bei Zeiten an
meinen Platz und achtete mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf Alles, was vorging. Die Ele-
fanten waren keine fünfhundert Schritte von mir entfernt; aber doch mußte ich zwei volle Stunden
warten, bevor ich einen von ihnen zu sehen bekam. Endlich schlüpfte, etwa dreihundert Schritt vom
Teiche entfernt, ein großer Elefant aus dem dunkelen Wald, ging mit höchster Vorsicht beiläufig
zweihundert Schritte vor und stand dann still, um zu lauschen. Er war so ruhig gekommen, daß
nicht das leiseste Geräusch gehört werden konnte, und er blieb mehrere Minuten stehen, bewegungs-
los, wie ein Felsblock. Dann erst rückte er in drei Absätzen weiter und weiter vor, zwischen jedem
Vorrücken mehrere Minuten lang anhaltend und die mächtigen Ohren nach vorwärts öffnend, um
auch das leiseste Geräusch aufzufangen. So bewegte er sich langsam bis an das Wasserbecken. Er
dachte nicht daran, seinen Durst zu löschen, obgleich er dem Wasser so nahe stand, daß seine gewaltige
Gestalt sich in ihm wieder spiegelte. Minutenlang verweilte er lauschend, ohne ein Glied zu rühren.

Die Vielhufer oder Dickhäuter. — Die Elefanten.
falls ſie ſich bösartig zeigen, Rogues genannt. Sie ſind vorzugsweiſe gefürchtet. Während die
Herde ruhig und ſtill ihres Weges geht, dem Menſchen immer ausweicht und nur im äußerſten Noth-
fall ſich an ihm vergreift; während ſie ſogar ſein Beſitzthum achtet, kennen die Rogues derartige
Rückſichten nicht: das einſame, unnatürliche Leben hat ſie erbittert und wüthend gemacht. Auf ſie
werden in Jndien beſondere Jagden angeſtellt, und Niemand hat mit einem Rogues Mitleiden; man
mag ihn nicht einmal in der Gefangenſchaft haben. Die Jndier, welche wir unbedingt als die größ-
ten Elefantenkenner betrachten müſſen, verſichern, daß jede Familie ſich durch ihre Aehnlichkeit aus-
zeichnet, und die Engländer beſtätigen, daß manche Jndier Familienangehörige einer Herde mit aller
Sicherheit erkennen, die Familie mag zerſtreut ſein, wie ſie will. „Jn einer Herde von einundzwan-
zig Elefanten,‟ ſagt Tennent, „welche 1844 gefangen wurden, zeigten die Rüſſel von allen die-
ſelbe eigenthümliche Geſtaltung. Sie waren lang und von derſelben Dicke, anſtatt ſich nach der
Spitze hin zu verdünnen. Jn einer anderen Herde von fünfunddreißig Stück zeigten alle dieſelbe
Stellung der Augen, dieſelbe Wölbung des Rückens, dieſelbe Bildung des Vorderkopfes.‟ Die Jn-
dier wiſſen, daß die Zahl einer Herde ſich immer, abgeſehen von der natürlichen Vermehrung, gleich
bleibt, wenn nicht beſondere Unglücksfälle ſie heimſuchen, und Jäger, welche den edlen Thieren
nachſtellten, haben durch Jahre hindurch immer nur ſo viele von der Herde gefunden, als ihren tödt-
lichen Geſchoſſen entronnen waren. Jn allen Herden überwiegen die Weibchen entſchieden; in man-
chen gibt es gar keine männlichen Elefanten, wahrſcheinlich, weil ſie der größeren Zähne wegen den
Nachſtellungen bereits zum Opfer gefallen waren. Durchſchnittlich kann man annehmen, daß auf
einen männlichen ſechs bis acht weibliche Elefanten kommen.

Der klügſte Elefant pflegt der Herde vorzuſtehen. Er kann männlichen oder weiblichen Ge-
ſchlechts ſein, je nach den Umſtänden. Sein Amt iſt, die Herde zu führen, auf alle Gefahren zu
achten, die Gegend zu unterſuchen, kurz für die Sicherheit derſelben beſtändig Sorge zu tragen. Alle
wilden Elefanten ſind, wie bemerkt, im höchſten Grade ſcheu und vorſichtig; der Leitelefant aber
zeigt dieſe Eigenſchaften gleichſam verzehnfacht. Sein Amt iſt ein ſehr mühevolles: er iſt ſo zu ſagen
ununterbrochen in Thätigkeit. Aber dafür lohnt ihn auch der unbedingteſte Gehorſam ſeiner Unter-
gebenen. Widerſpruch gegen ſeine Anordnungen kommt niemals vor; er geht voran, und alle übri-
gen folgen ihm rückſichtslos nach und ſei es in das Verderben. „Jn der Höhe der dürren Jahreszeit‟,
erzählt Major Skinner, „trocknen bekanntlich alle Ströme aus und die Teiche und Lachen ebenſo.
Die indiſchen Thiere leiden dann große Noth, des Waſſers wegen, und ſammeln ſich maſſenhaft um die-
jenigen Teiche und Tümpel, welche das ihnen ſo nothwendige Element am längſten behalten. Jn der
Nähe eines ſolchen Teiches hatte ich einmal Gelegenheit, die erſtaunliche Vorſicht der Elefanten zu
beobachten. An der einen Seite des Pfuhles und hart an ſeinem Ufer begann ein dichter Urwald,
auf der anderen umgab ihn offenes Land. Es war eine jener prachtvollen, klaren Mondlichtnächte,
die faſt ebenſo hell ſind, als unſer nordiſcher Tag, in welcher ich beſchloß, die Elefanten zu beobach-
ten. Die Oertlichkeit war meinem Zweck günſtig. Ein gewaltiger Baum, deſſen Zweige über den
Teich weg hingen, bot mir ein ſicheres Unterkommen in ſeiner Höhe. Jch begab mich bei Zeiten an
meinen Platz und achtete mit der geſpannteſten Aufmerkſamkeit auf Alles, was vorging. Die Ele-
fanten waren keine fünfhundert Schritte von mir entfernt; aber doch mußte ich zwei volle Stunden
warten, bevor ich einen von ihnen zu ſehen bekam. Endlich ſchlüpfte, etwa dreihundert Schritt vom
Teiche entfernt, ein großer Elefant aus dem dunkelen Wald, ging mit höchſter Vorſicht beiläufig
zweihundert Schritte vor und ſtand dann ſtill, um zu lauſchen. Er war ſo ruhig gekommen, daß
nicht das leiſeſte Geräuſch gehört werden konnte, und er blieb mehrere Minuten ſtehen, bewegungs-
los, wie ein Felsblock. Dann erſt rückte er in drei Abſätzen weiter und weiter vor, zwiſchen jedem
Vorrücken mehrere Minuten lang anhaltend und die mächtigen Ohren nach vorwärts öffnend, um
auch das leiſeſte Geräuſch aufzufangen. So bewegte er ſich langſam bis an das Waſſerbecken. Er
dachte nicht daran, ſeinen Durſt zu löſchen, obgleich er dem Waſſer ſo nahe ſtand, daß ſeine gewaltige
Geſtalt ſich in ihm wieder ſpiegelte. Minutenlang verweilte er lauſchend, ohne ein Glied zu rühren.

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[694/0730] Die Vielhufer oder Dickhäuter. — Die Elefanten. falls ſie ſich bösartig zeigen, Rogues genannt. Sie ſind vorzugsweiſe gefürchtet. Während die Herde ruhig und ſtill ihres Weges geht, dem Menſchen immer ausweicht und nur im äußerſten Noth- fall ſich an ihm vergreift; während ſie ſogar ſein Beſitzthum achtet, kennen die Rogues derartige Rückſichten nicht: das einſame, unnatürliche Leben hat ſie erbittert und wüthend gemacht. Auf ſie werden in Jndien beſondere Jagden angeſtellt, und Niemand hat mit einem Rogues Mitleiden; man mag ihn nicht einmal in der Gefangenſchaft haben. Die Jndier, welche wir unbedingt als die größ- ten Elefantenkenner betrachten müſſen, verſichern, daß jede Familie ſich durch ihre Aehnlichkeit aus- zeichnet, und die Engländer beſtätigen, daß manche Jndier Familienangehörige einer Herde mit aller Sicherheit erkennen, die Familie mag zerſtreut ſein, wie ſie will. „Jn einer Herde von einundzwan- zig Elefanten,‟ ſagt Tennent, „welche 1844 gefangen wurden, zeigten die Rüſſel von allen die- ſelbe eigenthümliche Geſtaltung. Sie waren lang und von derſelben Dicke, anſtatt ſich nach der Spitze hin zu verdünnen. Jn einer anderen Herde von fünfunddreißig Stück zeigten alle dieſelbe Stellung der Augen, dieſelbe Wölbung des Rückens, dieſelbe Bildung des Vorderkopfes.‟ Die Jn- dier wiſſen, daß die Zahl einer Herde ſich immer, abgeſehen von der natürlichen Vermehrung, gleich bleibt, wenn nicht beſondere Unglücksfälle ſie heimſuchen, und Jäger, welche den edlen Thieren nachſtellten, haben durch Jahre hindurch immer nur ſo viele von der Herde gefunden, als ihren tödt- lichen Geſchoſſen entronnen waren. Jn allen Herden überwiegen die Weibchen entſchieden; in man- chen gibt es gar keine männlichen Elefanten, wahrſcheinlich, weil ſie der größeren Zähne wegen den Nachſtellungen bereits zum Opfer gefallen waren. Durchſchnittlich kann man annehmen, daß auf einen männlichen ſechs bis acht weibliche Elefanten kommen. Der klügſte Elefant pflegt der Herde vorzuſtehen. Er kann männlichen oder weiblichen Ge- ſchlechts ſein, je nach den Umſtänden. Sein Amt iſt, die Herde zu führen, auf alle Gefahren zu achten, die Gegend zu unterſuchen, kurz für die Sicherheit derſelben beſtändig Sorge zu tragen. Alle wilden Elefanten ſind, wie bemerkt, im höchſten Grade ſcheu und vorſichtig; der Leitelefant aber zeigt dieſe Eigenſchaften gleichſam verzehnfacht. Sein Amt iſt ein ſehr mühevolles: er iſt ſo zu ſagen ununterbrochen in Thätigkeit. Aber dafür lohnt ihn auch der unbedingteſte Gehorſam ſeiner Unter- gebenen. Widerſpruch gegen ſeine Anordnungen kommt niemals vor; er geht voran, und alle übri- gen folgen ihm rückſichtslos nach und ſei es in das Verderben. „Jn der Höhe der dürren Jahreszeit‟, erzählt Major Skinner, „trocknen bekanntlich alle Ströme aus und die Teiche und Lachen ebenſo. Die indiſchen Thiere leiden dann große Noth, des Waſſers wegen, und ſammeln ſich maſſenhaft um die- jenigen Teiche und Tümpel, welche das ihnen ſo nothwendige Element am längſten behalten. Jn der Nähe eines ſolchen Teiches hatte ich einmal Gelegenheit, die erſtaunliche Vorſicht der Elefanten zu beobachten. An der einen Seite des Pfuhles und hart an ſeinem Ufer begann ein dichter Urwald, auf der anderen umgab ihn offenes Land. Es war eine jener prachtvollen, klaren Mondlichtnächte, die faſt ebenſo hell ſind, als unſer nordiſcher Tag, in welcher ich beſchloß, die Elefanten zu beobach- ten. Die Oertlichkeit war meinem Zweck günſtig. Ein gewaltiger Baum, deſſen Zweige über den Teich weg hingen, bot mir ein ſicheres Unterkommen in ſeiner Höhe. Jch begab mich bei Zeiten an meinen Platz und achtete mit der geſpannteſten Aufmerkſamkeit auf Alles, was vorging. Die Ele- fanten waren keine fünfhundert Schritte von mir entfernt; aber doch mußte ich zwei volle Stunden warten, bevor ich einen von ihnen zu ſehen bekam. Endlich ſchlüpfte, etwa dreihundert Schritt vom Teiche entfernt, ein großer Elefant aus dem dunkelen Wald, ging mit höchſter Vorſicht beiläufig zweihundert Schritte vor und ſtand dann ſtill, um zu lauſchen. Er war ſo ruhig gekommen, daß nicht das leiſeſte Geräuſch gehört werden konnte, und er blieb mehrere Minuten ſtehen, bewegungs- los, wie ein Felsblock. Dann erſt rückte er in drei Abſätzen weiter und weiter vor, zwiſchen jedem Vorrücken mehrere Minuten lang anhaltend und die mächtigen Ohren nach vorwärts öffnend, um auch das leiſeſte Geräuſch aufzufangen. So bewegte er ſich langſam bis an das Waſſerbecken. Er dachte nicht daran, ſeinen Durſt zu löſchen, obgleich er dem Waſſer ſo nahe ſtand, daß ſeine gewaltige Geſtalt ſich in ihm wieder ſpiegelte. Minutenlang verweilte er lauſchend, ohne ein Glied zu rühren.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 694. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/730>, abgerufen am 23.11.2024.