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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Faulthiere.

Beim Schlafen und Ruhen nimmt das Faulthier eine ganz ähnliche Stellung an, wie gewöhn-
lich. Es stellt die vier Beine dicht an einander, beugt den Leib fast kugelförmig zusammen und senkt
den Kopf gegen die Brust, ohne ihn jedoch auf derselben ruhen zu lassen oder ihn darauf zu stützen;
und in dieser Lage hängt es wirklich oft ganze Tage und Nächte genau auf derselben Stelle, ohne zu
ermüden. Nur ausnahmsweise sucht es mit den Vorderarmen einen höheren Zweig zu fassen, hebt
den Körper dadurch vorn empor und stützt vielleicht sogar seinen Rücken auf einen anderen Ast. Eine
so bequeme Lage bereitet es sich jedoch blos sehr selten.

So unempfindlich das Thier gegen Hunger und Durst zu sein scheint, so empfindlich zeigt es
sich gegen die Nässe und die damit verbundene Kühle. Bei dem schwächsten Regen sucht es sich so
eilig als möglich unter die dichteste Bedachung der Blätter zu flüchten und macht dann sogar ver-
zweifelte Anstrengungen, seinen Namen zu widerlegen. Jn der Regenzeit hängt es oft Tage lang
traurig und kläglich an ein und derselben Stelle, sicherlich im höchsten Grade durch das herabstürzende
Wasser belästigt.

Nur höchst selten und gewöhnlich blos des Abends oder bei anbrechendem Morgen, oder auch
wenn sich das Faulthier beunruhigt fühlt, vernimmt man seine Stimme. Sie ist nicht laut und
besteht aus einem kläglichen, geradeaus gehaltenen, feinen, kurzen und schneidenden Tone, welcher
von Einigen mit einer oftmaligen Wiederholung des Lautes J wiedergegeben wird. Ein Mitglied der
Familie führt den Namen Ai, und dieser sollte das Geschrei ausdrücken. Die neueren Beobachter
aber haben niemals von einem Faulthiere Töne vernommen, welche Doppel-Lauten gleichen, oder
gar, wie frühere Beobachter ebenfalls behaupten, aus einem auf- und absteigenden Akkord bestehen.
Bei Tage hört man von dem Faulthier höchstens tiefe Seufzer. Beim Gehen oder Humpeln auf der
Erde aber schreit es fast nie, selbst wenn es auf das äußerste gereizt wird.

Es muß schon aus dem bereits Mitgetheilten hervorgehen, daß die geistigen Fähigkeiten der
Faulthiere außerordentlich gering sind. Alle Sinne scheinen im hohen Grade stumpf zu sein, und
unter ihnen ist vielleicht das Auge noch am wenigsten entwickelt. Es ist blöde und ausdruckslos wie
kein zweites Säugethierauge. Daß das Gehör nicht ausgezeichnet ist, geht schon aus der geringen
Größe und versteckten Lage der Ohrmuscheln hervor, und von der Stumpfheit des Geschmacks, sowie
des Gefühls hat man sich mehr als einmal überzeugen können. So bliebe blos der Geruch noch
übrig: über ihn scheint man aber auch nichts Rühmliches sagen zu können. Noch weit trauriger sieht
es mit den höheren geistigen Kräften aus. Alle Faulthiere zeigen nicht die geringste Spur von Ver-
stand, vielmehr eine Stumpfheit, Dummheit und Gleichgiltigkeit, wie kein einziges anderes Säuge-
thier. Jhre geistigen Fähigkeiten scheinen sich überhaupt auf einen vollkommen unbewußten Natur-
trieb zu beschränken; wenigstens dürfte hier der schwankende Begriff einer niederen Geistesregung, den
wir mit Naturtrieb (Jnstinkt) zu bezeichnen pflegen, noch am besten angewendet werden können.
Die Faulthiere erkennen keinen anderen Gegenstand, als die Blätter, welche sie fressen, und bezüg-
lich die Bäume, auf denen solche freßbare Blätter wachsen. Man nennt sie harmlos, weil sie keine
Bosheit zeigen; damit will man aber ausdrücken, daß sie überhaupt keiner geistigen Regungen
fähig sind. Sie haben keine Leidenschaften; sie fühlen weder Haß noch Liebe, weder Freundschaft für
andere Mitglieder ihrer Art, noch Feindschaft gegen andere Geschöpfe; sie kennen keine Furcht, besitzen
aber auch keinen Muth; sie scheinen keine Freude zu haben, aber auch der Traurigkeit unzugänglich
zu sein. Ohne recht zu wissen, was sie wollen, vertheidigen sie sich gegen ihre Feinde, wenn sie an-
gegriffen werden. Von Geist ist bei den Faulthieren kaum zu reden.

Es läßt sich fast erwarten, daß solche Thiere blos ein einziges Junges werfen. Das Eine
scheint der Mutter schon zu viel zu sein. Vollkommen behaart, ja sogar mit bereits ziemlich ent-
wickelten Krallen und Zehen kommt das Junge zur Welt und klammert sich sofort nach seiner Geburt
mit diesen Krallen an den langen Haaren der Mutter fest, mit den Armen ihren Hals umschlingend.
Nun schleppt es die Alte immer in derselben Weise überall mit sich herum. Anfangs scheint es, als
betrachte sie ihr Kind mit großer Zärtlichkeit; doch diese Mutterliebe erkaltet gar bald, und die

Die Faulthiere.

Beim Schlafen und Ruhen nimmt das Faulthier eine ganz ähnliche Stellung an, wie gewöhn-
lich. Es ſtellt die vier Beine dicht an einander, beugt den Leib faſt kugelförmig zuſammen und ſenkt
den Kopf gegen die Bruſt, ohne ihn jedoch auf derſelben ruhen zu laſſen oder ihn darauf zu ſtützen;
und in dieſer Lage hängt es wirklich oft ganze Tage und Nächte genau auf derſelben Stelle, ohne zu
ermüden. Nur ausnahmsweiſe ſucht es mit den Vorderarmen einen höheren Zweig zu faſſen, hebt
den Körper dadurch vorn empor und ſtützt vielleicht ſogar ſeinen Rücken auf einen anderen Aſt. Eine
ſo bequeme Lage bereitet es ſich jedoch blos ſehr ſelten.

So unempfindlich das Thier gegen Hunger und Durſt zu ſein ſcheint, ſo empfindlich zeigt es
ſich gegen die Näſſe und die damit verbundene Kühle. Bei dem ſchwächſten Regen ſucht es ſich ſo
eilig als möglich unter die dichteſte Bedachung der Blätter zu flüchten und macht dann ſogar ver-
zweifelte Anſtrengungen, ſeinen Namen zu widerlegen. Jn der Regenzeit hängt es oft Tage lang
traurig und kläglich an ein und derſelben Stelle, ſicherlich im höchſten Grade durch das herabſtürzende
Waſſer beläſtigt.

Nur höchſt ſelten und gewöhnlich blos des Abends oder bei anbrechendem Morgen, oder auch
wenn ſich das Faulthier beunruhigt fühlt, vernimmt man ſeine Stimme. Sie iſt nicht laut und
beſteht aus einem kläglichen, geradeaus gehaltenen, feinen, kurzen und ſchneidenden Tone, welcher
von Einigen mit einer oftmaligen Wiederholung des Lautes J wiedergegeben wird. Ein Mitglied der
Familie führt den Namen Ai, und dieſer ſollte das Geſchrei ausdrücken. Die neueren Beobachter
aber haben niemals von einem Faulthiere Töne vernommen, welche Doppel-Lauten gleichen, oder
gar, wie frühere Beobachter ebenfalls behaupten, aus einem auf- und abſteigenden Akkord beſtehen.
Bei Tage hört man von dem Faulthier höchſtens tiefe Seufzer. Beim Gehen oder Humpeln auf der
Erde aber ſchreit es faſt nie, ſelbſt wenn es auf das äußerſte gereizt wird.

Es muß ſchon aus dem bereits Mitgetheilten hervorgehen, daß die geiſtigen Fähigkeiten der
Faulthiere außerordentlich gering ſind. Alle Sinne ſcheinen im hohen Grade ſtumpf zu ſein, und
unter ihnen iſt vielleicht das Auge noch am wenigſten entwickelt. Es iſt blöde und ausdruckslos wie
kein zweites Säugethierauge. Daß das Gehör nicht ausgezeichnet iſt, geht ſchon aus der geringen
Größe und verſteckten Lage der Ohrmuſcheln hervor, und von der Stumpfheit des Geſchmacks, ſowie
des Gefühls hat man ſich mehr als einmal überzeugen können. So bliebe blos der Geruch noch
übrig: über ihn ſcheint man aber auch nichts Rühmliches ſagen zu können. Noch weit trauriger ſieht
es mit den höheren geiſtigen Kräften aus. Alle Faulthiere zeigen nicht die geringſte Spur von Ver-
ſtand, vielmehr eine Stumpfheit, Dummheit und Gleichgiltigkeit, wie kein einziges anderes Säuge-
thier. Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſcheinen ſich überhaupt auf einen vollkommen unbewußten Natur-
trieb zu beſchränken; wenigſtens dürfte hier der ſchwankende Begriff einer niederen Geiſtesregung, den
wir mit Naturtrieb (Jnſtinkt) zu bezeichnen pflegen, noch am beſten angewendet werden können.
Die Faulthiere erkennen keinen anderen Gegenſtand, als die Blätter, welche ſie freſſen, und bezüg-
lich die Bäume, auf denen ſolche freßbare Blätter wachſen. Man nennt ſie harmlos, weil ſie keine
Bosheit zeigen; damit will man aber ausdrücken, daß ſie überhaupt keiner geiſtigen Regungen
fähig ſind. Sie haben keine Leidenſchaften; ſie fühlen weder Haß noch Liebe, weder Freundſchaft für
andere Mitglieder ihrer Art, noch Feindſchaft gegen andere Geſchöpfe; ſie kennen keine Furcht, beſitzen
aber auch keinen Muth; ſie ſcheinen keine Freude zu haben, aber auch der Traurigkeit unzugänglich
zu ſein. Ohne recht zu wiſſen, was ſie wollen, vertheidigen ſie ſich gegen ihre Feinde, wenn ſie an-
gegriffen werden. Von Geiſt iſt bei den Faulthieren kaum zu reden.

Es läßt ſich faſt erwarten, daß ſolche Thiere blos ein einziges Junges werfen. Das Eine
ſcheint der Mutter ſchon zu viel zu ſein. Vollkommen behaart, ja ſogar mit bereits ziemlich ent-
wickelten Krallen und Zehen kommt das Junge zur Welt und klammert ſich ſofort nach ſeiner Geburt
mit dieſen Krallen an den langen Haaren der Mutter feſt, mit den Armen ihren Hals umſchlingend.
Nun ſchleppt es die Alte immer in derſelben Weiſe überall mit ſich herum. Anfangs ſcheint es, als
betrachte ſie ihr Kind mit großer Zärtlichkeit; doch dieſe Mutterliebe erkaltet gar bald, und die

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[276/0296] Die Faulthiere. Beim Schlafen und Ruhen nimmt das Faulthier eine ganz ähnliche Stellung an, wie gewöhn- lich. Es ſtellt die vier Beine dicht an einander, beugt den Leib faſt kugelförmig zuſammen und ſenkt den Kopf gegen die Bruſt, ohne ihn jedoch auf derſelben ruhen zu laſſen oder ihn darauf zu ſtützen; und in dieſer Lage hängt es wirklich oft ganze Tage und Nächte genau auf derſelben Stelle, ohne zu ermüden. Nur ausnahmsweiſe ſucht es mit den Vorderarmen einen höheren Zweig zu faſſen, hebt den Körper dadurch vorn empor und ſtützt vielleicht ſogar ſeinen Rücken auf einen anderen Aſt. Eine ſo bequeme Lage bereitet es ſich jedoch blos ſehr ſelten. So unempfindlich das Thier gegen Hunger und Durſt zu ſein ſcheint, ſo empfindlich zeigt es ſich gegen die Näſſe und die damit verbundene Kühle. Bei dem ſchwächſten Regen ſucht es ſich ſo eilig als möglich unter die dichteſte Bedachung der Blätter zu flüchten und macht dann ſogar ver- zweifelte Anſtrengungen, ſeinen Namen zu widerlegen. Jn der Regenzeit hängt es oft Tage lang traurig und kläglich an ein und derſelben Stelle, ſicherlich im höchſten Grade durch das herabſtürzende Waſſer beläſtigt. Nur höchſt ſelten und gewöhnlich blos des Abends oder bei anbrechendem Morgen, oder auch wenn ſich das Faulthier beunruhigt fühlt, vernimmt man ſeine Stimme. Sie iſt nicht laut und beſteht aus einem kläglichen, geradeaus gehaltenen, feinen, kurzen und ſchneidenden Tone, welcher von Einigen mit einer oftmaligen Wiederholung des Lautes J wiedergegeben wird. Ein Mitglied der Familie führt den Namen Ai, und dieſer ſollte das Geſchrei ausdrücken. Die neueren Beobachter aber haben niemals von einem Faulthiere Töne vernommen, welche Doppel-Lauten gleichen, oder gar, wie frühere Beobachter ebenfalls behaupten, aus einem auf- und abſteigenden Akkord beſtehen. Bei Tage hört man von dem Faulthier höchſtens tiefe Seufzer. Beim Gehen oder Humpeln auf der Erde aber ſchreit es faſt nie, ſelbſt wenn es auf das äußerſte gereizt wird. Es muß ſchon aus dem bereits Mitgetheilten hervorgehen, daß die geiſtigen Fähigkeiten der Faulthiere außerordentlich gering ſind. Alle Sinne ſcheinen im hohen Grade ſtumpf zu ſein, und unter ihnen iſt vielleicht das Auge noch am wenigſten entwickelt. Es iſt blöde und ausdruckslos wie kein zweites Säugethierauge. Daß das Gehör nicht ausgezeichnet iſt, geht ſchon aus der geringen Größe und verſteckten Lage der Ohrmuſcheln hervor, und von der Stumpfheit des Geſchmacks, ſowie des Gefühls hat man ſich mehr als einmal überzeugen können. So bliebe blos der Geruch noch übrig: über ihn ſcheint man aber auch nichts Rühmliches ſagen zu können. Noch weit trauriger ſieht es mit den höheren geiſtigen Kräften aus. Alle Faulthiere zeigen nicht die geringſte Spur von Ver- ſtand, vielmehr eine Stumpfheit, Dummheit und Gleichgiltigkeit, wie kein einziges anderes Säuge- thier. Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſcheinen ſich überhaupt auf einen vollkommen unbewußten Natur- trieb zu beſchränken; wenigſtens dürfte hier der ſchwankende Begriff einer niederen Geiſtesregung, den wir mit Naturtrieb (Jnſtinkt) zu bezeichnen pflegen, noch am beſten angewendet werden können. Die Faulthiere erkennen keinen anderen Gegenſtand, als die Blätter, welche ſie freſſen, und bezüg- lich die Bäume, auf denen ſolche freßbare Blätter wachſen. Man nennt ſie harmlos, weil ſie keine Bosheit zeigen; damit will man aber ausdrücken, daß ſie überhaupt keiner geiſtigen Regungen fähig ſind. Sie haben keine Leidenſchaften; ſie fühlen weder Haß noch Liebe, weder Freundſchaft für andere Mitglieder ihrer Art, noch Feindſchaft gegen andere Geſchöpfe; ſie kennen keine Furcht, beſitzen aber auch keinen Muth; ſie ſcheinen keine Freude zu haben, aber auch der Traurigkeit unzugänglich zu ſein. Ohne recht zu wiſſen, was ſie wollen, vertheidigen ſie ſich gegen ihre Feinde, wenn ſie an- gegriffen werden. Von Geiſt iſt bei den Faulthieren kaum zu reden. Es läßt ſich faſt erwarten, daß ſolche Thiere blos ein einziges Junges werfen. Das Eine ſcheint der Mutter ſchon zu viel zu ſein. Vollkommen behaart, ja ſogar mit bereits ziemlich ent- wickelten Krallen und Zehen kommt das Junge zur Welt und klammert ſich ſofort nach ſeiner Geburt mit dieſen Krallen an den langen Haaren der Mutter feſt, mit den Armen ihren Hals umſchlingend. Nun ſchleppt es die Alte immer in derſelben Weiſe überall mit ſich herum. Anfangs ſcheint es, als betrachte ſie ihr Kind mit großer Zärtlichkeit; doch dieſe Mutterliebe erkaltet gar bald, und die

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/296>, abgerufen am 23.11.2024.