Nur wenige Nager dürften es dem großen Bilch an Gefräßigkeit zuvorthun. Er frißt, solange er fressen kann. Eicheln, Bücheln, Haselnüsse bilden wohl seine Hauptnahrung; Wallnüsse, Ka- stanien, süßes und saftiges Obst werden aber auch nicht verschmäht, ja, er verachtet nicht einmal thierische Kost und raubt deshalb die Nester aus, wo er sie nur haben kann. Wasser trinkt er da- gegen nur wenig, und wenn er saftige Früchte hat, gar nicht.
Solange nun der Sommer währt, treibt er sich allnächtlich, falls die Witterung nicht gar zu schlimm ist, in seinem Gebiet umher und mästet sich auf den Winter hin. Auf seinen Weidezügen setzt er sich fast alle Minuten einmal, wie ein Eichhörnchen, auf das Hintertheil und führt etwas mit den Vorderpfoten zum Munde. Beständig hört man das Knacken von Nüssen, die er zerbricht, oder das Fallen von ausgefressenen Früchten, die er herabwirft. Gegen den Herbst nun sammelt er sich Nahrungsvorräthe ein und speichert diese in seinen Höhlen auf. Um diese Zeit "strotzt er bereits von blühendem Fette", er frißt aber noch solange, als möglich; dann denkt er daran, sich Herberge für den Winter zu bereiten. Jetzt macht er sich ein Nest von zartem Mose in tiefen Erdlöchern, Rissen und Spalten, in Felsen und altem Gemäner, wohl auch in tiefen Baumhöhlungen, zurecht, rollt sich zusammen, gewöhnlich in Gemeinschaft mit mehreren seiner Genossen, und fällt in Schlaf, schon lange vorher, ehe der Wärmemesser auf dem Nullpunkt steht, in rauheren Gebirgsgegenden bereits im August, in der wärmeren Ebene erst gegen den Oktober hin. Er zeigt dann die uns bekannte Gefühlslosigkeit aller Winterschläfer, ja, er ist vielleicht Derjenige, welcher am tiefsten schläft. Man kann ihn ruhig aus seinem Lager nehmen und weit wegtragen: er bleibt kalt und regungslos. Jm warmen Zimmer erwacht er nach und nach, bewegt anfänglich die Gliedmaßen ein wenig, läßt einige Tropfen seines hellen, goldgelben Harnes von sich und regt sich dann mehr und mehr, sieht aber auch jetzt noch immer sehr verschlafen aus. Jm Freien wacht er zeitweilig von selbst auf und zehrt ein wenig von seinen Nahrungsvorräthen, gleichsam ohne eigentlich zu wissen, was er thut. Siebenschläfer, welche Lenz überwinterte und in kühlem Raume hielt, wachten etwa alle vier Wochen auf, fraßen und schliefen dann wieder so fest, daß sie ganz todt schienen. Andere, die Gal- vagni beherbergte, wachten nur alle zwei Monate auf und fraßen.
Jm Freien erwacht der Siebenschläfer erst sehr spät im Frühjahr, selten vor Ende des April. Somit beträgt die Dauer seines Winterschlafes volle sieben Monate, und er führt demnach seinen Namen mit Fug und Recht.
Bald nach dem Erwachen paaren sich die Geschlechter, und nach ungefähr sechswöcheutlicher Tragzeit wirft das Weibchen auf einem weichen Lager im hohlen Baume oder in anderen Höhlungen -- in der Nähe von Altenburg sehr häufig in den Nistkästchen der Staare, welche man vermittelst hoher Stangen über und auf Obstbäumen aufzustellen pflegt -- drei bis sechs nackte, blinde Junge, welche außerordentlich schnell heranwachsen, nur kurze Zeit an der Mutter saugen und sich dann selbst ihre Nahrung aufsuchen. Niemals steht das Nest des Bilch frei auf Bäumen, wie das unseres Eichhörnchens; es wird vielmehr stets nach Möglichkeit verborgen. Jn Gegenden, wo es viele Buchen gibt, vermehrt sich das Thier sehr stark; überhaupt richtet sich die größere oder geringere Vermehrung hauptsächlich nach dem Gedeihen der Früchte. Viele Feinde thun ihr übrigens bedeu- tend Abbruch. Baummarder und Jltis, Wildkatze und Wiesel, Uhu und Eule sind wohl die schlimmsten Verfolger unseres Schläfers, und wenn er sich auch selbst gegen die stärksten Feinde mit vielem Muthe wehrt, wenn er sie auch anschnaubt, wüthend nach ihnen beißt und selbst die schwachen Krallen bei der Vertheidigung zu Hilfe nimmt: er muß ihnen ja doch jedesmal erliegen. Auch der Mensch stellt ihm noch immer da, wo er häufig ist, eifrig nach, theils des Fleisches, theils des Felles wegen, am liebsten, wenn er sich sett gemästet hat. Man lockt ihn in künstliche Winter- wohnungen d. h. Gruben, welche man in Wäldern unter Gebüsch und Felsabhängen, an trockenen, gegen Mittag gelegenen Orten für ihn herrichtete, recht verrätherisch mit Mos ausbettete, mit Stroh und dürrem Laub überdeckte und reichlich mit Bücheln bestreute. Die Bilche, angelockt durch den willkommenen Köder, versammeln sich in großer Menge an jenen Orten, fressen sich ordentlich
Der Siebenſchläfer.
Nur wenige Nager dürften es dem großen Bilch an Gefräßigkeit zuvorthun. Er frißt, ſolange er freſſen kann. Eicheln, Bücheln, Haſelnüſſe bilden wohl ſeine Hauptnahrung; Wallnüſſe, Ka- ſtanien, ſüßes und ſaftiges Obſt werden aber auch nicht verſchmäht, ja, er verachtet nicht einmal thieriſche Koſt und raubt deshalb die Neſter aus, wo er ſie nur haben kann. Waſſer trinkt er da- gegen nur wenig, und wenn er ſaftige Früchte hat, gar nicht.
Solange nun der Sommer währt, treibt er ſich allnächtlich, falls die Witterung nicht gar zu ſchlimm iſt, in ſeinem Gebiet umher und mäſtet ſich auf den Winter hin. Auf ſeinen Weidezügen ſetzt er ſich faſt alle Minuten einmal, wie ein Eichhörnchen, auf das Hintertheil und führt etwas mit den Vorderpfoten zum Munde. Beſtändig hört man das Knacken von Nüſſen, die er zerbricht, oder das Fallen von ausgefreſſenen Früchten, die er herabwirft. Gegen den Herbſt nun ſammelt er ſich Nahrungsvorräthe ein und ſpeichert dieſe in ſeinen Höhlen auf. Um dieſe Zeit „ſtrotzt er bereits von blühendem Fette‟, er frißt aber noch ſolange, als möglich; dann denkt er daran, ſich Herberge für den Winter zu bereiten. Jetzt macht er ſich ein Neſt von zartem Moſe in tiefen Erdlöchern, Riſſen und Spalten, in Felſen und altem Gemäner, wohl auch in tiefen Baumhöhlungen, zurecht, rollt ſich zuſammen, gewöhnlich in Gemeinſchaft mit mehreren ſeiner Genoſſen, und fällt in Schlaf, ſchon lange vorher, ehe der Wärmemeſſer auf dem Nullpunkt ſteht, in rauheren Gebirgsgegenden bereits im Auguſt, in der wärmeren Ebene erſt gegen den Oktober hin. Er zeigt dann die uns bekannte Gefühlsloſigkeit aller Winterſchläfer, ja, er iſt vielleicht Derjenige, welcher am tiefſten ſchläft. Man kann ihn ruhig aus ſeinem Lager nehmen und weit wegtragen: er bleibt kalt und regungslos. Jm warmen Zimmer erwacht er nach und nach, bewegt anfänglich die Gliedmaßen ein wenig, läßt einige Tropfen ſeines hellen, goldgelben Harnes von ſich und regt ſich dann mehr und mehr, ſieht aber auch jetzt noch immer ſehr verſchlafen aus. Jm Freien wacht er zeitweilig von ſelbſt auf und zehrt ein wenig von ſeinen Nahrungsvorräthen, gleichſam ohne eigentlich zu wiſſen, was er thut. Siebenſchläfer, welche Lenz überwinterte und in kühlem Raume hielt, wachten etwa alle vier Wochen auf, fraßen und ſchliefen dann wieder ſo feſt, daß ſie ganz todt ſchienen. Andere, die Gal- vagni beherbergte, wachten nur alle zwei Monate auf und fraßen.
Jm Freien erwacht der Siebenſchläfer erſt ſehr ſpät im Frühjahr, ſelten vor Ende des April. Somit beträgt die Dauer ſeines Winterſchlafes volle ſieben Monate, und er führt demnach ſeinen Namen mit Fug und Recht.
Bald nach dem Erwachen paaren ſich die Geſchlechter, und nach ungefähr ſechswöcheutlicher Tragzeit wirft das Weibchen auf einem weichen Lager im hohlen Baume oder in anderen Höhlungen — in der Nähe von Altenburg ſehr häufig in den Niſtkäſtchen der Staare, welche man vermittelſt hoher Stangen über und auf Obſtbäumen aufzuſtellen pflegt — drei bis ſechs nackte, blinde Junge, welche außerordentlich ſchnell heranwachſen, nur kurze Zeit an der Mutter ſaugen und ſich dann ſelbſt ihre Nahrung aufſuchen. Niemals ſteht das Neſt des Bilch frei auf Bäumen, wie das unſeres Eichhörnchens; es wird vielmehr ſtets nach Möglichkeit verborgen. Jn Gegenden, wo es viele Buchen gibt, vermehrt ſich das Thier ſehr ſtark; überhaupt richtet ſich die größere oder geringere Vermehrung hauptſächlich nach dem Gedeihen der Früchte. Viele Feinde thun ihr übrigens bedeu- tend Abbruch. Baummarder und Jltis, Wildkatze und Wieſel, Uhu und Eule ſind wohl die ſchlimmſten Verfolger unſeres Schläfers, und wenn er ſich auch ſelbſt gegen die ſtärkſten Feinde mit vielem Muthe wehrt, wenn er ſie auch anſchnaubt, wüthend nach ihnen beißt und ſelbſt die ſchwachen Krallen bei der Vertheidigung zu Hilfe nimmt: er muß ihnen ja doch jedesmal erliegen. Auch der Menſch ſtellt ihm noch immer da, wo er häufig iſt, eifrig nach, theils des Fleiſches, theils des Felles wegen, am liebſten, wenn er ſich ſett gemäſtet hat. Man lockt ihn in künſtliche Winter- wohnungen d. h. Gruben, welche man in Wäldern unter Gebüſch und Felsabhängen, an trockenen, gegen Mittag gelegenen Orten für ihn herrichtete, recht verrätheriſch mit Mos ausbettete, mit Stroh und dürrem Laub überdeckte und reichlich mit Bücheln beſtreute. Die Bilche, angelockt durch den willkommenen Köder, verſammeln ſich in großer Menge an jenen Orten, freſſen ſich ordentlich
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[105/0119]
Der Siebenſchläfer.
Nur wenige Nager dürften es dem großen Bilch an Gefräßigkeit zuvorthun. Er frißt, ſolange
er freſſen kann. Eicheln, Bücheln, Haſelnüſſe bilden wohl ſeine Hauptnahrung; Wallnüſſe, Ka-
ſtanien, ſüßes und ſaftiges Obſt werden aber auch nicht verſchmäht, ja, er verachtet nicht einmal
thieriſche Koſt und raubt deshalb die Neſter aus, wo er ſie nur haben kann. Waſſer trinkt er da-
gegen nur wenig, und wenn er ſaftige Früchte hat, gar nicht.
Solange nun der Sommer währt, treibt er ſich allnächtlich, falls die Witterung nicht gar zu
ſchlimm iſt, in ſeinem Gebiet umher und mäſtet ſich auf den Winter hin. Auf ſeinen Weidezügen
ſetzt er ſich faſt alle Minuten einmal, wie ein Eichhörnchen, auf das Hintertheil und führt etwas
mit den Vorderpfoten zum Munde. Beſtändig hört man das Knacken von Nüſſen, die er zerbricht,
oder das Fallen von ausgefreſſenen Früchten, die er herabwirft. Gegen den Herbſt nun ſammelt er
ſich Nahrungsvorräthe ein und ſpeichert dieſe in ſeinen Höhlen auf. Um dieſe Zeit „ſtrotzt er bereits
von blühendem Fette‟, er frißt aber noch ſolange, als möglich; dann denkt er daran, ſich Herberge
für den Winter zu bereiten. Jetzt macht er ſich ein Neſt von zartem Moſe in tiefen Erdlöchern,
Riſſen und Spalten, in Felſen und altem Gemäner, wohl auch in tiefen Baumhöhlungen, zurecht,
rollt ſich zuſammen, gewöhnlich in Gemeinſchaft mit mehreren ſeiner Genoſſen, und fällt in Schlaf,
ſchon lange vorher, ehe der Wärmemeſſer auf dem Nullpunkt ſteht, in rauheren Gebirgsgegenden
bereits im Auguſt, in der wärmeren Ebene erſt gegen den Oktober hin. Er zeigt dann die uns
bekannte Gefühlsloſigkeit aller Winterſchläfer, ja, er iſt vielleicht Derjenige, welcher am tiefſten ſchläft.
Man kann ihn ruhig aus ſeinem Lager nehmen und weit wegtragen: er bleibt kalt und regungslos.
Jm warmen Zimmer erwacht er nach und nach, bewegt anfänglich die Gliedmaßen ein wenig, läßt
einige Tropfen ſeines hellen, goldgelben Harnes von ſich und regt ſich dann mehr und mehr, ſieht
aber auch jetzt noch immer ſehr verſchlafen aus. Jm Freien wacht er zeitweilig von ſelbſt auf und
zehrt ein wenig von ſeinen Nahrungsvorräthen, gleichſam ohne eigentlich zu wiſſen, was er thut.
Siebenſchläfer, welche Lenz überwinterte und in kühlem Raume hielt, wachten etwa alle vier
Wochen auf, fraßen und ſchliefen dann wieder ſo feſt, daß ſie ganz todt ſchienen. Andere, die Gal-
vagni beherbergte, wachten nur alle zwei Monate auf und fraßen.
Jm Freien erwacht der Siebenſchläfer erſt ſehr ſpät im Frühjahr, ſelten vor Ende des April.
Somit beträgt die Dauer ſeines Winterſchlafes volle ſieben Monate, und er führt demnach ſeinen
Namen mit Fug und Recht.
Bald nach dem Erwachen paaren ſich die Geſchlechter, und nach ungefähr ſechswöcheutlicher
Tragzeit wirft das Weibchen auf einem weichen Lager im hohlen Baume oder in anderen Höhlungen
— in der Nähe von Altenburg ſehr häufig in den Niſtkäſtchen der Staare, welche man vermittelſt
hoher Stangen über und auf Obſtbäumen aufzuſtellen pflegt — drei bis ſechs nackte, blinde Junge,
welche außerordentlich ſchnell heranwachſen, nur kurze Zeit an der Mutter ſaugen und ſich dann
ſelbſt ihre Nahrung aufſuchen. Niemals ſteht das Neſt des Bilch frei auf Bäumen, wie das unſeres
Eichhörnchens; es wird vielmehr ſtets nach Möglichkeit verborgen. Jn Gegenden, wo es viele
Buchen gibt, vermehrt ſich das Thier ſehr ſtark; überhaupt richtet ſich die größere oder geringere
Vermehrung hauptſächlich nach dem Gedeihen der Früchte. Viele Feinde thun ihr übrigens bedeu-
tend Abbruch. Baummarder und Jltis, Wildkatze und Wieſel, Uhu und Eule ſind wohl
die ſchlimmſten Verfolger unſeres Schläfers, und wenn er ſich auch ſelbſt gegen die ſtärkſten Feinde
mit vielem Muthe wehrt, wenn er ſie auch anſchnaubt, wüthend nach ihnen beißt und ſelbſt die
ſchwachen Krallen bei der Vertheidigung zu Hilfe nimmt: er muß ihnen ja doch jedesmal erliegen.
Auch der Menſch ſtellt ihm noch immer da, wo er häufig iſt, eifrig nach, theils des Fleiſches, theils
des Felles wegen, am liebſten, wenn er ſich ſett gemäſtet hat. Man lockt ihn in künſtliche Winter-
wohnungen d. h. Gruben, welche man in Wäldern unter Gebüſch und Felsabhängen, an trockenen,
gegen Mittag gelegenen Orten für ihn herrichtete, recht verrätheriſch mit Mos ausbettete, mit
Stroh und dürrem Laub überdeckte und reichlich mit Bücheln beſtreute. Die Bilche, angelockt durch
den willkommenen Köder, verſammeln ſich in großer Menge an jenen Orten, freſſen ſich ordentlich
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/119>, abgerufen am 25.11.2024.
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