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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Das echte Moschusthier.
Jäger sagen, daß man ihn auf eine Viertelmeile wahrnehmen könne. Früher wurde behauptet,
daß die Männchen während der Brunstzeit ihren Moschusbeutel an Baumstämmen und anderen
harten Gegenständen entleerten; doch scheint diese Angabe auf falscher Beobachtung zu beruhen.
Sechs Monate nach der Begattung, im Mai oder Juni etwa, setzt das Weibchen ein einziges oder
zwei Junge, welche es mit treuer Liebe bis zur nächsten Brunstzeit bei sich behält, dann aber ab-
schlägt. Die Jungen sind vollständig ausgebildet; ihr Schwanz ist noch behaart; doch schon in der
ersten Jugend unterscheiden sich die Männchen durch eine stumpfe Schnauze und durch ein bedeuten-
deres Gewicht von den Weibchen. Mit Ende des dritten Jahres sind die Jungen erwachsen.

Je nach dem Aufenthaltsorte ist die Nahrung unseres Thieres eine verschiedene. Jm Winter
sind es hauptsächlich Baumflechten, im Sommer die würzigen Alpenkräuter der höher gelegenen
Matten des Gebirges. Wie man sagt, sind die Moschusthiere sehr wählerisch in ihrer Speise, und
suchen sich nur die besten und würzigsten Pflanzen aus. Die größere oder geringere Güte des
Moschus scheint wesentlich auf der Nahrung zu beruhen, obwohl man noch nicht weiß, welche
Pflanzen es sind, die dem sibirischen Moschusthier fehlen. Dieses äßt sich nach Pallas von
Wurzeln, Sumpfkräutern, von den Blättern der Beerentraube, Alpenrosen, Preißelbeeren und haar-
förmigen Flechten; die Wurzeln gräbt es, wie das Renthier, mit den Husen unter dem Mose
oder Schnee hervor.

Die Jagd des so wichtigen und gewinnbringenden Geschöpfes hat ihre großen Schwierig-
keiten. Seine außerordentliche Scheu ist Ursache, daß der Jäger nur sehr selten zum Schusse
kommt. Gewöhnlich wendet man Schlingen an, um der gesuchten Beute habhaft zu werden. Man
legt sie auf die Wechsel, die das Moschusthier sehr streng einhält, und bekommt sie so bald leben-
dig, bald erwürgt. Jn Sibirien fängt man sie nach Pallas im Winter mit Flechten. Am
Jennesei und Beikal sperrt man die Thäler durch zaunartig neben einander eingeschlagene Pfähle
ab, bis auf einen engen Durchgang, und legt in diesen die Schlingen. Die Tungusen erschießen
die Thiere mit Pfeilen und blatten sie, d. h. locken sie durch Nachahmung des Blöckens der Kälber
mit zusammengeschlagener Birkenrinde an sich heran. Dabei kommt es nicht selten vor, daß, anstatt
der erwünschten Moschusthiere, Bären, Wölfe und Füchse erscheinen, welche sich durch das Blöcken
ebenfalls täuschen ließen und eine Beute erhofften.

"Die geübten Jäger," sagt Radde, "benutzen die Ständigkeit des Moschusthieres, um es mit
der Kugel zu erlegen. Das aufgescheuchte Wild springt in flüchtigen Sätzen von Fels zu Fels und
entzieht sich so bald dem Blicke des Jägers. Dieser aber legt sich nun in den Hinterhalt; denn er ist
gewiß, daß das Thier, nachdem es die Bergkuppe, auf welcher es seinen Stand wählte, umkreist
hat, wieder zu derselben Stelle zurückkehrt, von welcher es gescheucht wurde. Auch der Fang beruht
wesentlich auf dieser Neigung des Moschusthieres." -- Jm übrigen bemerkt Radde, daß der Fang
durch den Vielfraß, das sibirische Wiesel und die Raben wesentlich gestört werde. Die behaarten
Raubthiere gehen den Spuren nach und fressen die Gefangenen aus den Schlingen, welche, weil sie
an entlegenen, schwer zugänglichen Stellen gelegt werden, nicht immer zeitig genug von den Jägern
nachgesehen werden können.

Das Fleisch der Moschusthiere ist für Europäer ungenießbar; der Moschusbeutel aber wirft
einen bedeutenden Gewinn ab und lohnt die Jagd reichlich. Jn Sibirien werden nach obrigkeit-
lichen Berichten jährlich an 50,000 Moschusthiere erlegt, worunter etwa 9000 Männchen sind.
Aber das sibirische Moschusthier gilt weit weniger, als das tibetanische oder chinesische. Das ben-
galische ist schon geringer, und das kabartanische, welches seine Benennung von dem tartarischen
Namen Kabarka erhielt, die geringste Sorte. Vom chinesischen Moschus kostet die Unze im Beutel
10 bis 12 Thaler, vom bengalischen 8 bis 10 Thaler, vom kabartanischen 3 Thaler. Der meiste
Moschus wird aus China nach England eingeführt; allein nur selten bekommt man ihn rein;
denn die schlauen Langzöpfe haben schon seit alten Zeiten die Verfälschung des köstlichen Stoffes
eifrig betrieben. Bereits Tavernier, welcher in Batana in Jndien einmal 1773 Moschusbeutel

Brehm, Thierleben. II. 27

Das echte Moſchusthier.
Jäger ſagen, daß man ihn auf eine Viertelmeile wahrnehmen könne. Früher wurde behauptet,
daß die Männchen während der Brunſtzeit ihren Moſchusbeutel an Baumſtämmen und anderen
harten Gegenſtänden entleerten; doch ſcheint dieſe Angabe auf falſcher Beobachtung zu beruhen.
Sechs Monate nach der Begattung, im Mai oder Juni etwa, ſetzt das Weibchen ein einziges oder
zwei Junge, welche es mit treuer Liebe bis zur nächſten Brunſtzeit bei ſich behält, dann aber ab-
ſchlägt. Die Jungen ſind vollſtändig ausgebildet; ihr Schwanz iſt noch behaart; doch ſchon in der
erſten Jugend unterſcheiden ſich die Männchen durch eine ſtumpfe Schnauze und durch ein bedeuten-
deres Gewicht von den Weibchen. Mit Ende des dritten Jahres ſind die Jungen erwachſen.

Je nach dem Aufenthaltsorte iſt die Nahrung unſeres Thieres eine verſchiedene. Jm Winter
ſind es hauptſächlich Baumflechten, im Sommer die würzigen Alpenkräuter der höher gelegenen
Matten des Gebirges. Wie man ſagt, ſind die Moſchusthiere ſehr wähleriſch in ihrer Speiſe, und
ſuchen ſich nur die beſten und würzigſten Pflanzen aus. Die größere oder geringere Güte des
Moſchus ſcheint weſentlich auf der Nahrung zu beruhen, obwohl man noch nicht weiß, welche
Pflanzen es ſind, die dem ſibiriſchen Moſchusthier fehlen. Dieſes äßt ſich nach Pallas von
Wurzeln, Sumpfkräutern, von den Blättern der Beerentraube, Alpenroſen, Preißelbeeren und haar-
förmigen Flechten; die Wurzeln gräbt es, wie das Renthier, mit den Huſen unter dem Moſe
oder Schnee hervor.

Die Jagd des ſo wichtigen und gewinnbringenden Geſchöpfes hat ihre großen Schwierig-
keiten. Seine außerordentliche Scheu iſt Urſache, daß der Jäger nur ſehr ſelten zum Schuſſe
kommt. Gewöhnlich wendet man Schlingen an, um der geſuchten Beute habhaft zu werden. Man
legt ſie auf die Wechſel, die das Moſchusthier ſehr ſtreng einhält, und bekommt ſie ſo bald leben-
dig, bald erwürgt. Jn Sibirien fängt man ſie nach Pallas im Winter mit Flechten. Am
Jenneſei und Beikal ſperrt man die Thäler durch zaunartig neben einander eingeſchlagene Pfähle
ab, bis auf einen engen Durchgang, und legt in dieſen die Schlingen. Die Tunguſen erſchießen
die Thiere mit Pfeilen und blatten ſie, d. h. locken ſie durch Nachahmung des Blöckens der Kälber
mit zuſammengeſchlagener Birkenrinde an ſich heran. Dabei kommt es nicht ſelten vor, daß, anſtatt
der erwünſchten Moſchusthiere, Bären, Wölfe und Füchſe erſcheinen, welche ſich durch das Blöcken
ebenfalls täuſchen ließen und eine Beute erhofften.

„Die geübten Jäger,‟ ſagt Radde, „benutzen die Ständigkeit des Moſchusthieres, um es mit
der Kugel zu erlegen. Das aufgeſcheuchte Wild ſpringt in flüchtigen Sätzen von Fels zu Fels und
entzieht ſich ſo bald dem Blicke des Jägers. Dieſer aber legt ſich nun in den Hinterhalt; denn er iſt
gewiß, daß das Thier, nachdem es die Bergkuppe, auf welcher es ſeinen Stand wählte, umkreiſt
hat, wieder zu derſelben Stelle zurückkehrt, von welcher es geſcheucht wurde. Auch der Fang beruht
weſentlich auf dieſer Neigung des Moſchusthieres.‟ — Jm übrigen bemerkt Radde, daß der Fang
durch den Vielfraß, das ſibiriſche Wieſel und die Raben weſentlich geſtört werde. Die behaarten
Raubthiere gehen den Spuren nach und freſſen die Gefangenen aus den Schlingen, welche, weil ſie
an entlegenen, ſchwer zugänglichen Stellen gelegt werden, nicht immer zeitig genug von den Jägern
nachgeſehen werden können.

Das Fleiſch der Moſchusthiere iſt für Europäer ungenießbar; der Moſchusbeutel aber wirft
einen bedeutenden Gewinn ab und lohnt die Jagd reichlich. Jn Sibirien werden nach obrigkeit-
lichen Berichten jährlich an 50,000 Moſchusthiere erlegt, worunter etwa 9000 Männchen ſind.
Aber das ſibiriſche Moſchusthier gilt weit weniger, als das tibetaniſche oder chineſiſche. Das ben-
galiſche iſt ſchon geringer, und das kabartaniſche, welches ſeine Benennung von dem tartariſchen
Namen Kabarka erhielt, die geringſte Sorte. Vom chineſiſchen Moſchus koſtet die Unze im Beutel
10 bis 12 Thaler, vom bengaliſchen 8 bis 10 Thaler, vom kabartaniſchen 3 Thaler. Der meiſte
Moſchus wird aus China nach England eingeführt; allein nur ſelten bekommt man ihn rein;
denn die ſchlauen Langzöpfe haben ſchon ſeit alten Zeiten die Verfälſchung des köſtlichen Stoffes
eifrig betrieben. Bereits Tavernier, welcher in Batana in Jndien einmal 1773 Moſchusbeutel

Brehm, Thierleben. II. 27
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[417/0441] Das echte Moſchusthier. Jäger ſagen, daß man ihn auf eine Viertelmeile wahrnehmen könne. Früher wurde behauptet, daß die Männchen während der Brunſtzeit ihren Moſchusbeutel an Baumſtämmen und anderen harten Gegenſtänden entleerten; doch ſcheint dieſe Angabe auf falſcher Beobachtung zu beruhen. Sechs Monate nach der Begattung, im Mai oder Juni etwa, ſetzt das Weibchen ein einziges oder zwei Junge, welche es mit treuer Liebe bis zur nächſten Brunſtzeit bei ſich behält, dann aber ab- ſchlägt. Die Jungen ſind vollſtändig ausgebildet; ihr Schwanz iſt noch behaart; doch ſchon in der erſten Jugend unterſcheiden ſich die Männchen durch eine ſtumpfe Schnauze und durch ein bedeuten- deres Gewicht von den Weibchen. Mit Ende des dritten Jahres ſind die Jungen erwachſen. Je nach dem Aufenthaltsorte iſt die Nahrung unſeres Thieres eine verſchiedene. Jm Winter ſind es hauptſächlich Baumflechten, im Sommer die würzigen Alpenkräuter der höher gelegenen Matten des Gebirges. Wie man ſagt, ſind die Moſchusthiere ſehr wähleriſch in ihrer Speiſe, und ſuchen ſich nur die beſten und würzigſten Pflanzen aus. Die größere oder geringere Güte des Moſchus ſcheint weſentlich auf der Nahrung zu beruhen, obwohl man noch nicht weiß, welche Pflanzen es ſind, die dem ſibiriſchen Moſchusthier fehlen. Dieſes äßt ſich nach Pallas von Wurzeln, Sumpfkräutern, von den Blättern der Beerentraube, Alpenroſen, Preißelbeeren und haar- förmigen Flechten; die Wurzeln gräbt es, wie das Renthier, mit den Huſen unter dem Moſe oder Schnee hervor. Die Jagd des ſo wichtigen und gewinnbringenden Geſchöpfes hat ihre großen Schwierig- keiten. Seine außerordentliche Scheu iſt Urſache, daß der Jäger nur ſehr ſelten zum Schuſſe kommt. Gewöhnlich wendet man Schlingen an, um der geſuchten Beute habhaft zu werden. Man legt ſie auf die Wechſel, die das Moſchusthier ſehr ſtreng einhält, und bekommt ſie ſo bald leben- dig, bald erwürgt. Jn Sibirien fängt man ſie nach Pallas im Winter mit Flechten. Am Jenneſei und Beikal ſperrt man die Thäler durch zaunartig neben einander eingeſchlagene Pfähle ab, bis auf einen engen Durchgang, und legt in dieſen die Schlingen. Die Tunguſen erſchießen die Thiere mit Pfeilen und blatten ſie, d. h. locken ſie durch Nachahmung des Blöckens der Kälber mit zuſammengeſchlagener Birkenrinde an ſich heran. Dabei kommt es nicht ſelten vor, daß, anſtatt der erwünſchten Moſchusthiere, Bären, Wölfe und Füchſe erſcheinen, welche ſich durch das Blöcken ebenfalls täuſchen ließen und eine Beute erhofften. „Die geübten Jäger,‟ ſagt Radde, „benutzen die Ständigkeit des Moſchusthieres, um es mit der Kugel zu erlegen. Das aufgeſcheuchte Wild ſpringt in flüchtigen Sätzen von Fels zu Fels und entzieht ſich ſo bald dem Blicke des Jägers. Dieſer aber legt ſich nun in den Hinterhalt; denn er iſt gewiß, daß das Thier, nachdem es die Bergkuppe, auf welcher es ſeinen Stand wählte, umkreiſt hat, wieder zu derſelben Stelle zurückkehrt, von welcher es geſcheucht wurde. Auch der Fang beruht weſentlich auf dieſer Neigung des Moſchusthieres.‟ — Jm übrigen bemerkt Radde, daß der Fang durch den Vielfraß, das ſibiriſche Wieſel und die Raben weſentlich geſtört werde. Die behaarten Raubthiere gehen den Spuren nach und freſſen die Gefangenen aus den Schlingen, welche, weil ſie an entlegenen, ſchwer zugänglichen Stellen gelegt werden, nicht immer zeitig genug von den Jägern nachgeſehen werden können. Das Fleiſch der Moſchusthiere iſt für Europäer ungenießbar; der Moſchusbeutel aber wirft einen bedeutenden Gewinn ab und lohnt die Jagd reichlich. Jn Sibirien werden nach obrigkeit- lichen Berichten jährlich an 50,000 Moſchusthiere erlegt, worunter etwa 9000 Männchen ſind. Aber das ſibiriſche Moſchusthier gilt weit weniger, als das tibetaniſche oder chineſiſche. Das ben- galiſche iſt ſchon geringer, und das kabartaniſche, welches ſeine Benennung von dem tartariſchen Namen Kabarka erhielt, die geringſte Sorte. Vom chineſiſchen Moſchus koſtet die Unze im Beutel 10 bis 12 Thaler, vom bengaliſchen 8 bis 10 Thaler, vom kabartaniſchen 3 Thaler. Der meiſte Moſchus wird aus China nach England eingeführt; allein nur ſelten bekommt man ihn rein; denn die ſchlauen Langzöpfe haben ſchon ſeit alten Zeiten die Verfälſchung des köſtlichen Stoffes eifrig betrieben. Bereits Tavernier, welcher in Batana in Jndien einmal 1773 Moſchusbeutel Brehm, Thierleben. II. 27

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/441>, abgerufen am 23.11.2024.