neugeborenen Jungen vom Meerschweinchen. Nahten sie sich dem Vater, so stürzte die Mutter mit gesträub- ten Haaren auf sie zu, ergriff sie mit dem Maule und trug sie in eine Ecke -- ein Verfahren, welches das besorgliche Thier mehrere Tage fortsetzte, bis die Kinder die Mutter zu kennen schienen und die ge- fährliche Nähe des Herrn Papa vermieden. Nach 4 bis 5 Tagen schien der Vater an den Anblick der Kinder gewöhnt und die Gefahr beseitigt zu sein. Für gewöhnlich suchten sie sich in irgend einem Schlupfwinkel aufzuhalten und kamen, sobald sich Appetit einstellte, mit quiekenden Tönen heran, von der Mutter mit zärtlichem Knurren begrüßt, welche, auf den Hinterfüßen sitzend, sie saugen ließ. Unvermuthetes Geräusch verjagte sie in ihren Schlupfwinkel, bis sie, mehr an die Umgebung gewöhnt, sich allmählich frei zu bewegen begannen und der Mutter folgten. Wenige Tage nach der Geburt benagten sie schon das Futter der Alten und wuchsen ohne irgend bemerkliche Umstände allmählich heran. Bei der Geburt tragen die Thierchen gleich das Charakteristische der Alten und weichen nur unbedeutend in den äußeren Formen ab.
Jm hamburger Thiergarten sind wir bisjetzt noch nicht so glücklich gewesen, Junge zu erziehen. Unsere Agutis haben wohl geboren, die Jungen aber sofort getödtet, aus welcher Ursache vermag ich nicht zu sagen. Die Geburt erfolgte, ohne daß wir Etwas ahnten, am 2. Februar bei ziemlich starker Kälte und wahrscheinlich im Jnnern der sehr geräumigen Höhle, welche unsere Gefangenen sich nach eigenem Belieben und Ermessen innerhalb ihres Geheges ausgegraben haben. Wir fanden eines Morgens die getödteten Jungen mit zerbissenem Kopfe vor dem Eingange der Höhle liegen. Jch vermuthe, daß dieser Mord von anderen Goldhasen, welche in demselben Gehege wohnen, begangen worden ist.
Der Erwähnung werth scheint mir zu sein, daß unsere Gefangenen alle Leichen aus dem Jnnern des Baues herausschleppen und vor ihrer Röhre ablegen. Wie die Jungen war auch ein alter Aguti, welcher im Jnnern der Höhle verendet sein mochte, von den Uebrigen ins Freie gebracht worden. Dieses Verfahren der Thiere steht mit ihrer großen Reinlichkeitsliebe im innigsten Zusammenhang.
Unter den vielen Feinden, welche den Aguti bedrohen, stehen die größeren Katzen und brasilianischen Hunde oben an; denn der Mensch thut ihm, so eifrig er ihn auch verfolgt, wenig Ab- bruch. Es ist nicht schwer, den Aguti einzufangen: man braucht ihm blos Schlagfallen auf seinen Pfad zu legen, um ihn sicher in seine Gewalt zu bringen. Auch mit Hilfe der Hunde fängt man ihn, wie Prinz von Wied berichtet, in der oben angegebenen Weise, und auf dem Anstande kann man ihn ebenfalls leicht erlegen. Azara glaubte, daß sich der Aguti nicht zähmen lasse, war aber im Unrecht, wie gegenwärtig Jeder weiß, der einen oder den anderen der größeren Thiergärten besucht hat.
Rengger erzählt, daß das Thier, jung eingefangen und sorgsam aufgezogen, fast zum Haus- thier wird. "Jch habe," sagt er, "mehrere Agutis gesehen, die man frei konnte herumlaufen lassen, ohne daß sie entwichen wären; sogar mitten in großen Wäldern, ihrem Aufenthalte im freien Zustand, entweichen sie nicht, wenn sie einmal gezähmt sind. So sah ich in den Waldungen des nördlichen Paraguays in den Hütten einiger Einwohner zwei zahme Agutis, welche den Morgen und Abend im Walde, den Mittag und die Nacht bei den Jndianern zubrachten. Es ist nicht sowohl die Anhäng- lichkeit an den Menschen, sondern die Angewöhnung an ihren Aufenthaltsort, welche ihnen den Hang zur Freiheit unterdrückt. Sie sind dem Menschen nur wenig ergeben, unterscheiden ihren Wärter keineswegs von anderen Personen, gehorchen nur selten seinem Rufe und suchen ihn nur dann auf, wenn sie der Hunger drängt. Auch lassen sie sich ungern von ihm berühren; sie dulden keinen Zwang, leben ganz nach ihrem eigenen Willen und können höchstens dazu abgerichtet werden, ihre Nahrung an einer bestimmten Stelle aufzusuchen. Uebrigens verändern sie im häuslichen Zustande ihre Lebens- art in soweit, daß sie mehr bei Tage herumlaufen und bei Nacht ausruhen. Gewöhnlich wählen sie irgend einen dunkeln Winkel zu ihrem Lager und polstern dasselbe mit Stroh und Blättern aus, zu- weilen aber auch mit seidenen Frauenschuhen, Schnupftüchern, Strümpfen u. s. w., die sie in kleine Stücke zernagen. Sonst richten sie mit ihren Zähnen nur wenig Schaden an, außer wenn man sie einschließt, wo sie dann aus langer Weile Alles zerstören, was für ihr Gebiß nicht zu hart ist. Jhre
Brehm, Thierleben. II. 16
Der gemeine Aguti oder der Goldhaſe.
neugeborenen Jungen vom Meerſchweinchen. Nahten ſie ſich dem Vater, ſo ſtürzte die Mutter mit geſträub- ten Haaren auf ſie zu, ergriff ſie mit dem Maule und trug ſie in eine Ecke — ein Verfahren, welches das beſorgliche Thier mehrere Tage fortſetzte, bis die Kinder die Mutter zu kennen ſchienen und die ge- fährliche Nähe des Herrn Papa vermieden. Nach 4 bis 5 Tagen ſchien der Vater an den Anblick der Kinder gewöhnt und die Gefahr beſeitigt zu ſein. Für gewöhnlich ſuchten ſie ſich in irgend einem Schlupfwinkel aufzuhalten und kamen, ſobald ſich Appetit einſtellte, mit quiekenden Tönen heran, von der Mutter mit zärtlichem Knurren begrüßt, welche, auf den Hinterfüßen ſitzend, ſie ſaugen ließ. Unvermuthetes Geräuſch verjagte ſie in ihren Schlupfwinkel, bis ſie, mehr an die Umgebung gewöhnt, ſich allmählich frei zu bewegen begannen und der Mutter folgten. Wenige Tage nach der Geburt benagten ſie ſchon das Futter der Alten und wuchſen ohne irgend bemerkliche Umſtände allmählich heran. Bei der Geburt tragen die Thierchen gleich das Charakteriſtiſche der Alten und weichen nur unbedeutend in den äußeren Formen ab.
Jm hamburger Thiergarten ſind wir bisjetzt noch nicht ſo glücklich geweſen, Junge zu erziehen. Unſere Agutis haben wohl geboren, die Jungen aber ſofort getödtet, aus welcher Urſache vermag ich nicht zu ſagen. Die Geburt erfolgte, ohne daß wir Etwas ahnten, am 2. Februar bei ziemlich ſtarker Kälte und wahrſcheinlich im Jnnern der ſehr geräumigen Höhle, welche unſere Gefangenen ſich nach eigenem Belieben und Ermeſſen innerhalb ihres Geheges ausgegraben haben. Wir fanden eines Morgens die getödteten Jungen mit zerbiſſenem Kopfe vor dem Eingange der Höhle liegen. Jch vermuthe, daß dieſer Mord von anderen Goldhaſen, welche in demſelben Gehege wohnen, begangen worden iſt.
Der Erwähnung werth ſcheint mir zu ſein, daß unſere Gefangenen alle Leichen aus dem Jnnern des Baues herausſchleppen und vor ihrer Röhre ablegen. Wie die Jungen war auch ein alter Aguti, welcher im Jnnern der Höhle verendet ſein mochte, von den Uebrigen ins Freie gebracht worden. Dieſes Verfahren der Thiere ſteht mit ihrer großen Reinlichkeitsliebe im innigſten Zuſammenhang.
Unter den vielen Feinden, welche den Aguti bedrohen, ſtehen die größeren Katzen und braſilianiſchen Hunde oben an; denn der Menſch thut ihm, ſo eifrig er ihn auch verfolgt, wenig Ab- bruch. Es iſt nicht ſchwer, den Aguti einzufangen: man braucht ihm blos Schlagfallen auf ſeinen Pfad zu legen, um ihn ſicher in ſeine Gewalt zu bringen. Auch mit Hilfe der Hunde fängt man ihn, wie Prinz von Wied berichtet, in der oben angegebenen Weiſe, und auf dem Anſtande kann man ihn ebenfalls leicht erlegen. Azara glaubte, daß ſich der Aguti nicht zähmen laſſe, war aber im Unrecht, wie gegenwärtig Jeder weiß, der einen oder den anderen der größeren Thiergärten beſucht hat.
Rengger erzählt, daß das Thier, jung eingefangen und ſorgſam aufgezogen, faſt zum Haus- thier wird. „Jch habe,‟ ſagt er, „mehrere Agutis geſehen, die man frei konnte herumlaufen laſſen, ohne daß ſie entwichen wären; ſogar mitten in großen Wäldern, ihrem Aufenthalte im freien Zuſtand, entweichen ſie nicht, wenn ſie einmal gezähmt ſind. So ſah ich in den Waldungen des nördlichen Paraguays in den Hütten einiger Einwohner zwei zahme Agutis, welche den Morgen und Abend im Walde, den Mittag und die Nacht bei den Jndianern zubrachten. Es iſt nicht ſowohl die Anhäng- lichkeit an den Menſchen, ſondern die Angewöhnung an ihren Aufenthaltsort, welche ihnen den Hang zur Freiheit unterdrückt. Sie ſind dem Menſchen nur wenig ergeben, unterſcheiden ihren Wärter keineswegs von anderen Perſonen, gehorchen nur ſelten ſeinem Rufe und ſuchen ihn nur dann auf, wenn ſie der Hunger drängt. Auch laſſen ſie ſich ungern von ihm berühren; ſie dulden keinen Zwang, leben ganz nach ihrem eigenen Willen und können höchſtens dazu abgerichtet werden, ihre Nahrung an einer beſtimmten Stelle aufzuſuchen. Uebrigens verändern ſie im häuslichen Zuſtande ihre Lebens- art in ſoweit, daß ſie mehr bei Tage herumlaufen und bei Nacht ausruhen. Gewöhnlich wählen ſie irgend einen dunkeln Winkel zu ihrem Lager und polſtern daſſelbe mit Stroh und Blättern aus, zu- weilen aber auch mit ſeidenen Frauenſchuhen, Schnupftüchern, Strümpfen u. ſ. w., die ſie in kleine Stücke zernagen. Sonſt richten ſie mit ihren Zähnen nur wenig Schaden an, außer wenn man ſie einſchließt, wo ſie dann aus langer Weile Alles zerſtören, was für ihr Gebiß nicht zu hart iſt. Jhre
Brehm, Thierleben. II. 16
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0259"n="241"/><fwplace="top"type="header">Der gemeine Aguti oder der Goldhaſe.</fw><lb/>
neugeborenen Jungen vom Meerſchweinchen. Nahten ſie ſich dem Vater, ſo ſtürzte die Mutter mit geſträub-<lb/>
ten Haaren auf ſie zu, ergriff ſie mit dem Maule und trug ſie in eine Ecke — ein Verfahren, welches<lb/>
das beſorgliche Thier mehrere Tage fortſetzte, bis die Kinder die Mutter zu kennen ſchienen und die ge-<lb/>
fährliche Nähe des Herrn Papa vermieden. Nach 4 bis 5 Tagen ſchien der Vater an den Anblick der<lb/>
Kinder gewöhnt und die Gefahr beſeitigt zu ſein. Für gewöhnlich ſuchten ſie ſich in irgend einem<lb/>
Schlupfwinkel aufzuhalten und kamen, ſobald ſich Appetit einſtellte, mit quiekenden Tönen heran, von<lb/>
der Mutter mit zärtlichem Knurren begrüßt, welche, auf den Hinterfüßen ſitzend, ſie ſaugen ließ.<lb/>
Unvermuthetes Geräuſch verjagte ſie in ihren Schlupfwinkel, bis ſie, mehr an die Umgebung gewöhnt,<lb/>ſich allmählich frei zu bewegen begannen und der Mutter folgten. Wenige Tage nach der Geburt<lb/>
benagten ſie ſchon das Futter der Alten und wuchſen ohne irgend bemerkliche Umſtände allmählich<lb/>
heran. Bei der Geburt tragen die Thierchen gleich das Charakteriſtiſche der Alten und weichen nur<lb/>
unbedeutend in den äußeren Formen ab.</p><lb/><p>Jm hamburger Thiergarten ſind wir bisjetzt noch nicht ſo glücklich geweſen, Junge zu erziehen.<lb/>
Unſere Agutis haben wohl geboren, die Jungen aber ſofort getödtet, aus welcher Urſache vermag ich<lb/>
nicht zu ſagen. Die Geburt erfolgte, ohne daß wir Etwas ahnten, am 2. Februar bei ziemlich<lb/>ſtarker Kälte und wahrſcheinlich im Jnnern der ſehr geräumigen Höhle, welche unſere Gefangenen<lb/>ſich nach eigenem Belieben und Ermeſſen innerhalb ihres Geheges ausgegraben haben. Wir fanden<lb/>
eines Morgens die getödteten Jungen mit zerbiſſenem Kopfe vor dem Eingange der Höhle liegen.<lb/>
Jch vermuthe, daß dieſer Mord von anderen Goldhaſen, welche in demſelben Gehege wohnen, begangen<lb/>
worden iſt.</p><lb/><p>Der Erwähnung werth ſcheint mir zu ſein, daß unſere Gefangenen alle Leichen aus dem Jnnern<lb/>
des Baues herausſchleppen und vor ihrer Röhre ablegen. Wie die Jungen war auch ein alter Aguti,<lb/>
welcher im Jnnern der Höhle verendet ſein mochte, von den Uebrigen ins Freie gebracht worden.<lb/>
Dieſes Verfahren der Thiere ſteht mit ihrer großen Reinlichkeitsliebe im innigſten Zuſammenhang.</p><lb/><p>Unter den vielen Feinden, welche den Aguti bedrohen, ſtehen die größeren Katzen und<lb/>
braſilianiſchen Hunde oben an; denn der Menſch thut ihm, ſo eifrig er ihn auch verfolgt, wenig Ab-<lb/>
bruch. Es iſt nicht ſchwer, den Aguti einzufangen: man braucht ihm blos Schlagfallen auf ſeinen<lb/>
Pfad zu legen, um ihn ſicher in ſeine Gewalt zu bringen. Auch mit Hilfe der Hunde fängt man ihn,<lb/>
wie <hirendition="#g">Prinz von Wied</hi> berichtet, in der oben angegebenen Weiſe, und auf dem Anſtande kann man ihn<lb/>
ebenfalls leicht erlegen. <hirendition="#g">Azara</hi> glaubte, daß ſich der Aguti nicht zähmen laſſe, war aber im Unrecht,<lb/>
wie gegenwärtig Jeder weiß, der einen oder den anderen der größeren Thiergärten beſucht hat.</p><lb/><p><hirendition="#g">Rengger</hi> erzählt, daß das Thier, jung eingefangen und ſorgſam aufgezogen, faſt zum Haus-<lb/>
thier wird. „Jch habe,‟ſagt er, „mehrere Agutis geſehen, die man frei konnte herumlaufen laſſen,<lb/>
ohne daß ſie entwichen wären; ſogar mitten in großen Wäldern, ihrem Aufenthalte im freien Zuſtand,<lb/>
entweichen ſie nicht, wenn ſie einmal gezähmt ſind. So ſah ich in den Waldungen des nördlichen<lb/>
Paraguays in den Hütten einiger Einwohner zwei zahme Agutis, welche den Morgen und Abend im<lb/>
Walde, den Mittag und die Nacht bei den Jndianern zubrachten. Es iſt nicht ſowohl die Anhäng-<lb/>
lichkeit an den Menſchen, ſondern die Angewöhnung an ihren Aufenthaltsort, welche ihnen den Hang<lb/>
zur Freiheit unterdrückt. Sie ſind dem Menſchen nur wenig ergeben, unterſcheiden ihren Wärter<lb/>
keineswegs von anderen Perſonen, gehorchen nur ſelten ſeinem Rufe und ſuchen ihn nur dann auf,<lb/>
wenn ſie der Hunger drängt. Auch laſſen ſie ſich ungern von ihm berühren; ſie dulden keinen Zwang,<lb/>
leben ganz nach ihrem eigenen Willen und können höchſtens dazu abgerichtet werden, ihre Nahrung<lb/>
an einer beſtimmten Stelle aufzuſuchen. Uebrigens verändern ſie im häuslichen Zuſtande ihre Lebens-<lb/>
art in ſoweit, daß ſie mehr bei Tage herumlaufen und bei Nacht ausruhen. Gewöhnlich wählen ſie<lb/>
irgend einen dunkeln Winkel zu ihrem Lager und polſtern daſſelbe mit Stroh und Blättern aus, zu-<lb/>
weilen aber auch mit ſeidenen Frauenſchuhen, Schnupftüchern, Strümpfen u. ſ. w., die ſie in kleine<lb/>
Stücke zernagen. Sonſt richten ſie mit ihren Zähnen nur wenig Schaden an, außer wenn man ſie<lb/>
einſchließt, wo ſie dann aus langer Weile Alles zerſtören, was für ihr Gebiß nicht zu hart iſt. Jhre<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Brehm,</hi> Thierleben. <hirendition="#aq">II.</hi> 16</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[241/0259]
Der gemeine Aguti oder der Goldhaſe.
neugeborenen Jungen vom Meerſchweinchen. Nahten ſie ſich dem Vater, ſo ſtürzte die Mutter mit geſträub-
ten Haaren auf ſie zu, ergriff ſie mit dem Maule und trug ſie in eine Ecke — ein Verfahren, welches
das beſorgliche Thier mehrere Tage fortſetzte, bis die Kinder die Mutter zu kennen ſchienen und die ge-
fährliche Nähe des Herrn Papa vermieden. Nach 4 bis 5 Tagen ſchien der Vater an den Anblick der
Kinder gewöhnt und die Gefahr beſeitigt zu ſein. Für gewöhnlich ſuchten ſie ſich in irgend einem
Schlupfwinkel aufzuhalten und kamen, ſobald ſich Appetit einſtellte, mit quiekenden Tönen heran, von
der Mutter mit zärtlichem Knurren begrüßt, welche, auf den Hinterfüßen ſitzend, ſie ſaugen ließ.
Unvermuthetes Geräuſch verjagte ſie in ihren Schlupfwinkel, bis ſie, mehr an die Umgebung gewöhnt,
ſich allmählich frei zu bewegen begannen und der Mutter folgten. Wenige Tage nach der Geburt
benagten ſie ſchon das Futter der Alten und wuchſen ohne irgend bemerkliche Umſtände allmählich
heran. Bei der Geburt tragen die Thierchen gleich das Charakteriſtiſche der Alten und weichen nur
unbedeutend in den äußeren Formen ab.
Jm hamburger Thiergarten ſind wir bisjetzt noch nicht ſo glücklich geweſen, Junge zu erziehen.
Unſere Agutis haben wohl geboren, die Jungen aber ſofort getödtet, aus welcher Urſache vermag ich
nicht zu ſagen. Die Geburt erfolgte, ohne daß wir Etwas ahnten, am 2. Februar bei ziemlich
ſtarker Kälte und wahrſcheinlich im Jnnern der ſehr geräumigen Höhle, welche unſere Gefangenen
ſich nach eigenem Belieben und Ermeſſen innerhalb ihres Geheges ausgegraben haben. Wir fanden
eines Morgens die getödteten Jungen mit zerbiſſenem Kopfe vor dem Eingange der Höhle liegen.
Jch vermuthe, daß dieſer Mord von anderen Goldhaſen, welche in demſelben Gehege wohnen, begangen
worden iſt.
Der Erwähnung werth ſcheint mir zu ſein, daß unſere Gefangenen alle Leichen aus dem Jnnern
des Baues herausſchleppen und vor ihrer Röhre ablegen. Wie die Jungen war auch ein alter Aguti,
welcher im Jnnern der Höhle verendet ſein mochte, von den Uebrigen ins Freie gebracht worden.
Dieſes Verfahren der Thiere ſteht mit ihrer großen Reinlichkeitsliebe im innigſten Zuſammenhang.
Unter den vielen Feinden, welche den Aguti bedrohen, ſtehen die größeren Katzen und
braſilianiſchen Hunde oben an; denn der Menſch thut ihm, ſo eifrig er ihn auch verfolgt, wenig Ab-
bruch. Es iſt nicht ſchwer, den Aguti einzufangen: man braucht ihm blos Schlagfallen auf ſeinen
Pfad zu legen, um ihn ſicher in ſeine Gewalt zu bringen. Auch mit Hilfe der Hunde fängt man ihn,
wie Prinz von Wied berichtet, in der oben angegebenen Weiſe, und auf dem Anſtande kann man ihn
ebenfalls leicht erlegen. Azara glaubte, daß ſich der Aguti nicht zähmen laſſe, war aber im Unrecht,
wie gegenwärtig Jeder weiß, der einen oder den anderen der größeren Thiergärten beſucht hat.
Rengger erzählt, daß das Thier, jung eingefangen und ſorgſam aufgezogen, faſt zum Haus-
thier wird. „Jch habe,‟ ſagt er, „mehrere Agutis geſehen, die man frei konnte herumlaufen laſſen,
ohne daß ſie entwichen wären; ſogar mitten in großen Wäldern, ihrem Aufenthalte im freien Zuſtand,
entweichen ſie nicht, wenn ſie einmal gezähmt ſind. So ſah ich in den Waldungen des nördlichen
Paraguays in den Hütten einiger Einwohner zwei zahme Agutis, welche den Morgen und Abend im
Walde, den Mittag und die Nacht bei den Jndianern zubrachten. Es iſt nicht ſowohl die Anhäng-
lichkeit an den Menſchen, ſondern die Angewöhnung an ihren Aufenthaltsort, welche ihnen den Hang
zur Freiheit unterdrückt. Sie ſind dem Menſchen nur wenig ergeben, unterſcheiden ihren Wärter
keineswegs von anderen Perſonen, gehorchen nur ſelten ſeinem Rufe und ſuchen ihn nur dann auf,
wenn ſie der Hunger drängt. Auch laſſen ſie ſich ungern von ihm berühren; ſie dulden keinen Zwang,
leben ganz nach ihrem eigenen Willen und können höchſtens dazu abgerichtet werden, ihre Nahrung
an einer beſtimmten Stelle aufzuſuchen. Uebrigens verändern ſie im häuslichen Zuſtande ihre Lebens-
art in ſoweit, daß ſie mehr bei Tage herumlaufen und bei Nacht ausruhen. Gewöhnlich wählen ſie
irgend einen dunkeln Winkel zu ihrem Lager und polſtern daſſelbe mit Stroh und Blättern aus, zu-
weilen aber auch mit ſeidenen Frauenſchuhen, Schnupftüchern, Strümpfen u. ſ. w., die ſie in kleine
Stücke zernagen. Sonſt richten ſie mit ihren Zähnen nur wenig Schaden an, außer wenn man ſie
einſchließt, wo ſie dann aus langer Weile Alles zerſtören, was für ihr Gebiß nicht zu hart iſt. Jhre
Brehm, Thierleben. II. 16
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/259>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.