ist an den Seiten röthlichgrau, auf der Stirn braunschwarz, vor den Augen und an der Wurzel des Nasenrückens dunkelschwarzbraun, wie das Kinn und der Kehlbart.
Ein ziemlich ausgedehnter Landstrich von West- und Mittelasien ist die Heimat der Bezoarziege. Sie findet sich auf der Südseite des Kaukasus, in Armenien, Persien, im Taurus und, falls Dies be- gründet ist, auch auf den Jnseln Skorpades oder Skorpando und Kandia oder Kreta, an manchen Orten recht häufig. Sie liebt die Gipfel der Gebirge; die Nähe des ewigen Schnees und die Gletscher behagen ihr ebenso sehr wie dem Steinbocke. Wie alle ihre Verwandten gesellig, lebt sie dort in klei- nen Rudeln von 10 bis 20 Stück und darüber, welche von einem alten erfahrenen Bock geführt wer- den. Jüngere Böcke schlagen sich wohl auch zu Gesellschaften von 3 bis 6 Stück zusammen, alte, mürrische, rauflustige werden von den übrigen starken und kampffähigen Männchen der Herde abgeschlagen.
Jn ihrem Wesen erinnert die Bezoarziege an den Steinbock. Sie läuft rasch und sorglos auf schwierigen Wegen dahin, steht oft stundenlang, schwindelfrei in die ungeheueren Abgründe schauend, auf vorspringenden Felszacken, klettert vortrefflich und wagt gefährliche Sätze mit großem Muth und Geschick. Sie ist außerordentlich scheu und weiß den meisten Gefahren zu entgehen. Jhre Sinne sind vortrefflich entwickelt: sie wittert auf ungeheuere Entfernungen hin und vernimmt auch das leiseste Ge- räusch. Saftige Alpenpflanzen bieten ihr eine kräftige Nahrung und die Gebirgswälder in den Blät- tern ihrer Bäume eine sehr beliebte Leckerei. Frühzeitig des Morgens steigt sie vom Walde, in welchem sie die Nacht verbrachte, nach den Höhen empor, weidet in unmittelbarer Nähe der Gletscher und kehrt abends nach den Wäldern zurück.
Der November soll die Zeit der Paarung sein. Der Wurf erfolgt im April. Die Ziege setzt zwei, seltener nur ein Junges, welches der Mutter schon in den ersten Stunden seines Lebens auf allen ihren Wanderungen folgt, rasch und lustig aufwächst und wie alle Ziegen zu Scherz und Spiel geneigt ist. Gelingt es, ein solches Junge einzufangen, so wird es bald zahm, zumal wenn man es unter andere Ziegenherden bringt. Bald gewöhnt es sich an die neue Kameradschaft, geht mit den Pflegeschwestern auf die Weide, kehrt abends in den Stall zurück und befreundet sich zuletzt so mit den gezähmten Verwandten, daß es ohne besondere Umstände in die innigsten Verhältnisse mit ihnen tritt.
Ein noch heute vielfach verbreiteter, obschon widerlegter Aberglaube ist die Ursache, daß man den munteren Gebirgskindern eifrigst nachstellt. Bereits seit uralten Zeiten maßten sich die Fürsten das Vorrecht an, den Bezoarziegenhandel in ihre Hände zu nehmen. Schon der alte Bontius weiß, daß alle, diesen Wunderkugeln zugeschriebenen Kräfte nicht eben einen besonderen Werth haben und Rumpf erzählt, daß die Jndianer den Europäer auslachen, welcher behauptet, Bezoarkugeln im Magen wilder Ziegen gefunden zu haben, weil sie ihrerseits wissen wollen, daß die gesuchte Arznei aus den Magen -- der Affen käme. Man sieht hieraus, daß alle Bezoarkugeln überhaupt benutzt werden, nicht blos die unserer Ziegen, sondern auch die, welche man bei anderen Wiederkäuern gefunden hat. So ist es z. B. gewiß, daß viele Steine von Borneo kommen, wo es keine Ziegen gibt. Gleichwohl wird dieses leidige Quacksalbermittel noch heutigen Tages in ganz Jndien und Persien hoch bezahlt und fordert deshalb unternehmende Jäger immer zu neuen Vertilgungszügen gegen die Bezoar- ziegen auf.
Die Jagd ist nicht eben eine leichte Sache, weil sie nur im höheren Gebirge stattfinden kann und die Ziege dieselbe auch dort noch oft genug zu vereiteln weiß. Es gilt also, alle die Listen und Kunstgriffe anzuwenden, welche bei der Steinbockjagd nothwendig sind. Kämpfer, welcher im Jahre 1686 einer Jagd auf Bezoarziegen beiwohnte, erzählt, daß man erst sechs Stunden auf den schlimmsten Wegen des Gebirges Benna in Persien klettern mußte, ehe man nur in das eigentliche Gebiet der Ziegen gelangte. Dort gab es aber eine große Menge. Am ersten Tage bekam man
37 *
Die Bezoarziege.
iſt an den Seiten röthlichgrau, auf der Stirn braunſchwarz, vor den Augen und an der Wurzel des Naſenrückens dunkelſchwarzbraun, wie das Kinn und der Kehlbart.
Ein ziemlich ausgedehnter Landſtrich von Weſt- und Mittelaſien iſt die Heimat der Bezoarziege. Sie findet ſich auf der Südſeite des Kaukaſus, in Armenien, Perſien, im Taurus und, falls Dies be- gründet iſt, auch auf den Jnſeln Skorpades oder Skorpando und Kandia oder Kreta, an manchen Orten recht häufig. Sie liebt die Gipfel der Gebirge; die Nähe des ewigen Schnees und die Gletſcher behagen ihr ebenſo ſehr wie dem Steinbocke. Wie alle ihre Verwandten geſellig, lebt ſie dort in klei- nen Rudeln von 10 bis 20 Stück und darüber, welche von einem alten erfahrenen Bock geführt wer- den. Jüngere Böcke ſchlagen ſich wohl auch zu Geſellſchaften von 3 bis 6 Stück zuſammen, alte, mürriſche, raufluſtige werden von den übrigen ſtarken und kampffähigen Männchen der Herde abgeſchlagen.
Jn ihrem Weſen erinnert die Bezoarziege an den Steinbock. Sie läuft raſch und ſorglos auf ſchwierigen Wegen dahin, ſteht oft ſtundenlang, ſchwindelfrei in die ungeheueren Abgründe ſchauend, auf vorſpringenden Felszacken, klettert vortrefflich und wagt gefährliche Sätze mit großem Muth und Geſchick. Sie iſt außerordentlich ſcheu und weiß den meiſten Gefahren zu entgehen. Jhre Sinne ſind vortrefflich entwickelt: ſie wittert auf ungeheuere Entfernungen hin und vernimmt auch das leiſeſte Ge- räuſch. Saftige Alpenpflanzen bieten ihr eine kräftige Nahrung und die Gebirgswälder in den Blät- tern ihrer Bäume eine ſehr beliebte Leckerei. Frühzeitig des Morgens ſteigt ſie vom Walde, in welchem ſie die Nacht verbrachte, nach den Höhen empor, weidet in unmittelbarer Nähe der Gletſcher und kehrt abends nach den Wäldern zurück.
Der November ſoll die Zeit der Paarung ſein. Der Wurf erfolgt im April. Die Ziege ſetzt zwei, ſeltener nur ein Junges, welches der Mutter ſchon in den erſten Stunden ſeines Lebens auf allen ihren Wanderungen folgt, raſch und luſtig aufwächſt und wie alle Ziegen zu Scherz und Spiel geneigt iſt. Gelingt es, ein ſolches Junge einzufangen, ſo wird es bald zahm, zumal wenn man es unter andere Ziegenherden bringt. Bald gewöhnt es ſich an die neue Kameradſchaft, geht mit den Pflegeſchweſtern auf die Weide, kehrt abends in den Stall zurück und befreundet ſich zuletzt ſo mit den gezähmten Verwandten, daß es ohne beſondere Umſtände in die innigſten Verhältniſſe mit ihnen tritt.
Ein noch heute vielfach verbreiteter, obſchon widerlegter Aberglaube iſt die Urſache, daß man den munteren Gebirgskindern eifrigſt nachſtellt. Bereits ſeit uralten Zeiten maßten ſich die Fürſten das Vorrecht an, den Bezoarziegenhandel in ihre Hände zu nehmen. Schon der alte Bontius weiß, daß alle, dieſen Wunderkugeln zugeſchriebenen Kräfte nicht eben einen beſonderen Werth haben und Rumpf erzählt, daß die Jndianer den Europäer auslachen, welcher behauptet, Bezoarkugeln im Magen wilder Ziegen gefunden zu haben, weil ſie ihrerſeits wiſſen wollen, daß die geſuchte Arznei aus den Magen — der Affen käme. Man ſieht hieraus, daß alle Bezoarkugeln überhaupt benutzt werden, nicht blos die unſerer Ziegen, ſondern auch die, welche man bei anderen Wiederkäuern gefunden hat. So iſt es z. B. gewiß, daß viele Steine von Borneo kommen, wo es keine Ziegen gibt. Gleichwohl wird dieſes leidige Quackſalbermittel noch heutigen Tages in ganz Jndien und Perſien hoch bezahlt und fordert deshalb unternehmende Jäger immer zu neuen Vertilgungszügen gegen die Bezoar- ziegen auf.
Die Jagd iſt nicht eben eine leichte Sache, weil ſie nur im höheren Gebirge ſtattfinden kann und die Ziege dieſelbe auch dort noch oft genug zu vereiteln weiß. Es gilt alſo, alle die Liſten und Kunſtgriffe anzuwenden, welche bei der Steinbockjagd nothwendig ſind. Kämpfer, welcher im Jahre 1686 einer Jagd auf Bezoarziegen beiwohnte, erzählt, daß man erſt ſechs Stunden auf den ſchlimmſten Wegen des Gebirges Benna in Perſien klettern mußte, ehe man nur in das eigentliche Gebiet der Ziegen gelangte. Dort gab es aber eine große Menge. Am erſten Tage bekam man
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[579/0609]
Die Bezoarziege.
iſt an den Seiten röthlichgrau, auf der Stirn braunſchwarz, vor den Augen und an der Wurzel
des Naſenrückens dunkelſchwarzbraun, wie das Kinn und der Kehlbart.
Ein ziemlich ausgedehnter Landſtrich von Weſt- und Mittelaſien iſt die Heimat der Bezoarziege.
Sie findet ſich auf der Südſeite des Kaukaſus, in Armenien, Perſien, im Taurus und, falls Dies be-
gründet iſt, auch auf den Jnſeln Skorpades oder Skorpando und Kandia oder Kreta, an manchen
Orten recht häufig. Sie liebt die Gipfel der Gebirge; die Nähe des ewigen Schnees und die Gletſcher
behagen ihr ebenſo ſehr wie dem Steinbocke. Wie alle ihre Verwandten geſellig, lebt ſie dort in klei-
nen Rudeln von 10 bis 20 Stück und darüber, welche von einem alten erfahrenen Bock geführt wer-
den. Jüngere Böcke ſchlagen ſich wohl auch zu Geſellſchaften von 3 bis 6 Stück zuſammen, alte,
mürriſche, raufluſtige werden von den übrigen ſtarken und kampffähigen Männchen der Herde
abgeſchlagen.
Jn ihrem Weſen erinnert die Bezoarziege an den Steinbock. Sie läuft raſch und ſorglos auf
ſchwierigen Wegen dahin, ſteht oft ſtundenlang, ſchwindelfrei in die ungeheueren Abgründe ſchauend,
auf vorſpringenden Felszacken, klettert vortrefflich und wagt gefährliche Sätze mit großem Muth und
Geſchick. Sie iſt außerordentlich ſcheu und weiß den meiſten Gefahren zu entgehen. Jhre Sinne ſind
vortrefflich entwickelt: ſie wittert auf ungeheuere Entfernungen hin und vernimmt auch das leiſeſte Ge-
räuſch. Saftige Alpenpflanzen bieten ihr eine kräftige Nahrung und die Gebirgswälder in den Blät-
tern ihrer Bäume eine ſehr beliebte Leckerei. Frühzeitig des Morgens ſteigt ſie vom Walde, in
welchem ſie die Nacht verbrachte, nach den Höhen empor, weidet in unmittelbarer Nähe der Gletſcher
und kehrt abends nach den Wäldern zurück.
Der November ſoll die Zeit der Paarung ſein. Der Wurf erfolgt im April. Die Ziege ſetzt
zwei, ſeltener nur ein Junges, welches der Mutter ſchon in den erſten Stunden ſeines Lebens auf
allen ihren Wanderungen folgt, raſch und luſtig aufwächſt und wie alle Ziegen zu Scherz und Spiel
geneigt iſt. Gelingt es, ein ſolches Junge einzufangen, ſo wird es bald zahm, zumal wenn man es
unter andere Ziegenherden bringt. Bald gewöhnt es ſich an die neue Kameradſchaft, geht mit den
Pflegeſchweſtern auf die Weide, kehrt abends in den Stall zurück und befreundet ſich zuletzt ſo
mit den gezähmten Verwandten, daß es ohne beſondere Umſtände in die innigſten Verhältniſſe mit
ihnen tritt.
Ein noch heute vielfach verbreiteter, obſchon widerlegter Aberglaube iſt die Urſache, daß man den
munteren Gebirgskindern eifrigſt nachſtellt. Bereits ſeit uralten Zeiten maßten ſich die Fürſten das
Vorrecht an, den Bezoarziegenhandel in ihre Hände zu nehmen. Schon der alte Bontius weiß,
daß alle, dieſen Wunderkugeln zugeſchriebenen Kräfte nicht eben einen beſonderen Werth haben und
Rumpf erzählt, daß die Jndianer den Europäer auslachen, welcher behauptet, Bezoarkugeln im Magen
wilder Ziegen gefunden zu haben, weil ſie ihrerſeits wiſſen wollen, daß die geſuchte Arznei aus den
Magen — der Affen käme. Man ſieht hieraus, daß alle Bezoarkugeln überhaupt benutzt werden,
nicht blos die unſerer Ziegen, ſondern auch die, welche man bei anderen Wiederkäuern gefunden hat.
So iſt es z. B. gewiß, daß viele Steine von Borneo kommen, wo es keine Ziegen gibt. Gleichwohl
wird dieſes leidige Quackſalbermittel noch heutigen Tages in ganz Jndien und Perſien hoch bezahlt
und fordert deshalb unternehmende Jäger immer zu neuen Vertilgungszügen gegen die Bezoar-
ziegen auf.
Die Jagd iſt nicht eben eine leichte Sache, weil ſie nur im höheren Gebirge ſtattfinden kann
und die Ziege dieſelbe auch dort noch oft genug zu vereiteln weiß. Es gilt alſo, alle die Liſten und
Kunſtgriffe anzuwenden, welche bei der Steinbockjagd nothwendig ſind. Kämpfer, welcher im
Jahre 1686 einer Jagd auf Bezoarziegen beiwohnte, erzählt, daß man erſt ſechs Stunden auf den
ſchlimmſten Wegen des Gebirges Benna in Perſien klettern mußte, ehe man nur in das eigentliche
Gebiet der Ziegen gelangte. Dort gab es aber eine große Menge. Am erſten Tage bekam man
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/609>, abgerufen am 23.11.2024.
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