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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Das eigentliche Murmelthier.
es theilweise, und im Nu sind alle verschwunden. Bei mehreren Thierchen hat man statt des Pfeifens
ein lautes Kläffen gehört, woher wahrscheinlich der Name "Mistbelleri" kommt. Ob sie aber über-
haupt eigene Wachen ausstellen, wie die Gemsen, ist nicht entschieden. Jhre Kleinheit sichert sie
mehr vor der Gefahr, bemerkt zu werden, und ihr Auge, besonders aber ihr Ohr und Geruch, sind
sehr scharf."

"Während des Sommers wohnen die Murmelthiere einzeln oder paarweise in ihren eignen
Sommerwohnungen, zu denen 3 bis 12 Fuß lange Gänge mit Seitengängen und Fluchtlöchern führen.
Diese sind oft so enge, daß man kaum eine Faust glaubt durchzwingen zu können. Die losgegrabene
Erde werfen sie nur zum kleinsten Theile hinaus; das Meiste treten sie und schlagen sie in den Gängen
fest, die dadurch hart und glatt werden. Die Ausgänge sind meist unter Steinen angebracht. Jn
ihrer Nähe findet man oft eine ganze Anzahl kurzer, blos zum Verstecken bestimmter Löcher und
Röhren. Der Kessel ist wenig geräumig. Hier paaren sie sich wahrscheinlich im April und das
Weibchen wirft nach sechs Wochen 2 bis 4 Junge, die sehr selten vor die Höhle kommen, bis sie etwas
herangewachsen sind, und bis zum nächsten Sommer mit den Alten den Bau theilen."

"Gegen den Herbst zu graben sie sich ihre eigene, tiefer im Gebirge liegende Winterwohnung, die
jedoch selten tiefer als vier Fuß unter dem Rasen liegt. Sie ist immer niedriger im Gebirge gelegen,
als die Sommerwohnung, welche oft sogar 8000 Fuß über dem Meere liegt, während die Winter-
wohnung (im Kanton Glarus "Schübene" genanmt) in der Regel in dem Gürtel der obersten Alpen-
weiden, oft aber auch tief unter der Baumgrenze liegt. Diese nun ist für die ganze Familie, die aus
5 bis 15 Stück besteht, berechnet und daher sehr geräumig. Der Jäger erkennt die bewohnte Winter-
höhle sowohl an dem Heu, das vor ihr zerstreut liegt, als auch an der gut mit Heu, Erde und
Steinen von innen verstopften, aber blos faustgroßen Mündung der Höhleneingänge, während die
Röhren der Sommerwohnungen immer offen sind. Nimmt man den Baustoff aus der Röhrenmün-
dung weg, so findet man zuerst einen aus Erde, Sand und Steinen wohlgemauerten, mehrere Fuß
langen Eingang. Verfolgt man nun diesen sogenannten Zapfen einige Ellen weit, so stößt man bald
auf einen Scheideweg, von dem aus zwei Gänge sich fortsetzen. Der eine, in dem sich gewöhnlich
Losung und Haare befinden, führt nicht weit und hat wahrscheinlich blos den Baustoff zur Aus-
mauerung des Hauptganges geliefert. Dieser erhöht sich jetzt allmählich und nun stößt der Jäger an
seiner Mündung auf einen weiten Kessel, oft 4 bis 5 Klaftern bergwärts, das geräumige Lager der
Winterschläfer. Es bildet meist eine eirunde, backofenförmige Höhle, mit kurzem, weichen, dürren,
gewöhnlich röthlichbraunen Heu angefüllt, das zum Theil jährlich erneuert wird. Vom August an
fangen nämlich diese klugen Thierchen an, Gras abzubeißen, zu trocknen und mit dem Maule zur Höhle
zu schaffen und zwar so reichlich, daß es oft von einem Manne auf einmal nicht weggetragen werden
kann. Man fabelte früher von dieser Heuernte sonderbare Sachen. Ein Murmelthier sollte sich auf
den Rücken legen, mit Heu beladen lassen und so zur Höhle wie ein Schlitten gezogen werden. Zu
dieser Erzählung veranlaßte die Erfahrung, daß man oft Murmelthiere findet, deren Rücken ganz
abgerieben ist, was jedoch blos vom Einschlüpfen in die engen Höhlengänge herrührt."

Außer diesen beiden Wohnungen hat das Murmelthier noch besondere Fluchtröhren, in welche
es sich bei Gefahr versteckt, oder es eilt unter Steine und in Felsenklüfte, wenn es seine Höhle nicht
erreichen kann.

Jm Freileben scheint es unter den Bewohnern einer Höhle friedlich herzugehen: in der Ge-
fangenschaft ist Dies nicht immer der Fall. Graf Bräuner, der Gründer des Wiener Thiergartens,
erzählte mir, daß dort ein Murmelthier das zweite in der Höhle überfallen, getödtet und nach andrer
Nager Art angefressen habe. Das plötzliche Fehlen des sehr munteren und zahmen Thieres hatte zu
Nachgrabungen veranlaßt und den Mord ans Licht gebracht.

Die Bewegungen des Murmelthieres sind sonderbar. Der Gang namentlich ist ein höchst eigen-
thümliches, breitspuriges Watscheln, wobei der Bauch fast oder wirklich auf der Erde schleift. Eigent-
liche Sprünge habe ich unsere Gefangenen wenigstens niemals ausführen sehen: sie sind zu schwer-

Das eigentliche Murmelthier.
es theilweiſe, und im Nu ſind alle verſchwunden. Bei mehreren Thierchen hat man ſtatt des Pfeifens
ein lautes Kläffen gehört, woher wahrſcheinlich der Name „Miſtbelleri‟ kommt. Ob ſie aber über-
haupt eigene Wachen ausſtellen, wie die Gemſen, iſt nicht entſchieden. Jhre Kleinheit ſichert ſie
mehr vor der Gefahr, bemerkt zu werden, und ihr Auge, beſonders aber ihr Ohr und Geruch, ſind
ſehr ſcharf.‟

„Während des Sommers wohnen die Murmelthiere einzeln oder paarweiſe in ihren eignen
Sommerwohnungen, zu denen 3 bis 12 Fuß lange Gänge mit Seitengängen und Fluchtlöchern führen.
Dieſe ſind oft ſo enge, daß man kaum eine Fauſt glaubt durchzwingen zu können. Die losgegrabene
Erde werfen ſie nur zum kleinſten Theile hinaus; das Meiſte treten ſie und ſchlagen ſie in den Gängen
feſt, die dadurch hart und glatt werden. Die Ausgänge ſind meiſt unter Steinen angebracht. Jn
ihrer Nähe findet man oft eine ganze Anzahl kurzer, blos zum Verſtecken beſtimmter Löcher und
Röhren. Der Keſſel iſt wenig geräumig. Hier paaren ſie ſich wahrſcheinlich im April und das
Weibchen wirft nach ſechs Wochen 2 bis 4 Junge, die ſehr ſelten vor die Höhle kommen, bis ſie etwas
herangewachſen ſind, und bis zum nächſten Sommer mit den Alten den Bau theilen.‟

„Gegen den Herbſt zu graben ſie ſich ihre eigene, tiefer im Gebirge liegende Winterwohnung, die
jedoch ſelten tiefer als vier Fuß unter dem Raſen liegt. Sie iſt immer niedriger im Gebirge gelegen,
als die Sommerwohnung, welche oft ſogar 8000 Fuß über dem Meere liegt, während die Winter-
wohnung (im Kanton Glarus „Schübene‟ genanmt) in der Regel in dem Gürtel der oberſten Alpen-
weiden, oft aber auch tief unter der Baumgrenze liegt. Dieſe nun iſt für die ganze Familie, die aus
5 bis 15 Stück beſteht, berechnet und daher ſehr geräumig. Der Jäger erkennt die bewohnte Winter-
höhle ſowohl an dem Heu, das vor ihr zerſtreut liegt, als auch an der gut mit Heu, Erde und
Steinen von innen verſtopften, aber blos fauſtgroßen Mündung der Höhleneingänge, während die
Röhren der Sommerwohnungen immer offen ſind. Nimmt man den Bauſtoff aus der Röhrenmün-
dung weg, ſo findet man zuerſt einen aus Erde, Sand und Steinen wohlgemauerten, mehrere Fuß
langen Eingang. Verfolgt man nun dieſen ſogenannten Zapfen einige Ellen weit, ſo ſtößt man bald
auf einen Scheideweg, von dem aus zwei Gänge ſich fortſetzen. Der eine, in dem ſich gewöhnlich
Loſung und Haare befinden, führt nicht weit und hat wahrſcheinlich blos den Bauſtoff zur Aus-
mauerung des Hauptganges geliefert. Dieſer erhöht ſich jetzt allmählich und nun ſtößt der Jäger an
ſeiner Mündung auf einen weiten Keſſel, oft 4 bis 5 Klaftern bergwärts, das geräumige Lager der
Winterſchläfer. Es bildet meiſt eine eirunde, backofenförmige Höhle, mit kurzem, weichen, dürren,
gewöhnlich röthlichbraunen Heu angefüllt, das zum Theil jährlich erneuert wird. Vom Auguſt an
fangen nämlich dieſe klugen Thierchen an, Gras abzubeißen, zu trocknen und mit dem Maule zur Höhle
zu ſchaffen und zwar ſo reichlich, daß es oft von einem Manne auf einmal nicht weggetragen werden
kann. Man fabelte früher von dieſer Heuernte ſonderbare Sachen. Ein Murmelthier ſollte ſich auf
den Rücken legen, mit Heu beladen laſſen und ſo zur Höhle wie ein Schlitten gezogen werden. Zu
dieſer Erzählung veranlaßte die Erfahrung, daß man oft Murmelthiere findet, deren Rücken ganz
abgerieben iſt, was jedoch blos vom Einſchlüpfen in die engen Höhlengänge herrührt.‟

Außer dieſen beiden Wohnungen hat das Murmelthier noch beſondere Fluchtröhren, in welche
es ſich bei Gefahr verſteckt, oder es eilt unter Steine und in Felſenklüfte, wenn es ſeine Höhle nicht
erreichen kann.

Jm Freileben ſcheint es unter den Bewohnern einer Höhle friedlich herzugehen: in der Ge-
fangenſchaft iſt Dies nicht immer der Fall. Graf Bräuner, der Gründer des Wiener Thiergartens,
erzählte mir, daß dort ein Murmelthier das zweite in der Höhle überfallen, getödtet und nach andrer
Nager Art angefreſſen habe. Das plötzliche Fehlen des ſehr munteren und zahmen Thieres hatte zu
Nachgrabungen veranlaßt und den Mord ans Licht gebracht.

Die Bewegungen des Murmelthieres ſind ſonderbar. Der Gang namentlich iſt ein höchſt eigen-
thümliches, breitſpuriges Watſcheln, wobei der Bauch faſt oder wirklich auf der Erde ſchleift. Eigent-
liche Sprünge habe ich unſere Gefangenen wenigſtens niemals ausführen ſehen: ſie ſind zu ſchwer-

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[93/0107] Das eigentliche Murmelthier. es theilweiſe, und im Nu ſind alle verſchwunden. Bei mehreren Thierchen hat man ſtatt des Pfeifens ein lautes Kläffen gehört, woher wahrſcheinlich der Name „Miſtbelleri‟ kommt. Ob ſie aber über- haupt eigene Wachen ausſtellen, wie die Gemſen, iſt nicht entſchieden. Jhre Kleinheit ſichert ſie mehr vor der Gefahr, bemerkt zu werden, und ihr Auge, beſonders aber ihr Ohr und Geruch, ſind ſehr ſcharf.‟ „Während des Sommers wohnen die Murmelthiere einzeln oder paarweiſe in ihren eignen Sommerwohnungen, zu denen 3 bis 12 Fuß lange Gänge mit Seitengängen und Fluchtlöchern führen. Dieſe ſind oft ſo enge, daß man kaum eine Fauſt glaubt durchzwingen zu können. Die losgegrabene Erde werfen ſie nur zum kleinſten Theile hinaus; das Meiſte treten ſie und ſchlagen ſie in den Gängen feſt, die dadurch hart und glatt werden. Die Ausgänge ſind meiſt unter Steinen angebracht. Jn ihrer Nähe findet man oft eine ganze Anzahl kurzer, blos zum Verſtecken beſtimmter Löcher und Röhren. Der Keſſel iſt wenig geräumig. Hier paaren ſie ſich wahrſcheinlich im April und das Weibchen wirft nach ſechs Wochen 2 bis 4 Junge, die ſehr ſelten vor die Höhle kommen, bis ſie etwas herangewachſen ſind, und bis zum nächſten Sommer mit den Alten den Bau theilen.‟ „Gegen den Herbſt zu graben ſie ſich ihre eigene, tiefer im Gebirge liegende Winterwohnung, die jedoch ſelten tiefer als vier Fuß unter dem Raſen liegt. Sie iſt immer niedriger im Gebirge gelegen, als die Sommerwohnung, welche oft ſogar 8000 Fuß über dem Meere liegt, während die Winter- wohnung (im Kanton Glarus „Schübene‟ genanmt) in der Regel in dem Gürtel der oberſten Alpen- weiden, oft aber auch tief unter der Baumgrenze liegt. Dieſe nun iſt für die ganze Familie, die aus 5 bis 15 Stück beſteht, berechnet und daher ſehr geräumig. Der Jäger erkennt die bewohnte Winter- höhle ſowohl an dem Heu, das vor ihr zerſtreut liegt, als auch an der gut mit Heu, Erde und Steinen von innen verſtopften, aber blos fauſtgroßen Mündung der Höhleneingänge, während die Röhren der Sommerwohnungen immer offen ſind. Nimmt man den Bauſtoff aus der Röhrenmün- dung weg, ſo findet man zuerſt einen aus Erde, Sand und Steinen wohlgemauerten, mehrere Fuß langen Eingang. Verfolgt man nun dieſen ſogenannten Zapfen einige Ellen weit, ſo ſtößt man bald auf einen Scheideweg, von dem aus zwei Gänge ſich fortſetzen. Der eine, in dem ſich gewöhnlich Loſung und Haare befinden, führt nicht weit und hat wahrſcheinlich blos den Bauſtoff zur Aus- mauerung des Hauptganges geliefert. Dieſer erhöht ſich jetzt allmählich und nun ſtößt der Jäger an ſeiner Mündung auf einen weiten Keſſel, oft 4 bis 5 Klaftern bergwärts, das geräumige Lager der Winterſchläfer. Es bildet meiſt eine eirunde, backofenförmige Höhle, mit kurzem, weichen, dürren, gewöhnlich röthlichbraunen Heu angefüllt, das zum Theil jährlich erneuert wird. Vom Auguſt an fangen nämlich dieſe klugen Thierchen an, Gras abzubeißen, zu trocknen und mit dem Maule zur Höhle zu ſchaffen und zwar ſo reichlich, daß es oft von einem Manne auf einmal nicht weggetragen werden kann. Man fabelte früher von dieſer Heuernte ſonderbare Sachen. Ein Murmelthier ſollte ſich auf den Rücken legen, mit Heu beladen laſſen und ſo zur Höhle wie ein Schlitten gezogen werden. Zu dieſer Erzählung veranlaßte die Erfahrung, daß man oft Murmelthiere findet, deren Rücken ganz abgerieben iſt, was jedoch blos vom Einſchlüpfen in die engen Höhlengänge herrührt.‟ Außer dieſen beiden Wohnungen hat das Murmelthier noch beſondere Fluchtröhren, in welche es ſich bei Gefahr verſteckt, oder es eilt unter Steine und in Felſenklüfte, wenn es ſeine Höhle nicht erreichen kann. Jm Freileben ſcheint es unter den Bewohnern einer Höhle friedlich herzugehen: in der Ge- fangenſchaft iſt Dies nicht immer der Fall. Graf Bräuner, der Gründer des Wiener Thiergartens, erzählte mir, daß dort ein Murmelthier das zweite in der Höhle überfallen, getödtet und nach andrer Nager Art angefreſſen habe. Das plötzliche Fehlen des ſehr munteren und zahmen Thieres hatte zu Nachgrabungen veranlaßt und den Mord ans Licht gebracht. Die Bewegungen des Murmelthieres ſind ſonderbar. Der Gang namentlich iſt ein höchſt eigen- thümliches, breitſpuriges Watſcheln, wobei der Bauch faſt oder wirklich auf der Erde ſchleift. Eigent- liche Sprünge habe ich unſere Gefangenen wenigſtens niemals ausführen ſehen: ſie ſind zu ſchwer-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/107>, abgerufen am 24.11.2024.