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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Schilderung seines Gefangenlebens.
schaft die Gewohnheit bei, Alles, was er frißt, vorher ins Wasser einzutauchen und zwischen den
Vorderpfoten zu reiben, obgleich ihm dabei manche Leckerbissen geradezu verloren gehen, wie z. B. der
Zucker. Das Brod läßt er gern lange weichen, ehe er es dann zu sich nimmt. Ueber das Fleisch fällt
er gieriger, als über alle andere Nahrung, her. Alle festen Nahrungsstoffe bringt er mit beiden
Vorderpfoten zum Munde, wie denn überhaupt eine aufrechte Stellung auf den Hinterbeinen ihm
nicht die geringsten Schwierigkeiten macht. Mit anderen Säugethieren lebt er in Frieden und ver-
sucht niemals, ihnen etwas zu Leide zu thun, solange jene ihn auch unbehelligt lassen. Falls ihm
aber eine schlechte Behandlung wird, sucht er sich die Urheber derselben sobald als möglich vom Halse
zu schaffen, und es kommt ihm dabei auf einen kleinen Zweikampf durchaus nicht an. Bei guter Pflege
hält er auch in Europa die Gefangenschaft ziemlich lange aus.

"Jch habe," sagt Weinland, "einen solchen Zwergbären einst jung aufgezogen und ihn fast
ein Jahr lang im freien Zimmer wie einen Hund umherlaufen lassen. Hier hatte ich täglich Gelegen-
heit, seinen Gleichmuth zu bewundern. Er ist nicht träg, vielmehr sehr lebendig, sobald er seiner
Sache sicher ist. Aber wie kein anderes Thier und wie wenige Menschen schickt er sich ins Unvermeidliche.
An einem Käfig, in dem ich einen Papagei hatte, kletterte er Dutzendmale auf und nieder, ohne auch
nur den Vogel anzusehen; kaum aber war dieser aus seinem Käfig und ich aus dem Zimmer, so machte
mein Waschbär auch schon Jagd auf den Papagei. Dieser wußte sich freilich seines Verfolgers
gewandt zu erwehren, indem er, den Rücken durch die Wand gedeckt, dem langsam und von der Wand
herauschleicheuden Bären immer seinen offenen Hakenschnabel entgegenstreckte."

"Neugierig bis zum Aeußersten, zog er sich doch, so oft die Thür sich öffnete, unter meinen Lehn-
stuhl; gewiß aber nie anders, als rückwärts, d. h. den Kopf gegen die Thür gekehrt. Auch vor dem
größten Hund ging er nie im schnellen Lauf, sondern stets in dieser spartanischen Weise zurück, dem
Feinde Kopf und Brust entgegenhaltend. Kam ihm ein mächtiger Gegner zu nahe, so suchte er durch
Haarsträuben und Brummen, auch wohl durch einen schnell hervorgestoßenen Schrei für Augenblicke
Achtung einzuflößen und so den Rückzug zu decken, und Das glückte ihm auch immer. War er aber in
einem Winkel angekommen, so vertheidigte er sich wüthend. Vögel und Eier waren ihm Leckerbissen,
Mäuse zeigten sich nie, solange ich ihn besaß, und er dürfte sich so gut, als die Katze, zum Hausthier
eignen und dieselben Dienste thun, würde aber freilich ein mindestens ebenso unabhängiges Leben zu
wahren wissen, wie jene. Anhänglich wurde mein Waschbär nie. Doch kannte er seinen Namen, folgte
aber dem Rufe nur, wenn er Etwas zu bekommen hoffte. Selten zeigte er sich zum Spielen aufgelegt.
Er versuchte Dies einmal mit einer Katze, die ihn dafür ins Gesicht kratzte. Dies erbitterte ihn nicht nur
nicht im geringsten, sondern, nachdem er bedächtig das Gesicht abgewischt, nahte er sich der Katze sofort
wieder, betastete sie aber diesmal nur mit der Tatze und mit vorsichtig weit abgewendetem Kopf."

"Daß er sich, wie das Opossum, todt stellt, habe ich selbst nie beobachtet, obwohl man es auch
von ihm behauptet hat. Allerdings läßt er, sobald man ihn beim Pelz am Genick packt, alle Glieder
schlaff fallen und hängt herunter, wie todt; nur die kleinen, klugen Augen lugen aller Orten nach
einem Gegenstand umher, der mit den Zähnen oder Füßen erreicht werden könnte. Hat der Schupp
glücklich einen solchen erfaßt, so hält er ihn mit außerordentlicher Zähigkeit fest. Bei Nacht machte
er anfangs viel Lärm, während er bei Tag schlief; aber als er den Tag über immer im hellen Zimmer
sich aufhalten und erst nachts in seinen Behälter kriechen mußte, lernte er bald nach ehrlicher Bürger-
sitte am Tage wachen und bei Nacht schlafen."

"Mit anderen seiner Art lebt er in vollster Einigkeit. Bekanntlich ist eine Nuß im Stande, den
Frieden eines Affenpaares in einem Augenblick in Hader und Gewaltthätigkeit umzuwandeln; bei dem
Waschbär ist Dem nicht also. Ruhig verzehrt derjenige, dem eben das Glück wohl will, vorn am Käfig
zu sitzen, den dargebotenen Leckerbissen, ohne daß ihn die kurz davon sitzende Ehehälfte im geringsten
behelligt, freilich, wie es scheint, auch nicht erfreut wurde. Sie ist einfach gleichgiltig."

Letztere Beobachtung bezieht sich übrigens, wie ich ergänzend bemerken muß, doch nur auf
Waschbären, welche von Jugend auf zusammengewöhnt oder verschiedenen Geschlechtes sind. Zwei

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Schilderung ſeines Gefangenlebens.
ſchaft die Gewohnheit bei, Alles, was er frißt, vorher ins Waſſer einzutauchen und zwiſchen den
Vorderpfoten zu reiben, obgleich ihm dabei manche Leckerbiſſen geradezu verloren gehen, wie z. B. der
Zucker. Das Brod läßt er gern lange weichen, ehe er es dann zu ſich nimmt. Ueber das Fleiſch fällt
er gieriger, als über alle andere Nahrung, her. Alle feſten Nahrungsſtoffe bringt er mit beiden
Vorderpfoten zum Munde, wie denn überhaupt eine aufrechte Stellung auf den Hinterbeinen ihm
nicht die geringſten Schwierigkeiten macht. Mit anderen Säugethieren lebt er in Frieden und ver-
ſucht niemals, ihnen etwas zu Leide zu thun, ſolange jene ihn auch unbehelligt laſſen. Falls ihm
aber eine ſchlechte Behandlung wird, ſucht er ſich die Urheber derſelben ſobald als möglich vom Halſe
zu ſchaffen, und es kommt ihm dabei auf einen kleinen Zweikampf durchaus nicht an. Bei guter Pflege
hält er auch in Europa die Gefangenſchaft ziemlich lange aus.

„Jch habe,‟ ſagt Weinland, „einen ſolchen Zwergbären einſt jung aufgezogen und ihn faſt
ein Jahr lang im freien Zimmer wie einen Hund umherlaufen laſſen. Hier hatte ich täglich Gelegen-
heit, ſeinen Gleichmuth zu bewundern. Er iſt nicht träg, vielmehr ſehr lebendig, ſobald er ſeiner
Sache ſicher iſt. Aber wie kein anderes Thier und wie wenige Menſchen ſchickt er ſich ins Unvermeidliche.
An einem Käfig, in dem ich einen Papagei hatte, kletterte er Dutzendmale auf und nieder, ohne auch
nur den Vogel anzuſehen; kaum aber war dieſer aus ſeinem Käfig und ich aus dem Zimmer, ſo machte
mein Waſchbär auch ſchon Jagd auf den Papagei. Dieſer wußte ſich freilich ſeines Verfolgers
gewandt zu erwehren, indem er, den Rücken durch die Wand gedeckt, dem langſam und von der Wand
herauſchleicheuden Bären immer ſeinen offenen Hakenſchnabel entgegenſtreckte.‟

„Neugierig bis zum Aeußerſten, zog er ſich doch, ſo oft die Thür ſich öffnete, unter meinen Lehn-
ſtuhl; gewiß aber nie anders, als rückwärts, d. h. den Kopf gegen die Thür gekehrt. Auch vor dem
größten Hund ging er nie im ſchnellen Lauf, ſondern ſtets in dieſer ſpartaniſchen Weiſe zurück, dem
Feinde Kopf und Bruſt entgegenhaltend. Kam ihm ein mächtiger Gegner zu nahe, ſo ſuchte er durch
Haarſträuben und Brummen, auch wohl durch einen ſchnell hervorgeſtoßenen Schrei für Augenblicke
Achtung einzuflößen und ſo den Rückzug zu decken, und Das glückte ihm auch immer. War er aber in
einem Winkel angekommen, ſo vertheidigte er ſich wüthend. Vögel und Eier waren ihm Leckerbiſſen,
Mäuſe zeigten ſich nie, ſolange ich ihn beſaß, und er dürfte ſich ſo gut, als die Katze, zum Hausthier
eignen und dieſelben Dienſte thun, würde aber freilich ein mindeſtens ebenſo unabhängiges Leben zu
wahren wiſſen, wie jene. Anhänglich wurde mein Waſchbär nie. Doch kannte er ſeinen Namen, folgte
aber dem Rufe nur, wenn er Etwas zu bekommen hoffte. Selten zeigte er ſich zum Spielen aufgelegt.
Er verſuchte Dies einmal mit einer Katze, die ihn dafür ins Geſicht kratzte. Dies erbitterte ihn nicht nur
nicht im geringſten, ſondern, nachdem er bedächtig das Geſicht abgewiſcht, nahte er ſich der Katze ſofort
wieder, betaſtete ſie aber diesmal nur mit der Tatze und mit vorſichtig weit abgewendetem Kopf.‟

„Daß er ſich, wie das Opoſſum, todt ſtellt, habe ich ſelbſt nie beobachtet, obwohl man es auch
von ihm behauptet hat. Allerdings läßt er, ſobald man ihn beim Pelz am Genick packt, alle Glieder
ſchlaff fallen und hängt herunter, wie todt; nur die kleinen, klugen Augen lugen aller Orten nach
einem Gegenſtand umher, der mit den Zähnen oder Füßen erreicht werden könnte. Hat der Schupp
glücklich einen ſolchen erfaßt, ſo hält er ihn mit außerordentlicher Zähigkeit feſt. Bei Nacht machte
er anfangs viel Lärm, während er bei Tag ſchlief; aber als er den Tag über immer im hellen Zimmer
ſich aufhalten und erſt nachts in ſeinen Behälter kriechen mußte, lernte er bald nach ehrlicher Bürger-
ſitte am Tage wachen und bei Nacht ſchlafen.‟

„Mit anderen ſeiner Art lebt er in vollſter Einigkeit. Bekanntlich iſt eine Nuß im Stande, den
Frieden eines Affenpaares in einem Augenblick in Hader und Gewaltthätigkeit umzuwandeln; bei dem
Waſchbär iſt Dem nicht alſo. Ruhig verzehrt derjenige, dem eben das Glück wohl will, vorn am Käfig
zu ſitzen, den dargebotenen Leckerbiſſen, ohne daß ihn die kurz davon ſitzende Ehehälfte im geringſten
behelligt, freilich, wie es ſcheint, auch nicht erfreut wurde. Sie iſt einfach gleichgiltig.‟

Letztere Beobachtung bezieht ſich übrigens, wie ich ergänzend bemerken muß, doch nur auf
Waſchbären, welche von Jugend auf zuſammengewöhnt oder verſchiedenen Geſchlechtes ſind. Zwei

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[627/0705] Schilderung ſeines Gefangenlebens. ſchaft die Gewohnheit bei, Alles, was er frißt, vorher ins Waſſer einzutauchen und zwiſchen den Vorderpfoten zu reiben, obgleich ihm dabei manche Leckerbiſſen geradezu verloren gehen, wie z. B. der Zucker. Das Brod läßt er gern lange weichen, ehe er es dann zu ſich nimmt. Ueber das Fleiſch fällt er gieriger, als über alle andere Nahrung, her. Alle feſten Nahrungsſtoffe bringt er mit beiden Vorderpfoten zum Munde, wie denn überhaupt eine aufrechte Stellung auf den Hinterbeinen ihm nicht die geringſten Schwierigkeiten macht. Mit anderen Säugethieren lebt er in Frieden und ver- ſucht niemals, ihnen etwas zu Leide zu thun, ſolange jene ihn auch unbehelligt laſſen. Falls ihm aber eine ſchlechte Behandlung wird, ſucht er ſich die Urheber derſelben ſobald als möglich vom Halſe zu ſchaffen, und es kommt ihm dabei auf einen kleinen Zweikampf durchaus nicht an. Bei guter Pflege hält er auch in Europa die Gefangenſchaft ziemlich lange aus. „Jch habe,‟ ſagt Weinland, „einen ſolchen Zwergbären einſt jung aufgezogen und ihn faſt ein Jahr lang im freien Zimmer wie einen Hund umherlaufen laſſen. Hier hatte ich täglich Gelegen- heit, ſeinen Gleichmuth zu bewundern. Er iſt nicht träg, vielmehr ſehr lebendig, ſobald er ſeiner Sache ſicher iſt. Aber wie kein anderes Thier und wie wenige Menſchen ſchickt er ſich ins Unvermeidliche. An einem Käfig, in dem ich einen Papagei hatte, kletterte er Dutzendmale auf und nieder, ohne auch nur den Vogel anzuſehen; kaum aber war dieſer aus ſeinem Käfig und ich aus dem Zimmer, ſo machte mein Waſchbär auch ſchon Jagd auf den Papagei. Dieſer wußte ſich freilich ſeines Verfolgers gewandt zu erwehren, indem er, den Rücken durch die Wand gedeckt, dem langſam und von der Wand herauſchleicheuden Bären immer ſeinen offenen Hakenſchnabel entgegenſtreckte.‟ „Neugierig bis zum Aeußerſten, zog er ſich doch, ſo oft die Thür ſich öffnete, unter meinen Lehn- ſtuhl; gewiß aber nie anders, als rückwärts, d. h. den Kopf gegen die Thür gekehrt. Auch vor dem größten Hund ging er nie im ſchnellen Lauf, ſondern ſtets in dieſer ſpartaniſchen Weiſe zurück, dem Feinde Kopf und Bruſt entgegenhaltend. Kam ihm ein mächtiger Gegner zu nahe, ſo ſuchte er durch Haarſträuben und Brummen, auch wohl durch einen ſchnell hervorgeſtoßenen Schrei für Augenblicke Achtung einzuflößen und ſo den Rückzug zu decken, und Das glückte ihm auch immer. War er aber in einem Winkel angekommen, ſo vertheidigte er ſich wüthend. Vögel und Eier waren ihm Leckerbiſſen, Mäuſe zeigten ſich nie, ſolange ich ihn beſaß, und er dürfte ſich ſo gut, als die Katze, zum Hausthier eignen und dieſelben Dienſte thun, würde aber freilich ein mindeſtens ebenſo unabhängiges Leben zu wahren wiſſen, wie jene. Anhänglich wurde mein Waſchbär nie. Doch kannte er ſeinen Namen, folgte aber dem Rufe nur, wenn er Etwas zu bekommen hoffte. Selten zeigte er ſich zum Spielen aufgelegt. Er verſuchte Dies einmal mit einer Katze, die ihn dafür ins Geſicht kratzte. Dies erbitterte ihn nicht nur nicht im geringſten, ſondern, nachdem er bedächtig das Geſicht abgewiſcht, nahte er ſich der Katze ſofort wieder, betaſtete ſie aber diesmal nur mit der Tatze und mit vorſichtig weit abgewendetem Kopf.‟ „Daß er ſich, wie das Opoſſum, todt ſtellt, habe ich ſelbſt nie beobachtet, obwohl man es auch von ihm behauptet hat. Allerdings läßt er, ſobald man ihn beim Pelz am Genick packt, alle Glieder ſchlaff fallen und hängt herunter, wie todt; nur die kleinen, klugen Augen lugen aller Orten nach einem Gegenſtand umher, der mit den Zähnen oder Füßen erreicht werden könnte. Hat der Schupp glücklich einen ſolchen erfaßt, ſo hält er ihn mit außerordentlicher Zähigkeit feſt. Bei Nacht machte er anfangs viel Lärm, während er bei Tag ſchlief; aber als er den Tag über immer im hellen Zimmer ſich aufhalten und erſt nachts in ſeinen Behälter kriechen mußte, lernte er bald nach ehrlicher Bürger- ſitte am Tage wachen und bei Nacht ſchlafen.‟ „Mit anderen ſeiner Art lebt er in vollſter Einigkeit. Bekanntlich iſt eine Nuß im Stande, den Frieden eines Affenpaares in einem Augenblick in Hader und Gewaltthätigkeit umzuwandeln; bei dem Waſchbär iſt Dem nicht alſo. Ruhig verzehrt derjenige, dem eben das Glück wohl will, vorn am Käfig zu ſitzen, den dargebotenen Leckerbiſſen, ohne daß ihn die kurz davon ſitzende Ehehälfte im geringſten behelligt, freilich, wie es ſcheint, auch nicht erfreut wurde. Sie iſt einfach gleichgiltig.‟ Letztere Beobachtung bezieht ſich übrigens, wie ich ergänzend bemerken muß, doch nur auf Waſchbären, welche von Jugend auf zuſammengewöhnt oder verſchiedenen Geſchlechtes ſind. Zwei 40*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/705>, abgerufen am 17.05.2024.