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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. -- Jgel.

Unser Jgel (Erinaceus europaeus) mag als Vertreter der einen Sippe gelten. Sie unter-
scheidet sich von den übrigen durch die geringere Größe des Kopfes, welcher sich in eine kurze, spitze
Schnauze endet und mäßige oder große Ohren besitzt, durch kurze, fünfzehige Beine mit starken
Krallen und den Stummelschwanz, welcher bei einigen Arten eigentlich nur angedeutet ist. Der
Rumpf ist mit harten, spitzen, fast gleichlangen Stacheln bedeckt; der Unterleib, der Vorderhals, der
Kopf und die Beine aber tragen borstiges und weiches Haar. Mehr, als alle übrigen, vermögen sich
die Mitglieder dieser Sippe zu einem Knäuel zusammenzuballen.

Wenn an den ersten warmen Abenden, die der junge, lachende Frühling bringt, Alt und Jung
hinausströmt, um sich in den während des Winters verwaisten und nun neu erwachenden Gärten,
Hainen und Wäldchen neue Lebensfrische zu holen, vernimmt der Aufmerksamere vielleicht ein eigen-
thümliches Geräusch im trockenen, abgefallenen Laube, gewöhnlich unter den dichtesten Hecken und
Gebüschen, und wenn er hübsch ruhig bleiben will, wird er bald auch den Urheber dieses Lärmens
entdecken. Ein kleiner, kugelrunder Bursch, mit merkwürdig rauhem Pelz, arbeitet sich aus dem Laub
hervor, schnuppert und lauscht nach allen Seiten hin und beginnt dann seine Wanderung mit gleich-
mäßig trippelnden Schritten. Kommt er näher, so bemerkt man ein sehr niedliches, spitzes Schnäuzchen,
gleichsam eine nette Wiederholung des gröbern und derbern Schweinsrüssels vorstellend, ein Paar
klare, freundlich blickende Aeuglein und einen Stachelpanzer, welcher die ganzen oberen Theile des
Leibes bedeckt, ja auch an den Seiten noch weit herabreicht. Das ist unser, oder ich will eher sagen
mein lieber Gartenfreund, der Jgel, ein gemüthlicher, ehrlicher, treuherziger, aber etwas dummer
Gesell, welcher ganz harmlos in das Leben hinausschaut und nicht begreifen zu können scheint, daß
der Mensch so niederträchtig sein kann, ihn, der sich so hohe Verdienste um das Gesammtwohl
erwirbt, nicht nur mit allerlei Schimpfnamen zu belegen, sondern auch nachdrücklich zu verfolgen, ja,
aus reiner Bubenmordlust, sogar todtzuschlagen. Man muß nur das Entsetzen gesehen haben, mit
welchem eine Gesellschaft von Frauen aufspringt, wenn sich plötzlich der Stachelheld zwischen sie drängt
oder auch nur von ferne zeigt. Sie thun gerade, als wäre Dies ein Feind, welcher das Leben be-
drohen oder ihnen wenigstens Verletzungen beibringen könnte, an denen sie Jahre lang zu leiden
hätten! Keine einzige der Aufschreienden aber hat sich jemals die Mühe genommen, das Thier selbst
zu beobachten. Hätte sie Dies gethan, so würde sie bemerkt haben, daß der scheinbar so muthig auf
den Menschen zutrabende Held, sobald er sich von der Nähe des gefährlichen Feindes überzeugt hat,
im höchsten Entsetzen einen Augenblick lang stutzt, die Stirne runzelt und plötzlich, Gesicht und Beine
an den Leib ziehend, zu einer Kugel sich zusammenrollt und in dieser Stellung verharrt, bis die ver-
meintliche Gefahr vorüber ist. Der Harmlose ist froh, wenn er selbst nicht behelligt wird; er geht
gern jedem größern Thiere und zumal dem Menschen aus dem Wege.

Unser Jgel ist, was seine Gestalt anlangt, schon durch die Worte beschrieben, mit welchen ich
seine Sippe zu kennzeichnen versuchte. Der ganze Körper mit all seinen Theilen ist sehr gedrungen,
dick und kurz; der Rüssel ist spitz und vorn gekerbt, der Mund weit gespalten, die Ohren sind breit,
die schwarzen Augen klein. Wenige schwarze Schnurren stehen im Gesicht, unter den weiß- oder roth-
gelb, an den Seiten der Nase und Oberlippe aber dunkelbraun gefärbten Haaren; hinter den Augen
liegt ein weißer Fleck. Das Haar am Hals und Bauch ist lichtrothgelblichgrau oder weißgrau; die
Stacheln sind gelblich, in der Mitte und an der Spitze dunkelbraun; in ihre Oberfläche sind feine
Längsfurchen, 24 bis 25 an der Zahl, eingegraben, zwischen denen sich gewölbte Leisten erheben; das
Jnnere zeigt eine mit großen Zellen erfüllte Markröhre. Die Länge des Thieres beträgt zehn Zoll,
die des Schwanzes elf Linien, die Höhe am Widerrist ungefähr fünf Zoll. Das Weibchen unter-
scheidet sich vom Männchen außer seiner etwas bedeutendern Größe durch eine spitzere Schnauze,
stärkern Leib und eine lichtere, mehr grauliche Färbung; auch ist die Stirn bei ihm gewöhnlich nicht
so tief herab mit Stacheln besetzt, und der Kopf erscheint hierdurch etwas länger. An den meisten
Orten unterscheiden die Leute zwei Abarten des Jgels: den Hundsigel, welcher eine stumpfere
Schnauze, dunklere Färbung und geringere Größe haben soll, und den Schweinsigel, dessen

Die Raubthiere. — Jgel.

Unſer Jgel (Erinaceus europaeus) mag als Vertreter der einen Sippe gelten. Sie unter-
ſcheidet ſich von den übrigen durch die geringere Größe des Kopfes, welcher ſich in eine kurze, ſpitze
Schnauze endet und mäßige oder große Ohren beſitzt, durch kurze, fünfzehige Beine mit ſtarken
Krallen und den Stummelſchwanz, welcher bei einigen Arten eigentlich nur angedeutet iſt. Der
Rumpf iſt mit harten, ſpitzen, faſt gleichlangen Stacheln bedeckt; der Unterleib, der Vorderhals, der
Kopf und die Beine aber tragen borſtiges und weiches Haar. Mehr, als alle übrigen, vermögen ſich
die Mitglieder dieſer Sippe zu einem Knäuel zuſammenzuballen.

Wenn an den erſten warmen Abenden, die der junge, lachende Frühling bringt, Alt und Jung
hinausſtrömt, um ſich in den während des Winters verwaiſten und nun neu erwachenden Gärten,
Hainen und Wäldchen neue Lebensfriſche zu holen, vernimmt der Aufmerkſamere vielleicht ein eigen-
thümliches Geräuſch im trockenen, abgefallenen Laube, gewöhnlich unter den dichteſten Hecken und
Gebüſchen, und wenn er hübſch ruhig bleiben will, wird er bald auch den Urheber dieſes Lärmens
entdecken. Ein kleiner, kugelrunder Burſch, mit merkwürdig rauhem Pelz, arbeitet ſich aus dem Laub
hervor, ſchnuppert und lauſcht nach allen Seiten hin und beginnt dann ſeine Wanderung mit gleich-
mäßig trippelnden Schritten. Kommt er näher, ſo bemerkt man ein ſehr niedliches, ſpitzes Schnäuzchen,
gleichſam eine nette Wiederholung des gröbern und derbern Schweinsrüſſels vorſtellend, ein Paar
klare, freundlich blickende Aeuglein und einen Stachelpanzer, welcher die ganzen oberen Theile des
Leibes bedeckt, ja auch an den Seiten noch weit herabreicht. Das iſt unſer, oder ich will eher ſagen
mein lieber Gartenfreund, der Jgel, ein gemüthlicher, ehrlicher, treuherziger, aber etwas dummer
Geſell, welcher ganz harmlos in das Leben hinausſchaut und nicht begreifen zu können ſcheint, daß
der Menſch ſo niederträchtig ſein kann, ihn, der ſich ſo hohe Verdienſte um das Geſammtwohl
erwirbt, nicht nur mit allerlei Schimpfnamen zu belegen, ſondern auch nachdrücklich zu verfolgen, ja,
aus reiner Bubenmordluſt, ſogar todtzuſchlagen. Man muß nur das Entſetzen geſehen haben, mit
welchem eine Geſellſchaft von Frauen aufſpringt, wenn ſich plötzlich der Stachelheld zwiſchen ſie drängt
oder auch nur von ferne zeigt. Sie thun gerade, als wäre Dies ein Feind, welcher das Leben be-
drohen oder ihnen wenigſtens Verletzungen beibringen könnte, an denen ſie Jahre lang zu leiden
hätten! Keine einzige der Aufſchreienden aber hat ſich jemals die Mühe genommen, das Thier ſelbſt
zu beobachten. Hätte ſie Dies gethan, ſo würde ſie bemerkt haben, daß der ſcheinbar ſo muthig auf
den Menſchen zutrabende Held, ſobald er ſich von der Nähe des gefährlichen Feindes überzeugt hat,
im höchſten Entſetzen einen Augenblick lang ſtutzt, die Stirne runzelt und plötzlich, Geſicht und Beine
an den Leib ziehend, zu einer Kugel ſich zuſammenrollt und in dieſer Stellung verharrt, bis die ver-
meintliche Gefahr vorüber iſt. Der Harmloſe iſt froh, wenn er ſelbſt nicht behelligt wird; er geht
gern jedem größern Thiere und zumal dem Menſchen aus dem Wege.

Unſer Jgel iſt, was ſeine Geſtalt anlangt, ſchon durch die Worte beſchrieben, mit welchen ich
ſeine Sippe zu kennzeichnen verſuchte. Der ganze Körper mit all ſeinen Theilen iſt ſehr gedrungen,
dick und kurz; der Rüſſel iſt ſpitz und vorn gekerbt, der Mund weit geſpalten, die Ohren ſind breit,
die ſchwarzen Augen klein. Wenige ſchwarze Schnurren ſtehen im Geſicht, unter den weiß- oder roth-
gelb, an den Seiten der Naſe und Oberlippe aber dunkelbraun gefärbten Haaren; hinter den Augen
liegt ein weißer Fleck. Das Haar am Hals und Bauch iſt lichtrothgelblichgrau oder weißgrau; die
Stacheln ſind gelblich, in der Mitte und an der Spitze dunkelbraun; in ihre Oberfläche ſind feine
Längsfurchen, 24 bis 25 an der Zahl, eingegraben, zwiſchen denen ſich gewölbte Leiſten erheben; das
Jnnere zeigt eine mit großen Zellen erfüllte Markröhre. Die Länge des Thieres beträgt zehn Zoll,
die des Schwanzes elf Linien, die Höhe am Widerriſt ungefähr fünf Zoll. Das Weibchen unter-
ſcheidet ſich vom Männchen außer ſeiner etwas bedeutendern Größe durch eine ſpitzere Schnauze,
ſtärkern Leib und eine lichtere, mehr grauliche Färbung; auch iſt die Stirn bei ihm gewöhnlich nicht
ſo tief herab mit Stacheln beſetzt, und der Kopf erſcheint hierdurch etwas länger. An den meiſten
Orten unterſcheiden die Leute zwei Abarten des Jgels: den Hundsigel, welcher eine ſtumpfere
Schnauze, dunklere Färbung und geringere Größe haben ſoll, und den Schweinsigel, deſſen

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[648/0726] Die Raubthiere. — Jgel. Unſer Jgel (Erinaceus europaeus) mag als Vertreter der einen Sippe gelten. Sie unter- ſcheidet ſich von den übrigen durch die geringere Größe des Kopfes, welcher ſich in eine kurze, ſpitze Schnauze endet und mäßige oder große Ohren beſitzt, durch kurze, fünfzehige Beine mit ſtarken Krallen und den Stummelſchwanz, welcher bei einigen Arten eigentlich nur angedeutet iſt. Der Rumpf iſt mit harten, ſpitzen, faſt gleichlangen Stacheln bedeckt; der Unterleib, der Vorderhals, der Kopf und die Beine aber tragen borſtiges und weiches Haar. Mehr, als alle übrigen, vermögen ſich die Mitglieder dieſer Sippe zu einem Knäuel zuſammenzuballen. Wenn an den erſten warmen Abenden, die der junge, lachende Frühling bringt, Alt und Jung hinausſtrömt, um ſich in den während des Winters verwaiſten und nun neu erwachenden Gärten, Hainen und Wäldchen neue Lebensfriſche zu holen, vernimmt der Aufmerkſamere vielleicht ein eigen- thümliches Geräuſch im trockenen, abgefallenen Laube, gewöhnlich unter den dichteſten Hecken und Gebüſchen, und wenn er hübſch ruhig bleiben will, wird er bald auch den Urheber dieſes Lärmens entdecken. Ein kleiner, kugelrunder Burſch, mit merkwürdig rauhem Pelz, arbeitet ſich aus dem Laub hervor, ſchnuppert und lauſcht nach allen Seiten hin und beginnt dann ſeine Wanderung mit gleich- mäßig trippelnden Schritten. Kommt er näher, ſo bemerkt man ein ſehr niedliches, ſpitzes Schnäuzchen, gleichſam eine nette Wiederholung des gröbern und derbern Schweinsrüſſels vorſtellend, ein Paar klare, freundlich blickende Aeuglein und einen Stachelpanzer, welcher die ganzen oberen Theile des Leibes bedeckt, ja auch an den Seiten noch weit herabreicht. Das iſt unſer, oder ich will eher ſagen mein lieber Gartenfreund, der Jgel, ein gemüthlicher, ehrlicher, treuherziger, aber etwas dummer Geſell, welcher ganz harmlos in das Leben hinausſchaut und nicht begreifen zu können ſcheint, daß der Menſch ſo niederträchtig ſein kann, ihn, der ſich ſo hohe Verdienſte um das Geſammtwohl erwirbt, nicht nur mit allerlei Schimpfnamen zu belegen, ſondern auch nachdrücklich zu verfolgen, ja, aus reiner Bubenmordluſt, ſogar todtzuſchlagen. Man muß nur das Entſetzen geſehen haben, mit welchem eine Geſellſchaft von Frauen aufſpringt, wenn ſich plötzlich der Stachelheld zwiſchen ſie drängt oder auch nur von ferne zeigt. Sie thun gerade, als wäre Dies ein Feind, welcher das Leben be- drohen oder ihnen wenigſtens Verletzungen beibringen könnte, an denen ſie Jahre lang zu leiden hätten! Keine einzige der Aufſchreienden aber hat ſich jemals die Mühe genommen, das Thier ſelbſt zu beobachten. Hätte ſie Dies gethan, ſo würde ſie bemerkt haben, daß der ſcheinbar ſo muthig auf den Menſchen zutrabende Held, ſobald er ſich von der Nähe des gefährlichen Feindes überzeugt hat, im höchſten Entſetzen einen Augenblick lang ſtutzt, die Stirne runzelt und plötzlich, Geſicht und Beine an den Leib ziehend, zu einer Kugel ſich zuſammenrollt und in dieſer Stellung verharrt, bis die ver- meintliche Gefahr vorüber iſt. Der Harmloſe iſt froh, wenn er ſelbſt nicht behelligt wird; er geht gern jedem größern Thiere und zumal dem Menſchen aus dem Wege. Unſer Jgel iſt, was ſeine Geſtalt anlangt, ſchon durch die Worte beſchrieben, mit welchen ich ſeine Sippe zu kennzeichnen verſuchte. Der ganze Körper mit all ſeinen Theilen iſt ſehr gedrungen, dick und kurz; der Rüſſel iſt ſpitz und vorn gekerbt, der Mund weit geſpalten, die Ohren ſind breit, die ſchwarzen Augen klein. Wenige ſchwarze Schnurren ſtehen im Geſicht, unter den weiß- oder roth- gelb, an den Seiten der Naſe und Oberlippe aber dunkelbraun gefärbten Haaren; hinter den Augen liegt ein weißer Fleck. Das Haar am Hals und Bauch iſt lichtrothgelblichgrau oder weißgrau; die Stacheln ſind gelblich, in der Mitte und an der Spitze dunkelbraun; in ihre Oberfläche ſind feine Längsfurchen, 24 bis 25 an der Zahl, eingegraben, zwiſchen denen ſich gewölbte Leiſten erheben; das Jnnere zeigt eine mit großen Zellen erfüllte Markröhre. Die Länge des Thieres beträgt zehn Zoll, die des Schwanzes elf Linien, die Höhe am Widerriſt ungefähr fünf Zoll. Das Weibchen unter- ſcheidet ſich vom Männchen außer ſeiner etwas bedeutendern Größe durch eine ſpitzere Schnauze, ſtärkern Leib und eine lichtere, mehr grauliche Färbung; auch iſt die Stirn bei ihm gewöhnlich nicht ſo tief herab mit Stacheln beſetzt, und der Kopf erſcheint hierdurch etwas länger. An den meiſten Orten unterſcheiden die Leute zwei Abarten des Jgels: den Hundsigel, welcher eine ſtumpfere Schnauze, dunklere Färbung und geringere Größe haben ſoll, und den Schweinsigel, deſſen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 648. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/726>, abgerufen am 24.11.2024.