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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Hausmaus.
haberei fröhnen zu können. Mehrere glaubwürdige Leute haben auch wiederholt von Mäusen be-
richtet, welche förmlich singen lernten, d. h. ihr bekanntes Gezwitscher in einer Weise hören ließen,
welche an den leisen Gesang von Kanarien- oder andern Stubenvögeln erinnert. Einige Forscher
haben behauptet, daß dieser Gesang nichts Anderes sei, als ein Klagegeschrei bei großer Noth oder bei
heftigen Schmerzen, während Andere Dem widersprechen und behaupten, daß die Mäuse auch in ganz
gesunden Tagen, ja gerade, wenn sie recht lustig wären, diesen Gesang hören ließen. Wood theilt
in seiner "Jllustrated Natural History" eine sehr anziehende Beobachtung mit, welche von einem
gewissen Bampfield herrührt: "Einige Mäuse hatten ihre Wohnung hinter dem Getäfel meiner
Küche aufgeschlagen. Jch erlaubte ihnen aus Gründen, welche schwerlich andere Leute anerkennen
werden, dort ungestört ihr Wesen zu treiben, -- und wahrhaftig! prächtige, liebenswürdige kleine
Thierchen waren es! Es schien uns, daß eine junge Brut besonders sorgfältig erzogen war; dennoch
lernten sie nicht alle Eigenthümlichkeiten von ihren Eltern. Jn der Küche hing nämlich ein gut
singender Kanarienvogel, und wir beobachteten bald, daß das Zwitschern der Mäuse im Verlauf der
Zeit in eine vollständige Nachahmung des Kanariengesanges überging. Anfangs war es nur wenig,
zuletzt wurde es immer besser. Jch weiß nicht, ob die Bewunderung der Musik Dies hervorrief; es
schien mir, des heiteren Wesens halber, mehr Spott oder Nachahmung zu sein; aber das Ergebniß
war höchst erfreulich, und wenn auch der Mäusegesang nicht die Stärke, Fülle und Lieblichkeit des
Kanarienschlags bekam, so stand er doch vielleicht über diesem hinsichtlich der Sanftheit und Zartheit.
Oft habe ich ihnen abends mit dem größten Vergnügen zugehört, wenn der Kanarienvogel schlief,
das Haupt unter die Schwingen verborgen, und mehr als einmal habe ich beobachtet, daß ein Küchen-
gast auf den Kanarienvogel schaute, dann mit einigem Erstaunen sich umblickte und sagte: "Jst das
der Vogel, Herr, welcher so singt?" Ein glaubwürdiger Mann versicherte mich, daß er in seinem
Hause auch eine ähnliche Singmaus hätte, und ich habe wahrhaftig wenig Zweifel, daß junge Mäuse,
wenn sie sobald als möglich mit dem Kanarienvogel zusammen gebracht werden, von ihm einigermaßen
singen lernen." Obgleich mir, bis die Sache von Kundigen geprüft worden ist, dieser Mäusegesang
noch nicht recht glaubwürdig erscheinen will, mag ich doch nicht unerwähnt lassen, daß auch andere
Nachrichten von singenden Mäusen berichtet haben. So erzählt ein chinesischer Reisender, daß die
Langzöpfe des himmlischen Reiches der Mitte anstatt der Kanarienvögel oft Mäuse in feinen
Käfigen hielten, deren lieblicher Gesang jeden Europäer anfangs mit dem größten Erstaunen erfülle.
Dr. Eichelberg theilt ganz neuerdings in der Gartenlaube ganz ähnliche Beobachtungen mit,
welche er während seiner Haft zu machen Gelegenheit hatte. Er vernahm im November 1846 in der
Dämmerung mit einem Male den hellen Schlag eines Kanarienvogels, wie er meinte, welcher im
Kamin zu sitzen schien. Er glaubte, daß sich der Vogel dahin verirrt und später wieder zurecht ge-
funden hätte, erfuhr aber zu seinem Erstaunen einige Tage später, daß zu derselben Zeit und von der-
selben Stelle her das gleiche Schlagen ertönte. Später vernahm er die Musik unter dem Fußboden,
und schließlich wurde er nachts durch das Schlagen aus dem Schlafe erweckt. "Die Töne," sagt er,
"dem Schlage des Kanarienvogels fast ganz ähnlich, hatten einen sanften und wundervollen, melodischen
Klang und rollten, ohne irgend etwa abzusetzen, weiter." Der Gefangene zündete Licht an und unter-
suchte sein Zimmer. Dem Klange nachgehend, fand er endlich ein Mäuschen, dessen Mäulchen sicht-
bar die noch fortgehenden Töne entquollen. Von dieser Nacht an kam die Sängerin immer häufiger
zum Vorschein, nicht blos am Abend, sondern auch bei Tage. Zu letzterer Zeit schlug es selten lange,
höchstens 10 bis 15 Minuten, abends dagegen manchmal eine Viertelstunde lang. Der Aufseher
des Gefangenhauses und der Kommandant überzeugten sich später von der Wahrheit der Beobachtung
unseres Gewährsmannes, und derselbe führt die Genannten ausdrücklich als Zeugen auf. Zugleich
erzählt er, daß in der Geschäftsstube der Kaufleute Grundlach in Kassel ebenfalls ein Singmäuschen
gefangen wurde. Und endlich haben auch gewiegte Naturforscher von einem Mäusegesang in be-
schränkter Weise gesprochen. Jedenfalls verdient die Sache Beachtung, und wäre es auch nur, um
hier einen möglichen Jrrthum aufzuklären.

Die Hausmaus.
haberei fröhnen zu können. Mehrere glaubwürdige Leute haben auch wiederholt von Mäuſen be-
richtet, welche förmlich ſingen lernten, d. h. ihr bekanntes Gezwitſcher in einer Weiſe hören ließen,
welche an den leiſen Geſang von Kanarien- oder andern Stubenvögeln erinnert. Einige Forſcher
haben behauptet, daß dieſer Geſang nichts Anderes ſei, als ein Klagegeſchrei bei großer Noth oder bei
heftigen Schmerzen, während Andere Dem widerſprechen und behaupten, daß die Mäuſe auch in ganz
geſunden Tagen, ja gerade, wenn ſie recht luſtig wären, dieſen Geſang hören ließen. Wood theilt
in ſeiner „Jlluſtrated Natural Hiſtory‟ eine ſehr anziehende Beobachtung mit, welche von einem
gewiſſen Bampfield herrührt: „Einige Mäuſe hatten ihre Wohnung hinter dem Getäfel meiner
Küche aufgeſchlagen. Jch erlaubte ihnen aus Gründen, welche ſchwerlich andere Leute anerkennen
werden, dort ungeſtört ihr Weſen zu treiben, — und wahrhaftig! prächtige, liebenswürdige kleine
Thierchen waren es! Es ſchien uns, daß eine junge Brut beſonders ſorgfältig erzogen war; dennoch
lernten ſie nicht alle Eigenthümlichkeiten von ihren Eltern. Jn der Küche hing nämlich ein gut
ſingender Kanarienvogel, und wir beobachteten bald, daß das Zwitſchern der Mäuſe im Verlauf der
Zeit in eine vollſtändige Nachahmung des Kanariengeſanges überging. Anfangs war es nur wenig,
zuletzt wurde es immer beſſer. Jch weiß nicht, ob die Bewunderung der Muſik Dies hervorrief; es
ſchien mir, des heiteren Weſens halber, mehr Spott oder Nachahmung zu ſein; aber das Ergebniß
war höchſt erfreulich, und wenn auch der Mäuſegeſang nicht die Stärke, Fülle und Lieblichkeit des
Kanarienſchlags bekam, ſo ſtand er doch vielleicht über dieſem hinſichtlich der Sanftheit und Zartheit.
Oft habe ich ihnen abends mit dem größten Vergnügen zugehört, wenn der Kanarienvogel ſchlief,
das Haupt unter die Schwingen verborgen, und mehr als einmal habe ich beobachtet, daß ein Küchen-
gaſt auf den Kanarienvogel ſchaute, dann mit einigem Erſtaunen ſich umblickte und ſagte: „Jſt das
der Vogel, Herr, welcher ſo ſingt?‟ Ein glaubwürdiger Mann verſicherte mich, daß er in ſeinem
Hauſe auch eine ähnliche Singmaus hätte, und ich habe wahrhaftig wenig Zweifel, daß junge Mäuſe,
wenn ſie ſobald als möglich mit dem Kanarienvogel zuſammen gebracht werden, von ihm einigermaßen
ſingen lernen.‟ Obgleich mir, bis die Sache von Kundigen geprüft worden iſt, dieſer Mäuſegeſang
noch nicht recht glaubwürdig erſcheinen will, mag ich doch nicht unerwähnt laſſen, daß auch andere
Nachrichten von ſingenden Mäuſen berichtet haben. So erzählt ein chineſiſcher Reiſender, daß die
Langzöpfe des himmliſchen Reiches der Mitte anſtatt der Kanarienvögel oft Mäuſe in feinen
Käfigen hielten, deren lieblicher Geſang jeden Europäer anfangs mit dem größten Erſtaunen erfülle.
Dr. Eichelberg theilt ganz neuerdings in der Gartenlaube ganz ähnliche Beobachtungen mit,
welche er während ſeiner Haft zu machen Gelegenheit hatte. Er vernahm im November 1846 in der
Dämmerung mit einem Male den hellen Schlag eines Kanarienvogels, wie er meinte, welcher im
Kamin zu ſitzen ſchien. Er glaubte, daß ſich der Vogel dahin verirrt und ſpäter wieder zurecht ge-
funden hätte, erfuhr aber zu ſeinem Erſtaunen einige Tage ſpäter, daß zu derſelben Zeit und von der-
ſelben Stelle her das gleiche Schlagen ertönte. Später vernahm er die Muſik unter dem Fußboden,
und ſchließlich wurde er nachts durch das Schlagen aus dem Schlafe erweckt. „Die Töne,‟ ſagt er,
„dem Schlage des Kanarienvogels faſt ganz ähnlich, hatten einen ſanften und wundervollen, melodiſchen
Klang und rollten, ohne irgend etwa abzuſetzen, weiter.‟ Der Gefangene zündete Licht an und unter-
ſuchte ſein Zimmer. Dem Klange nachgehend, fand er endlich ein Mäuschen, deſſen Mäulchen ſicht-
bar die noch fortgehenden Töne entquollen. Von dieſer Nacht an kam die Sängerin immer häufiger
zum Vorſchein, nicht blos am Abend, ſondern auch bei Tage. Zu letzterer Zeit ſchlug es ſelten lange,
höchſtens 10 bis 15 Minuten, abends dagegen manchmal eine Viertelſtunde lang. Der Aufſeher
des Gefangenhauſes und der Kommandant überzeugten ſich ſpäter von der Wahrheit der Beobachtung
unſeres Gewährsmannes, und derſelbe führt die Genannten ausdrücklich als Zeugen auf. Zugleich
erzählt er, daß in der Geſchäftsſtube der Kaufleute Grundlach in Kaſſel ebenfalls ein Singmäuschen
gefangen wurde. Und endlich haben auch gewiegte Naturforſcher von einem Mäuſegeſang in be-
ſchränkter Weiſe geſprochen. Jedenfalls verdient die Sache Beachtung, und wäre es auch nur, um
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[133/0147] Die Hausmaus. haberei fröhnen zu können. Mehrere glaubwürdige Leute haben auch wiederholt von Mäuſen be- richtet, welche förmlich ſingen lernten, d. h. ihr bekanntes Gezwitſcher in einer Weiſe hören ließen, welche an den leiſen Geſang von Kanarien- oder andern Stubenvögeln erinnert. Einige Forſcher haben behauptet, daß dieſer Geſang nichts Anderes ſei, als ein Klagegeſchrei bei großer Noth oder bei heftigen Schmerzen, während Andere Dem widerſprechen und behaupten, daß die Mäuſe auch in ganz geſunden Tagen, ja gerade, wenn ſie recht luſtig wären, dieſen Geſang hören ließen. Wood theilt in ſeiner „Jlluſtrated Natural Hiſtory‟ eine ſehr anziehende Beobachtung mit, welche von einem gewiſſen Bampfield herrührt: „Einige Mäuſe hatten ihre Wohnung hinter dem Getäfel meiner Küche aufgeſchlagen. Jch erlaubte ihnen aus Gründen, welche ſchwerlich andere Leute anerkennen werden, dort ungeſtört ihr Weſen zu treiben, — und wahrhaftig! prächtige, liebenswürdige kleine Thierchen waren es! Es ſchien uns, daß eine junge Brut beſonders ſorgfältig erzogen war; dennoch lernten ſie nicht alle Eigenthümlichkeiten von ihren Eltern. Jn der Küche hing nämlich ein gut ſingender Kanarienvogel, und wir beobachteten bald, daß das Zwitſchern der Mäuſe im Verlauf der Zeit in eine vollſtändige Nachahmung des Kanariengeſanges überging. Anfangs war es nur wenig, zuletzt wurde es immer beſſer. Jch weiß nicht, ob die Bewunderung der Muſik Dies hervorrief; es ſchien mir, des heiteren Weſens halber, mehr Spott oder Nachahmung zu ſein; aber das Ergebniß war höchſt erfreulich, und wenn auch der Mäuſegeſang nicht die Stärke, Fülle und Lieblichkeit des Kanarienſchlags bekam, ſo ſtand er doch vielleicht über dieſem hinſichtlich der Sanftheit und Zartheit. Oft habe ich ihnen abends mit dem größten Vergnügen zugehört, wenn der Kanarienvogel ſchlief, das Haupt unter die Schwingen verborgen, und mehr als einmal habe ich beobachtet, daß ein Küchen- gaſt auf den Kanarienvogel ſchaute, dann mit einigem Erſtaunen ſich umblickte und ſagte: „Jſt das der Vogel, Herr, welcher ſo ſingt?‟ Ein glaubwürdiger Mann verſicherte mich, daß er in ſeinem Hauſe auch eine ähnliche Singmaus hätte, und ich habe wahrhaftig wenig Zweifel, daß junge Mäuſe, wenn ſie ſobald als möglich mit dem Kanarienvogel zuſammen gebracht werden, von ihm einigermaßen ſingen lernen.‟ Obgleich mir, bis die Sache von Kundigen geprüft worden iſt, dieſer Mäuſegeſang noch nicht recht glaubwürdig erſcheinen will, mag ich doch nicht unerwähnt laſſen, daß auch andere Nachrichten von ſingenden Mäuſen berichtet haben. So erzählt ein chineſiſcher Reiſender, daß die Langzöpfe des himmliſchen Reiches der Mitte anſtatt der Kanarienvögel oft Mäuſe in feinen Käfigen hielten, deren lieblicher Geſang jeden Europäer anfangs mit dem größten Erſtaunen erfülle. Dr. Eichelberg theilt ganz neuerdings in der Gartenlaube ganz ähnliche Beobachtungen mit, welche er während ſeiner Haft zu machen Gelegenheit hatte. Er vernahm im November 1846 in der Dämmerung mit einem Male den hellen Schlag eines Kanarienvogels, wie er meinte, welcher im Kamin zu ſitzen ſchien. Er glaubte, daß ſich der Vogel dahin verirrt und ſpäter wieder zurecht ge- funden hätte, erfuhr aber zu ſeinem Erſtaunen einige Tage ſpäter, daß zu derſelben Zeit und von der- ſelben Stelle her das gleiche Schlagen ertönte. Später vernahm er die Muſik unter dem Fußboden, und ſchließlich wurde er nachts durch das Schlagen aus dem Schlafe erweckt. „Die Töne,‟ ſagt er, „dem Schlage des Kanarienvogels faſt ganz ähnlich, hatten einen ſanften und wundervollen, melodiſchen Klang und rollten, ohne irgend etwa abzuſetzen, weiter.‟ Der Gefangene zündete Licht an und unter- ſuchte ſein Zimmer. Dem Klange nachgehend, fand er endlich ein Mäuschen, deſſen Mäulchen ſicht- bar die noch fortgehenden Töne entquollen. Von dieſer Nacht an kam die Sängerin immer häufiger zum Vorſchein, nicht blos am Abend, ſondern auch bei Tage. Zu letzterer Zeit ſchlug es ſelten lange, höchſtens 10 bis 15 Minuten, abends dagegen manchmal eine Viertelſtunde lang. Der Aufſeher des Gefangenhauſes und der Kommandant überzeugten ſich ſpäter von der Wahrheit der Beobachtung unſeres Gewährsmannes, und derſelbe führt die Genannten ausdrücklich als Zeugen auf. Zugleich erzählt er, daß in der Geſchäftsſtube der Kaufleute Grundlach in Kaſſel ebenfalls ein Singmäuschen gefangen wurde. Und endlich haben auch gewiegte Naturforſcher von einem Mäuſegeſang in be- ſchränkter Weiſe geſprochen. Jedenfalls verdient die Sache Beachtung, und wäre es auch nur, um hier einen möglichen Jrrthum aufzuklären.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/147>, abgerufen am 27.11.2024.