Es ist auffallend, daß schon die ersten Beschreiber der neuen Welt Nachricht über dieses Thier er- hielten. Der Spanier Gomara, einer der ersten Geschichtsschreiber des 16. Jahrhunderts, sagt aus- drücklich, daß im Reiche Guivira, einem Lande, das man sich nördlich von Mejiko dachte, "lang- haarige Schafe von der Größe eines Pferdes leben, welche sehr kurze Schwänze, aber erstaunlich große Hörner tragen." Man kann nicht wohl annehmen, daß mit diesen Worten ein anderes Thier, als unser Bisamochse gemeint sei, begreift aber nicht, in welcher Weise die Eroberer Mejikos Kunde von ihm bekommen konnten, da er doch nach allen sichern Beobachtern niemals südlich des 61. Grades nördlicher Breite gefunden worden ist. Aus dieser einen Angabe sieht man aber wiederum, wie hoch die Bildung der alten Mejikaner gewesen sein muß, weil nur sie es sein konnten, welche die Spanier auf ein solches Geschöpf aufmerksam machten.
Hearne, Richardson, Parry und Franklin haben uns einigermaßen mit dem Leben des Bisamochsen bekannt gemacht. Er bewohnt nach ihren Berichten jene traurigen Mossteppen,
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Der Bisam- oder Moschusochse (Ovibos moschatus).
welche in der alten Welt und namentlich in Sibirien mit dem Namen "Tundra" belegt werden, im ganzen aber rund um die Erde herum dasselbe Gepräge tragen. Diese Steppen sind eigentlich nichts Anderes, als ungeheure Moräste mit unzählbaren kleinen Seen und Teichen und größeren und klei- neren Flüssen, unterbrochen von einzelnen niederen ausdrucklosen Hügelreihen. Sie sind die Heimat mehrerer Wühlmäuse und des Renthieres, des Wolfes und des Eisfuchses, des Viel- fraßes und einiger Marderarten, werden aber sonst von anderen Geschöpfen möglichst gemieden. Jhre Unwirthlichkeit und Oede, ihre Armuth und die Qual, welche die Milliarden von Mücken, die im Sommer hier lebendig werden, allen Thieren bereiten, treiben diese beständig von einem Ort zum an- deren. Hier lebt der Bisamochse in Herden von 20 bis 25 Stück, und zwar vorzugsweise auf inselgleich zu Tage tretenden Felsenhügeln oder im Gebirg selbst. Sein auffallend dichtes Wollkleid schützt ihn vollkommen gegen die Rauhheit seiner Heimat, in ihm kann er noch in Grönland und auf der Melvilleinsel leben und gedeihen. Oft sieht man ganze Züge über das Eis gehen, um sich nach
Die Rinder. — Der Biſam- oder Moſchusochſe.
Es iſt auffallend, daß ſchon die erſten Beſchreiber der neuen Welt Nachricht über dieſes Thier er- hielten. Der Spanier Gomara, einer der erſten Geſchichtsſchreiber des 16. Jahrhunderts, ſagt aus- drücklich, daß im Reiche Guivira, einem Lande, das man ſich nördlich von Mejiko dachte, „lang- haarige Schafe von der Größe eines Pferdes leben, welche ſehr kurze Schwänze, aber erſtaunlich große Hörner tragen.‟ Man kann nicht wohl annehmen, daß mit dieſen Worten ein anderes Thier, als unſer Biſamochſe gemeint ſei, begreift aber nicht, in welcher Weiſe die Eroberer Mejikos Kunde von ihm bekommen konnten, da er doch nach allen ſichern Beobachtern niemals ſüdlich des 61. Grades nördlicher Breite gefunden worden iſt. Aus dieſer einen Angabe ſieht man aber wiederum, wie hoch die Bildung der alten Mejikaner geweſen ſein muß, weil nur ſie es ſein konnten, welche die Spanier auf ein ſolches Geſchöpf aufmerkſam machten.
Hearne, Richardſon, Parry und Franklin haben uns einigermaßen mit dem Leben des Biſamochſen bekannt gemacht. Er bewohnt nach ihren Berichten jene traurigen Mosſteppen,
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Der Biſam- oder Moſchusochſe (Ovibos moschatus).
welche in der alten Welt und namentlich in Sibirien mit dem Namen „Tundra‟ belegt werden, im ganzen aber rund um die Erde herum daſſelbe Gepräge tragen. Dieſe Steppen ſind eigentlich nichts Anderes, als ungeheure Moräſte mit unzählbaren kleinen Seen und Teichen und größeren und klei- neren Flüſſen, unterbrochen von einzelnen niederen ausdruckloſen Hügelreihen. Sie ſind die Heimat mehrerer Wühlmäuſe und des Renthieres, des Wolfes und des Eisfuchſes, des Viel- fraßes und einiger Marderarten, werden aber ſonſt von anderen Geſchöpfen möglichſt gemieden. Jhre Unwirthlichkeit und Oede, ihre Armuth und die Qual, welche die Milliarden von Mücken, die im Sommer hier lebendig werden, allen Thieren bereiten, treiben dieſe beſtändig von einem Ort zum an- deren. Hier lebt der Biſamochſe in Herden von 20 bis 25 Stück, und zwar vorzugsweiſe auf inſelgleich zu Tage tretenden Felſenhügeln oder im Gebirg ſelbſt. Sein auffallend dichtes Wollkleid ſchützt ihn vollkommen gegen die Rauhheit ſeiner Heimat, in ihm kann er noch in Grönland und auf der Melvilleinſel leben und gedeihen. Oft ſieht man ganze Züge über das Eis gehen, um ſich nach
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Die Rinder. — Der Biſam- oder Moſchusochſe.
Es iſt auffallend, daß ſchon die erſten Beſchreiber der neuen Welt Nachricht über dieſes Thier er-
hielten. Der Spanier Gomara, einer der erſten Geſchichtsſchreiber des 16. Jahrhunderts, ſagt aus-
drücklich, daß im Reiche Guivira, einem Lande, das man ſich nördlich von Mejiko dachte, „lang-
haarige Schafe von der Größe eines Pferdes leben, welche ſehr kurze Schwänze, aber erſtaunlich große
Hörner tragen.‟ Man kann nicht wohl annehmen, daß mit dieſen Worten ein anderes Thier, als
unſer Biſamochſe gemeint ſei, begreift aber nicht, in welcher Weiſe die Eroberer Mejikos Kunde von
ihm bekommen konnten, da er doch nach allen ſichern Beobachtern niemals ſüdlich des 61. Grades
nördlicher Breite gefunden worden iſt. Aus dieſer einen Angabe ſieht man aber wiederum, wie hoch
die Bildung der alten Mejikaner geweſen ſein muß, weil nur ſie es ſein konnten, welche die Spanier
auf ein ſolches Geſchöpf aufmerkſam machten.
Hearne, Richardſon, Parry und Franklin haben uns einigermaßen mit dem Leben
des Biſamochſen bekannt gemacht. Er bewohnt nach ihren Berichten jene traurigen Mosſteppen,
[Abbildung Der Biſam- oder Moſchusochſe (Ovibos moschatus).]
welche in der alten Welt und namentlich in Sibirien mit dem Namen „Tundra‟ belegt werden, im
ganzen aber rund um die Erde herum daſſelbe Gepräge tragen. Dieſe Steppen ſind eigentlich nichts
Anderes, als ungeheure Moräſte mit unzählbaren kleinen Seen und Teichen und größeren und klei-
neren Flüſſen, unterbrochen von einzelnen niederen ausdruckloſen Hügelreihen. Sie ſind die Heimat
mehrerer Wühlmäuſe und des Renthieres, des Wolfes und des Eisfuchſes, des Viel-
fraßes und einiger Marderarten, werden aber ſonſt von anderen Geſchöpfen möglichſt gemieden.
Jhre Unwirthlichkeit und Oede, ihre Armuth und die Qual, welche die Milliarden von Mücken, die
im Sommer hier lebendig werden, allen Thieren bereiten, treiben dieſe beſtändig von einem Ort zum an-
deren. Hier lebt der Biſamochſe in Herden von 20 bis 25 Stück, und zwar vorzugsweiſe auf inſelgleich
zu Tage tretenden Felſenhügeln oder im Gebirg ſelbſt. Sein auffallend dichtes Wollkleid ſchützt ihn
vollkommen gegen die Rauhheit ſeiner Heimat, in ihm kann er noch in Grönland und auf der
Melvilleinſel leben und gedeihen. Oft ſieht man ganze Züge über das Eis gehen, um ſich nach
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/650>, abgerufen am 23.11.2024.
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