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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Wühlratten. -- Die Schneemaus.
den, Katzen, ja selbst dem Menschen entgegen und versetzt den Verfolgern oft heftige Bisse mit
ihren scharfen Zähnen. Nach drei Wochen führt sie ihre Kleinen aus der Höhle und trägt, während
diese auf dem Rasen oder auf Pflanzenbeeten fressen, die zarten Sprößlinge von anderen Gräsern,
besonders aber Erbsen, die Lieblingsnahrung der Jungen, in ihre Höhle ein. Die Kleinen beginnen
nun auch bald ihre Grabversuche und werden schon in zarter Jugend auf Wiesen und Ackerfeldern
und noch mehr in Gärten sehr schädlich."

Für die Gefangenschaft eignet sich die Wasserratte nicht. Sie ist ziemlich weichlich, verlangt
deshalb gute Pflege und wird auch niemals ordentlich zahm.

Die Familie der Wühlmäuse ist so reich an merkwürdigen Thieren, daß ich hier ausführ-
licher als bisher sein muß. Mehr als bei den übrigen Nagern unterscheiden sich die einzelnen
Wühlmäuse hinsichtlich ihres Lebens. Man kann behaupten, daß jede ihre durchaus eigenthümliche
Lebensweise habe; aber eben deshalb ist es nothwendig, mehrere Arten der Familie umständlicher zu
besprechen. Zu der Gruppe der Wühlratten gehört noch einer der merkwürdigsten aller Nager:
die Schneemaus (Hypudaeus nivalis). Hoch oben auf den Alpen, da, wo das übrige thierische

[Abbildung] Die Schneemaus (Hypudaeus nivalis).
Leben schon längst aufgehört hat, wohnt das kleine Geschöpf, ohne daran zu denken, im Winter nach
Art anderer Nager Schutz im Jnnern der Erde zu suchen, jeder Jahreszeit muthigen Herzens Trotz
bietend. Jn so großer Höhe lebt sie, daß wir noch heute nichts Ausführliches über sie wissen, ob-
gleich die tüchtigsten Thierkundigen sich mit der Erforschung ihres Lebens beschäftigt haben: die Un-
wirthlichkeit ihrer Heimat wirft der Beobachtung zu große Schwierigkeiten in den Weg.

Die Schneemaus ist eine ziemlich kleine Wühlratte von 7 bis 71/4 Zoll Gesammtlänge oder fast
5 Zoll Leibes- und 21/2 Zoll Schwanzlänge. Jhr Pelz ist zweifarbig, auf der Oberseite hellbräun-
lichgrau, in der Mitte des Rückens dunkler, als an den Seiten, auf der Unterseite ziemlich deutlich
abgesetzt grauweiß. Einige ständige Verschiedenheiten kommen vor. Die wahre Schneemaus hat
derbes Haar, rostgrauen Pelz und weißlichrostgrauen Schwanz; eine andere Form, die weißschwän-
zige Wühlmaus, hat weiches Haar, weißgrauen Pelz und weißen Schwanz; die Alpenratte endlich
hat weiches Haar, schwachrostfarbig überflogenen Pelz und einen weißgrauen, verhältnißmäßig langen
Schwanz. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese drei Formen nur verschiedene Ausprägungen
ein und derselben Grundform sind; doch ist es ebensogut möglich, daß jede eine eigene, selbständige

Die Wühlratten. — Die Schneemaus.
den, Katzen, ja ſelbſt dem Menſchen entgegen und verſetzt den Verfolgern oft heftige Biſſe mit
ihren ſcharfen Zähnen. Nach drei Wochen führt ſie ihre Kleinen aus der Höhle und trägt, während
dieſe auf dem Raſen oder auf Pflanzenbeeten freſſen, die zarten Sprößlinge von anderen Gräſern,
beſonders aber Erbſen, die Lieblingsnahrung der Jungen, in ihre Höhle ein. Die Kleinen beginnen
nun auch bald ihre Grabverſuche und werden ſchon in zarter Jugend auf Wieſen und Ackerfeldern
und noch mehr in Gärten ſehr ſchädlich.‟

Für die Gefangenſchaft eignet ſich die Waſſerratte nicht. Sie iſt ziemlich weichlich, verlangt
deshalb gute Pflege und wird auch niemals ordentlich zahm.

Die Familie der Wühlmäuſe iſt ſo reich an merkwürdigen Thieren, daß ich hier ausführ-
licher als bisher ſein muß. Mehr als bei den übrigen Nagern unterſcheiden ſich die einzelnen
Wühlmäuſe hinſichtlich ihres Lebens. Man kann behaupten, daß jede ihre durchaus eigenthümliche
Lebensweiſe habe; aber eben deshalb iſt es nothwendig, mehrere Arten der Familie umſtändlicher zu
beſprechen. Zu der Gruppe der Wühlratten gehört noch einer der merkwürdigſten aller Nager:
die Schneemaus (Hypudaeus nivalis). Hoch oben auf den Alpen, da, wo das übrige thieriſche

[Abbildung] Die Schneemaus (Hypudaeus nivalis).
Leben ſchon längſt aufgehört hat, wohnt das kleine Geſchöpf, ohne daran zu denken, im Winter nach
Art anderer Nager Schutz im Jnnern der Erde zu ſuchen, jeder Jahreszeit muthigen Herzens Trotz
bietend. Jn ſo großer Höhe lebt ſie, daß wir noch heute nichts Ausführliches über ſie wiſſen, ob-
gleich die tüchtigſten Thierkundigen ſich mit der Erforſchung ihres Lebens beſchäftigt haben: die Un-
wirthlichkeit ihrer Heimat wirft der Beobachtung zu große Schwierigkeiten in den Weg.

Die Schneemaus iſt eine ziemlich kleine Wühlratte von 7 bis 7¼ Zoll Geſammtlänge oder faſt
5 Zoll Leibes- und 2½ Zoll Schwanzlänge. Jhr Pelz iſt zweifarbig, auf der Oberſeite hellbräun-
lichgrau, in der Mitte des Rückens dunkler, als an den Seiten, auf der Unterſeite ziemlich deutlich
abgeſetzt grauweiß. Einige ſtändige Verſchiedenheiten kommen vor. Die wahre Schneemaus hat
derbes Haar, roſtgrauen Pelz und weißlichroſtgrauen Schwanz; eine andere Form, die weißſchwän-
zige Wühlmaus, hat weiches Haar, weißgrauen Pelz und weißen Schwanz; die Alpenratte endlich
hat weiches Haar, ſchwachroſtfarbig überflogenen Pelz und einen weißgrauen, verhältnißmäßig langen
Schwanz. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß dieſe drei Formen nur verſchiedene Ausprägungen
ein und derſelben Grundform ſind; doch iſt es ebenſogut möglich, daß jede eine eigene, ſelbſtändige

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[156/0172] Die Wühlratten. — Die Schneemaus. den, Katzen, ja ſelbſt dem Menſchen entgegen und verſetzt den Verfolgern oft heftige Biſſe mit ihren ſcharfen Zähnen. Nach drei Wochen führt ſie ihre Kleinen aus der Höhle und trägt, während dieſe auf dem Raſen oder auf Pflanzenbeeten freſſen, die zarten Sprößlinge von anderen Gräſern, beſonders aber Erbſen, die Lieblingsnahrung der Jungen, in ihre Höhle ein. Die Kleinen beginnen nun auch bald ihre Grabverſuche und werden ſchon in zarter Jugend auf Wieſen und Ackerfeldern und noch mehr in Gärten ſehr ſchädlich.‟ Für die Gefangenſchaft eignet ſich die Waſſerratte nicht. Sie iſt ziemlich weichlich, verlangt deshalb gute Pflege und wird auch niemals ordentlich zahm. Die Familie der Wühlmäuſe iſt ſo reich an merkwürdigen Thieren, daß ich hier ausführ- licher als bisher ſein muß. Mehr als bei den übrigen Nagern unterſcheiden ſich die einzelnen Wühlmäuſe hinſichtlich ihres Lebens. Man kann behaupten, daß jede ihre durchaus eigenthümliche Lebensweiſe habe; aber eben deshalb iſt es nothwendig, mehrere Arten der Familie umſtändlicher zu beſprechen. Zu der Gruppe der Wühlratten gehört noch einer der merkwürdigſten aller Nager: die Schneemaus (Hypudaeus nivalis). Hoch oben auf den Alpen, da, wo das übrige thieriſche [Abbildung Die Schneemaus (Hypudaeus nivalis).] Leben ſchon längſt aufgehört hat, wohnt das kleine Geſchöpf, ohne daran zu denken, im Winter nach Art anderer Nager Schutz im Jnnern der Erde zu ſuchen, jeder Jahreszeit muthigen Herzens Trotz bietend. Jn ſo großer Höhe lebt ſie, daß wir noch heute nichts Ausführliches über ſie wiſſen, ob- gleich die tüchtigſten Thierkundigen ſich mit der Erforſchung ihres Lebens beſchäftigt haben: die Un- wirthlichkeit ihrer Heimat wirft der Beobachtung zu große Schwierigkeiten in den Weg. Die Schneemaus iſt eine ziemlich kleine Wühlratte von 7 bis 7¼ Zoll Geſammtlänge oder faſt 5 Zoll Leibes- und 2½ Zoll Schwanzlänge. Jhr Pelz iſt zweifarbig, auf der Oberſeite hellbräun- lichgrau, in der Mitte des Rückens dunkler, als an den Seiten, auf der Unterſeite ziemlich deutlich abgeſetzt grauweiß. Einige ſtändige Verſchiedenheiten kommen vor. Die wahre Schneemaus hat derbes Haar, roſtgrauen Pelz und weißlichroſtgrauen Schwanz; eine andere Form, die weißſchwän- zige Wühlmaus, hat weiches Haar, weißgrauen Pelz und weißen Schwanz; die Alpenratte endlich hat weiches Haar, ſchwachroſtfarbig überflogenen Pelz und einen weißgrauen, verhältnißmäßig langen Schwanz. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß dieſe drei Formen nur verſchiedene Ausprägungen ein und derſelben Grundform ſind; doch iſt es ebenſogut möglich, daß jede eine eigene, ſelbſtändige

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/172>, abgerufen am 29.11.2024.