Unter den Zahnarmen stellt man die Faulthiere (Bradipodes), welche die einzige Familie dieser Ordnung bilden, oben an, weil sie das Gepräge des Säugethiers noch am meisten festhalten. Verglichen mit den bisher beschriebenen und den meisten der noch zu schildernden Säugern sind alle Faulthiere freilich sehr niedrigstehende, stumpfe und träge Geschöpfe, welche einen wahrhaft kläg- lichen Eindruck auf den Menschen machen. Das ganze Thier erscheint höchst unbehilflich, gleich- sam nur als ein launenhaftes Spiel der Natur oder als ein Zerrbild von dem Vollkommenen, welches sie erschuf. Die vorderen Gliedmaßen sind bedeutend länger, als die hinteren; die Füße sind mehr oder weniger mißgebildet, aber mit gewaltigen Sichelkrallen bewehrt; der Hals ist verhältnißmäßig lang und trägt einen runden, kurzen, assenähnlichen Kopf mit kleinem Munde, welcher von ziemlich harten, wenig beweglichen Lippen umschlossen ist, und Ohrmuscheln, welche vollständig im Pelze ver- borgen sind; der Schwanz ist ein kaum sichtbarer Stummel; die Haare sind im Alter lang und grob wie dürres Heu. Noch eigenthümlicher erscheinen die Faulthiere, wenn man ihren inneren Leibesbau einer Prüfung unterwirft. Ganz auffallend und fast einzig unter den Säugethieren dastehend ist der Bau der Wirbelsäule. Anstatt der sieben Wirbel, welche sonst den Hals zu bilden pflegen, finden sich bei den Faulthieren ihrer neun, ausnahmsweise sogar ihrer zehn, und die Zahl der rippen- tragenden Wirbel steigt von vierzehn auf vierundzwanzig. Einige vergleichende Anatomen sprechen den Halswirbeln freilich ihre Bedeutung ab und betrachten sie blos als verkümmerte Brustwirbel, immerhin aber bleibt dieser Bau im höchsten Grad merkwürdig. Das Gebiß besteht aus fünf cylin- drischen Backzähnen in jeder Reihe, von denen der erste bisweilen eine eckzahnartige Gestalt annimmt; im Unterkiefer stehen meistens blos vier Zähne. Die einen wie die anderen sind eigentlich blos An- fänge von Zähnen; sie bestehen aus Knochenmasse, welche zwar von einer dünnen Schmelzschicht um- schlossen, äußerlich aber noch von Cement umgeben ist: deshalb sind sie ihrem Wesen und ihrer Fär- bung nach eher Hornstifte, als wirkliche Zähne. -- Nicht minder eigenthümlich ist der Bau mancher Weichtheile. Der Magen ist länglich-halbmondförmig und in eine rechte und linke Hälfte zertheilt, zwischen denen die Speiseröhre sich einsenkt; die rechte und kleinere Hälfte ist darmähnlich drei Mal gewunden, die linke ist durch dicke, muskelartige Falten in drei abgesonderte Kammern geschieden. Herz, Leber und Milz sind auffallend klein. Die Arm- und Schenkelschlagader zertheilen sich zu den erwähnten Wundernetzen, indem ihr Stamm durch die ihn umgebenden zahlreichen Schlagaderreiser hindurchtritt oder selbst in Reiser zerfällt und hierdurch die Wundernetze bildet. Auch die Luftröhre ist nicht regelmäßig gebaut; sie erreicht zuweilen eine auffallende Länge und wendet sich in der Brust- höhle. Das Gehirn ist klein und zeigt nur wenige Wendungen, deutet also auf geringe geistige Fähig- keiten dieser Stiefkinder der Natur.
Der Aufenthalt der Faulthiere beschränkt sich auf Südamerika. Jene großen Waldungen in den Niederungen, in denen die Pflanzenwelt zur höchsten Entwickelung gelangt, sind die Wohnorte der merkwürdigen Geschöpfe. Je öder, je dunkler und schattiger der Wald ist, je undurchdringlicher das Dickicht, je verwachsener die Baumkronen, um so geeigneter sind die Wälder für das Leben der ver- kümmerten Wesen. Auch sie sind echte Baumthiere, wie der Affe oder das Eichhorn: aber diese glücklichen Geschöpfe beherrschen die Baumkronen, während jene sklavisch an sie gebunden sind und sich elend abmühen müssen, um kriechend von einem Zweige zum anderen zu gelangen. Eine Strecke, welche für das leichte und übermüthige Volk der Höhe eine Lustwandlung ist, muß dem Faulthiere wie eine weite Reise erscheinen. Jhr Baumleben steht mit dem ganzen Leibesbau im innigsten Ein- klang; ihre leibliche Ausrüstung erlaubt ihnen nicht, ein anderes Reich zu bewohnen.
Brehm, Thierleben. II. 18
Die Faulthiere.
Achte Ordnung. Klammerthiere (Tardigrada).
Unter den Zahnarmen ſtellt man die Faulthiere (Bradipodes), welche die einzige Familie dieſer Ordnung bilden, oben an, weil ſie das Gepräge des Säugethiers noch am meiſten feſthalten. Verglichen mit den bisher beſchriebenen und den meiſten der noch zu ſchildernden Säugern ſind alle Faulthiere freilich ſehr niedrigſtehende, ſtumpfe und träge Geſchöpfe, welche einen wahrhaft kläg- lichen Eindruck auf den Menſchen machen. Das ganze Thier erſcheint höchſt unbehilflich, gleich- ſam nur als ein launenhaftes Spiel der Natur oder als ein Zerrbild von dem Vollkommenen, welches ſie erſchuf. Die vorderen Gliedmaßen ſind bedeutend länger, als die hinteren; die Füße ſind mehr oder weniger mißgebildet, aber mit gewaltigen Sichelkrallen bewehrt; der Hals iſt verhältnißmäßig lang und trägt einen runden, kurzen, aſſenähnlichen Kopf mit kleinem Munde, welcher von ziemlich harten, wenig beweglichen Lippen umſchloſſen iſt, und Ohrmuſcheln, welche vollſtändig im Pelze ver- borgen ſind; der Schwanz iſt ein kaum ſichtbarer Stummel; die Haare ſind im Alter lang und grob wie dürres Heu. Noch eigenthümlicher erſcheinen die Faulthiere, wenn man ihren inneren Leibesbau einer Prüfung unterwirft. Ganz auffallend und faſt einzig unter den Säugethieren daſtehend iſt der Bau der Wirbelſäule. Anſtatt der ſieben Wirbel, welche ſonſt den Hals zu bilden pflegen, finden ſich bei den Faulthieren ihrer neun, ausnahmsweiſe ſogar ihrer zehn, und die Zahl der rippen- tragenden Wirbel ſteigt von vierzehn auf vierundzwanzig. Einige vergleichende Anatomen ſprechen den Halswirbeln freilich ihre Bedeutung ab und betrachten ſie blos als verkümmerte Bruſtwirbel, immerhin aber bleibt dieſer Bau im höchſten Grad merkwürdig. Das Gebiß beſteht aus fünf cylin- driſchen Backzähnen in jeder Reihe, von denen der erſte bisweilen eine eckzahnartige Geſtalt annimmt; im Unterkiefer ſtehen meiſtens blos vier Zähne. Die einen wie die anderen ſind eigentlich blos An- fänge von Zähnen; ſie beſtehen aus Knochenmaſſe, welche zwar von einer dünnen Schmelzſchicht um- ſchloſſen, äußerlich aber noch von Cement umgeben iſt: deshalb ſind ſie ihrem Weſen und ihrer Fär- bung nach eher Hornſtifte, als wirkliche Zähne. — Nicht minder eigenthümlich iſt der Bau mancher Weichtheile. Der Magen iſt länglich-halbmondförmig und in eine rechte und linke Hälfte zertheilt, zwiſchen denen die Speiſeröhre ſich einſenkt; die rechte und kleinere Hälfte iſt darmähnlich drei Mal gewunden, die linke iſt durch dicke, muskelartige Falten in drei abgeſonderte Kammern geſchieden. Herz, Leber und Milz ſind auffallend klein. Die Arm- und Schenkelſchlagader zertheilen ſich zu den erwähnten Wundernetzen, indem ihr Stamm durch die ihn umgebenden zahlreichen Schlagaderreiſer hindurchtritt oder ſelbſt in Reiſer zerfällt und hierdurch die Wundernetze bildet. Auch die Luftröhre iſt nicht regelmäßig gebaut; ſie erreicht zuweilen eine auffallende Länge und wendet ſich in der Bruſt- höhle. Das Gehirn iſt klein und zeigt nur wenige Wendungen, deutet alſo auf geringe geiſtige Fähig- keiten dieſer Stiefkinder der Natur.
Der Aufenthalt der Faulthiere beſchränkt ſich auf Südamerika. Jene großen Waldungen in den Niederungen, in denen die Pflanzenwelt zur höchſten Entwickelung gelangt, ſind die Wohnorte der merkwürdigen Geſchöpfe. Je öder, je dunkler und ſchattiger der Wald iſt, je undurchdringlicher das Dickicht, je verwachſener die Baumkronen, um ſo geeigneter ſind die Wälder für das Leben der ver- kümmerten Weſen. Auch ſie ſind echte Baumthiere, wie der Affe oder das Eichhorn: aber dieſe glücklichen Geſchöpfe beherrſchen die Baumkronen, während jene ſklaviſch an ſie gebunden ſind und ſich elend abmühen müſſen, um kriechend von einem Zweige zum anderen zu gelangen. Eine Strecke, welche für das leichte und übermüthige Volk der Höhe eine Luſtwandlung iſt, muß dem Faulthiere wie eine weite Reiſe erſcheinen. Jhr Baumleben ſteht mit dem ganzen Leibesbau im innigſten Ein- klang; ihre leibliche Ausrüſtung erlaubt ihnen nicht, ein anderes Reich zu bewohnen.
Brehm, Thierleben. II. 18
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Die Faulthiere.
Achte Ordnung.
Klammerthiere (Tardigrada).
Unter den Zahnarmen ſtellt man die Faulthiere (Bradipodes), welche die einzige Familie
dieſer Ordnung bilden, oben an, weil ſie das Gepräge des Säugethiers noch am meiſten feſthalten.
Verglichen mit den bisher beſchriebenen und den meiſten der noch zu ſchildernden Säugern ſind alle
Faulthiere freilich ſehr niedrigſtehende, ſtumpfe und träge Geſchöpfe, welche einen wahrhaft kläg-
lichen Eindruck auf den Menſchen machen. Das ganze Thier erſcheint höchſt unbehilflich, gleich-
ſam nur als ein launenhaftes Spiel der Natur oder als ein Zerrbild von dem Vollkommenen, welches
ſie erſchuf. Die vorderen Gliedmaßen ſind bedeutend länger, als die hinteren; die Füße ſind mehr
oder weniger mißgebildet, aber mit gewaltigen Sichelkrallen bewehrt; der Hals iſt verhältnißmäßig
lang und trägt einen runden, kurzen, aſſenähnlichen Kopf mit kleinem Munde, welcher von ziemlich
harten, wenig beweglichen Lippen umſchloſſen iſt, und Ohrmuſcheln, welche vollſtändig im Pelze ver-
borgen ſind; der Schwanz iſt ein kaum ſichtbarer Stummel; die Haare ſind im Alter lang und grob
wie dürres Heu. Noch eigenthümlicher erſcheinen die Faulthiere, wenn man ihren inneren Leibesbau
einer Prüfung unterwirft. Ganz auffallend und faſt einzig unter den Säugethieren daſtehend iſt der
Bau der Wirbelſäule. Anſtatt der ſieben Wirbel, welche ſonſt den Hals zu bilden pflegen, finden
ſich bei den Faulthieren ihrer neun, ausnahmsweiſe ſogar ihrer zehn, und die Zahl der rippen-
tragenden Wirbel ſteigt von vierzehn auf vierundzwanzig. Einige vergleichende Anatomen ſprechen
den Halswirbeln freilich ihre Bedeutung ab und betrachten ſie blos als verkümmerte Bruſtwirbel,
immerhin aber bleibt dieſer Bau im höchſten Grad merkwürdig. Das Gebiß beſteht aus fünf cylin-
driſchen Backzähnen in jeder Reihe, von denen der erſte bisweilen eine eckzahnartige Geſtalt annimmt;
im Unterkiefer ſtehen meiſtens blos vier Zähne. Die einen wie die anderen ſind eigentlich blos An-
fänge von Zähnen; ſie beſtehen aus Knochenmaſſe, welche zwar von einer dünnen Schmelzſchicht um-
ſchloſſen, äußerlich aber noch von Cement umgeben iſt: deshalb ſind ſie ihrem Weſen und ihrer Fär-
bung nach eher Hornſtifte, als wirkliche Zähne. — Nicht minder eigenthümlich iſt der Bau mancher
Weichtheile. Der Magen iſt länglich-halbmondförmig und in eine rechte und linke Hälfte zertheilt,
zwiſchen denen die Speiſeröhre ſich einſenkt; die rechte und kleinere Hälfte iſt darmähnlich drei Mal
gewunden, die linke iſt durch dicke, muskelartige Falten in drei abgeſonderte Kammern geſchieden.
Herz, Leber und Milz ſind auffallend klein. Die Arm- und Schenkelſchlagader zertheilen ſich zu den
erwähnten Wundernetzen, indem ihr Stamm durch die ihn umgebenden zahlreichen Schlagaderreiſer
hindurchtritt oder ſelbſt in Reiſer zerfällt und hierdurch die Wundernetze bildet. Auch die Luftröhre
iſt nicht regelmäßig gebaut; ſie erreicht zuweilen eine auffallende Länge und wendet ſich in der Bruſt-
höhle. Das Gehirn iſt klein und zeigt nur wenige Wendungen, deutet alſo auf geringe geiſtige Fähig-
keiten dieſer Stiefkinder der Natur.
Der Aufenthalt der Faulthiere beſchränkt ſich auf Südamerika. Jene großen Waldungen in den
Niederungen, in denen die Pflanzenwelt zur höchſten Entwickelung gelangt, ſind die Wohnorte der
merkwürdigen Geſchöpfe. Je öder, je dunkler und ſchattiger der Wald iſt, je undurchdringlicher das
Dickicht, je verwachſener die Baumkronen, um ſo geeigneter ſind die Wälder für das Leben der ver-
kümmerten Weſen. Auch ſie ſind echte Baumthiere, wie der Affe oder das Eichhorn: aber dieſe
glücklichen Geſchöpfe beherrſchen die Baumkronen, während jene ſklaviſch an ſie gebunden ſind und
ſich elend abmühen müſſen, um kriechend von einem Zweige zum anderen zu gelangen. Eine Strecke,
welche für das leichte und übermüthige Volk der Höhe eine Luſtwandlung iſt, muß dem Faulthiere
wie eine weite Reiſe erſcheinen. Jhr Baumleben ſteht mit dem ganzen Leibesbau im innigſten Ein-
klang; ihre leibliche Ausrüſtung erlaubt ihnen nicht, ein anderes Reich zu bewohnen.
Brehm, Thierleben. II. 18
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/291>, abgerufen am 23.11.2024.
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