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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Faulthiere.

Höchstens zu einer Familie von wenig Mitgliedern vereinigt, führen die trägen, stumpfsinnigen
Geschöpfe ein langweiliges Stillleben und wandern langsam, wenn auch noch viel schneller, als man
annimmt, von Zweig zu Zweig. Jm Verhältniß zu den Bewegungen auf dem Erdboden besitzen
sie freilich noch eine ausnehmende Geschicklichkeit im Klettern. Jhre langen Arme erlauben ihnen
weit zu greifen, und die gewaltigen Krallen gestatten ihnen ein müheloses Festhalten an den Zweigen.
Sie klettern allerdings ganz anders, als die übrigen Baumthiere; denn bei ihnen ist Das die Regel,
was bei den Anderen als Ausnahme erscheint. Den Leib nach unten hängend, reichen sie mit ihren
langen Armen nach den Aesten empor, haken sich hier mittelst ihrer Krallen fest und schieben sich ge-
mächlich weiter von Zweig zu Zweig, von Ast zu Ast. Oft aber bringen sie Tage und Nächte zu,
ohne sich zu bewegen, immer in derselben Stellung, den Leib nach unten hangend. Blos wenn sie
fressen, zeigen sie sich thätiger, als sonst, und in der Dämmerung sind sie noch am lebendigsten.
Sie nähren sich ausschließlich von Knospen, jungen Trieben oder auch wohl von Früchten, und fin-
den in dem reichlichen Thau, welchen sie von den Blättern ablecken, hinlänglichen Ersatz für das
ihnen fehlende Wasser. Die große Trägheit, welche ihnen ihren Namen verschafft hat, bekundet sich
auch beim Erwerb, bei der Aufnahme ihrer Nahrung: sie sind nicht nur im höchsten Grade genüg-
sam und anspruchslos, sondern auch befähigt, Tage lang, ja, wie Einige behaupten, Wochen lang
zu hungern und zu dürsten, ohne irgend welchen Schaden zu nehmen. Solange ihnen ein Baum
Nahrung gewährt, verlassen sie denselben nicht; erst wenn die Weide knapp wird, denken sie daran,
eine Wanderung anzutreten, und steigen dann langsam zwischen die tiefen Zweige hernieder, suchen
sich eine Stelle aus, wo sich das Geäst der benachbarten Bäume mit dem ihres Weidebaumes verbin-
det und haken sich auf der luftigen Brücke zu jenem hinüber. Man hat früher behauptet, daß sie
gewisse Baumarten den anderen vorzögen; doch ist man in der neueren Zeit ganz davon abgekommen,
indem man beobachtet hat, daß eigentlich jede Baumart ihnen recht ist. Uebrigens würden sie auch
wählerisch mit ihrer Nahrung sein können; denn der Reichthum ihrer Heimatsorte an den allerver-
schiedenartigsten Pflanzen ist so groß, daß sie ohne bedeutende Austrengung leicht sich die ihnen lecker
erscheinende Kost würden aussuchen können. Jener üppige Waldsaum, welcher sich in der Nähe der
Ströme dahinzieht und ununterbrochen bis tief in das Jnnere des Waldes reicht, besteht zumeist aus
Baumarten, deren Kronen sich aufs vielfältigste mit einander verschlingen und den Faulthieren ge-
statten, sich, ohne jemals den Boden berühren zu müssen, von einem Punkte auf den anderen zu
begeben. Zudem bedürfen sie blos ein kleines Weidegebiet; denn ihr geringer Verbrauch an Blät-
tern steht mit der Erzeugungsfähigkeit jener bevorzugten Länderstriche gar nicht im Verhältniß. Beim
Fressen bedienen sie sich gewöhnlich ihrer langen Vorderarme, um entferntere Zweige an sich zu
ziehen und Blätter und Früchte von denselben mit den Krallen abzureißen; dann führen sie die
Nahrung mit den Vorderpfoten zum Munde. Außerdem erleichtert ihnen ihr langer Hals das Ab-
weiden der Blätter, durch welche sie sich hindurchwinden müssen, sobald sie sich bewegen. Man
sagt, daß sie auf dicht belaubten Bäumen viel Nahrung und während der Regenzeit auch viel Was-
ser zu sich nehmen können, und Dies würde mit der großen Stumpfheit ihrer Werkzeuge nicht im
Widerspruche stehen: denn gerade diese Stumpfheit, das mehr pflanzliche als thierische Leben ihres
Leibes gestattet ihnen die beiden Aeußersten des Ueberflusses und der Entsagung. Je höher ein
Thier ausgebildet ist, um so gleichmäßiger werden alle Verrichtungen des Leibes vor sich gehen; je tiefer
es steht, um so weniger abhängig ist es von Dem, was wir Bedürfnisse des Lebens nennen. So können
die Faulthiere ohne Beschwerde entbehren und schwelgen in dem einzigen Genuß, den sie kennen: in
der Aufnahme ihrer Nahrung. Sie, die sich sonst blos mit dem Blätterthau laben, sollen nach der
Aussage der Jndianer während der Regenzeit sogar rasch an den Bäumen herabsteigen, um sich
den Flüssen zu nähern und dort ihren Durst zu stillen: -- doch bedarf diese Angabe noch einer
glaubwürdigen Bestätigung, da alle Forscher europäischer Abkunft darin übereinstimmen, daß die
Faulthiere nur gezwungen d. h. mehr durch Zufall, als aus eigenem Triebe auf den Boden herab-
kommen.

Die Faulthiere.

Höchſtens zu einer Familie von wenig Mitgliedern vereinigt, führen die trägen, ſtumpfſinnigen
Geſchöpfe ein langweiliges Stillleben und wandern langſam, wenn auch noch viel ſchneller, als man
annimmt, von Zweig zu Zweig. Jm Verhältniß zu den Bewegungen auf dem Erdboden beſitzen
ſie freilich noch eine ausnehmende Geſchicklichkeit im Klettern. Jhre langen Arme erlauben ihnen
weit zu greifen, und die gewaltigen Krallen geſtatten ihnen ein müheloſes Feſthalten an den Zweigen.
Sie klettern allerdings ganz anders, als die übrigen Baumthiere; denn bei ihnen iſt Das die Regel,
was bei den Anderen als Ausnahme erſcheint. Den Leib nach unten hängend, reichen ſie mit ihren
langen Armen nach den Aeſten empor, haken ſich hier mittelſt ihrer Krallen feſt und ſchieben ſich ge-
mächlich weiter von Zweig zu Zweig, von Aſt zu Aſt. Oft aber bringen ſie Tage und Nächte zu,
ohne ſich zu bewegen, immer in derſelben Stellung, den Leib nach unten hangend. Blos wenn ſie
freſſen, zeigen ſie ſich thätiger, als ſonſt, und in der Dämmerung ſind ſie noch am lebendigſten.
Sie nähren ſich ausſchließlich von Knospen, jungen Trieben oder auch wohl von Früchten, und fin-
den in dem reichlichen Thau, welchen ſie von den Blättern ablecken, hinlänglichen Erſatz für das
ihnen fehlende Waſſer. Die große Trägheit, welche ihnen ihren Namen verſchafft hat, bekundet ſich
auch beim Erwerb, bei der Aufnahme ihrer Nahrung: ſie ſind nicht nur im höchſten Grade genüg-
ſam und anſpruchslos, ſondern auch befähigt, Tage lang, ja, wie Einige behaupten, Wochen lang
zu hungern und zu dürſten, ohne irgend welchen Schaden zu nehmen. Solange ihnen ein Baum
Nahrung gewährt, verlaſſen ſie denſelben nicht; erſt wenn die Weide knapp wird, denken ſie daran,
eine Wanderung anzutreten, und ſteigen dann langſam zwiſchen die tiefen Zweige hernieder, ſuchen
ſich eine Stelle aus, wo ſich das Geäſt der benachbarten Bäume mit dem ihres Weidebaumes verbin-
det und haken ſich auf der luftigen Brücke zu jenem hinüber. Man hat früher behauptet, daß ſie
gewiſſe Baumarten den anderen vorzögen; doch iſt man in der neueren Zeit ganz davon abgekommen,
indem man beobachtet hat, daß eigentlich jede Baumart ihnen recht iſt. Uebrigens würden ſie auch
wähleriſch mit ihrer Nahrung ſein können; denn der Reichthum ihrer Heimatsorte an den allerver-
ſchiedenartigſten Pflanzen iſt ſo groß, daß ſie ohne bedeutende Auſtrengung leicht ſich die ihnen lecker
erſcheinende Koſt würden ausſuchen können. Jener üppige Waldſaum, welcher ſich in der Nähe der
Ströme dahinzieht und ununterbrochen bis tief in das Jnnere des Waldes reicht, beſteht zumeiſt aus
Baumarten, deren Kronen ſich aufs vielfältigſte mit einander verſchlingen und den Faulthieren ge-
ſtatten, ſich, ohne jemals den Boden berühren zu müſſen, von einem Punkte auf den anderen zu
begeben. Zudem bedürfen ſie blos ein kleines Weidegebiet; denn ihr geringer Verbrauch an Blät-
tern ſteht mit der Erzeugungsfähigkeit jener bevorzugten Länderſtriche gar nicht im Verhältniß. Beim
Freſſen bedienen ſie ſich gewöhnlich ihrer langen Vorderarme, um entferntere Zweige an ſich zu
ziehen und Blätter und Früchte von denſelben mit den Krallen abzureißen; dann führen ſie die
Nahrung mit den Vorderpfoten zum Munde. Außerdem erleichtert ihnen ihr langer Hals das Ab-
weiden der Blätter, durch welche ſie ſich hindurchwinden müſſen, ſobald ſie ſich bewegen. Man
ſagt, daß ſie auf dicht belaubten Bäumen viel Nahrung und während der Regenzeit auch viel Waſ-
ſer zu ſich nehmen können, und Dies würde mit der großen Stumpfheit ihrer Werkzeuge nicht im
Widerſpruche ſtehen: denn gerade dieſe Stumpfheit, das mehr pflanzliche als thieriſche Leben ihres
Leibes geſtattet ihnen die beiden Aeußerſten des Ueberfluſſes und der Entſagung. Je höher ein
Thier ausgebildet iſt, um ſo gleichmäßiger werden alle Verrichtungen des Leibes vor ſich gehen; je tiefer
es ſteht, um ſo weniger abhängig iſt es von Dem, was wir Bedürfniſſe des Lebens nennen. So können
die Faulthiere ohne Beſchwerde entbehren und ſchwelgen in dem einzigen Genuß, den ſie kennen: in
der Aufnahme ihrer Nahrung. Sie, die ſich ſonſt blos mit dem Blätterthau laben, ſollen nach der
Ausſage der Jndianer während der Regenzeit ſogar raſch an den Bäumen herabſteigen, um ſich
den Flüſſen zu nähern und dort ihren Durſt zu ſtillen: — doch bedarf dieſe Angabe noch einer
glaubwürdigen Beſtätigung, da alle Forſcher europäiſcher Abkunft darin übereinſtimmen, daß die
Faulthiere nur gezwungen d. h. mehr durch Zufall, als aus eigenem Triebe auf den Boden herab-
kommen.

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[274/0294] Die Faulthiere. Höchſtens zu einer Familie von wenig Mitgliedern vereinigt, führen die trägen, ſtumpfſinnigen Geſchöpfe ein langweiliges Stillleben und wandern langſam, wenn auch noch viel ſchneller, als man annimmt, von Zweig zu Zweig. Jm Verhältniß zu den Bewegungen auf dem Erdboden beſitzen ſie freilich noch eine ausnehmende Geſchicklichkeit im Klettern. Jhre langen Arme erlauben ihnen weit zu greifen, und die gewaltigen Krallen geſtatten ihnen ein müheloſes Feſthalten an den Zweigen. Sie klettern allerdings ganz anders, als die übrigen Baumthiere; denn bei ihnen iſt Das die Regel, was bei den Anderen als Ausnahme erſcheint. Den Leib nach unten hängend, reichen ſie mit ihren langen Armen nach den Aeſten empor, haken ſich hier mittelſt ihrer Krallen feſt und ſchieben ſich ge- mächlich weiter von Zweig zu Zweig, von Aſt zu Aſt. Oft aber bringen ſie Tage und Nächte zu, ohne ſich zu bewegen, immer in derſelben Stellung, den Leib nach unten hangend. Blos wenn ſie freſſen, zeigen ſie ſich thätiger, als ſonſt, und in der Dämmerung ſind ſie noch am lebendigſten. Sie nähren ſich ausſchließlich von Knospen, jungen Trieben oder auch wohl von Früchten, und fin- den in dem reichlichen Thau, welchen ſie von den Blättern ablecken, hinlänglichen Erſatz für das ihnen fehlende Waſſer. Die große Trägheit, welche ihnen ihren Namen verſchafft hat, bekundet ſich auch beim Erwerb, bei der Aufnahme ihrer Nahrung: ſie ſind nicht nur im höchſten Grade genüg- ſam und anſpruchslos, ſondern auch befähigt, Tage lang, ja, wie Einige behaupten, Wochen lang zu hungern und zu dürſten, ohne irgend welchen Schaden zu nehmen. Solange ihnen ein Baum Nahrung gewährt, verlaſſen ſie denſelben nicht; erſt wenn die Weide knapp wird, denken ſie daran, eine Wanderung anzutreten, und ſteigen dann langſam zwiſchen die tiefen Zweige hernieder, ſuchen ſich eine Stelle aus, wo ſich das Geäſt der benachbarten Bäume mit dem ihres Weidebaumes verbin- det und haken ſich auf der luftigen Brücke zu jenem hinüber. Man hat früher behauptet, daß ſie gewiſſe Baumarten den anderen vorzögen; doch iſt man in der neueren Zeit ganz davon abgekommen, indem man beobachtet hat, daß eigentlich jede Baumart ihnen recht iſt. Uebrigens würden ſie auch wähleriſch mit ihrer Nahrung ſein können; denn der Reichthum ihrer Heimatsorte an den allerver- ſchiedenartigſten Pflanzen iſt ſo groß, daß ſie ohne bedeutende Auſtrengung leicht ſich die ihnen lecker erſcheinende Koſt würden ausſuchen können. Jener üppige Waldſaum, welcher ſich in der Nähe der Ströme dahinzieht und ununterbrochen bis tief in das Jnnere des Waldes reicht, beſteht zumeiſt aus Baumarten, deren Kronen ſich aufs vielfältigſte mit einander verſchlingen und den Faulthieren ge- ſtatten, ſich, ohne jemals den Boden berühren zu müſſen, von einem Punkte auf den anderen zu begeben. Zudem bedürfen ſie blos ein kleines Weidegebiet; denn ihr geringer Verbrauch an Blät- tern ſteht mit der Erzeugungsfähigkeit jener bevorzugten Länderſtriche gar nicht im Verhältniß. Beim Freſſen bedienen ſie ſich gewöhnlich ihrer langen Vorderarme, um entferntere Zweige an ſich zu ziehen und Blätter und Früchte von denſelben mit den Krallen abzureißen; dann führen ſie die Nahrung mit den Vorderpfoten zum Munde. Außerdem erleichtert ihnen ihr langer Hals das Ab- weiden der Blätter, durch welche ſie ſich hindurchwinden müſſen, ſobald ſie ſich bewegen. Man ſagt, daß ſie auf dicht belaubten Bäumen viel Nahrung und während der Regenzeit auch viel Waſ- ſer zu ſich nehmen können, und Dies würde mit der großen Stumpfheit ihrer Werkzeuge nicht im Widerſpruche ſtehen: denn gerade dieſe Stumpfheit, das mehr pflanzliche als thieriſche Leben ihres Leibes geſtattet ihnen die beiden Aeußerſten des Ueberfluſſes und der Entſagung. Je höher ein Thier ausgebildet iſt, um ſo gleichmäßiger werden alle Verrichtungen des Leibes vor ſich gehen; je tiefer es ſteht, um ſo weniger abhängig iſt es von Dem, was wir Bedürfniſſe des Lebens nennen. So können die Faulthiere ohne Beſchwerde entbehren und ſchwelgen in dem einzigen Genuß, den ſie kennen: in der Aufnahme ihrer Nahrung. Sie, die ſich ſonſt blos mit dem Blätterthau laben, ſollen nach der Ausſage der Jndianer während der Regenzeit ſogar raſch an den Bäumen herabſteigen, um ſich den Flüſſen zu nähern und dort ihren Durſt zu ſtillen: — doch bedarf dieſe Angabe noch einer glaubwürdigen Beſtätigung, da alle Forſcher europäiſcher Abkunft darin übereinſtimmen, daß die Faulthiere nur gezwungen d. h. mehr durch Zufall, als aus eigenem Triebe auf den Boden herab- kommen.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/294>, abgerufen am 23.11.2024.