Wie wichtig ihr der Schwanz zur Erhaltung des Gleichgewichts ist, sieht man deutlich, wenn man sie in der Hand hält und rasch herumdreht, so daß sie mit dem Rücken nach unten zu liegen kommt. Dann beschreibt sie sofort Kreise mit dem Schwanze, sicher in der Absicht, ihren Leib wieder herumzu- werfen.
Beim Fressen setzt sie sich auf die ganzen Fußsohlen nieder, biegt aber den Leib vorn weit herab und nimmt nun die Nahrung mit einem raschen Griff vom Boden auf. Aus einem Näpfchen mit Weizenkörnern holt sie sich in jeder Minute mehrere Körner. Sie verzehrt die erhobenen aber nicht ganz, sondern beißt blos ein kleines Stückchen von ihnen ab und läßt sie dann wieder fallen. Jn einer Nacht hat sie manchmal 50, 60, ja 100 und mehr Körner angebissen. Allerliebst sieht es aus, wenn man ihr eine Weinbeere oder ein Stückchen fein geschnittene Möhre, Apfel und dergl. Früchte hingibt. Sie packt dann solche Nahrung sehr zierlich mit den Händen, dreht sie beständig hin und her und frißt sie auf, ohne sie fallen zu lassen. Bei weichen, saftigen Früchten, wie z. B. bei Wein- beeren, braucht sie sehr lange Zeit, ehe sie zum Ende ihrer Mahlzeit kommt. An einer Weinbeere fraß sie 7 Minuten lang. Sie öffnet die Beere nämlich blos mit einem einzigen Biß und taucht in diese Oeffnung nun fort und fort ihre unteren Nagezähne ein, welche sie dann wieder ableckt. So fährt sie fort, bis der größte Theil des Jnhalts entleert ist. Ein Kohlblatt nimmt sie mit beiden Händen, dreht es hin und her und schneidet dann am Rande in zierlicher Weise Stückchen nach Stückchen ab. Ganz besonders hübsch ist ihre Weise, Milch zu trinken. Sie bedarf nur höchst wenig Getränk; täglich ein halber Theelöffel voll Milch genügt ihr. Auch Flüssigkeiten muß sie mit den Händen zu sich nehmen. Sie taucht in rascher Folge ihre Hände ein und leckt die Milch dann ab. Uebrigens kann sie Getränke, falls man ihr nebenbei saftige Wurzeln reicht, monatelang entbehren.
Es scheint, daß alle Sinne des Thieres sehr hoch entwickelt sind. Welchen Sinn unter den drei edleren ich als den höchsten ansehen soll, weiß ich nicht. Die Springmaus sieht und hört, wie die großen Augen und Ohren bekunden, sehr gut; aber sie riecht auch vortrefflich. Denn wenn sie ein Korn oder ein Stückchen Möhre oder andere Nahrung zu Boden fallen läßt, sucht sie es immer ver- mittelst des Geruchs und nimmt es dann mit größter Sicherheit wieder auf. Meine Gefangene ist ein kleines Leckermaul. Süße Früchte verzehrt sie mit so viel Vergnügen, daß man gar nicht in Zwei- fel bleiben kann, wie angenehm ihr Geschmacksinn gekitzelt wird. Das Gefühl offenbart sich als Empfindung und Tastsinn in jeder Weise. Die Springmaus tastet sehr fein mit den Schnurren auf den Lippen und dann noch mit ihren Vorderhänden, hauptsächlich wohl mit Hilfe der Fingerkrallen.
Die geistigen Fähigkeiten der Springmaus will ich nicht eben hoch stellen; so viel ist aber sicher, daß sie sehr bald sich an einen bestimmten Ort eingewöhnt, Leute, die sich mit ihr abgeben, gut kennen lernt und eine gewisse berechnende Kunstfertigkeit an den Tag legt. Der Bau ihres Nestes beschäf- tigt sie an jedem Morgen längere Zeit. Jch habe ihr Heu, Baumwolle und Haare gegeben und den Grundbau des Nestes vorgezeichnet. Da arbeitet sie denn nun ganz verständig weiter, holt sich die Baumwollenklumpen herbei, zieht sie mit den Vorderhänden aus einander und legt sie sich zurecht, schiebt Haare an den betreffenden Stellen ein und putzt und glättet die runde Nesthöhle bis sie ihr den erforderlichen Grad von Ordnung und Sauberkeit zu haben scheint. Hervorspringende Halme werden dann auch wohl noch ausgezogen oder abgebissen; kurz, das Ganze wird in einen möglichst behaglichen Zustand versetzt.
Unter allen Nagern, welche ich bisjetzt in der Gefangenschaft hielt, hat mir die Springmaus das meiste Vergnügen gewährt. Jhrer Eigenschaften wegen muß sich Jedermann mit ihr befreun- den. Und wirklich entzückt meine Gefangene alle Leute, welche sie sehen. Sie ist so außerordentlich harmlos, so freundlich, zahm, reinlich und, wenn sie einmal vom Schlafe erwacht ist, so munter und so lustig; jede ihrer Stellungen ist so eigenthümlich, und sie weiß soviel Abwechselung in die- selben zu bringen, daß man sich stundenlang mit ihr beschäftigen kann. Sonini beobachtete, daß seine gefangenen Springmäuse eifrig nagten, um sich aus ihrem Käsig zu befreien: ich habe Dies nur dann bemerkt, wenn ich meine Gefangenen frei im Zimmer herumlaufen ließ. Hier versuchte mein
Die egyptiſche Springmaus.
Wie wichtig ihr der Schwanz zur Erhaltung des Gleichgewichts iſt, ſieht man deutlich, wenn man ſie in der Hand hält und raſch herumdreht, ſo daß ſie mit dem Rücken nach unten zu liegen kommt. Dann beſchreibt ſie ſofort Kreiſe mit dem Schwanze, ſicher in der Abſicht, ihren Leib wieder herumzu- werfen.
Beim Freſſen ſetzt ſie ſich auf die ganzen Fußſohlen nieder, biegt aber den Leib vorn weit herab und nimmt nun die Nahrung mit einem raſchen Griff vom Boden auf. Aus einem Näpfchen mit Weizenkörnern holt ſie ſich in jeder Minute mehrere Körner. Sie verzehrt die erhobenen aber nicht ganz, ſondern beißt blos ein kleines Stückchen von ihnen ab und läßt ſie dann wieder fallen. Jn einer Nacht hat ſie manchmal 50, 60, ja 100 und mehr Körner angebiſſen. Allerliebſt ſieht es aus, wenn man ihr eine Weinbeere oder ein Stückchen fein geſchnittene Möhre, Apfel und dergl. Früchte hingibt. Sie packt dann ſolche Nahrung ſehr zierlich mit den Händen, dreht ſie beſtändig hin und her und frißt ſie auf, ohne ſie fallen zu laſſen. Bei weichen, ſaftigen Früchten, wie z. B. bei Wein- beeren, braucht ſie ſehr lange Zeit, ehe ſie zum Ende ihrer Mahlzeit kommt. An einer Weinbeere fraß ſie 7 Minuten lang. Sie öffnet die Beere nämlich blos mit einem einzigen Biß und taucht in dieſe Oeffnung nun fort und fort ihre unteren Nagezähne ein, welche ſie dann wieder ableckt. So fährt ſie fort, bis der größte Theil des Jnhalts entleert iſt. Ein Kohlblatt nimmt ſie mit beiden Händen, dreht es hin und her und ſchneidet dann am Rande in zierlicher Weiſe Stückchen nach Stückchen ab. Ganz beſonders hübſch iſt ihre Weiſe, Milch zu trinken. Sie bedarf nur höchſt wenig Getränk; täglich ein halber Theelöffel voll Milch genügt ihr. Auch Flüſſigkeiten muß ſie mit den Händen zu ſich nehmen. Sie taucht in raſcher Folge ihre Hände ein und leckt die Milch dann ab. Uebrigens kann ſie Getränke, falls man ihr nebenbei ſaftige Wurzeln reicht, monatelang entbehren.
Es ſcheint, daß alle Sinne des Thieres ſehr hoch entwickelt ſind. Welchen Sinn unter den drei edleren ich als den höchſten anſehen ſoll, weiß ich nicht. Die Springmaus ſieht und hört, wie die großen Augen und Ohren bekunden, ſehr gut; aber ſie riecht auch vortrefflich. Denn wenn ſie ein Korn oder ein Stückchen Möhre oder andere Nahrung zu Boden fallen läßt, ſucht ſie es immer ver- mittelſt des Geruchs und nimmt es dann mit größter Sicherheit wieder auf. Meine Gefangene iſt ein kleines Leckermaul. Süße Früchte verzehrt ſie mit ſo viel Vergnügen, daß man gar nicht in Zwei- fel bleiben kann, wie angenehm ihr Geſchmackſinn gekitzelt wird. Das Gefühl offenbart ſich als Empfindung und Taſtſinn in jeder Weiſe. Die Springmaus taſtet ſehr fein mit den Schnurren auf den Lippen und dann noch mit ihren Vorderhänden, hauptſächlich wohl mit Hilfe der Fingerkrallen.
Die geiſtigen Fähigkeiten der Springmaus will ich nicht eben hoch ſtellen; ſo viel iſt aber ſicher, daß ſie ſehr bald ſich an einen beſtimmten Ort eingewöhnt, Leute, die ſich mit ihr abgeben, gut kennen lernt und eine gewiſſe berechnende Kunſtfertigkeit an den Tag legt. Der Bau ihres Neſtes beſchäf- tigt ſie an jedem Morgen längere Zeit. Jch habe ihr Heu, Baumwolle und Haare gegeben und den Grundbau des Neſtes vorgezeichnet. Da arbeitet ſie denn nun ganz verſtändig weiter, holt ſich die Baumwollenklumpen herbei, zieht ſie mit den Vorderhänden aus einander und legt ſie ſich zurecht, ſchiebt Haare an den betreffenden Stellen ein und putzt und glättet die runde Neſthöhle bis ſie ihr den erforderlichen Grad von Ordnung und Sauberkeit zu haben ſcheint. Hervorſpringende Halme werden dann auch wohl noch ausgezogen oder abgebiſſen; kurz, das Ganze wird in einen möglichſt behaglichen Zuſtand verſetzt.
Unter allen Nagern, welche ich bisjetzt in der Gefangenſchaft hielt, hat mir die Springmaus das meiſte Vergnügen gewährt. Jhrer Eigenſchaften wegen muß ſich Jedermann mit ihr befreun- den. Und wirklich entzückt meine Gefangene alle Leute, welche ſie ſehen. Sie iſt ſo außerordentlich harmlos, ſo freundlich, zahm, reinlich und, wenn ſie einmal vom Schlafe erwacht iſt, ſo munter und ſo luſtig; jede ihrer Stellungen iſt ſo eigenthümlich, und ſie weiß ſoviel Abwechſelung in die- ſelben zu bringen, daß man ſich ſtundenlang mit ihr beſchäftigen kann. Sonini beobachtete, daß ſeine gefangenen Springmäuſe eifrig nagten, um ſich aus ihrem Käſig zu befreien: ich habe Dies nur dann bemerkt, wenn ich meine Gefangenen frei im Zimmer herumlaufen ließ. Hier verſuchte mein
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Die egyptiſche Springmaus.
Wie wichtig ihr der Schwanz zur Erhaltung des Gleichgewichts iſt, ſieht man deutlich, wenn man ſie
in der Hand hält und raſch herumdreht, ſo daß ſie mit dem Rücken nach unten zu liegen kommt.
Dann beſchreibt ſie ſofort Kreiſe mit dem Schwanze, ſicher in der Abſicht, ihren Leib wieder herumzu-
werfen.
Beim Freſſen ſetzt ſie ſich auf die ganzen Fußſohlen nieder, biegt aber den Leib vorn weit herab
und nimmt nun die Nahrung mit einem raſchen Griff vom Boden auf. Aus einem Näpfchen mit
Weizenkörnern holt ſie ſich in jeder Minute mehrere Körner. Sie verzehrt die erhobenen aber nicht ganz,
ſondern beißt blos ein kleines Stückchen von ihnen ab und läßt ſie dann wieder fallen. Jn einer
Nacht hat ſie manchmal 50, 60, ja 100 und mehr Körner angebiſſen. Allerliebſt ſieht es aus,
wenn man ihr eine Weinbeere oder ein Stückchen fein geſchnittene Möhre, Apfel und dergl. Früchte
hingibt. Sie packt dann ſolche Nahrung ſehr zierlich mit den Händen, dreht ſie beſtändig hin und
her und frißt ſie auf, ohne ſie fallen zu laſſen. Bei weichen, ſaftigen Früchten, wie z. B. bei Wein-
beeren, braucht ſie ſehr lange Zeit, ehe ſie zum Ende ihrer Mahlzeit kommt. An einer Weinbeere fraß
ſie 7 Minuten lang. Sie öffnet die Beere nämlich blos mit einem einzigen Biß und taucht in dieſe
Oeffnung nun fort und fort ihre unteren Nagezähne ein, welche ſie dann wieder ableckt. So fährt
ſie fort, bis der größte Theil des Jnhalts entleert iſt. Ein Kohlblatt nimmt ſie mit beiden Händen,
dreht es hin und her und ſchneidet dann am Rande in zierlicher Weiſe Stückchen nach Stückchen ab.
Ganz beſonders hübſch iſt ihre Weiſe, Milch zu trinken. Sie bedarf nur höchſt wenig Getränk;
täglich ein halber Theelöffel voll Milch genügt ihr. Auch Flüſſigkeiten muß ſie mit den Händen zu
ſich nehmen. Sie taucht in raſcher Folge ihre Hände ein und leckt die Milch dann ab. Uebrigens
kann ſie Getränke, falls man ihr nebenbei ſaftige Wurzeln reicht, monatelang entbehren.
Es ſcheint, daß alle Sinne des Thieres ſehr hoch entwickelt ſind. Welchen Sinn unter den drei
edleren ich als den höchſten anſehen ſoll, weiß ich nicht. Die Springmaus ſieht und hört, wie die
großen Augen und Ohren bekunden, ſehr gut; aber ſie riecht auch vortrefflich. Denn wenn ſie ein
Korn oder ein Stückchen Möhre oder andere Nahrung zu Boden fallen läßt, ſucht ſie es immer ver-
mittelſt des Geruchs und nimmt es dann mit größter Sicherheit wieder auf. Meine Gefangene iſt
ein kleines Leckermaul. Süße Früchte verzehrt ſie mit ſo viel Vergnügen, daß man gar nicht in Zwei-
fel bleiben kann, wie angenehm ihr Geſchmackſinn gekitzelt wird. Das Gefühl offenbart ſich als
Empfindung und Taſtſinn in jeder Weiſe. Die Springmaus taſtet ſehr fein mit den Schnurren auf
den Lippen und dann noch mit ihren Vorderhänden, hauptſächlich wohl mit Hilfe der Fingerkrallen.
Die geiſtigen Fähigkeiten der Springmaus will ich nicht eben hoch ſtellen; ſo viel iſt aber ſicher,
daß ſie ſehr bald ſich an einen beſtimmten Ort eingewöhnt, Leute, die ſich mit ihr abgeben, gut kennen
lernt und eine gewiſſe berechnende Kunſtfertigkeit an den Tag legt. Der Bau ihres Neſtes beſchäf-
tigt ſie an jedem Morgen längere Zeit. Jch habe ihr Heu, Baumwolle und Haare gegeben und den
Grundbau des Neſtes vorgezeichnet. Da arbeitet ſie denn nun ganz verſtändig weiter, holt ſich die
Baumwollenklumpen herbei, zieht ſie mit den Vorderhänden aus einander und legt ſie ſich zurecht,
ſchiebt Haare an den betreffenden Stellen ein und putzt und glättet die runde Neſthöhle bis ſie ihr
den erforderlichen Grad von Ordnung und Sauberkeit zu haben ſcheint. Hervorſpringende Halme
werden dann auch wohl noch ausgezogen oder abgebiſſen; kurz, das Ganze wird in einen möglichſt
behaglichen Zuſtand verſetzt.
Unter allen Nagern, welche ich bisjetzt in der Gefangenſchaft hielt, hat mir die Springmaus
das meiſte Vergnügen gewährt. Jhrer Eigenſchaften wegen muß ſich Jedermann mit ihr befreun-
den. Und wirklich entzückt meine Gefangene alle Leute, welche ſie ſehen. Sie iſt ſo außerordentlich
harmlos, ſo freundlich, zahm, reinlich und, wenn ſie einmal vom Schlafe erwacht iſt, ſo munter
und ſo luſtig; jede ihrer Stellungen iſt ſo eigenthümlich, und ſie weiß ſoviel Abwechſelung in die-
ſelben zu bringen, daß man ſich ſtundenlang mit ihr beſchäftigen kann. Sonini beobachtete, daß
ſeine gefangenen Springmäuſe eifrig nagten, um ſich aus ihrem Käſig zu befreien: ich habe Dies nur
dann bemerkt, wenn ich meine Gefangenen frei im Zimmer herumlaufen ließ. Hier verſuchte mein
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/203>, abgerufen am 23.11.2024.
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