welcher diese überaus nützlichen Thiere zuerst in die Dienste des Menschen traten; nicht einmal über die Gegend, ja über den Erdtheil, in welchem man die ersten Pferde zähmte, ist man im Reinen. Man glaubt, daß es die mittelasiatischen Völker waren, welche vor allen anderen Pferde zähmten. Die Geschichte gedenkt unserer Thiere zuerst in Egypten. Schon die ältesten Hieroglyphen stellen sie als die muthigen Begleiter und Träger des Menschen im Gewühl des Kampfes dar. Jn China und Jndien kennt man das Pferd aber fast ebensolange als Hausthier, und so verschwindet jeder sichere Anhaltepunkt über die Zeit und das Volk, denen wir den Erwerb dieses herrlichen Geschöpfes ver- danken. Dabei ist es sonderbar, daß diese Urvölker es, wie es scheint, vortrefflich verstanden, gerade diejenigen Arten der Familie auszuwählen, welche die größte Begabung besaßen, dem Menschen nütz- lich zu werden. Jn der Neuzeit hat man sich vergeblich bemüht, von den noch wildlebenden Arten die eine oder die andere für den Hausstand zu gewinnen; alle Bersuche, Zebras und Halbesel zu zähmen, sind, bisjetzt wenigstens, gescheitert. Diese, den anderen so nahe verwandten Thiere zeigen sich als vollkommen unzugänglich, und haben sich Geschlechter hindurch, trotz aller Mühe, Nichts von ihrer Wildheit, von ihrer Unbändigkeit nehmen, mit einem Worte nicht erziehen lassen.
Noch gegenwärtig schwärmen in den Steppen Mittelasiens zahlreiche Herden eigentlicher Pferde umher, von denen man nicht recht weiß, was man mit ihnen anfangen, d. h. ob man sie als die wil- den Stammeltern unserer Hausthiere, oder aber als von diesen herstammend, und nur wieder ver- wildert ansehen soll. Diese Pferde unterscheiden sich nicht unwesentlich von unseren Rossen. Die einen, welche man Tarpans nennt, haben alle Eigenschaften echtwilder Thiere an sich, während die anderen, Muzin benannten, mit mehr Recht als verwilderte Abkömmlinge zahmer Pferde ange- sehen werden können, wie solche auch alle Llanos Südamerikas bevölkern. Es dürfte nicht über- flüssig sein, vorher einen Blick auf diese Thiere und ihr Leben zu richten.
Der Tarpan wird von den Tartaren und Kosaken als durchaus wildes Thier angesehen. Er ist ein mittelgroßes, ziemlich mageres Pferd mit dünnen, aber kräftigen, langfeßlichen Beinen, ziemlich langem und dünnen Halse, verhältnißmäßig dickem Kopfe mit stark gebogener Stirn, spitzen, nach vorwärts geneigten Ohren und kleinen, lebhaften, feurigen, boshaften Augen. Die Hufe sind schmal und stumpf zugespitzt; die Behaarung ist im Sommer dicht, kurz, gewellt, namentlich am Hinter- theile, wo sie fast gekräuselt genannt werden kann, im Winter dagegen dicht, stark und lang, zumal am Kinn, wo sie fast einen Bart bildet. Die Mähne ist kurz, dicht, buschig und gekräuselt; der Schwanz ist mittellang. Jm Sommer ist ein einförmiges Braun oder Fahlbrann die vorherrschende Färbung; im Winter werden die Haare heller, bisweilen sogar weiß; die Mähne und die Schwanz- haare dagegen sind gleichmäßig dunkel. Schecken kommen niemals vor, Rappen sind selten.
Als eigentliches Vaterland des Tarpan hat man die Gegend zwischen dem Aralsee und den süd- lichen Hochgebirgen Asiens anzusehen. Das Thier findet sich in großer Menge in allen mongolischen Steppen, auf dem Gobi, in den Wäldern des oberen Hoangho und auf den Gebirgen des nördlichen Jndiens. Früher scheint es viel weiter verbreitet gewesen zu sein, als gegenwärtig, und noch vor etwa hundert Jahren war es in Sibirien, sowie im europäischen Rußland anzutreffen.
Man begegnet dem Tarpan immer in Herden, welche mehrere hundert Stücke zählen können. Gewöhnlich zerfällt die Hauptmenge wieder in kleinere, familienartige Gesellschaften, deren jeder ein Hengst vorsteht. Diese Herden treiben sich in den weiten, offenen und hochgelegenen Steppen umher und wandern grasend in langen Reihen von Ort zu Ort, gewöhnlich dem Winde entgegen. Bei tiefem Schneefall klimmen sie in den Gebirgen empor und scharren an den Abhängen den Schnee weg, um zu ihrer Weide zu gelangen. Die Gebrüder Schlagintweit begegneten den Tarpans noch in Höhen von 18,000 Fuß über dem Meere, da, wo nur noch der Yack und das Moschusthier sich zeig- ten. Auch hier waren diese Pferde außerordentlich aufmerksam und scheu; in der Steppe galten sie geradezu als die vorsichtigsten aller darauf wohnenden Thiere. Mit hoch erhobenem Kopfe schauen
Einhufer.
welcher dieſe überaus nützlichen Thiere zuerſt in die Dienſte des Menſchen traten; nicht einmal über die Gegend, ja über den Erdtheil, in welchem man die erſten Pferde zähmte, iſt man im Reinen. Man glaubt, daß es die mittelaſiatiſchen Völker waren, welche vor allen anderen Pferde zähmten. Die Geſchichte gedenkt unſerer Thiere zuerſt in Egypten. Schon die älteſten Hieroglyphen ſtellen ſie als die muthigen Begleiter und Träger des Menſchen im Gewühl des Kampfes dar. Jn China und Jndien kennt man das Pferd aber faſt ebenſolange als Hausthier, und ſo verſchwindet jeder ſichere Anhaltepunkt über die Zeit und das Volk, denen wir den Erwerb dieſes herrlichen Geſchöpfes ver- danken. Dabei iſt es ſonderbar, daß dieſe Urvölker es, wie es ſcheint, vortrefflich verſtanden, gerade diejenigen Arten der Familie auszuwählen, welche die größte Begabung beſaßen, dem Menſchen nütz- lich zu werden. Jn der Neuzeit hat man ſich vergeblich bemüht, von den noch wildlebenden Arten die eine oder die andere für den Hausſtand zu gewinnen; alle Berſuche, Zebras und Halbeſel zu zähmen, ſind, bisjetzt wenigſtens, geſcheitert. Dieſe, den anderen ſo nahe verwandten Thiere zeigen ſich als vollkommen unzugänglich, und haben ſich Geſchlechter hindurch, trotz aller Mühe, Nichts von ihrer Wildheit, von ihrer Unbändigkeit nehmen, mit einem Worte nicht erziehen laſſen.
Noch gegenwärtig ſchwärmen in den Steppen Mittelaſiens zahlreiche Herden eigentlicher Pferde umher, von denen man nicht recht weiß, was man mit ihnen anfangen, d. h. ob man ſie als die wil- den Stammeltern unſerer Hausthiere, oder aber als von dieſen herſtammend, und nur wieder ver- wildert anſehen ſoll. Dieſe Pferde unterſcheiden ſich nicht unweſentlich von unſeren Roſſen. Die einen, welche man Tarpans nennt, haben alle Eigenſchaften echtwilder Thiere an ſich, während die anderen, Muzin benannten, mit mehr Recht als verwilderte Abkömmlinge zahmer Pferde ange- ſehen werden können, wie ſolche auch alle Llanos Südamerikas bevölkern. Es dürfte nicht über- flüſſig ſein, vorher einen Blick auf dieſe Thiere und ihr Leben zu richten.
Der Tarpan wird von den Tartaren und Koſaken als durchaus wildes Thier angeſehen. Er iſt ein mittelgroßes, ziemlich mageres Pferd mit dünnen, aber kräftigen, langfeßlichen Beinen, ziemlich langem und dünnen Halſe, verhältnißmäßig dickem Kopfe mit ſtark gebogener Stirn, ſpitzen, nach vorwärts geneigten Ohren und kleinen, lebhaften, feurigen, boshaften Augen. Die Hufe ſind ſchmal und ſtumpf zugeſpitzt; die Behaarung iſt im Sommer dicht, kurz, gewellt, namentlich am Hinter- theile, wo ſie faſt gekräuſelt genannt werden kann, im Winter dagegen dicht, ſtark und lang, zumal am Kinn, wo ſie faſt einen Bart bildet. Die Mähne iſt kurz, dicht, buſchig und gekräuſelt; der Schwanz iſt mittellang. Jm Sommer iſt ein einförmiges Braun oder Fahlbrann die vorherrſchende Färbung; im Winter werden die Haare heller, bisweilen ſogar weiß; die Mähne und die Schwanz- haare dagegen ſind gleichmäßig dunkel. Schecken kommen niemals vor, Rappen ſind ſelten.
Als eigentliches Vaterland des Tarpan hat man die Gegend zwiſchen dem Aralſee und den ſüd- lichen Hochgebirgen Aſiens anzuſehen. Das Thier findet ſich in großer Menge in allen mongoliſchen Steppen, auf dem Gobi, in den Wäldern des oberen Hoangho und auf den Gebirgen des nördlichen Jndiens. Früher ſcheint es viel weiter verbreitet geweſen zu ſein, als gegenwärtig, und noch vor etwa hundert Jahren war es in Sibirien, ſowie im europäiſchen Rußland anzutreffen.
Man begegnet dem Tarpan immer in Herden, welche mehrere hundert Stücke zählen können. Gewöhnlich zerfällt die Hauptmenge wieder in kleinere, familienartige Geſellſchaften, deren jeder ein Hengſt vorſteht. Dieſe Herden treiben ſich in den weiten, offenen und hochgelegenen Steppen umher und wandern graſend in langen Reihen von Ort zu Ort, gewöhnlich dem Winde entgegen. Bei tiefem Schneefall klimmen ſie in den Gebirgen empor und ſcharren an den Abhängen den Schnee weg, um zu ihrer Weide zu gelangen. Die Gebrüder Schlagintweit begegneten den Tarpans noch in Höhen von 18,000 Fuß über dem Meere, da, wo nur noch der Yack und das Moſchusthier ſich zeig- ten. Auch hier waren dieſe Pferde außerordentlich aufmerkſam und ſcheu; in der Steppe galten ſie geradezu als die vorſichtigſten aller darauf wohnenden Thiere. Mit hoch erhobenem Kopfe ſchauen
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Einhufer.
welcher dieſe überaus nützlichen Thiere zuerſt in die Dienſte des Menſchen traten; nicht einmal über
die Gegend, ja über den Erdtheil, in welchem man die erſten Pferde zähmte, iſt man im Reinen.
Man glaubt, daß es die mittelaſiatiſchen Völker waren, welche vor allen anderen Pferde zähmten.
Die Geſchichte gedenkt unſerer Thiere zuerſt in Egypten. Schon die älteſten Hieroglyphen ſtellen ſie
als die muthigen Begleiter und Träger des Menſchen im Gewühl des Kampfes dar. Jn China und
Jndien kennt man das Pferd aber faſt ebenſolange als Hausthier, und ſo verſchwindet jeder ſichere
Anhaltepunkt über die Zeit und das Volk, denen wir den Erwerb dieſes herrlichen Geſchöpfes ver-
danken. Dabei iſt es ſonderbar, daß dieſe Urvölker es, wie es ſcheint, vortrefflich verſtanden, gerade
diejenigen Arten der Familie auszuwählen, welche die größte Begabung beſaßen, dem Menſchen nütz-
lich zu werden. Jn der Neuzeit hat man ſich vergeblich bemüht, von den noch wildlebenden Arten
die eine oder die andere für den Hausſtand zu gewinnen; alle Berſuche, Zebras und Halbeſel zu
zähmen, ſind, bisjetzt wenigſtens, geſcheitert. Dieſe, den anderen ſo nahe verwandten Thiere zeigen
ſich als vollkommen unzugänglich, und haben ſich Geſchlechter hindurch, trotz aller Mühe, Nichts von
ihrer Wildheit, von ihrer Unbändigkeit nehmen, mit einem Worte nicht erziehen laſſen.
Noch gegenwärtig ſchwärmen in den Steppen Mittelaſiens zahlreiche Herden eigentlicher Pferde
umher, von denen man nicht recht weiß, was man mit ihnen anfangen, d. h. ob man ſie als die wil-
den Stammeltern unſerer Hausthiere, oder aber als von dieſen herſtammend, und nur wieder ver-
wildert anſehen ſoll. Dieſe Pferde unterſcheiden ſich nicht unweſentlich von unſeren Roſſen. Die
einen, welche man Tarpans nennt, haben alle Eigenſchaften echtwilder Thiere an ſich, während
die anderen, Muzin benannten, mit mehr Recht als verwilderte Abkömmlinge zahmer Pferde ange-
ſehen werden können, wie ſolche auch alle Llanos Südamerikas bevölkern. Es dürfte nicht über-
flüſſig ſein, vorher einen Blick auf dieſe Thiere und ihr Leben zu richten.
Der Tarpan wird von den Tartaren und Koſaken als durchaus wildes Thier angeſehen. Er
iſt ein mittelgroßes, ziemlich mageres Pferd mit dünnen, aber kräftigen, langfeßlichen Beinen, ziemlich
langem und dünnen Halſe, verhältnißmäßig dickem Kopfe mit ſtark gebogener Stirn, ſpitzen, nach
vorwärts geneigten Ohren und kleinen, lebhaften, feurigen, boshaften Augen. Die Hufe ſind ſchmal
und ſtumpf zugeſpitzt; die Behaarung iſt im Sommer dicht, kurz, gewellt, namentlich am Hinter-
theile, wo ſie faſt gekräuſelt genannt werden kann, im Winter dagegen dicht, ſtark und lang, zumal
am Kinn, wo ſie faſt einen Bart bildet. Die Mähne iſt kurz, dicht, buſchig und gekräuſelt; der
Schwanz iſt mittellang. Jm Sommer iſt ein einförmiges Braun oder Fahlbrann die vorherrſchende
Färbung; im Winter werden die Haare heller, bisweilen ſogar weiß; die Mähne und die Schwanz-
haare dagegen ſind gleichmäßig dunkel. Schecken kommen niemals vor, Rappen ſind ſelten.
Als eigentliches Vaterland des Tarpan hat man die Gegend zwiſchen dem Aralſee und den ſüd-
lichen Hochgebirgen Aſiens anzuſehen. Das Thier findet ſich in großer Menge in allen mongoliſchen
Steppen, auf dem Gobi, in den Wäldern des oberen Hoangho und auf den Gebirgen des nördlichen
Jndiens. Früher ſcheint es viel weiter verbreitet geweſen zu ſein, als gegenwärtig, und noch vor
etwa hundert Jahren war es in Sibirien, ſowie im europäiſchen Rußland anzutreffen.
Man begegnet dem Tarpan immer in Herden, welche mehrere hundert Stücke zählen können.
Gewöhnlich zerfällt die Hauptmenge wieder in kleinere, familienartige Geſellſchaften, deren jeder ein
Hengſt vorſteht. Dieſe Herden treiben ſich in den weiten, offenen und hochgelegenen Steppen umher
und wandern graſend in langen Reihen von Ort zu Ort, gewöhnlich dem Winde entgegen. Bei
tiefem Schneefall klimmen ſie in den Gebirgen empor und ſcharren an den Abhängen den Schnee weg,
um zu ihrer Weide zu gelangen. Die Gebrüder Schlagintweit begegneten den Tarpans noch in
Höhen von 18,000 Fuß über dem Meere, da, wo nur noch der Yack und das Moſchusthier ſich zeig-
ten. Auch hier waren dieſe Pferde außerordentlich aufmerkſam und ſcheu; in der Steppe galten ſie
geradezu als die vorſichtigſten aller darauf wohnenden Thiere. Mit hoch erhobenem Kopfe ſchauen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/355>, abgerufen am 28.06.2024.
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