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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Das Opossum.
kannst du dich hinstellen und auch noch auf Füchse und Eulen anstehen, welche bei dem Gedanken
frohlocken, daß du ihren Feind und deinen Freund, die arme Krähe, weggeputzt hast. Die werth-
volle Henne, der du vorher so gegen ein Dutzend Eier untergelegt hast, ist diese jetzt glücklich los-
geworden. Trotz all ihres ängstlichen Geschreies, trotz ihrer gesträubten Federn hat das Opossum
die Eier verspeist, eins nach dem andern, und nun schau nur, wie der arme Vogel im Hofe herum-
läuft und selbst jetzt noch in wahnwitziger Angst nach seinen Jungen ruft!"

"Das kommt also von deinem Krähenschießen her. Wärest du barmherziger und gescheiter ge-
wesen, so wäre das Opossum wohl im Walde geblieben und hätte sich mit einem Eichhörnchen be-
gnügt oder mit einem Häslein, mit den Eiern des Truthahns oder mit den Trauben, die so
reichlich die Zweige unserer Waldbäume schmücken: Aber ich rede dir vergeblich vor!" --

"Doch auch angenommen, der Bauer hätte das Opossum über der That ertappt, -- dann
spornt ihn sein Aerger an, das arme Thier mit Fußtritten zu mißhandeln. Dieses aber, wohl-
bewußt seiner Widerstandsunfähigkeit, rollt sich zusammen wie eine Kugel. Jemehr der Bauer rast,
destoweniger läßt sich das Thier etwas von seiner Empfindung merken. Zuletzt liegt es da, nicht
todt, aber erschöpft, die Kinnladen geöffnet, die Zunge heraushängend, die Augen getrübt, und so
würde es daliegen, bis die Schmeißfliege ihre Eier auf den Pelz legte, wenn nicht sein Quälgeist
fortginge. ""Sicherlich,"" sagt der Bauer, ""das Vieh muß todt sein."" Bewahre, Leser, es
"opossumt" ihm nur Etwas vor. Und kaum ist sein Feind davon, so macht es sich auf die Beine und
trollt sich wieder in den Wald."

Jch glaube, daß ich diese anmuthige Schilderung blos noch etwas zu vervollständigen brauche,
um das Leben und Treiben der Beutelratte jedem meiner Leser hinlänglich kennen zu lehren.

Das Opossum ist ein Baumthier, wie seine ganze Ausrüstung beweist. Auf dem Boden ist es
ziemlich langsam und unbehilflich. Es tritt beim Gehen mit ganzer Sohle auf. Alle Bewegungen
sind träg, und selbst der Lauf fördert nur wenig, obgleich er aus einer Reihe von paßartigen Sprün-
gen besteht. Jn den Baumkronen dagegen klettert das Thier mit großer Sicherheit und auch ziemlich
hurtig umher. Dabei kommt ihm der abgesonderte Daumen seiner Hinterhände, mit welchem es
die Aeste umspannen und festhalten kann, sowie der Rollschwanz gut zustatten. Nicht selten hängt
es sich an letzterem auf, wie unsere Abbildung es zeigt, und verbleibt stundenlang in dieser Lage.
Sein schwerfälliger Bau hindert es freilich, mit derselben Schnelligkeit und Gewandtheit zu
klettern, wie die Vierhänder oder Nager es vermögen; doch ist es auf dem Baum so ziemlich vor
Feinden geborgen. Am Boden muß es, wenn ihm seine Verfolger auf die Näthe gehen, zur Ver-
stellung greifen, um sich zu retten. Unter seinen Sinnen ist der Geruch besonders ausgebildet und
das Spurvermögen soll sehr groß sein. Gegen blendendes Licht zeigt es Empfindlichkeit und vermei-
det es deshalb sorgfältig. Dies genügt also, um anzunehmen, daß auch das Gesicht ziemlich gut sein
muß. Die anderen Sinne aber stehen unzweifelhaft auf einer sehr niedrigen Stufe.

Jn den großen, dunklen Wäldern schleicht das Opossum Tag und Nacht umher, obgleich es die
Dunkelheit immer dem Lichte vorzieht. Da aber, wo es Gefahr befürchtet, ja schon da, wo ihm die
Helle beschwerlich fällt, erscheint es blos nachts, verschläft den ganzen Tag in Erdhöhlen oder
Baumhöhlungen. Nur zur Zeit der Paarung lebt es mit seinem Weibchen zusammen; im ganzen
übrigen Jahre führt es ein einsames, ungeselliges Leben nach Art aller ihm nahe verwandten Thiere.
Es hat keine bestimmte Wohnung, sondern benutzt jeden Schlupfwinkel, den es nach vollbrachter
Nachtwanderung mit Anbruch des Morgens entdeckt. Jst ihm das Glück besonders günstig und
findet es eine Höhlung auf, in welcher irgend ein schwacher Nager wohnt, so ist ihm das natürlich
um so lieber; denn dann muß der Urbewohner einer solchen Behausung ihm gleich zur Nahrung
dienen. Es verzehrt, wie wir aus Audubon's Schilderung annehmen können, alle kleinen
Säugethiere und Vögel, welche es erwischen kann, ebenso auch Eier, mancherlei Lurche, größere
Kerfe, deren Larven und selbst Würmer, begnügt sich aber auch in Ermanglung von thierischer Nah-
rung mit Baumfrüchten, z. B. mit Mais und nahrungshaltigen Wurzeln. Blut zieht es allen

2 *

Das Opoſſum.
kannſt du dich hinſtellen und auch noch auf Füchſe und Eulen anſtehen, welche bei dem Gedanken
frohlocken, daß du ihren Feind und deinen Freund, die arme Krähe, weggeputzt haſt. Die werth-
volle Henne, der du vorher ſo gegen ein Dutzend Eier untergelegt haſt, iſt dieſe jetzt glücklich los-
geworden. Trotz all ihres ängſtlichen Geſchreies, trotz ihrer geſträubten Federn hat das Opoſſum
die Eier verſpeiſt, eins nach dem andern, und nun ſchau nur, wie der arme Vogel im Hofe herum-
läuft und ſelbſt jetzt noch in wahnwitziger Angſt nach ſeinen Jungen ruft!‟

„Das kommt alſo von deinem Krähenſchießen her. Wäreſt du barmherziger und geſcheiter ge-
weſen, ſo wäre das Opoſſum wohl im Walde geblieben und hätte ſich mit einem Eichhörnchen be-
gnügt oder mit einem Häslein, mit den Eiern des Truthahns oder mit den Trauben, die ſo
reichlich die Zweige unſerer Waldbäume ſchmücken: Aber ich rede dir vergeblich vor!‟ —

„Doch auch angenommen, der Bauer hätte das Opoſſum über der That ertappt, — dann
ſpornt ihn ſein Aerger an, das arme Thier mit Fußtritten zu mißhandeln. Dieſes aber, wohl-
bewußt ſeiner Widerſtandsunfähigkeit, rollt ſich zuſammen wie eine Kugel. Jemehr der Bauer raſt,
deſtoweniger läßt ſich das Thier etwas von ſeiner Empfindung merken. Zuletzt liegt es da, nicht
todt, aber erſchöpft, die Kinnladen geöffnet, die Zunge heraushängend, die Augen getrübt, und ſo
würde es daliegen, bis die Schmeißfliege ihre Eier auf den Pelz legte, wenn nicht ſein Quälgeiſt
fortginge. „„Sicherlich,‟‟ ſagt der Bauer, „„das Vieh muß todt ſein.‟‟ Bewahre, Leſer, es
„opoſſumt‟ ihm nur Etwas vor. Und kaum iſt ſein Feind davon, ſo macht es ſich auf die Beine und
trollt ſich wieder in den Wald.‟

Jch glaube, daß ich dieſe anmuthige Schilderung blos noch etwas zu vervollſtändigen brauche,
um das Leben und Treiben der Beutelratte jedem meiner Leſer hinlänglich kennen zu lehren.

Das Opoſſum iſt ein Baumthier, wie ſeine ganze Ausrüſtung beweiſt. Auf dem Boden iſt es
ziemlich langſam und unbehilflich. Es tritt beim Gehen mit ganzer Sohle auf. Alle Bewegungen
ſind träg, und ſelbſt der Lauf fördert nur wenig, obgleich er aus einer Reihe von paßartigen Sprün-
gen beſteht. Jn den Baumkronen dagegen klettert das Thier mit großer Sicherheit und auch ziemlich
hurtig umher. Dabei kommt ihm der abgeſonderte Daumen ſeiner Hinterhände, mit welchem es
die Aeſte umſpannen und feſthalten kann, ſowie der Rollſchwanz gut zuſtatten. Nicht ſelten hängt
es ſich an letzterem auf, wie unſere Abbildung es zeigt, und verbleibt ſtundenlang in dieſer Lage.
Sein ſchwerfälliger Bau hindert es freilich, mit derſelben Schnelligkeit und Gewandtheit zu
klettern, wie die Vierhänder oder Nager es vermögen; doch iſt es auf dem Baum ſo ziemlich vor
Feinden geborgen. Am Boden muß es, wenn ihm ſeine Verfolger auf die Näthe gehen, zur Ver-
ſtellung greifen, um ſich zu retten. Unter ſeinen Sinnen iſt der Geruch beſonders ausgebildet und
das Spurvermögen ſoll ſehr groß ſein. Gegen blendendes Licht zeigt es Empfindlichkeit und vermei-
det es deshalb ſorgfältig. Dies genügt alſo, um anzunehmen, daß auch das Geſicht ziemlich gut ſein
muß. Die anderen Sinne aber ſtehen unzweifelhaft auf einer ſehr niedrigen Stufe.

Jn den großen, dunklen Wäldern ſchleicht das Opoſſum Tag und Nacht umher, obgleich es die
Dunkelheit immer dem Lichte vorzieht. Da aber, wo es Gefahr befürchtet, ja ſchon da, wo ihm die
Helle beſchwerlich fällt, erſcheint es blos nachts, verſchläft den ganzen Tag in Erdhöhlen oder
Baumhöhlungen. Nur zur Zeit der Paarung lebt es mit ſeinem Weibchen zuſammen; im ganzen
übrigen Jahre führt es ein einſames, ungeſelliges Leben nach Art aller ihm nahe verwandten Thiere.
Es hat keine beſtimmte Wohnung, ſondern benutzt jeden Schlupfwinkel, den es nach vollbrachter
Nachtwanderung mit Anbruch des Morgens entdeckt. Jſt ihm das Glück beſonders günſtig und
findet es eine Höhlung auf, in welcher irgend ein ſchwacher Nager wohnt, ſo iſt ihm das natürlich
um ſo lieber; denn dann muß der Urbewohner einer ſolchen Behauſung ihm gleich zur Nahrung
dienen. Es verzehrt, wie wir aus Audubon’s Schilderung annehmen können, alle kleinen
Säugethiere und Vögel, welche es erwiſchen kann, ebenſo auch Eier, mancherlei Lurche, größere
Kerfe, deren Larven und ſelbſt Würmer, begnügt ſich aber auch in Ermanglung von thieriſcher Nah-
rung mit Baumfrüchten, z. B. mit Mais und nahrungshaltigen Wurzeln. Blut zieht es allen

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[19/0031] Das Opoſſum. kannſt du dich hinſtellen und auch noch auf Füchſe und Eulen anſtehen, welche bei dem Gedanken frohlocken, daß du ihren Feind und deinen Freund, die arme Krähe, weggeputzt haſt. Die werth- volle Henne, der du vorher ſo gegen ein Dutzend Eier untergelegt haſt, iſt dieſe jetzt glücklich los- geworden. Trotz all ihres ängſtlichen Geſchreies, trotz ihrer geſträubten Federn hat das Opoſſum die Eier verſpeiſt, eins nach dem andern, und nun ſchau nur, wie der arme Vogel im Hofe herum- läuft und ſelbſt jetzt noch in wahnwitziger Angſt nach ſeinen Jungen ruft!‟ „Das kommt alſo von deinem Krähenſchießen her. Wäreſt du barmherziger und geſcheiter ge- weſen, ſo wäre das Opoſſum wohl im Walde geblieben und hätte ſich mit einem Eichhörnchen be- gnügt oder mit einem Häslein, mit den Eiern des Truthahns oder mit den Trauben, die ſo reichlich die Zweige unſerer Waldbäume ſchmücken: Aber ich rede dir vergeblich vor!‟ — „Doch auch angenommen, der Bauer hätte das Opoſſum über der That ertappt, — dann ſpornt ihn ſein Aerger an, das arme Thier mit Fußtritten zu mißhandeln. Dieſes aber, wohl- bewußt ſeiner Widerſtandsunfähigkeit, rollt ſich zuſammen wie eine Kugel. Jemehr der Bauer raſt, deſtoweniger läßt ſich das Thier etwas von ſeiner Empfindung merken. Zuletzt liegt es da, nicht todt, aber erſchöpft, die Kinnladen geöffnet, die Zunge heraushängend, die Augen getrübt, und ſo würde es daliegen, bis die Schmeißfliege ihre Eier auf den Pelz legte, wenn nicht ſein Quälgeiſt fortginge. „„Sicherlich,‟‟ ſagt der Bauer, „„das Vieh muß todt ſein.‟‟ Bewahre, Leſer, es „opoſſumt‟ ihm nur Etwas vor. Und kaum iſt ſein Feind davon, ſo macht es ſich auf die Beine und trollt ſich wieder in den Wald.‟ Jch glaube, daß ich dieſe anmuthige Schilderung blos noch etwas zu vervollſtändigen brauche, um das Leben und Treiben der Beutelratte jedem meiner Leſer hinlänglich kennen zu lehren. Das Opoſſum iſt ein Baumthier, wie ſeine ganze Ausrüſtung beweiſt. Auf dem Boden iſt es ziemlich langſam und unbehilflich. Es tritt beim Gehen mit ganzer Sohle auf. Alle Bewegungen ſind träg, und ſelbſt der Lauf fördert nur wenig, obgleich er aus einer Reihe von paßartigen Sprün- gen beſteht. Jn den Baumkronen dagegen klettert das Thier mit großer Sicherheit und auch ziemlich hurtig umher. Dabei kommt ihm der abgeſonderte Daumen ſeiner Hinterhände, mit welchem es die Aeſte umſpannen und feſthalten kann, ſowie der Rollſchwanz gut zuſtatten. Nicht ſelten hängt es ſich an letzterem auf, wie unſere Abbildung es zeigt, und verbleibt ſtundenlang in dieſer Lage. Sein ſchwerfälliger Bau hindert es freilich, mit derſelben Schnelligkeit und Gewandtheit zu klettern, wie die Vierhänder oder Nager es vermögen; doch iſt es auf dem Baum ſo ziemlich vor Feinden geborgen. Am Boden muß es, wenn ihm ſeine Verfolger auf die Näthe gehen, zur Ver- ſtellung greifen, um ſich zu retten. Unter ſeinen Sinnen iſt der Geruch beſonders ausgebildet und das Spurvermögen ſoll ſehr groß ſein. Gegen blendendes Licht zeigt es Empfindlichkeit und vermei- det es deshalb ſorgfältig. Dies genügt alſo, um anzunehmen, daß auch das Geſicht ziemlich gut ſein muß. Die anderen Sinne aber ſtehen unzweifelhaft auf einer ſehr niedrigen Stufe. Jn den großen, dunklen Wäldern ſchleicht das Opoſſum Tag und Nacht umher, obgleich es die Dunkelheit immer dem Lichte vorzieht. Da aber, wo es Gefahr befürchtet, ja ſchon da, wo ihm die Helle beſchwerlich fällt, erſcheint es blos nachts, verſchläft den ganzen Tag in Erdhöhlen oder Baumhöhlungen. Nur zur Zeit der Paarung lebt es mit ſeinem Weibchen zuſammen; im ganzen übrigen Jahre führt es ein einſames, ungeſelliges Leben nach Art aller ihm nahe verwandten Thiere. Es hat keine beſtimmte Wohnung, ſondern benutzt jeden Schlupfwinkel, den es nach vollbrachter Nachtwanderung mit Anbruch des Morgens entdeckt. Jſt ihm das Glück beſonders günſtig und findet es eine Höhlung auf, in welcher irgend ein ſchwacher Nager wohnt, ſo iſt ihm das natürlich um ſo lieber; denn dann muß der Urbewohner einer ſolchen Behauſung ihm gleich zur Nahrung dienen. Es verzehrt, wie wir aus Audubon’s Schilderung annehmen können, alle kleinen Säugethiere und Vögel, welche es erwiſchen kann, ebenſo auch Eier, mancherlei Lurche, größere Kerfe, deren Larven und ſelbſt Würmer, begnügt ſich aber auch in Ermanglung von thieriſcher Nah- rung mit Baumfrüchten, z. B. mit Mais und nahrungshaltigen Wurzeln. Blut zieht es allen 2 *

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/31>, abgerufen am 23.11.2024.