ton. Es scharrt freudig mit dem Vorderfuße, wenn dieser Ton zum Laufen im Wettrennen und zur Schlacht ertönt, es kennt und versteht auch die Trommel und alle Töne, die mit seinem Muth und mit seiner Furcht in Verbindung stehen. Es kennt den Kanonendonner, hört ihn aber, wenn es in Schlachten zerschossene Gefährten gesehen, nicht gerne. Der Wolkendonner ist ihm ebenfalls nicht angenehm. Vielleicht wirkt das Gewitter nachtheilig ein."
"Das Pferd ist der Furcht sehr zugänglich und nähert sich auch darin dem Menschen. Es er- schrickt über einen ungewohnten Ton, ein ungewohntes Ding, eine flatternde Fahne, ein Hemd, was zum Fenster herausweht. Sorgsam beschaut es den Boden, welcher Steine hat, sorglich tritt es in den Bach, den Fluß. Ein Pferd, welches in eine Hausgrube gefallen und wieder heraufgezogen wor- den war, war sehr erschrocken; ein anderes, welches in eine Kalkgrube gesprungen war, ließ sich willig binden und herausziehen: es wollte den Rettenden helfen. Auf schmalen Gebirgspfaden zittert es. Es weiß, daß es nur Fuß ist und sich an gar Nichts anhalten kann. Den Blitz fürchtet es heftig. Jm Gewitter schwitzt es vor Angst, erschlagen zu werden. Reißt eins aus, so kann das andere, uner- schrockene es zurückhalten; gewöhnlich aber ergreift es der Schrecken ebenfalls, und beide rennen in immer steigender Furcht und Angst, rasen über und durch alles Mögliche heim, in die Tenne, an eine Wand, wie toll. Wieviel Unglück veranlaßt und verursacht das sonst so verständige, gehorsame und gutwillige Thier, welches dem Herrn, dem Knecht, der Frau, dem Mädchen, Jedem, der es gut be- handelt, gern gehorcht!"
"Das Pferd kann sich verwundern, es kann stutzen, kann über unbedeutende Dinge, wie ein Kind, erschrecken, es kann sich enttäuschen lassen, und sein Kennen kann durch seinen Verstand zum Erkennen werden. Daraus erhellet, daß sein Verstand zerrüttet, daß es verrückt werden kann. Durch rohe Behandlung, durch Fluchen und Prügeln der Roßknechte ist schon manches Pferd schändlich ver- dorben, um allen seinen geistigen und gemüthlichen Werth gebracht und völlig dumm und toll gemacht worden. Dagegen wird das Pferd durch edle Behandlung veredelt, hoch gehoben, durch sie zum halben Menschen gemacht."
"Die einzige wahre Lust des Pferdes ist zu rennen. Es ist von Natur ein Reisender; bar zur Lust rennen weidende Pferde in den russischen Steppen, reisen mit den Kutschen im Galopp viele Stunden, eine Tagereise weit, sicher, daß sie ihren langen Pfad wieder zurückfinden. Welche Wan- derung machen sie in Paraguay! Auf den Weiden tummeln sie sich munter, werfen vorn und hinten auf und treiben allerlei Muthwillen, rennen mit einander, beißen einander. Es gibt solche, die immer andere necken. Junge necken sogar Menschen. Eine beachtenswerthe Erfahrung! Das Thier, das sich am Menschen versucht, muß sich dem Menschen nahe fühlen, muß in ihm beinahe seines Gleichen sehen. Ein junges Pferd rannte in einem langen, schmalen Alpthale einem Trüppchen Reisender nach, d. h. es ließ sie zuerst ungehindert vorbeigehen, dann galoppirte es ihnen nach bis auf einen ein- zigen Schritt vor sie hin, stand dann plötzlich still und sah sie an, dann rannte es wieder zurück, that, als ob es weiden wolle, kam dann wieder herangesprengt, und so neckte es sie vier oder fünf Male zu deren nicht geringer Furcht. Es trieb offenbar reinen Muthwillen, wie ihn ein Mensch treibt, der sich überlegen fühlt. Als die Reisenden endlich über eine als Hecke dienende Mauer gestiegen waren, rannte es an dieser mehrmals auf und ab, um eine Stelle zum Hinüber- springen zu finden, um sie noch weiter zu necken. Da es keine fand, sprengte es wieder lustig auf seine alte Weidestelle zurück."
"Seine Rennlust in Verbindung mit seinem Adel oder seinem Stolze leisten im römischen Corso beinahe Unglaubliches. Auf ein gegebenes Zeichen sind die Pferde bereit, den Wettkampf zu beginnen: sie wiehern hell auf, sie stampfen vor Ungeduld. Dann stürzen sie sich auf die Bahn, und eins will das andere übereilen. Niemand sitzt auf ihnen, Niemand sagt ihnen, um was es sich handle, Niemand feuert sie an; sie merken es von sich aus. Jedes feuert sich selbst an und wird von jedem angefeuert. Und das, was zuerst am Ziele ist, lobt sich selbst und wird von den Menschen gelobt. Es ist dafür empfindlich; doch wird kein Neid oder Haß gegen den Sieger
Einhufer. — Das Pferd.
ton. Es ſcharrt freudig mit dem Vorderfuße, wenn dieſer Ton zum Laufen im Wettrennen und zur Schlacht ertönt, es kennt und verſteht auch die Trommel und alle Töne, die mit ſeinem Muth und mit ſeiner Furcht in Verbindung ſtehen. Es kennt den Kanonendonner, hört ihn aber, wenn es in Schlachten zerſchoſſene Gefährten geſehen, nicht gerne. Der Wolkendonner iſt ihm ebenfalls nicht angenehm. Vielleicht wirkt das Gewitter nachtheilig ein.‟
„Das Pferd iſt der Furcht ſehr zugänglich und nähert ſich auch darin dem Menſchen. Es er- ſchrickt über einen ungewohnten Ton, ein ungewohntes Ding, eine flatternde Fahne, ein Hemd, was zum Fenſter herausweht. Sorgſam beſchaut es den Boden, welcher Steine hat, ſorglich tritt es in den Bach, den Fluß. Ein Pferd, welches in eine Hausgrube gefallen und wieder heraufgezogen wor- den war, war ſehr erſchrocken; ein anderes, welches in eine Kalkgrube geſprungen war, ließ ſich willig binden und herausziehen: es wollte den Rettenden helfen. Auf ſchmalen Gebirgspfaden zittert es. Es weiß, daß es nur Fuß iſt und ſich an gar Nichts anhalten kann. Den Blitz fürchtet es heftig. Jm Gewitter ſchwitzt es vor Angſt, erſchlagen zu werden. Reißt eins aus, ſo kann das andere, uner- ſchrockene es zurückhalten; gewöhnlich aber ergreift es der Schrecken ebenfalls, und beide rennen in immer ſteigender Furcht und Angſt, raſen über und durch alles Mögliche heim, in die Tenne, an eine Wand, wie toll. Wieviel Unglück veranlaßt und verurſacht das ſonſt ſo verſtändige, gehorſame und gutwillige Thier, welches dem Herrn, dem Knecht, der Frau, dem Mädchen, Jedem, der es gut be- handelt, gern gehorcht!‟
„Das Pferd kann ſich verwundern, es kann ſtutzen, kann über unbedeutende Dinge, wie ein Kind, erſchrecken, es kann ſich enttäuſchen laſſen, und ſein Kennen kann durch ſeinen Verſtand zum Erkennen werden. Daraus erhellet, daß ſein Verſtand zerrüttet, daß es verrückt werden kann. Durch rohe Behandlung, durch Fluchen und Prügeln der Roßknechte iſt ſchon manches Pferd ſchändlich ver- dorben, um allen ſeinen geiſtigen und gemüthlichen Werth gebracht und völlig dumm und toll gemacht worden. Dagegen wird das Pferd durch edle Behandlung veredelt, hoch gehoben, durch ſie zum halben Menſchen gemacht.‟
„Die einzige wahre Luſt des Pferdes iſt zu rennen. Es iſt von Natur ein Reiſender; bar zur Luſt rennen weidende Pferde in den ruſſiſchen Steppen, reiſen mit den Kutſchen im Galopp viele Stunden, eine Tagereiſe weit, ſicher, daß ſie ihren langen Pfad wieder zurückfinden. Welche Wan- derung machen ſie in Paraguay! Auf den Weiden tummeln ſie ſich munter, werfen vorn und hinten auf und treiben allerlei Muthwillen, rennen mit einander, beißen einander. Es gibt ſolche, die immer andere necken. Junge necken ſogar Menſchen. Eine beachtenswerthe Erfahrung! Das Thier, das ſich am Menſchen verſucht, muß ſich dem Menſchen nahe fühlen, muß in ihm beinahe ſeines Gleichen ſehen. Ein junges Pferd rannte in einem langen, ſchmalen Alpthale einem Trüppchen Reiſender nach, d. h. es ließ ſie zuerſt ungehindert vorbeigehen, dann galoppirte es ihnen nach bis auf einen ein- zigen Schritt vor ſie hin, ſtand dann plötzlich ſtill und ſah ſie an, dann rannte es wieder zurück, that, als ob es weiden wolle, kam dann wieder herangeſprengt, und ſo neckte es ſie vier oder fünf Male zu deren nicht geringer Furcht. Es trieb offenbar reinen Muthwillen, wie ihn ein Menſch treibt, der ſich überlegen fühlt. Als die Reiſenden endlich über eine als Hecke dienende Mauer geſtiegen waren, rannte es an dieſer mehrmals auf und ab, um eine Stelle zum Hinüber- ſpringen zu finden, um ſie noch weiter zu necken. Da es keine fand, ſprengte es wieder luſtig auf ſeine alte Weideſtelle zurück.‟
„Seine Rennluſt in Verbindung mit ſeinem Adel oder ſeinem Stolze leiſten im römiſchen Corſo beinahe Unglaubliches. Auf ein gegebenes Zeichen ſind die Pferde bereit, den Wettkampf zu beginnen: ſie wiehern hell auf, ſie ſtampfen vor Ungeduld. Dann ſtürzen ſie ſich auf die Bahn, und eins will das andere übereilen. Niemand ſitzt auf ihnen, Niemand ſagt ihnen, um was es ſich handle, Niemand feuert ſie an; ſie merken es von ſich aus. Jedes feuert ſich ſelbſt an und wird von jedem angefeuert. Und das, was zuerſt am Ziele iſt, lobt ſich ſelbſt und wird von den Menſchen gelobt. Es iſt dafür empfindlich; doch wird kein Neid oder Haß gegen den Sieger
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0378"n="356"/><fwplace="top"type="header">Einhufer. — Das Pferd.</fw><lb/>
ton. Es ſcharrt freudig mit dem Vorderfuße, wenn dieſer Ton zum Laufen im Wettrennen und zur<lb/>
Schlacht ertönt, es kennt und verſteht auch die Trommel und alle Töne, die mit ſeinem Muth und<lb/>
mit ſeiner Furcht in Verbindung ſtehen. Es kennt den Kanonendonner, hört ihn aber, wenn es in<lb/>
Schlachten zerſchoſſene Gefährten geſehen, nicht gerne. Der Wolkendonner iſt ihm ebenfalls nicht<lb/>
angenehm. Vielleicht wirkt das Gewitter nachtheilig ein.‟</p><lb/><p>„Das Pferd iſt der Furcht ſehr zugänglich und nähert ſich auch darin dem Menſchen. Es er-<lb/>ſchrickt über einen ungewohnten Ton, ein ungewohntes Ding, eine flatternde Fahne, ein Hemd, was<lb/>
zum Fenſter herausweht. Sorgſam beſchaut es den Boden, welcher Steine hat, ſorglich tritt es in<lb/>
den Bach, den Fluß. Ein Pferd, welches in eine Hausgrube gefallen und wieder heraufgezogen wor-<lb/>
den war, war ſehr erſchrocken; ein anderes, welches in eine Kalkgrube geſprungen war, ließ ſich willig<lb/>
binden und herausziehen: es wollte den Rettenden helfen. Auf ſchmalen Gebirgspfaden zittert es.<lb/>
Es weiß, daß es nur Fuß iſt und ſich an gar Nichts anhalten kann. Den Blitz fürchtet es heftig.<lb/>
Jm Gewitter ſchwitzt es vor Angſt, erſchlagen zu werden. Reißt eins aus, ſo kann das andere, uner-<lb/>ſchrockene es zurückhalten; gewöhnlich aber ergreift es der Schrecken ebenfalls, und beide rennen in<lb/>
immer ſteigender Furcht und Angſt, raſen über und durch alles Mögliche heim, in die Tenne, an eine<lb/>
Wand, wie toll. Wieviel Unglück veranlaßt und verurſacht das ſonſt ſo verſtändige, gehorſame und<lb/>
gutwillige Thier, welches dem Herrn, dem Knecht, der Frau, dem Mädchen, Jedem, der es gut be-<lb/>
handelt, gern gehorcht!‟</p><lb/><p>„Das Pferd kann ſich verwundern, es kann ſtutzen, kann über unbedeutende Dinge, wie ein<lb/>
Kind, erſchrecken, es kann ſich enttäuſchen laſſen, und ſein Kennen kann durch ſeinen Verſtand zum<lb/>
Erkennen werden. Daraus erhellet, daß ſein Verſtand zerrüttet, daß es verrückt werden kann. Durch<lb/>
rohe Behandlung, durch Fluchen und Prügeln der Roßknechte iſt ſchon manches Pferd ſchändlich ver-<lb/>
dorben, um allen ſeinen geiſtigen und gemüthlichen Werth gebracht und völlig dumm und toll gemacht<lb/>
worden. Dagegen wird das Pferd durch edle Behandlung veredelt, hoch gehoben, durch ſie zum<lb/>
halben Menſchen gemacht.‟</p><lb/><p>„Die einzige wahre Luſt des Pferdes iſt zu rennen. Es iſt von Natur ein Reiſender; bar zur<lb/>
Luſt rennen weidende Pferde in den ruſſiſchen Steppen, reiſen mit den Kutſchen im Galopp viele<lb/>
Stunden, eine Tagereiſe weit, ſicher, daß ſie ihren langen Pfad wieder zurückfinden. Welche Wan-<lb/>
derung machen ſie in Paraguay! Auf den Weiden tummeln ſie ſich munter, werfen vorn und hinten<lb/>
auf und treiben allerlei Muthwillen, rennen mit einander, beißen einander. Es gibt ſolche, die immer<lb/>
andere necken. Junge necken ſogar Menſchen. Eine beachtenswerthe Erfahrung! Das Thier, das<lb/>ſich am Menſchen verſucht, muß ſich dem Menſchen nahe fühlen, muß in ihm beinahe ſeines Gleichen<lb/>ſehen. Ein junges Pferd rannte in einem langen, ſchmalen Alpthale einem Trüppchen Reiſender<lb/>
nach, d. h. es ließ ſie zuerſt ungehindert vorbeigehen, dann galoppirte es ihnen nach bis auf einen ein-<lb/>
zigen Schritt vor ſie hin, ſtand dann plötzlich ſtill und ſah ſie an, dann rannte es wieder zurück,<lb/>
that, als ob es weiden wolle, kam dann wieder herangeſprengt, und ſo neckte es ſie vier oder<lb/>
fünf Male zu deren nicht geringer Furcht. Es trieb offenbar reinen Muthwillen, wie ihn ein<lb/>
Menſch treibt, der ſich überlegen fühlt. Als die Reiſenden endlich über eine als Hecke dienende<lb/>
Mauer geſtiegen waren, rannte es an dieſer mehrmals auf und ab, um eine Stelle zum Hinüber-<lb/>ſpringen zu finden, um ſie noch weiter zu necken. Da es keine fand, ſprengte es wieder luſtig<lb/>
auf ſeine alte Weideſtelle zurück.‟</p><lb/><p>„Seine Rennluſt in Verbindung mit ſeinem Adel oder ſeinem Stolze leiſten im römiſchen<lb/>
Corſo beinahe Unglaubliches. Auf ein gegebenes Zeichen ſind die Pferde bereit, den Wettkampf<lb/>
zu beginnen: ſie wiehern hell auf, ſie ſtampfen vor Ungeduld. Dann ſtürzen ſie ſich auf die Bahn,<lb/>
und eins will das andere übereilen. Niemand ſitzt auf ihnen, Niemand ſagt ihnen, um was es<lb/>ſich handle, Niemand feuert ſie an; ſie merken es von ſich aus. Jedes feuert ſich ſelbſt an und<lb/>
wird von jedem angefeuert. Und das, was zuerſt am Ziele iſt, lobt ſich ſelbſt und wird von<lb/>
den Menſchen gelobt. Es iſt dafür empfindlich; doch wird kein Neid oder Haß gegen den Sieger<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[356/0378]
Einhufer. — Das Pferd.
ton. Es ſcharrt freudig mit dem Vorderfuße, wenn dieſer Ton zum Laufen im Wettrennen und zur
Schlacht ertönt, es kennt und verſteht auch die Trommel und alle Töne, die mit ſeinem Muth und
mit ſeiner Furcht in Verbindung ſtehen. Es kennt den Kanonendonner, hört ihn aber, wenn es in
Schlachten zerſchoſſene Gefährten geſehen, nicht gerne. Der Wolkendonner iſt ihm ebenfalls nicht
angenehm. Vielleicht wirkt das Gewitter nachtheilig ein.‟
„Das Pferd iſt der Furcht ſehr zugänglich und nähert ſich auch darin dem Menſchen. Es er-
ſchrickt über einen ungewohnten Ton, ein ungewohntes Ding, eine flatternde Fahne, ein Hemd, was
zum Fenſter herausweht. Sorgſam beſchaut es den Boden, welcher Steine hat, ſorglich tritt es in
den Bach, den Fluß. Ein Pferd, welches in eine Hausgrube gefallen und wieder heraufgezogen wor-
den war, war ſehr erſchrocken; ein anderes, welches in eine Kalkgrube geſprungen war, ließ ſich willig
binden und herausziehen: es wollte den Rettenden helfen. Auf ſchmalen Gebirgspfaden zittert es.
Es weiß, daß es nur Fuß iſt und ſich an gar Nichts anhalten kann. Den Blitz fürchtet es heftig.
Jm Gewitter ſchwitzt es vor Angſt, erſchlagen zu werden. Reißt eins aus, ſo kann das andere, uner-
ſchrockene es zurückhalten; gewöhnlich aber ergreift es der Schrecken ebenfalls, und beide rennen in
immer ſteigender Furcht und Angſt, raſen über und durch alles Mögliche heim, in die Tenne, an eine
Wand, wie toll. Wieviel Unglück veranlaßt und verurſacht das ſonſt ſo verſtändige, gehorſame und
gutwillige Thier, welches dem Herrn, dem Knecht, der Frau, dem Mädchen, Jedem, der es gut be-
handelt, gern gehorcht!‟
„Das Pferd kann ſich verwundern, es kann ſtutzen, kann über unbedeutende Dinge, wie ein
Kind, erſchrecken, es kann ſich enttäuſchen laſſen, und ſein Kennen kann durch ſeinen Verſtand zum
Erkennen werden. Daraus erhellet, daß ſein Verſtand zerrüttet, daß es verrückt werden kann. Durch
rohe Behandlung, durch Fluchen und Prügeln der Roßknechte iſt ſchon manches Pferd ſchändlich ver-
dorben, um allen ſeinen geiſtigen und gemüthlichen Werth gebracht und völlig dumm und toll gemacht
worden. Dagegen wird das Pferd durch edle Behandlung veredelt, hoch gehoben, durch ſie zum
halben Menſchen gemacht.‟
„Die einzige wahre Luſt des Pferdes iſt zu rennen. Es iſt von Natur ein Reiſender; bar zur
Luſt rennen weidende Pferde in den ruſſiſchen Steppen, reiſen mit den Kutſchen im Galopp viele
Stunden, eine Tagereiſe weit, ſicher, daß ſie ihren langen Pfad wieder zurückfinden. Welche Wan-
derung machen ſie in Paraguay! Auf den Weiden tummeln ſie ſich munter, werfen vorn und hinten
auf und treiben allerlei Muthwillen, rennen mit einander, beißen einander. Es gibt ſolche, die immer
andere necken. Junge necken ſogar Menſchen. Eine beachtenswerthe Erfahrung! Das Thier, das
ſich am Menſchen verſucht, muß ſich dem Menſchen nahe fühlen, muß in ihm beinahe ſeines Gleichen
ſehen. Ein junges Pferd rannte in einem langen, ſchmalen Alpthale einem Trüppchen Reiſender
nach, d. h. es ließ ſie zuerſt ungehindert vorbeigehen, dann galoppirte es ihnen nach bis auf einen ein-
zigen Schritt vor ſie hin, ſtand dann plötzlich ſtill und ſah ſie an, dann rannte es wieder zurück,
that, als ob es weiden wolle, kam dann wieder herangeſprengt, und ſo neckte es ſie vier oder
fünf Male zu deren nicht geringer Furcht. Es trieb offenbar reinen Muthwillen, wie ihn ein
Menſch treibt, der ſich überlegen fühlt. Als die Reiſenden endlich über eine als Hecke dienende
Mauer geſtiegen waren, rannte es an dieſer mehrmals auf und ab, um eine Stelle zum Hinüber-
ſpringen zu finden, um ſie noch weiter zu necken. Da es keine fand, ſprengte es wieder luſtig
auf ſeine alte Weideſtelle zurück.‟
„Seine Rennluſt in Verbindung mit ſeinem Adel oder ſeinem Stolze leiſten im römiſchen
Corſo beinahe Unglaubliches. Auf ein gegebenes Zeichen ſind die Pferde bereit, den Wettkampf
zu beginnen: ſie wiehern hell auf, ſie ſtampfen vor Ungeduld. Dann ſtürzen ſie ſich auf die Bahn,
und eins will das andere übereilen. Niemand ſitzt auf ihnen, Niemand ſagt ihnen, um was es
ſich handle, Niemand feuert ſie an; ſie merken es von ſich aus. Jedes feuert ſich ſelbſt an und
wird von jedem angefeuert. Und das, was zuerſt am Ziele iſt, lobt ſich ſelbſt und wird von
den Menſchen gelobt. Es iſt dafür empfindlich; doch wird kein Neid oder Haß gegen den Sieger
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/378>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.