"Häufig zeigen die Rehgehörne eine Neigung inwendig an der Hauptstange, unterhalb der nach vorn gerichteten Mittelsprosse und gleichmäßig an jeder Seite eine auffallende, lange Perle zu ent- wickeln. Diese Perle wird zuweilen bis zu einem Zoll lang und kann dann jagdmäßig als Ende gezählt werden."
Mißbildungen aller Art sind bei dem Rehgehörn außerordentlich häufig. Jn Sammlungen sieht man Stangen von der sonderbarsten Gestaltung: manche mit einer ganzen Reihe von jagd- gerechten Enden, andere schaufelartig verbreitert und mit Randsprossen besetzt. Es kommen Reh- böcke mit drei Stangen und drei Rosenstöcken, oder solche mit einer einzigen Rose und einem einfachen Stocke vor etc. Auch sehr alte Ricken erhalten einen kurzen Stirnzapfen und setzen schwache Gehörne auf. Radde erhielt im Sajan ein solches Gehörn, welches die Ricke mitten auf der Stirn trug. Es zeigt vier längere, aus einem Grunde entspringende Sprossen, welche in abweichender Richtung zu einander ausgewachsen sind, deren eine 63 Millimeter lang ist. -- Von einem anderen
[Abbildung]
Unser Reh (Capreolus vulgaris).
derartigen Gehörn theilt mir der Förster Herr Block mit, daß es aus zwei gegen zwei Zoll langen Stangen bestand, und selbst einen alten Waidmann täuschen konnte, welcher die Ricke als Bock an- sprach und erlegte.
Die Behaarung des Rehes liegt glatt und dicht an; ändert sich aber nach den Jahreszeiten. Jm Sommer ist das Haar kurz, straff, glatt, im Winter lang, namentlich auf der Unterseite. Zwischen den Vorder- und Hinterläufen und den Augen stehen 8 bis 10 lange Borstenhaare. Die Ober- und Außenseite des Körpers ist im Sommer dunkelrostroth, im Winter braungrau; die Unterseite und Jnnenseite der Gliedmaßen ist immer heller gefärbt. Auf der Stirn und dem Nasenrücken mischt sich Schwarzbraun, an den Seiten des Kopfes und rückwärts über den Augen Rothgelb ein; das Kinn, Unterkiefer und ein kleiner Fleck jederseits der Oberlippe sind weiß; hinter der Mitte der Unterlippe tritt ein kleiner brauner Fleck hervor. Das Gehör ist auf der Außenseite etwas dunkler, als der übrige Leib, innen mit gelblichweißen Haaren besetzt. Der Spiegel, d. h. Steiß und der Hintertheil der Keulen
Unſer Reh.
„Häufig zeigen die Rehgehörne eine Neigung inwendig an der Hauptſtange, unterhalb der nach vorn gerichteten Mittelſproſſe und gleichmäßig an jeder Seite eine auffallende, lange Perle zu ent- wickeln. Dieſe Perle wird zuweilen bis zu einem Zoll lang und kann dann jagdmäßig als Ende gezählt werden.‟
Mißbildungen aller Art ſind bei dem Rehgehörn außerordentlich häufig. Jn Sammlungen ſieht man Stangen von der ſonderbarſten Geſtaltung: manche mit einer ganzen Reihe von jagd- gerechten Enden, andere ſchaufelartig verbreitert und mit Randſproſſen beſetzt. Es kommen Reh- böcke mit drei Stangen und drei Roſenſtöcken, oder ſolche mit einer einzigen Roſe und einem einfachen Stocke vor ꝛc. Auch ſehr alte Ricken erhalten einen kurzen Stirnzapfen und ſetzen ſchwache Gehörne auf. Radde erhielt im Sajan ein ſolches Gehörn, welches die Ricke mitten auf der Stirn trug. Es zeigt vier längere, aus einem Grunde entſpringende Sproſſen, welche in abweichender Richtung zu einander ausgewachſen ſind, deren eine 63 Millimeter lang iſt. — Von einem anderen
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Unſer Reh (Capreolus vulgaris).
derartigen Gehörn theilt mir der Förſter Herr Block mit, daß es aus zwei gegen zwei Zoll langen Stangen beſtand, und ſelbſt einen alten Waidmann täuſchen konnte, welcher die Ricke als Bock an- ſprach und erlegte.
Die Behaarung des Rehes liegt glatt und dicht an; ändert ſich aber nach den Jahreszeiten. Jm Sommer iſt das Haar kurz, ſtraff, glatt, im Winter lang, namentlich auf der Unterſeite. Zwiſchen den Vorder- und Hinterläufen und den Augen ſtehen 8 bis 10 lange Borſtenhaare. Die Ober- und Außenſeite des Körpers iſt im Sommer dunkelroſtroth, im Winter braungrau; die Unterſeite und Jnnenſeite der Gliedmaßen iſt immer heller gefärbt. Auf der Stirn und dem Naſenrücken miſcht ſich Schwarzbraun, an den Seiten des Kopfes und rückwärts über den Augen Rothgelb ein; das Kinn, Unterkiefer und ein kleiner Fleck jederſeits der Oberlippe ſind weiß; hinter der Mitte der Unterlippe tritt ein kleiner brauner Fleck hervor. Das Gehör iſt auf der Außenſeite etwas dunkler, als der übrige Leib, innen mit gelblichweißen Haaren beſetzt. Der Spiegel, d. h. Steiß und der Hintertheil der Keulen
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Unſer Reh.
„Häufig zeigen die Rehgehörne eine Neigung inwendig an der Hauptſtange, unterhalb der nach
vorn gerichteten Mittelſproſſe und gleichmäßig an jeder Seite eine auffallende, lange Perle zu ent-
wickeln. Dieſe Perle wird zuweilen bis zu einem Zoll lang und kann dann jagdmäßig als Ende
gezählt werden.‟
Mißbildungen aller Art ſind bei dem Rehgehörn außerordentlich häufig. Jn Sammlungen
ſieht man Stangen von der ſonderbarſten Geſtaltung: manche mit einer ganzen Reihe von jagd-
gerechten Enden, andere ſchaufelartig verbreitert und mit Randſproſſen beſetzt. Es kommen Reh-
böcke mit drei Stangen und drei Roſenſtöcken, oder ſolche mit einer einzigen Roſe und einem einfachen
Stocke vor ꝛc. Auch ſehr alte Ricken erhalten einen kurzen Stirnzapfen und ſetzen ſchwache
Gehörne auf. Radde erhielt im Sajan ein ſolches Gehörn, welches die Ricke mitten auf der Stirn
trug. Es zeigt vier längere, aus einem Grunde entſpringende Sproſſen, welche in abweichender
Richtung zu einander ausgewachſen ſind, deren eine 63 Millimeter lang iſt. — Von einem anderen
[Abbildung Unſer Reh (Capreolus vulgaris).]
derartigen Gehörn theilt mir der Förſter Herr Block mit, daß es aus zwei gegen zwei Zoll langen
Stangen beſtand, und ſelbſt einen alten Waidmann täuſchen konnte, welcher die Ricke als Bock an-
ſprach und erlegte.
Die Behaarung des Rehes liegt glatt und dicht an; ändert ſich aber nach den Jahreszeiten. Jm
Sommer iſt das Haar kurz, ſtraff, glatt, im Winter lang, namentlich auf der Unterſeite. Zwiſchen
den Vorder- und Hinterläufen und den Augen ſtehen 8 bis 10 lange Borſtenhaare. Die Ober- und
Außenſeite des Körpers iſt im Sommer dunkelroſtroth, im Winter braungrau; die Unterſeite und
Jnnenſeite der Gliedmaßen iſt immer heller gefärbt. Auf der Stirn und dem Naſenrücken miſcht ſich
Schwarzbraun, an den Seiten des Kopfes und rückwärts über den Augen Rothgelb ein; das Kinn,
Unterkiefer und ein kleiner Fleck jederſeits der Oberlippe ſind weiß; hinter der Mitte der Unterlippe
tritt ein kleiner brauner Fleck hervor. Das Gehör iſt auf der Außenſeite etwas dunkler, als der übrige
Leib, innen mit gelblichweißen Haaren beſetzt. Der Spiegel, d. h. Steiß und der Hintertheil der Keulen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/505>, abgerufen am 23.11.2024.
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